TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/9 I422 2228719-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.06.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

09.06.2020

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
StGB §107 Abs1
StGB §125
StGB §127
StGB §130
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I422 2228719-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Rumänien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48, 3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.01.2020, Zl. 356445810/191213462, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.06.2020 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird insoweit mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Dauer des Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz auf drei Jahre herabgesetzt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Aufgrund einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen erließ die belangte Behörde mit verfahrensgegenständlichem Bescheid über den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.) und erteilte ihm einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung (Spruchpunkt II.).

Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde gegen Spruchpunkt I. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die belangte Behörde dem Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers nicht die angemessene Bedeutung beigemessen habe. Er lebe zusammen mit seiner Mutter und mit seinem Bruder im gemeinsamen Haushalt und bestehe daher ein Familienleben. Die Fortsetzung dieses Familienlebens sei in Rumänien nicht möglich. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer aufgrund seiner Berufstätigkeit sowie aufgrund seiner langen Aufenthaltsdauer in Österreich erhebliche Interessen privater Natur. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet stelle entgegen der Ansicht der belangten Behörde keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar.

Am 08.06.2020 fand eine mündliche Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist rumänischer Staatsangehöriger und somit EWR-Bürger bzw. Unionsbürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Der Beschwerdeführer wurde in Rumänien geboren, wuchs dort auf und besuchte dort die Grund- und Mittelschule. 2004 kam der Beschwerdeführer im Alter von rund 16 Jahren mit seiner Familie nach Österreich. Erstmalig war er von 25.08.2004 bis 07.04.2011 mittels Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet. Aufgrund seiner Straffälligkeit wurde am 12.04.2010 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen, welches in zweiter Instanz durch den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien mit Berufungsbescheid vom 24.08.2010 auf fünf Jahre herabgesetzt wurde. Am 07.04.2011 reiste er freiwillig in sein Heimatland aus. Trotz aufrechtem Aufenthaltsverbot kehrte der Beschwerdeführer in der Folge wiederholt unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet zurück und wurde er während dieser Zeit im Bundesgebiet erneut straffällig.

Seit 11.03.2019 ist der Beschwerdeführer neuerlich im Bundesgebiet gemeldet. Der Beschwerdeführer ist nicht im Besitz einer Anmeldebescheinigung gemäß § 53 Abs. 1 NAG. Seit seiner neuerlichen Einreise im Jahr 2019 ist der Beschwerdeführer mit einigen Unterbrechungen als Trockenbauer beschäftigt und befindet er sich gegenwärtig in einem aufrechten Dienstverhältnis.

Der Beschwerdeführer ist gesund, ledig und hat keine Sorgepflichten. Er verfügt im Bundesgebiet über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Mutter, seinem leiblichen Bruder und seiner Halbschwester. Mit seiner Mutter und seinem Bruder lebt er in einem gemeinsamen Haushalt. Zu seinen Familienangehörigen im Bundesgebiet liegt kein Abhängigkeitsverhältnis in persönlicher, finanzieller oder sonstiger Hinsicht vor. Der Beschwerdeführer weist keine nennenswerten sozialen Anknüpfungspunkte zu Österreich auf.

In Rumänien wohnen die Großmutter und die Tante des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich mehrfach strafgerichtlich verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13.10.2009 zu 031 Hv 102/09h wurde er wegen des Verbrechens des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß § 15, 127, 130 erster Fall zu einer bedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 08.03.2010 zu 161 Hv 163/09k wurde er wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß § 127, 130 erster Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 08.05.2012 zu 022 Hv 48/12f wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Sachbeschädigung gemäß § 125 StGB sowie wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 06.11.2019 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung gemäß § 15, § 84 Abs. 4 StGB einer bedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung des bekämpften Bescheides und seinen Angaben im Beschwerdeschriftsatz sowie den Angaben des Beschwerdeführers und der Zeugin in der mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht. Ergänzend wurden Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR), des Sozialversicherungsträgers und des Strafregisters eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellung zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere seiner Identität ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Durch eine dort einliegende Kopie seines Personalausweises und einer Kopie seines Reisepasses ist die Identität des Beschwerdeführers belegt.

Aus der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und den darin aufscheinenden Angaben in den vorangegangenen Verfahren sowie in das ZMR gründen die Feststellungen über die Einreise und den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Im Rahmen der Beschwerde wurde eine Einreichbestätigung durch die MA35 datierend vom 02.08.2019 vorgelegt. In einer aktuellen Mitteilung vom 04.06.2020 wies die MA35 darauf hin, dass dem Beschwerdeführer in Ermangelung des Nachweises seiner Arbeitnehmertätigkeit keine Anmeldebescheinigung ausgestellt wurde. Dies deckt sich mit den Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Die Feststellungen zur Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers resultieren aus der Einsichtnahme in einen aktuellen Auszug des Sozialversicherungsträgers. Demzufolge war der Beschwerdeführer vom 10.04.2019 bis 08.07.2019 und vom 04.09.2019 bis 22.10.2019 bei E[...] M[...] sowie vom 23.10.2019 bis 16.12.2019 und vom 10.01.2020 bis 22.01.2020 bei der J[...]. Vom 10.02.2020 bis 13.03.2020 und danach seit 10.04.2020 ist der Beschwerdeführer in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis bei der M [...] K[...] GmbH. Zu seinen Dienstverhältnissen befragt, brachte der Beschwerdeführer ergänzend vor, dass es sich bei den drei Unternehmen um ein und denselben Unternehmer handle und dieser mehrfach den Namen des Unternehmens gewechselt habe. Die Lücken ergäben sich daraus, dass das Unternehmen im Sommer immer eine rund zweimonatige Unterbrechung mache und er zu diesem Zeitpunkt mit einer Wiedereinstellungszusage beim AMS vorstellig werde.

Dass der Beschwerdeführer gesund ist, er ledig ist und auch keine Sorgepflichten hat, ergibt sich aus seinen glaubhaften Angaben im Administrativverfahren. Die familiären Anbindungen in seinem Herkunftsstaat ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben und den Angaben der Mutter des Beschwerdeführers. Aus seinen glaubhaften Angaben und der Einsichtnahme in das ZMR ist ebenfalls belegt, dass die Mutter, der Bruder sowie die Schwester des Beschwerdeführers im Bundesgebiet wohnhaft sind und er somit über familiäre Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet verfügt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung bezeichnete der Beschwerdeführer das Verhältnis zu seiner Mutter als gut. Erstmalig brachte er vor, dass seine Mutter in letzter Zeit drei Bandscheibenvorfälle erlitten habe und sie deshalb auf seine Hilfe angewiesen sei, da sie nicht mehr als fünf Kilogramm tragen könne. Er unterstützte sie deshalb im Haushalt, trage die Einkäufe und begleite sie zum Arzt. Zudem seine Mutter nach dem Tod ihres Lebensgefährten zudem psychisch angeschlagen sei und unterstütze er sie auch in diesen Belangen. Mit seinem Bruder lebe er seit seiner Wiedereinreise in einem gemeinsamen Zimmer. Er habe mit ihm ein gutes Verhältnis, da er der Einzige sei, der sich mit ihm in der Gebärdensprache unterhalte. An den Wochenenden würde er mit seinem Bruder gemeinsam etwas unternehmen wie beispielsweise Fußball spielen oder gemeinsam fortgehen. Am Sonntag sei Familientag und treffe sich an diesem Tag immer die gesamte Familie. Eine eigene Wohnung habe der Beschwerdeführer deshalb noch nicht, weil er erst nach rund zwei Jahren einen Antrag auf eine Gemeindewohnung stellen könne. Die Mutter des Beschwerdeführers bestätigte im Wesentlichen sein Vorbringen. So habe sie vor kurzem drei Bandscheibenvorfälle und aufgrund des Verlustes ihres Lebensgefährten einen Schock und Panikattacken erlitten, weswegen sie den Beschwerdeführer brauche. Dass sich weder aus den Angaben des Beschwerdeführers noch aus denen seiner Mutter, Anhaltspunkte eine finanzielle, persönliche oder sonstige Abhängigkeit ergaben, resultiert aus folgenden Überlegungen: So basiere der Umstand, dass der Beschwerdeführer nach wie vor bei seiner Familie wohne, in praktischen Gründe, da er nach seiner Wiedereinreise nach Österreich zunächst nicht gewusst habe, wo er wohnen solle. Zudem seien private Wohnungen teuer und benötige der Beschwerdeführer eine gleichbleibenden Wohnadresse von rund zwei Jahren, damit er eine Gemeindewohnung beantragen könne. Auch dass der Beschwerdeführer der Einzige sei, der mit seinem Bruder kommuniziere, konnte so nicht gefolgt werden. Seine Mutter verneinte nämlich die Frage, ob der Beschwerdeführer Gebärdensprache spreche und gab an, dass er lediglich einzelne Wörter in der Gebärdensprache verstehe. Zudem brachte der Beschwerdeführer vor, dass sein Bruder auch taubstumme Freunde habe, mit denen sich sein Bruder in einer eigenen Bar für Taubstumme treffe. Ebenso vermochte die Mutter das erkennende Gericht nicht davon überzeugen, dass Sie gänzlich und ausschließlich auf die Hilfe des Beschwerdeführers angewiesen ist. Neben dem Beschwerdeführer leben noch sein Bruder und die Halbschwester in Österreich. Auch wenn der Bruder taubstumm ist und sich eine Kommunikation mit ihm schwieriger gestaltet, hindert ihn dessen Beeinträchtigung nicht, dass er der Mutter bei schweren Tätigkeiten im Haushalt hilft bzw. helfen kann. Zudem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sowohl der Beschwerdeführer als auch dessen Bruder laut ihrer eigenen Aussage im Begriff sind, sich in naher Zukunft eine eigene Wohnung zu organisieren. Zudem steht ihr auch die Tochter als Ansprechpartnerin zur Verfügung.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer keine nennenswerten sozialen Anknüpfungspunkte zu Österreich aufweist, resultiert aus seinen Angaben. So verneinte er zuletzt im Rahmen der mündlichen Verhandlung das Bestehen sozialer Kontakte, da er sehr viel arbeite. An den Wochenenden habe er nur kurz Zeit für sich und könne sich nicht viel mit Freunden treffen. Zudem sei er auch nicht Mitglied in einem Verein oder sonstigen Organisation.

Die rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers durch ein österreichisches Strafgericht gründen einerseits auf der Einsichtnahme in das Strafregister des Beschwerdeführers sowie auf den sich im Verwaltungsakt befindlichen Strafurteilen. Ebenso leiten sich die Feststellungen zu seinem ersten Aufenthaltsverbot aus den sich im Verwaltungsakt befindlichen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, vom 12.04.2010, GZ: III-1213527/FrB/10 und dem Berufungsbescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 24.08.2010, GZ: UVS-FRG/54357/2010-13 ab.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.1. Zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1. Rechtslage:

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Aufgrund seines neuerlich seit März 2019 bestehenden kontinuierlichen Inlandsaufenthalts des Beschwerdeführers ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. zweiter bis vierter Satz FPG anzuwenden.

Der Beschwerdeführer versuchte am 28.07.2019 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit mehreren Mittätern, seinem Opfer eine schwere Körperverletzung – sei es auch fahrlässig – zuzufügen, indem er seinem Opfer mehrere Faustschläge und Fußtritte gegen den Körper und gegen den Kopf versetzte. Seine Taten führten in der Folge zu einer Prellung des Brustkorbes links, einer Prellung des linken Oberschenkels, einer Zerrung/Verstauchung der Halswirbelsäule und einer Kopfprellung des Opfers. Dies führte zur rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 06.11.2019, 163 Hv 70/19p wegen des Verbrechens der versuchten schweren Körperverletzung nach §§15, 84 Abs. 4 StGB.

Somit ist die Voraussetzung einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr angesichts des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von strafbaren Handlungen, insbesondere der Gewaltkriminalität, erfüllt (vgl. VwGH vom 22.11.2017, Ra 2017/19/0474).

Allerdings ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Das erkennende Gericht kam unter Würdigung des individuellen, vom Beschwerdeführer seit seiner erstmaligen Einreise im Jahr 2004 durch sein persönliches Verhalten im Bundesgebiet gezeichneten Charakterbildes des sich hieraus ergebenden Persönlichkeitsbildes und der Gefährdungsprognose zur Überzeugung, dass vom Beschwerdeführer permanent eine derart schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgeht, welche ein Aufenthaltsverbot dem Grunde nach zu rechtfertigen vermag.

Dahingehend ist zunächst anzuführen, dass der Beschwerdeführer bereits viermal rechtskräftig in Österreich verurteilt wurde. So wurde er sowohl im Jahr 2009 als auch im Jahr 2010 wegen des (versuchten) Vergehens des Diebstahles sowie wegen des (versuchten) gewerbsmäßigen Diebstahls verurteilt. In der Folge wurde er bereits im Jahr 2012 erneut strafgerichtlich verurteilt, wobei er sich diesmal das Vergehen der Sachbeschädigung sowie das Vergehen der gefährlichen Drohung zu Schulden kommen ließ. Hinsichtlich dieser Verurteilung kommt ergänzend hinzu, dass er trotz eines aufrechten Aufenthaltsverbotes unrechtmäßig ins Bundesgebiet einreiste und straffällig wurde. Schließlich trat er im Juli 2019 und somit jüngst erneut strafgerichtlich in Erscheinung, indem er eine versuchte schwere Körperverletzung verübte. In diesem Zusammenhang bleibt nicht unberücksichtigt, dass das strafrechtlich relevante Verhalten kaum vier Monate nach seiner neuerlichen Einreise im März 2019 gegangen wurde. Auch wenn das Strafgericht im jüngsten Urteil das Geständnis des Beschwerdeführers; die Tatsache, dass es beim einem Versuch geblieben ist und die Tatsache, dass seinem strafrechtlichen Handeln eine Provokation durch das Opfer vorausgingen, mildernd berücksichtigt, fällt im Falle des Beschwerdeführers besonders ins Gewicht, dass es sich bei der Straftat des Beschwerdeführers um ein Verbrechen handelt und er bereits eine einschlägige Vorstrafe aufweist. Durch sein Fehlverhalten hat der Beschwerdeführer seine mangelnde Rechtstreue und seine Gleichgültigkeit gegenüber den in Österreich rechtlich geschützten Werten deutlich sowie beharrlich zum Ausdruck gebracht.

Die bedingte Nachsicht einer Freiheitsstrafe durch das Strafgericht steht einer unter fremdenrechtlichen Gesichtspunkten vorzunehmenden Gefährlichkeitsprognose nicht entgegen (VwGH 08.09.2009, 2009/21/0174). Somit geht auch der Beschwerdeeinwand, wonach es bei einem Versuch geblieben und er lediglich zu einer bedingten Strafhaft verurteilt worden sei und deshalb nicht von einer weiteren Gefährdung des Beschwerdeführers ausgegangen werden könne, zumal das Strafgericht andernfalls eine unbedingte Strafe verhängt hätte, ins Leere.

In Anbetracht der Tatsache, dass der Beschwerdeführer seine letzte Straftat Ende Juli 2019 beging, ist die Zeit jedenfalls noch zu wenig weit fortgeschritten, um ihm einen allenfalls gegebenen positiven Gesinnungswandel zu attestieren (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0276).

Die gemäß § 9 BFA-VG vorzunehmende Abwägung der privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen kann ebenfalls nicht zu einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes führen.

Der Begriff des 'Familienlebens' in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B8986/80, EuGRZ 1982, 311), zwischen Eltern und erwachsenen Kindern und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1).

Zweifelsohne weist der Beschwerdeführer in Österreich über ein Familienleben auf. Auch wenn das erkennende Gericht das zwischen dem Beschwerdeführer und seinen in Österreich lebenden Verwandten bestehende Naheverhältnis nicht verkennt, so kann doch auf eine derart erhebliche Beziehungsintensität, welche eine örtliche Trennung verunmöglichen würde, nicht geschlossen werden. Der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes folgend fällt eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 17.11.2009, 2007/20/0955). Auch wenn der Beschwerdeführer derzeit mit seiner Mutter sowie seinem Bruder im gemeinsamen Haushalt lebt und sie physische und psychische Leiden aufweisen, ist von einer derart besonderen Abhängigkeit zwischen dem gesunden 32jährigen Beschwerdeführer, seiner Mutter und seinen Geschwistern nicht auszugehen. Auch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass aufgrund eines früheren Aufenthaltsverbotes sein bestehendes Familienleben bereits schon einmal zurücktreten musste. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass es dem Beschwerdeführer auch von Rumänien aus möglich sein wird, den Kontakt zu seinen in Österreich lebenden Verwandten durch anderweitige Kommunikationsformen zu pflegen und aufrecht zu erhalten.

Zweifelsfrei besteht ein Privatleben des Beschwerdeführers in Österreich. Es sind jedoch keine Umstände hervorgekommen, welche auf eine maßgebliche Integration schließen lassen würden.

Die von dem Beschwerdeführer im Rahmen seiner Beschwerde ins Treffen geführten beruflichen Bemühungen werden grundsätzlich positiv bewertet, allerdings weisen diese im Hinblick auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung keine derartige Intensität auf, die eine besonders starke berufliche Integration des Beschwerdeführers belegen und per se die Unzulässigkeit des Aufenthaltsverbotes bewirken (VwGH 09.09.2003, 2002/01/0459).

Demgegenüber verfügt der Beschwerdeführer nach wie vor über Bindungen nach Rumänien. Er wurde dort geboren, wuchs dort auf besuchte dort die Grund- und Mittelschule und spricht nach wie vor Rumänisch. Eine vollkommene Entwurzelung des Beschwerdeführers ist somit nicht gegeben. Darüber hinaus verfügt er auch nach wie vor über familiäre Kontakte, zumal seine Großmutter und seine Tante nach wie vor in Rumänien leben.

Angesichts des zuvor aufgezeigten und in seiner Gesamtheit gravierenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers ist davon auszugehen, dass das gegen ihn erlassene Aufenthaltsverbot gemäß § 9 BFA-VG zulässig und zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Verhinderung von weiteren strafbaren Handlungen durch den Beschwerdeführer) auch dringend geboten.

Die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes sind demnach höher zu gewichten als die gegenläufigen, privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers. Unter diesen Umständen ist die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 9 BFA-VG als zulässig zu werten (vgl. VwGH 06.12.2019, Ra 2019/18/0437).

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs. 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (vgl. VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Der Beschwerdeführer weist ein familiäres Umfeld in Österreich auf und ist seit rund einem Jahr mit einigen kurzen Unterbrechungen beruflich verankert. Auch wertete das Strafgericht sein Geständnis und die Provokation des Opfers als mildernd und zeigte er sich zuletzt im Rahmen der mündlichen Verhandlung reuig und seines Fehlverhaltens einsichtig. Es ist daher der zeitliche Umfang des Aufenthaltsverbotes – trotzdem nicht verkannt wird, dass dem mehrfache Verurteilungen vorangehen und er entgegen dem früheren Aufenthaltsverbot unrechtmäßig in das Bundesgebiet einreiste und er erneut straffällig wurde – nicht notwendig, um eine nachhaltige Änderung seines Verhaltens und seiner Einstellung zu den rechtlich geschützten Werten zu bewirken und einer neuerlichen Rückfallgefahr wirksam zu begegnen und war dieser daher auf drei Jahre zu reduzieren.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der gegenständlichen Angelegenheit setzte sich das erkennende Gericht ausführlich mit der Thematik der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091; 19.12.2019, Ra 2019/21/0276; 06.12.2019, Ra 2019/18/0437; ua.) auseinander.

Dabei weicht die der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsprechung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Diebstahl Durchsetzungsaufschub Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose gefährliche Drohung Gesamtbetrachtung Gesamtverhalten AntragstellerIn Gewerbsmäßigkeit Haft Haftstrafe Interessenabwägung Körperverletzung mündliche Verhandlung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen Sachbeschädigung schwere Straftat Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Verbrechen Vergehen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I422.2228719.1.00

Im RIS seit

13.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten