TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/12 I401 1251101-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.04.2021
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Entscheidungsdatum

12.04.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2
AsylG 2005 §9 Abs2 Z2
AVG §13 Abs7
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §53 Abs6
FPG §55 Abs1a
StGB §107 Abs1
StGB §107 Abs2
StGB §83 Abs1
VwGVG §17
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1
VwGVG §7 Abs2

Spruch


I401 1251101-3/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , vom 19.11.2018, Zahl: XXXX

I. beschlossen:

A)

Das Beschwerdeverfahren gegen Spruchpunkt l. des angefochtenen Bescheides wird wegen Zurücknahme der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

II. zu Recht erkannt:

C)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Spruchpunkt zu lauten hat: „Ihr Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Nigeria gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Absatz 2 Z 2 AsylG 2005 abgewiesen.“

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III., IV., VI., VII. und VIII. wird als unbegründet abgewiesen.

III. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. wird stattgegeben und gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 festgestellt, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung von XXXX nach Nigeria unzulässig ist.

D)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

Zu Spruchpunkt I. A) - Zurücknahme der Beschwerde:

Mit Bescheid vom 19.11.2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX (in der Folge als Bundesamt bezeichnet), den Antrag des Beschwerdeführers vom 13.03.2014 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (AsylG) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte ihm gemäß § 57 AsylG keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) (Spruchpunkt IV.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.), erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.), gewährte gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII.) und erließ gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm mit Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VIII.).

Per Schriftsatz vom 07.04.2021 nahm der Beschwerdeführer die gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides, den Asylstatus betreffend, erhobene Beschwerde vom 05.12.2018 zurück.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 2 VwGVG ist eine Beschwerde nicht mehr zulässig, wenn die Partei nach Zustellung oder Verkündung des Bescheides ausdrücklich auf die Beschwerde verzichtet hat.

Eine Zurückziehung der Beschwerde durch den Beschwerdeführer ist in jeder Lage des Verfahrens ab Einbringung der Beschwerde bis zur Erlassung der Entscheidung möglich (Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 7 VwGVG, K 6).

Bei der Zurückziehung der Beschwerde handelt es sich um eine von der Partei vorzunehmende Prozesshandlung, die bewirkt, dass diese einer meritorischen Erledigung nicht mehr zugeführt werden darf. Die Rechtsmittelinstanz verliert - sofern die Zurücknahme noch vor Erlassung ihrer Entscheidung erfolgt - die funktionelle Zuständigkeit zur Entscheidung über die Beschwerde (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG Manz Kommentar, Rz 74 zu § 63 mwN).

Die Annahme, eine Partei ziehe die von ihr erhobene Berufung zurück, ist nur dann zulässig, wenn die entsprechende Erklärung keinen Zweifel daran offen lässt. Maßgebend ist daher das Vorliegen einer in dieser Richtung eindeutigen Erklärung (VwGH 22.11.2005, Zl. 2005/05/0320, u.v.a.).

Per Schriftsatz vom 07.04.2021 nahm der durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH vertretene Beschwerdeführer die erhobene Beschwerde vom 05.12.2018 hinsichtlich den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides, den Status des Asylberechtigten betreffend, zurück.

Auf Grund des unmissverständlich formulierten Parteiwillens ist der Sachentscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht die Grundlage entzogen und war daher das diesbezügliche Beschwerdeverfahren einzustellen.

Zu Spruchpunkt II. C):

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein aus dem Bundesstaat Enugu stammender Staatsangehöriger von Nigeria und Angehöriger der Volksgruppe der Ibo, stellte am 03.06.2004 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das (damals zuständige) Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 15.06.2014 diesen Asylantrag gemäß § 7 AsylG 1997 ab, stellte fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria zulässig ist und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet aus. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe keine asylrelevante Gefahr glaubhaft machen können und es lägen keine refoulmentschutzrechtlich relevanten Umstände vor. Die Ausweisung stelle keinen unzulässigen Eingriff iSd Art. 8 EMRK dar. Mit in Rechtskraft erwachsenem Erkenntnis des (damals zuständigen) Asylgerichtshofes vom 29.09.2010, B1 251.101-0/2008/26E, wurde der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes bestätigt.

2. Der Beschwerdeführer stellte am 13.03.2014 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet) mit Bescheid vom 03.12.2014 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückwies. Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.01.2018, I406 1251101-2/13E, wurde die „Beschwerde“ (- wie sich aus der Begründung ergibt- offenkundig gemeint: der angefochtene Bescheid) gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG mit der Begründung behoben, dass das Bundesamt die auf § 68 AVG gestützte Zurückweisung des Folgeantrages des Beschwerdeführers mit einer Rückkehrentscheidung hätte verbinden müssen.

3. Mit Bescheid vom 19.11.2018 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (AsylG) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte ihm gemäß § 57 AsylG keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) (Spruchpunkt IV.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.), erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.), gewährte gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII.) und erließ gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm mit Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VIII.). Im angefochtenen Bescheid wurde unter anderem festgestellt, dass der Beschwerdeführer an paranoider Schizophrenie leide.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom 05.12.2018. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer an einer paranoiden Schizophrenie mit chronischem Verlauf leide. Aufgrund der Schwere sowie des charakteristischen Verlaufs seiner Erkrankung müsse der Beschwerdeführer kontinuierlich mit einem (bestimmten) Medikament therapiert werden, da ansonsten jederzeit mit einer erheblichen Selbst- und Fremdgefährdung zu rechnen sei. Aufgrund seiner Erkrankung wäre der Beschwerdeführer in Nigeria nicht arbeitsfähig und hätte somit kein Einkommen. Auch auf eine familiäre Unterstützung in Nigeria könne er nicht hoffen, da sein Vater verstorben sei und seine Mutter ihn verstoßen habe. Er wäre in Nigeria somit auf sich alleine gestellt und eine Behandlung seiner Erkrankung wäre in Nigeria in keiner Weise sichergestellt. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Nigeria einer realen Gefahr im Sinn des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, welche unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse und der derzeit in Nigeria vorherrschenden Versorgung- und Lebensbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde.

Im Übrigen tätigte Beschwerdeführer Ausführungen zur Unzulässigkeit der Rückehrentscheidung und dem erlassenen Einreiseverbot in der Dauer von fünf Jahren.

Es wurde beantragt, dem Beschwerdeführer subsidiären Schutz zuzuerkennen, die erlassene Rückkehrentscheidung aufzuheben oder sie auf Dauer wie auch die Abschiebung nach Nigeria für unzulässig zu erklären, in eventu die Angelegenheit an das Bundesamt zurückzuverweisen, jedenfalls das Einreiseverbot aufzuheben bzw. die Dauer des Einreiseverbotes herabzusetzen und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

Der Spruchpunkt VI. betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung blieb von ihm unbekämpft.

4.1. Mit dem am 20.12.2007 in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB verurteilt und gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 14.05.2013 wurde er am 03.06.2013 aus der Anstaltsunterbringung unter Bestimmung einer Probezeit von fünf Jahren bedingt entlassen. Das gemäß § 179 Abs. 1 StVG zuständig gewordene Landesgericht für Strafsachen XXXX widerrief mit Beschluss vom 24.04.2014 die bedingte Entlassung.

4.2. Mit dem am 13.02.2015 in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 Z 4 StGB sowie des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 15 StGB und § 269 Abs. 1 erster Fall StGB verurteilt und gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

4.3. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 17.03.2017 wurde der Beschwerdeführer wegen denselben im zuvor angegebenen Urteil zu Grunde liegenden Straftaten verurteilt und wieder gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

4.4. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 17.07.2017 (in Rechtskraft erwachsen am 21.07.2017) wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der angeführte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Er ist Staatsangehöriger Nigerias und stammt aus dem Bundesstaat Enugu. Er ist ledig. Er ging zwölf Jahre in die Schule. Vor seiner Ausreise arbeitete er in der seinem Vater gehörenden Tankstelle und war als Bus- und Taxifahrer tätig. Er lebte in guten finanziellen Verhältnissen. Ob er noch Eigentümer eines Grundstückes und eines Hauses in Nigeria ist, lässt sich nicht feststellen.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Familienangehörigen oder sonstige nahe Angehörigen. Er gibt keine Hinweise für eine Integration des Beschwerdeführers in Österreich. Der Vater des Beschwerdeführers ist verstorben. Im Herkunftsstaat leben seine Mutter, seine Geschwister und weitere Verwandte. Ob er noch (fernmündlichen) Kontakt zu ihnen pflegt, kann nicht festgestellt werden. Weitere Verwandte von ihm leben in Nigeria.

Der Beschwerdeführer ist Vater von drei Kindern aus drei verschiedenen Beziehungen. Eines seiner Kinder lebt in Nigeria. Eines der anderen Kinder ist das Kind einer holländischen Staatsangehörigen und lebt in den Niederlanden, das andere lebt in Österreich und besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft. Zu seinen drei Kindern hat er schon seit längerer Zeit keinen Kontakt mehr; der letzte Kontakt zu jenem in Österreich lebenden Kind war im Jahr 2017. Er hat kein schützenswertes Familienleben. Seine sozialen Kontakte in Österreich sind aufgrund seines mehrjährigen Aufenthaltes in der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher kaum mehr vorhanden.

Er hat am 27.06.2013 die Externistenprüfung über die vierte Klasse (8. Schulstufe) der Hauptschule, die er an der Europäischen Mittelschule XXXX in XXXX ablegte, bestanden. Er verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2. Er war an zwei Tagen, nämlich vom 14.03. bis 15.03.2005, in Österreich beschäftigt.

Er wurde vier Mal strafrechtlich verurteilt. Die zuletzt erfolgte Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher erfolgte, weil der Beschwerdeführer an einer chronischen paranoiden Schizophrenie, das ist eine schwere psychische Störung, bei der es zu einer Desintegration des seelischen Gefüges kommt, leidet.

Im Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 17.03.2017 wurde zur psychischen Beeinträchtigung ausgeführt, dass der Beschwerdeführer am 11.06.2016 in der Justizanstalt XXXX sich nicht von der Akutstation zum Aufenthalt ins Freie begeben, sondern sich schnellen Schrittes in Richtung seiner vormaligen Wohnstation entfernt habe. Weil die Türe versperrt gewesen sei, habe er sich vor der Station auf einen Stuhl gesetzt. Dort hätten mehrere auf Grund des ausgelösten Hausalarms herbeigeeilte Justizwachebeamte erfolglos versucht, ihn zur Rückkehr auf die Akutstation zu überreden. Schließlich sei er von Justizwachebeamten in die Akutstation verbracht worden. Als er jedoch in den „besonders gesicherten Haftraum" hätte gebracht werden sollen, um vom Anstaltsarzt ein Depot-Antipsychotikum injiziert zu bekommen, habe er um sich zu schlagen und zu treten begonnen, um dies zu verhindern. Acht Justizwachebeamte hätten daraufhin gemeinsam unter größter Mühe versucht, den groß gewachsenen und körperlich sehr kräftigen Betroffenen auf den Boden zu legen, seine Hände hinter den Rücken zu bringen und ihm Handfesseln anzulegen. Bei diesen Maßnahmen habe der Betroffene einen Justizwachebeamten in den linken Unterarm gebissen, wodurch dieser eine 5 - 6 cm große Bisswunde (Rissquetschwunde) erlitten habe, die im Krankenhaus ambulant versorgt worden und auf Grund derer der Justizwachebeamte bis 21.06.2016 arbeitsunfähig gewesen sei.

Beim Betroffenen stehe eine paranoide, misstrauische, abweisende Grundhaltung im Vordergrund. Diese schwere psychische Störung sei auch der Grund, warum er in der Justizanstalt G und schon längere Zeit vor dem Vorfall in einem destabilisierten Zustand gewesen sei. Es habe massive Schwierigkeiten in der Behandlung gegeben, deshalb seien Ansuchen um Zwangsbehandlungen gestellt worden. Aus alldem sei zu schließen, dass trotz Medikation - was bei dieser Erkrankung immer wieder vorkomme - keine psychische Stabilität habe erreicht werden können. Das Verhalten vor und während des gegenständlichen Vorfalls, dass er plötzlich verweigere, auf die Station zurückzugehen, hier nicht mehr ansprechbar sei, nicht mehr kooperiere, auch überhaupt nicht mehr gesprächsbereit sei, weise auf die schwere seelische Desintegration zum Tatzeitpunkt hin, sodass die medizinischen Voraussetzungen der Zurechnungsunfähigkeit bestünden. Er habe nicht mehr richtig gewusst, was er tue und habe das Verboten-Sein seiner Handlungen in dem Sinn nicht erkennen können, als er gesagt habe, dass er sich bloß verteidige und keine andere Möglichkeit gesehen habe. Auch wäre die handlungsgestaltende Kraft gesetzlicher Vorschriften bei ihm nicht mehr wirklich wirksam geworden, weil er eben von diesem Krankheitsgeschehen so überwältigt gewesen sei.

Die psychische Störung sei sehr schwer und die Ursache für die gegenständlichen Tathandlungen. Die Krankheitsprognose sei ungünstig. Medikamente würden zwar eine gewisse Beruhigung bewirken, würden aber nicht dazu führen, dass der Beschwerdeführer von den misstrauischen, wahnhaften Grundvorstellungen loskomme und eine andere Perspektive auf sich, auf seine Situation und auf die anderen Menschen entwickeln könne.

Die störungsbedingte Kriminalprognose sei ebenfalls ungünstig in dem Sinn, dass ähnliche Tathandlungen, wie die gegenständlichen, auch zur ursprünglichen Einweisung geführt hätten, und dass entsprechende Taten - auf Grund der außergewöhnlichen Körperkraft des Betroffenen auch solche mit schweren Folgen - auch in Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit wieder auftreten würden, wenn er nicht entsprechend - medikamentös und psychosozial - behandelt werde, also wenn es nicht möglich sei, ihn in einer entsprechenden Einrichtung zu führen und zu begleiten, weil er selbst dazu nicht in einer geordneten Weise in der Lage sei. Eine Substitution durch gelindere Maßnahmen würde voraussetzen, dass er in der Lage sei, ihm erteilte Weisungen in ihrer Bedeutung zu verstehen und sich entsprechend zu verhalten, wofür er in einem hohen Ausmaß seelisch gesund und ausgeglichen sein und auch genug Krankheitseinsicht besitzen müsste. Alles das liege beim Beschwerdeführer jedoch derzeit nicht vor, sodass Weisungen nicht ausreichen würden, die krankheitsbedingte Gefahr der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen mit schweren Folgen ausreichend sicher hintanzuhalten.

Der Beschwerdeführer, der sich seit 03.06.2004 im Bundesgebiet aufhält, ist seit dem 29.04.2014 bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf Grundlage des § 21 Abs. 2 StGB in der Justizanstalt XXXX , einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, stationär untergebracht. Er befand sich bereits zuvor, und zwar vom 12.12.2006 bis 09.01.2007 und vom 13.09.2007 bis 03.06.2013, in dieser Einrichtung im Maßnahmenvollzug.

Der Beschwerdeführer stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit und öffentliche Sicherheit dar.

1.2. Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer leidet an einer paranoiden Schizophrenie. Er wurde in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er unter dem Einfluss der Grunderkrankung der paranoiden Schizophrenie eine Straftat beging.

In der durch den Leiter des psychiatrischen Dienstes und der Betreuungsbereiche sowie von zwei weiteren Ärzten unterfertigten Stellungnahme der Justizanstalt XXXX vom 29.07.2020 wurde (auszugsweise) Folgendes ausgeführt (wobei der Beschwerdeführer in den Fällen, wo er namentlich genannt wurde, als Patient bezeichnet wird):

„Aus fachärztlich-psychiatrischer Sicht liegt bei dem Patienten als Grundstörung vorrangig eine funktionelle Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis vor, die aufgrund ihrer Ausgestaltung dem Prägnanztyp einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20.0) entspricht. Zudem sind eine psychische und Verhaltensstörung durch Cannabinoide (ggw. abstinent aber in beschützender Umgebung (ICD-10: F19.21)), sowie ein Mikroadenom am Boden der Hypophyse links dorsal (ICD-10. D35.2) und eine Adipositas (ICD-10: E66.0) bekannt.

Zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides vom 19.11.2018 war der Patient in der Lage, seine rechtlichen Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Eine gewählte, gesetzliche oder gerichtliche Erwachsenenvertretung, die von einem gegenteiligen Umstand zeugen würde, lag nicht vor.

Der Patient ist auch zum gegebenen Zeitpunkt in der Lage, seine rechtlichen Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Eine gewählte, gesetzliche oder gerichtliche Erwachsenenvertretung, die von einem gegenteiligen Umstand zeugen würde, liegt aktuell nicht vor.

Der Patient erhält alle 14 Tage eine intramuskulär zu verabreichende, antipsychotische Depotmedikation bestehend aus … . Ein eine orale Begleitmedikation wird vom Patienten abgelehnt.

Zwar konnten unter der etablierten psychopharmakologischen Therapie im Verlauf der letzten Jahre längere Phasen basaler psychopathologischer Stabilität erzielt werden, seit November 2019 war allerdings eine stetige Verschlechterung der Behandlungsbereitschaft des Patienten zu verzeichnen, wobei er sich zum Stationsalltag inaktiv, zunehmend fordernd und angespannt zeigte. Dabei kann es mitunter zu einer unterschwelligen Drohung gegenüber einer Dienstärztin. Anfang Dezember 2019 ereignete sich eine psychotische Entgleisung mit Aktualisierung der bekannten Wahninhalte und starker Agitation. Es folgte eine medikamentöse Adaptierung mit Steigerung der antipsychotischen Depotmedikation, welcher der Patient zustimmte. Zum aktuellen Zeitpunkt zeigt der Patient weiterhin ein psychopathologisch instabiles Zustandsbild mit wahnhaften Inhalten, welche nur teilweise besprechbar und nicht korrigierbar sind. Bei weiterhin fehlender Krankheitseinsicht ist die Behandlungsadhärenz nur teilweise gegeben, … . Im Verlauf der letzten Monate zeigte sich der Patient im Kontakt zum ärztlichen Personal sowie dem Stationsteam gegenüber fordernd und dysphor, auch kam es wiederholt zu verbalen Drohungen, weil der Patient die Unterbringungssituation und die psychiatrische Behandlung nicht einsieht. Die Therapie der somatischen Erkrankungen des Patienten (Adipositas, Diabetes mellitus Typ II, metabolisches Syndrom) wird nicht hinreichend toleriert, die entsprechende medikamentöse Einstellung verweigert. Als Grund hierfür gibt der Patient an, die somatischen Beschwerden [sind] auf seine psychiatrische Medikation zurückrückzuführen. Bei Beendigung der Behandlung des Patienten oder der Einnahme (Anm: In diesem Fall die Verabreichung) der Medikamente wäre aus forensisch-psychiatrischer Sicht mit einer Exazerbation der psychotischen und wahnhaften Inhalte mit impulshaften Durchbrüchen sowie fremd- und selbstgefährdenden Handlungen zu rechnen.

Im Falle einer Abschiebung des Patienten nach Nigeria wäre aufgrund der dort eingeschränkten medizinischen Versorgungsmöglichkeiten und der fehlenden objektiven Faktoren voraussichtlich mit einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Patienten zu rechnen.“

In einer weiteren Stellungnahme durch die Leitung des psychiatrischen Dienstes und der Betreuungsbereiche der Justizanstalt XXXX vom 18.02.2021 wurde (auszugsweise) Folgendes ausgeführt:

„Beim Patienten besteht eine paranoide Schizophrenie (ICD-10: F20.0), welche vor allem durch einen systematisierten Größenwahn mit religiösen Inhalten charakterisiert ist, sowie an einem Cannabinoidabhängigkeitssyndrom bei gegenwärtiger Abstinenz in geschützter Umgebung (ICD-10: F12.21). Aufgrund der maßgeblichen, durch die schweren psychiatrischen Erkrankungen bedingten, Verhaltensstörungen und der damit einhergehenden Fremdgefährlichkeit erfolgte am 29.4.2014 die dritte Unterbringung in der Justizanstalt XXXX .

Gegenwärtig ist das psychopathologische Zustandsbild des Patienten weitgehend stabilisiert, sodass die Führbarkeit in der Justizanstalt derzeit problemlos von statten geht. Aus der Vorgeschichte des Patienten ist jedoch bekannt, dass es, sobald die Betreuungsstruktur des Patienten gelockert wurde, zum neuerlichen Auftreten von Delinquenz im Rahmen der psychotischen Symptomatik gekommen ist. Diesbezüglich ist eine weitere engmaschige psychiatrische Betreuung des Patienten bis zur anhaltenden Stabilisierung unabdingbar.

Im Fall des Patienten muss insbesondere hervorgehoben werden, dass das Wahnsystem des Patienten Personengruppen, vor allem im subsaharischen Afrika, welche der Patient mit Voodoo und anderen schwarz-magischen Praktiken in Verbindung bringt, einschließt. Hierbei hält der Patient diese Personen für „unwert“ im rassistischen Sinn und vertritt die Meinung, dass diese getötet werden müssen. Diesbezüglich ist mit einer Zunahme der Gefährlichkeit des Patienten nach Rückführung ins Heimatland zu rechnen.

Aktuelle Medikation:

Lisinopril 1A Tbl. 5 mg

Depotmedikation:

Haldol dec. Amp. 50 mg/l 3 ml, …, alle zwei Wochen“

1.3. Der Beschwerdeführer verfügt über kein soziales oder familiäres Netzwerk in Nigeria. Er hält sich seit beinahe 17 Jahren in der Europäischen Union bzw. in Österreich auf. Aufgrund seiner Erkrankung an paranoider Schizophrenie und deren schwerer Ausformung, die dazu führte, dass er sich bisher insgesamt für mehr als 14 Jahre in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher befindet, ist der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria nicht in der Lage, für sich selbst zu sorgen und sich eine - zumindest grundlegende - Existenz zu sichern. Dadurch wäre es ihm nicht möglich, die notwendigen Medikamente zur Behandlung seiner Krankheit zu besorgen, so dass mit einer lebensbedrohlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu rechnen wäre.

1.4. Zur medizinischen Versorgung wird in der Länderinformation der Staatendokumentation zu Nigeria (aus dem COI-CMS, generiert am 23.11.2020, Version 2) (mit Angaben der Quellen) ausgeführt:

23 Medizinische Versorgung

Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 3.2020b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 9.2020b; vgl. ÖB 10.2019). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 7.9.2020). Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2019). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 9.2020b). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2019).

Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 16.1.2020). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard. Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung (ÖB 10.2019).

In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 16.1.2020).

Stigmatisierung und Missverständnisse über psychische Gesundheit, einschließlich der falschen Wahrnehmung, dass psychische Erkrankungen von bösen Geistern oder übernatürlichen Kräften verursacht werden, veranlassen die Menschen dazu, religiöse oder traditionelle Heiler zu konsultieren; eine Rolle spielt hier auch der Mangel an qualitativ hochwertiger psychiatrischer Versorgung und die unerschwinglichen Kosten (HRW 11.11.2019). Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 16.1.2020). Nigeria verfügt derzeit über weniger als 150 Psychiater (AJ 2.10.2019), nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen „aufbewahrt“. Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt (VAÖB 23.1.2019). Die WHO schätzt, dass weniger als 10 Prozent der Nigerianer jene psychiatrische Behandlung bekommen, die sie brauchen (AJ 2.10.2019; vgl. HRW 11.11.2019).

Nach anderen Angaben gibt es insgesamt für die inzwischen annähernd (VAÖB 23.1.2019) 180-200 Millionen (Punch 22.12.2017: 180 Mio; VAÖB 23.1.2019: 200 Mio) Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich. Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 16.1.2020).

Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 16.1.2020). Nur weniger als sieben Millionen (Punch 22.12.2017) der 180-200 Millionen (Punch 22.12.2017: 180 Mio; VAÖB 23.1.2019: 200 Mio) Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).

Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 9.2020b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 16.1.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein (ÖB 10.2019). Eine medizinische Grundversorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 16.1.2020). Gemäß Angaben einer anderen Quelle werden Tests und Medikamente an staatlichen Gesundheitseinrichtungen dann unentgeltlich abgegeben, wenn diese überhaupt verfügbar sind. Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2019).

In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 16.1.2020). Medikamente gegen einige weitverbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2019).

Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte - meist aus asiatischer Produktion - vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 16.1.2020). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2019).

Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 9.2020b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists" und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2019).

In Nigeria gibt es wie in anderen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 13.10.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (7.9.2020): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www. auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#c ontent_5, Zugriff 5.10.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localy2 025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschie berelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29 %2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

-        AfricaCDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (13.10.2020): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/, Zugriff 13.10.2020

-        AJ - Al Jazeera (2.10.2019): Nigeria has a mental health problem, https://www.aljazeera. com/ajimpact/nigeria-mental-health-problem-191002210913630.html, Zugriff 16.4.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ec oi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020b): Nigeria, Ge-sellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 2.10.2020

-        HRW - Human Rights Watch (11.11.2019). Nigeria: People With Mental Health Conditions Chained, Abused, https://www.hrw.org/news/2019/11/11/nigeria-people-mental-health-c onditions-chained-abused , Zugriff 16.4.2020

-        Punch (22.12.2017): NHIS: Health insurance still elusive for many Nigerians, https://punc hng.com/nhis-health-insurance-still-elusive-for-many-nigerians/, Zugriff 16.4.2020

-        VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (23.1.2019): medizinische Stellungnahme

-        VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (27.3.2019): medizinische Stellungnahme

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der ärztlichen Stellungnahmen der Justizanstalt XXXX und des Urteils des Landesgerichtes XXXX vom 17.03.2017, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) sowie der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seiner Familiensituation in Nigeria, seiner Volkszugehörigkeit, seinem Familienstand, seiner Schulbildung und seinen in Nigeria ausgeübten beruflichen Tätigkeiten, seiner Beschäftigung an zwei Tagen in Österreich und dass er Vater von drei Kindern aus drei Beziehungen ist und er zu ihnen und den Müttern keinen Kontakt mehr hat, ergeben sich aus seinen Angaben bei der am 29.08.2018 erfolgten niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt und dem Umstand, dass keines seiner Kinder und deren Mütter den Beschwerdeführer in der Justizanstalt XXXX (zumindest) seit 13.05.2018 besucht haben (vgl. Gerichtsakt, OZl. 16: „Besucherliste“) sowie dem Versicherungsdatenauszug vom 09.04.2021.

2.3. Zu einer vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung:

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen gefährlicher Drohung, wiederholter schwerer Körperverletzung und wiederholtem versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt und der Maßnahmenvollzug durch Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ergeben sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich und dem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 17.03.2017.

Im diesem Urteil wurde ausgeführt, dass die psychische Störung des Beschwerdeführers sehr schwer und die Ursache für die gegenständlichen Tathandlungen sei. Die Krankheitsprognose sei ungünstig, ebenso wie die störungsbedingte Kriminalprognose, wonach entsprechende Taten auch in Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit wieder auftreten werden, wenn er nicht entsprechend - medikamentös und psychosozial - behandelt werde. Die weitere Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher sei gemäß § 21 Abs. 1 StGB notwendig.

Die Leitung des psychiatrischen Dienstes und der Betreuungsbereiche der Justizanstalt XXXX legte in der Stellungnahme vom 29.07.2020 dar, dass bei Beendigung der Behandlung des Beschwerdeführers oder der Einnahme bzw. Verabreichung der Medikamentei aus forensisch-psychiatrischer Sicht mit einer Exazerbation (d.h. mit einer deutlichen Verschlechterung) der psychotischen und wahnhaften Inhalte mit impulshaften Durchbrüchen sowie fremd- und selbstgefährdenden Handlungen und bei dessen Abschiebung nach Nigeria aufgrund der dort eingeschränkten medizinischen Versorgungsmöglichkeiten und der fehlenden objektiven Faktoren voraussichtlich mit einer deutlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu rechnen ist.

In der Stellungnahme der Leitung des psychiatrischen Dienstes der Justizanstalt XXXX vom 18.02.2021 wurde - zusammengefasst - hervorgehoben, dass, auch wenn sich gegenwärtig das psychopathologische Zustandsbild des Beschwerdeführers weitgehend stabilisiert ist, eine weitere engmaschige psychiatrische Betreuung bis zur anhaltenden Stabilisierung unabdingbar ist. Im Fall der Rückführung des Beschwerdeführers in sein Heimatland ist mit einer Zunahme seiner Gefährlichkeit zu rechnen.

Auf Grund der fundierten Ausführungen im zitierten Urteil des Landesgerichtes XXXX und in den Stellungnahmen der Leitung des psychiatrischen Dienstes der Justizanstalt XXXX ist der Schluss gerechtfertigt, dass der Beschwerdeführer (aktuell) eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, wenn eine weitere engmaschige psychiatrische Betreuung des Beschwerdeführers unterbleibt und die Einnahme bzw. Verabreichung der (stabilisierenden) Medikamente beendet wird. Eine entsprechende Änderung dieses Umstandes ist unzweifelhaft möglich.

2.4. Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers:

Die gesundheitliche Situation des Beschwerdeführers, bei dem auch Adipositas, Diabetes mellitus Typ II und ein metabolisches Syndrom diagnostiziert wurde, ergibt sich insbesondere aus dem Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 17.03.2017 sowie den Stellungnahmen der ärztlichen Leitung der Justizanstalt G vom 29.07.2020 und vom 18.02.2021, in dem auch die Medikation mit Lisinopril, ein Arzneistoff, der zur Behandlung der arteriellen Hypertonie (Bluthochdruck) und der Behandlung der Herzinsuffizienz eingesetzt wird, und die Depotmedikation mit Haldol Decanoat angeführt sind. Das Haldol Decanoat ist ein Neuroleptikum, ein Arzneimittel, das insbesondere zur Behandlung von Schizophrenie herangezogen wird und im konkreten Fall als Depotinjektion alle zwei Wochen verabreicht wird (https://medikamio.com/de-at/medikamente/haldol-decanoat-50-mgml-injektionslosung/pil, Zugriff 08.04.2021).

2.4. Zu den Behandlungsmöglichkeiten in Nigeria:

Die Feststellungen zu den Behandlungsmöglichkeiten ergeben sich aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 23.11.2020 unter dem Punkt „Medizinische Versorgung“.

2.5. Zur Situation für den Fall einer Rückkehr nach Nigeria:

Das Bundesamt traf zur Frage der Rückkehr nach Nigeria im angefochtenen Bescheid die Negativfeststellung, dass eine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers im Fall der Rückkehr nach Nigeria nicht festgestellt habe werden können. Eine Rückkehr in seine Heimat sei ihm zumutbar.

In der Beweiswürdigung legte es dar, dass die Feststellung, dass die für ihn notwendigen Behandlungsmethoden im Herkunftsstaat erhältlich seien, auf dem Länderinformationsblatt zu Nigeria beruhen würden. Nigeria verfüge über psychiatrische Fachkliniken. Laut dem Gesundheitsministerium gebe es acht psychiatrische Krankenhäuser, die von der Regierung geführt und finanziert würden. Sechs weitere psychiatrische Kliniken würden von den Bundesstaaten unterhalten. In diesen psychiatrischen Kliniken würden unter anderem klinische Depressionen, suizidale Tendenzen, Posttraumatische Belastungsstörungen, Schizophrenie und Psychosen behandelt. Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba biete sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker nigerianischer Staatsangehöriger an, die abgeschoben werden sollten. Dort sei auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich. Den aktuellen Länderfeststellungen zu Nigeria, seinen Angaben im Verfahren sowie den vorgelegten ärztlichen Unterlagen sei zudem zu entnehmen, dass eine medizinische Versorgung in seiner Heimat zweifellos gegeben sei und medizinische Einrichtungen und Behandlungsmethoden seinem Krankheitsbild entsprechend vorhanden seien.

Im Beschwerdeschriftsatz hob der Beschwerdeführer hervor, dass er an einer paranoiden Schizophrenie mit chronischem Verlauf leide und er aufgrund seiner Erkrankung in Nigeria einer enormen Gefährdung ausgesetzt wäre. Er verkenne oft die Wirklichkeit, fühle sich schnell bedroht und würde dann mit großer Wahrscheinlichkeit unangemessen, vermutlich gewalttätig, darauf reagieren. Er wäre aufgrund seiner Erkrankung nicht arbeitsfähig und hätte damit in Nigeria kein Einkommen. Die Behandlung seiner Erkrankung wäre in Nigeria nicht sichergestellt. Mit Verweis auf das Länderinformationsblatt und weiteren Quellen wurde in der Beschwerde zu Recht auch festgehalten, dass vom Bundesamt weder die besondere Schwere der Erkrankung des Beschwerdeführers noch die Frage des Zugangs zur Medikation berücksichtigt worden. seien.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit mehr als 14 Jahren (mit Unterbrechungen) im Maßnahmenvollzug. Aufgrund seiner Krankheit könne die Eigengefährdung und die Gefährdung anderer Personen nicht ausgeschlossen werden. Wie oben dargelegt, kann von einer entscheidenden Verbesserung seines Krankenbildes (noch) nicht ausgegangen werden. Laut den ärztlichen Stellungnahmen der Justizanstalt XXXX zeige sich für den Fall der Lockerung der Betreuungsstruktur, dass es zum neuerlichen Auftreten von Delinquenz im Rahmen der psychotischen Symptomatik gekommen sei. Eine weitere engmaschige psychiatrische Betreuung des Beschwerdeführers bis zur anhaltenden Stabilisierung sei unabdingbar. Im Fall seiner Abschiebung nach Nigeria wäre aufgrund der dort eingeschränkten medizinischen Versorgungsmöglichkeiten und der fehlenden objektiven Faktoren voraussichtlich mit einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes und Zunahme der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers nach der Rückführung ins Heimatland zu rechnen.

Selbst bei Fortführung der medikamentösen Therapie erscheint die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in Nigeria aufgrund der ärztlichen Stellungnahmen stark erschwert, zumal der Beschwerdeführer nur über eine geringe Schulbildung verfügt, er seit 2004 keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter habe und über ihren Verbleib nichts wisse sowie seine Mutter ihn aufgrund seiner Erkrankung verstoßen habe. Das Führen einer eigenständigen Existenz in Nigeria, das er vor ca. siebzehn Jahren verlassen hat, würde dadurch, dass er die letzten dreizehn Jahre (mit kurzen Unterbrechungen) im Maßnahmenvollzug verbrachte, nicht erleichtert. Auf Grund der vorliegenden Erkrankung ist daher von einer starken Einschränkung der Leistungsfähigkeit bzw. Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers auszugehen.

Doch selbst wenn es dem Beschwerdeführer möglich wäre, eine einfache Hilfstätigkeit zu finden, ist unklar, wie er damit eine regelmäßige Versorgung mit Medikamenten oder allenfalls eine ambulante oder stationäre Behandlung sicherstellen kann. Auch wenn die Medikamentenpreise in Nigeria nicht hoch sind, ist der Zugang beschränkt und bedeuten selbst Preise, die nach österreichischem Standard nieder sind, für einen nur eingeschränkt leistungsfähigen Mann ohne (familiäres) Netzwerk ein Hindernis. Zur Behandlungsmöglichkeit paranoider Schizophrenie in Nigeria ist festzuhalten, dass verschiedene Medikamente erhältlich sind, dass die Kosten dafür aber von den PatientInnen selbst zu tragen sind.

Im konkreten Fall ist zu berücksichtigen, dass die Stigmatisierung und Missverständnisse über psychische Gesundheit, einschließlich der falschen Wahrnehmung, dass psychische Erkrankungen von bösen Geistern oder übernatürlichen Kräften verursacht werden, die Menschen dazu veranlassen, religiöse oder traditionelle Heiler zu konsultieren; eine Rolle spielt hier auch der Mangel an qualitativ hochwertiger psychiatrischer Versorgung und die unerschwinglichen Kosten. Es existieren allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden. Nigeria verfügt derzeit über weniger als 150 Psychiater, nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen „aufbewahrt“. Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt. Die WHO schätzt, dass weniger als 10 Prozent der Nigerianer jene psychiatrische Behandlung bekommen, die sie brauchen (vgl. das Länderinformationsblatt: „Medizinische Versorgung“).

Gegenständlich bestehen, wie den Stellungnahmen der ärztlichen Leitung des Justizanstalt XXXX entnommen werden kann, konkrete Anhaltspunkte, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer zu einer deutlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes führen und die Zunahme der Gefährlichkeit gegenüber sich selbst und anderer Personen erwartet werden könne.

Es ist daher davon auszugehen, dass es dem Beschwerdeführer aufgrund der besonderen Schwere seiner Erkrankung nicht möglich ist, sich eine eigene Existenz aufzubauen und die Versorgung mit Medikamenten zu sichern. Bei einer Rückkehr nach Nigeria wird er in eine aussichtslose, die Existenz bedrohende Notlage geraten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.1. Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten:

§ 8 Abs. 1 AsylG 2005 lautet:

Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1.       der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2.       2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

In seinem Erkenntnis hält der Verwaltungsgerichtshof an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat - auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird - die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen kann (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

Gegenständlich war daher zu klären, ob im Fall der Rückführung des Beschwerdeführers nach Nigeria Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würden bzw. eine reale Gefahr einer solchen Verletzung besteht oder die Rückführung für den Beschwerdeführer als Zivilperson mit einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443).

Der EGMR geht allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann diesbezüglich die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

So hat der EGMR im Fall Paposhvili v. Belgium (no. 41738/10) vom 20.04.2015 weitere grundsätzliche Ausführungen zu diesem Thema getätigt:

„(183) Die "anderen sehr außergewöhnlichen Fälle" im Sinne des Urteils N./GB, die eine Angelegenheit unter Art. 3 EMRK aufwerfen können, sollten nach Ansicht des GH so verstanden werden, dass sie sich auf die Ausweisung einer schwer kranken Person betreffende Situationen beziehen, in denen stichhaltige Gründe für die Annahme aufgezeigt wurden, dass sie, obwohl sie nicht in unmittelbarer Lebensgefahr ist, mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Empfangsstaat oder des fehlenden Zugangs zu solcher Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu werden, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt. Der GH betont, dass diese Situationen einer hohen Schwelle für die Anwendung von Art. 3 EMRK in Fällen entsprechen, welche die Ausweisung von an einer schweren Erkrankung leidenden Fremden betreffen. Gemäß Art. 1 EMRK liegt die primäre Verantwortung für die Umsetzung der garantierten Rechte und Freiheiten bei den nationalen Behörden, die daher vom Standpunkt des Art. 3 EMRK die Ängste der Bf. beurteilen und die Risiken einschätzen müssen, denen diese im Fall der Abschiebung in den Empfangsstaat ausgesetzt wären.“

Ergänzend wurde vom EuGH im Urteil vom 24. 04. 2018, in der Rs C-353/16, MP festgehalten, dass Art. 4 und Art. 19 Abs. 2 GRC der Ausweisung entgegenstehen würden, wenn diese Ausweisung dazu führen würde, dass sich die psychischen Störungen, an denen der Drittstaatsangehörige im damaligen Ausgangsfall litt, erheblich und unumkehrbar verschlimmern. Dies gelte in besonderem Maße, wenn die Verschlimmerung sogar sein Überleben gefährden würde, so der EuGH. In solchen Ausnahmefällen würde die Ausweisung eines an einer schweren Krankheit leidenden Drittstaatsangehörigen in ein Land, in dem keine angemessenen Behandlungsmöglichkeiten vorhanden sind, gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen. Art 3 EMRK könnte daher einer Rückkehr entgegenstehen.

Es wird vom Bundesverwaltungsgericht nicht verkannt, dass eine Behandlung paranoider Schizophrenie in Nigeria generell möglich ist und dieses Krankheitsbild daher nicht „automatisch“ zur Gewährung subsidiären Schutzes für den Herkunftsstaat Nigeria führt, sondern auch in einem solchen Fall eine entsprechende Überprüfung der Umstände des Einzelfalls notwendig ist.

Wie bereits dargelegt wurde, ist aufgrund der vorliegenden Schwere der Erkrankung, der (sehr) langen Abwesenheit von Nigeria und dem damit einhergehenden Verlust seines familiären Netzwerkes davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage wäre, die zur Stablisierung seiner Krankheit notwendigen Medikamente zu erwerben, wodurch sich sein Gesundheitszustand immer weiter verschlechtern würde. Es ist davon auszugehen, dass es ihm nicht möglich wäre, für die Sicherung seiner grundlegendsten Bedürfnisse (Nahrung, Unterkunft) zu sorgen. Insgesamt wäre seine Versorgungssituation derart beeinträchtigt, dass in diesem Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte und die zu erwartende Verschlimmerung seines Krankheitsbildes sogar sein Überleben gefährden würde. Diese Gefährdung gilt für das gesamte Staatsgebiet Nigerias. Für den Fall einer Außerlandesbringung des Beschwerdeführers kann daher von einem realen Risiko einer Verletzung des Art. 3 EMRK ausgegangen werden. Da im konkreten Fall eine besondere Schutzwürdigkeit des Beschwerdeführers gegeben ist, geriete er bei einer Rückkehr nach Nigeria aufgrund seiner gesundheitlichen Situation in eine aussichtlose Lage, so dass eine Rückführung einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellen würde.

Zu prüfen ist aber noch, ob Ausschlussgründe im Sinne des § 9 AsylG 2005 vorliegen.

Der mit „Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten“ überschriebene) AsylG lautet (auszugsweise):

„(1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1.       die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

2.       er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder

3.       er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1.       einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2.       der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3.       der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) … .“

Die Tatbestandselemente des Abs. 1 sind nicht erfüllt, weil die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gegenständlich vorliegen und kein Hinweis vorliegt, dass der Beschwerdeführer den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat. Ebenso liegt keiner der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vor.

Zu prüfen ist zudem, ob der Beschwerdeführer von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX 17.03.2017 in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB eingewiesen. Die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten stellten kein Verbrechen im Sinn des § 17 StGB, sondern Vergehen dar. Selbst wenn die Straftaten Taten sind, die dem Betroffenen bei Zurechnungsfähigkeit als Verbrechen zuzurechnen wären, ist eine Einweisung gemäß § 21 Abs. 1 StGB keiner Verurteilung wegen eines Verbrechens gleichzusetzen. Im vorliegenden Fall ist daher der Tatbestand des § 9 Abs. 2 Z

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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