TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/31 W192 2216895-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.07.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

31.07.2020

Norm

BFA-VG §9 Abs6
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs4
FPG §53 Abs3

Spruch

W192 2216895-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Serbien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.03.2019, Zahl: 339959004-181196668, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß §§ 52 Abs. 4, 53 Abs. 3 FPG 2005 i.d.g.F. und § 9 Abs. 6 BFA-VG i.d.g.F. stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger Serbiens, begründete im Jahr 2005 einen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet und war zuletzt Inhaber des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus.“

Infolge strafgerichtlicher Verurteilungen des Beschwerdeführers setzte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen mit Schreiben vom 08.01.2019 über die beabsichtigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes gegen seine Person in Kenntnis und gewährte ihm die Möglichkeit, hierzu sowie zu anbei übermitteltem Berichtsmaterial zur Lage in seinem Herkunftsstaat und zu näher aufgelisteten Fragestellungen zu seinen familiären und privaten Lebensumständen binnen Frist eine Stellungnahme einzubringen.

Am 17.01.2019 ersuchte die nunmehr bevollmächtigte Vertreterin des Beschwerdeführers das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl um Bekanntgabe der Gründe für die beabsichtigte Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme; der Beschwerdeführer sei seit 2005 legal in Österreich aufhältig, berufstätig und habe sich nichts zu Schulden kommen lassen.

Mit Schreiben vom 23.01.2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die bevollmächtigte Vertreterin auf die vier rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers und die Möglichkeit zur Akteneinsicht hin.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.03.2019 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 4 FPG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig ist (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.).

In der Entscheidungsbegründung führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, beim Beschwerdeführer handle es sich um einen Staatsangehörigen Serbiens, welcher geschieden sei und Unterhaltspflichten für ein Kind aufweise. Dieser ginge keiner Beschäftigung nach und lebe von Notstandshilfe. Der Beschwerdeführer sei im Bundesgebiet aufrecht gemeldet und Inhaber des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus.“ Der Beschwerdeführer sei nicht selbsterhaltungsfähig und verfüge über keine besondere Integration.

Die gegen den Beschwerdeführer erlassene Rückkehrentscheidung wurde auf den Tatbestand des § 52 Abs. 4 Z 1 FPG gestützt und damit begründet, dass der Beschwerdeführer bereits vier Verurteilungen aufweise und damit die Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes erfülle. Gemäß § 11 Abs. 1 NAG dürften Aufenthaltstitel einem Fremden nicht erteilt werden, wenn gegen diesen ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß § 53 FPG erlassen worden sei oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG bestehe. Zum Aspekt des Familienlebens wurde ausgeführt, in Österreich würden die Ex-Ehefrau und ein Kind des Beschwerdeführers leben, gegenüber welchem er unterhaltspflichtig sei; bereits 2009 sei dieser innerhalb der Familie gewalttätig geworden und sei in weiterer Folge wegen Körperverletzung verurteilt und mit einem Betretungsverbot belegt worden. Zwar sei dieser seit Kurzem wieder gemeinsam mit seiner Ex-Frau und seinem Kind gemeldet, zuvor sei dies jedoch jahrelang nicht der Fall gewesen. Unterhaltszahlungen könnten gleichermaßen von Serbien aus getätigt werden. Angesichts der Körperverletzung innerhalb der Familie, des Betretungsverbotes, der Scheidung, des fehlenden gemeinsamen Wohnsitzes, der nicht vorhandenen Beschäftigung sowie der sexuellen Belästigung fremder Frauen sei von einer nicht stark ausgeprägten familiären Bindung auszugehen. Der Beschwerdeführer spreche Serbisch, ginge keiner Beschäftigung nach, lebe von staatlicher Unterstützung und sei nicht selbsterhaltungsfähig. Eine besondere Integration sei nicht vorhanden.

Dieser sei bereits viermal strafrechtlich verurteilt worden, zuletzt aufgrund der gleichen schädlichen Neigung. Im Jänner 2018 sei dieser wegen sexueller Belästigung und öffentlicher geschlechtlicher Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Wochen verurteilt worden, da dieser am offenen Fenster gegenüber einem Kindergarten vor zwei Frauen onaniert hätte. Im August 2018 sei der Beschwerdeführer aufgrund der gleichen schädlichen Neigung abermals wegen sexueller Belästigung und öffentlicher geschlechtlicher Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt worden, da er in der Öffentlichkeit vor einer Frau onaniert hätte. In beiden Verfahren habe der Beschwerdeführer die Tathandlung geleugnet und sich nicht einsichtig gezeigt. Zudem bestünden zwei Vorstrafen aus den Jahren 2007 und 2010. Angesichts dieser Verstöße gegen die österreichische Rechtsordnung gefährde das Verhalten des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Dieser sei auch durch das Bewusstsein, dadurch sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet aufs Spiel zu setzen, nicht von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abgehalten worden. Angesichts seines bisherigen Verhaltens im Bundesgebiet könne eine positive Zukunftsprognose nicht erstellt werden. Den insoweit geminderten persönlichen Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet stünde die Gefährdung öffentlicher Interessen an der Verhinderung von strafbaren Handlungen gegenüber. Der Beschwerdeführer befinde sich zwar bereits seit dem Jahr 2005 legal in Österreich, sei jedoch nur kurzfristigen oder geringfügigen Beschäftigungen nachgegangen. Der Beschwerdeführer hätte die ersten 25 Lebensjahre in Serbien verbracht, spreche Serbisch und sei zur Teilnahme am Erwerbsleben im Herkunftsstaat in der Lage. Da die Voraussetzungen des § 52 Abs. 4 FPG vorlägen und sich eine Aufenthaltsbeendigung vor dem Hintergrund des § 9 BFA-VG nicht als unzulässig erweise, sei gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen.

Gründe für die Unzulässigkeit einer Abschiebung nach Serbien im Sinne des § 50 FPG hätten sich im Verfahren nicht ergeben.

Das gegen den Beschwerdeführer ausgesprochene Einreiseverbot wurde auf den Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG gestützt, da dieser, wie dargelegt, mehr als einmal wegen der gleichen schädlichen Neigung verurteilt worden sei, wodurch eine schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit indiziert sei. Trotz legalen Aufenthalts habe der Beschwerdeführer es nicht geschafft, sich zu integrieren. Dieser lebe von Sozialleistungen und es sei angesichts seines bisherigen Verhaltens von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen. Die Abwägung der Interessen führe zum Schluss, dass die Erlassung eines Einreiseverbotes zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und somit zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei.

4. Gegen diesen Bescheid wurde durch die bevollmächtigte Vertreterin des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom 27.03.2019 fristgerecht die verfahrensgegenständliche vollumfängliche Beschwerde eingebracht, in der begründend ausgeführt wurde, der Beschwerdeführer lebe seit dreizehn Jahren im Bundesgebiet und habe hier durch seinen minderjährigen Sohn und seine Ex-Gattin, welche den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ besäßen, tiefe familiäre Bindungen. Der Beschwerdeführer habe in Österreich eine Familie gegründet, gearbeitet und sich entsprechend integriert. Die bestehenden familiären und privaten Bindungen seien von der Behörde völlig ignoriert worden. Zudem weise der Sohn des Beschwerdeführers eine gesundheitliche Behinderung auf, sodass er im Sinne des Kindeswohls Nähe und Fürsorge seines Vaters benötige. Der Beschwerdeführer weise zwar strafrechtliche Verurteilungen auf, diese dürften jedoch für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht ausschlaggebend sein. Die Behörde habe ihre Entscheidung alleine aufgrund der Aktenlage ohne persönliche Anhörung des Beschwerdeführers erlassen und damit wesentliche Verfahrensvorschriften verletzt.

5. Mit Schreiben vom 15.04.2019 forderte die ursprünglich zuständig gewesene Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes den Beschwerdeführer zur Vorlage näher aufgelisteter Unterlagen auf.

Mit Eingabe vom 03.05.2019 gab der Beschwerdeführer bekannt, sich im August 2018 mit seiner Frau versöhnt zu haben und aktuell wieder mit seiner Familie zusammenzuleben. Zudem habe er seit März eine Arbeitsstelle und lebe in stabilen Verhältnissen. Sein Sohn leide an einer schwerwiegenden Entwicklungsverzögerung und bedürfe täglich der elterlichen Fürsorge und Pflege. Beiliegend übermittelt wurden ein auf die Ex-Ehegattin lautender Mietvertrag und Nachweis der Mietzahlungen, ein Scheidungsurteil, Nachweise über die Unterhaltszahlungen, eine Bestätigung über die Anmeldung zur Sozialversicherung, eine Kopie des Reisepasses des Beschwerdeführers sowie ein Sachverständigen-Gutachten betreffend den minderjährigen Sohn des Beschwerdeführers, in welchem ein Grad der Behinderung von 70 % festgestellt wurde.

6. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der ursprünglich zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Serbiens und führt die im Spruch angeführten Personalien; seine Identität steht aufgrund der Vorlage eines biometrischen serbischen Reisepasses fest. Der Beschwerdeführer begründete im Jahr 2005 einen Wohnsitz im Bundesgebiet und hielt sich seither aufgrund ihm erteilter Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet auf. In Stattgabe eines Verlängerungsantrages wurde dem Beschwerdeführer zuletzt am 13.08.2019 eine „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus“ mit einer Gültigkeit bis zum 13.08.2022 erteilt. Zuvor war er im Besitz eines gleichlautenden Aufenthaltstitels mit einer Gültigkeit von 20.09.2017 bis 12.08.2019.

1.2. Mit rechtskräftigem Urteil eines österreichischen Bezirksgerichts vom 08.01.2018 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs. 1 Z 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Wochen verurteilt, welche ihm unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Dezember 2017 im Bundesgebiet unter Umständen, die geeignet waren, berechtigtes Ärgernis zu erregen, zwei Frauen, dadurch, dass er am offenen Fenster stehend onanierte, belästigt hat. Im Zuge der Strafbemessung wurde der bisher ordentliche Lebenswandel des Beschwerdeführers als mildernd gewertet, als erschwerend wurde kein Umstand berücksichtigt.

Mit rechtskräftigem Urteil eines österreichischen Bezirksgerichts vom 29.08.2018 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 281 Abs. 1 Z 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verurteilt, deren Vollzug unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im April 2018 im Bundesgebiet eine Frau durch eine geschlechtliche Handlung vor ihr und unter Umständen, unter denen dies geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, belästigt hat, indem er in seinem verkehrsbedingt angehaltenen PKW sitzend vor ihr onanierte und sie dabei beobachtete. Bei der Strafzumessung waren kein Umstand als mildernd und die einschlägige Vorstrafe sowie der rasche Rückfall als erschwerend anzunehmen.

Verurteilungen wegen § 146 StGB (2007) sowie wegen § 83 Abs. 1 StGB (2010) zu jeweils bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafen wurden bereits getilgt.

1.3. Der Beschwerdeführer ist geschieden und für einen im Jahr 2004 geborenen Sohn unterhaltspflichtig, welcher, ebenso wie die Kindesmutter, aufgrund des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“ zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt ist. Seit März 2019 lebt der Beschwerdeführer mit seiner Ex-Ehegattin und dem gemeinsamen Sohn wieder in einem gemeinsamen Haushalt. Der Beschwerdeführer hat sich während seines Aufenthaltes in verschiedenen kurzfristigen respektive geringfügigen Arbeitsverhältnissen befunden und bestritt seinen Lebensunterhalt im Übrigen durch den Bezug von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf den im Veraltungsakt in Kopie einliegenden serbischen Reisepass des Beschwerdeführers. Die Feststellung über die Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet und die ihm erteilten Aufenthaltstitel ergeben sich aus personenbezogenen Abfragen im Zentralen Fremdenregister und im Zentralen Melderegister.

Die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Inhalt der entsprechenden Verwaltungs- und Gerichtsakten.

2.2. Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers und den diesen zugrundeliegenden strafbaren Handlungen ergeben sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich und die im Akt befindlichen Urteilsausfertigungen.

2.3. Die Feststellungen über die privaten und familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers in Österreich beruhen auf dessen Angaben im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie dem im Akt einliegenden Sozialversicherungsdatenauszug.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBl I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Zu Spruchteil A) Stattgabe der Beschwerde

3.2. Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung stellen sich die maßgeblichen Rechtsgrundlagen wie folgt dar:

3.2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des 7. und 8. Hauptstücks des FPG lauten:

„Rückkehrentscheidung

§ 52. (1) – (3) […]

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,

1a. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,

[…]

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. […]

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) – (8) [...]

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) – (11) […]

Einreiseverbot

[...]

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.

ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.

ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;

3.

ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;

4.

ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;

5.

ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

6.

auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);

7.

auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet;

8.

ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt oder

9.

der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

(4) […]

(5) Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.

[…]“

Der mit „Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel“ betitelte § 11 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) lautet auszugsweise:

„(1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1.       gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß § 53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht;

2.       gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;

3.       gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4.       eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;

5.       eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder

6.       er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1.       der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2.       der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3.       der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4.       der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5.       durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

6.       der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und

7.       in den Fällen der §§ 58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß § 58 Abs. 5 mehr als vier Monate vergangen sind. […]“

§ 9 BFA-VG lautet wie folgt:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt. [...]“

Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist. Nur wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurde eine aufenthaltsbeendende Maßnahme bzw. die Nichterteilung eines humanitären Aufenthaltstitels ausnahmsweise nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte ist dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (vgl. VwGH 28.5.2020, Ra 2020/21/0003 mwN).

3.2.2. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Z 10 leg. cit. als Drittstaatsangehöriger jeder Fremde, der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist. Der Beschwerdeführer ist aufgrund seiner serbischen Staatsangehörigkeit sohin Drittstaatsangehöriger iSd. § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.

Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Besitz des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus“ mit einer Gültigkeitsdauer vom 20.09.2017 bis zum 12.08.2019 und war sohin gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig, sodass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Rückkehrentscheidung zutreffend auf Grundlage des § 52 Abs. 4 FPG geprüft hat. In Stattgabe eines Verlängerungsantrages wurde dem Beschwerdeführer zuletzt am 13.08.2019 eine „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus“ mit einer Gültigkeit bis zum 13.08.2022 erteilt.

Nach § 52 Abs. 4 FPG ist eine Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen zu erlassen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, wenn eine der in Z. 1 bis 5 genannten Voraussetzungen vorliegt.

Dazu gehören, dass der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund gemäß § 11 Abs. 1 oder 2 NAG entgegensteht (Z. 4), aber auch, dass ein solcher nachträglich eintritt oder bekannt wird, welcher der Erteilung des zuletzt vergebenen Einreisetitels entgegengestanden wäre (Z. 1).

Soweit die Behörde die gegen den Beschwerdeführer erlassene Rückkehrentscheidung im angefochtenen Bescheid mit dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 Z 1 NAG begründete, ist festzuhalten, dass zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides gegen den Beschwerdeführer weder ein Einreiseverbot, noch ein Aufenthaltsverbot aufrecht gewesen ist.

Da der Beschwerdeführer vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf nach § 9 Abs. 6 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen.

Fallbezogen ist demnach auf § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG einzugehen, wonach der Aufenthalt öffentlichen Interessen nicht widerstreiten darf. Das wäre nach § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG dann der Fall, wenn er die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet. Wann das anzunehmen ist, legen § 53 Abs. 2 und 3 FPG fest, wobei Abs. 3 Fälle einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit nennt. Als hier relevante Tatsache hat - unter anderem - im Sinne des § 53 Abs. 3 Z 1 dritter Fall FPG zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist. Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solchen Gefährdung gerechtfertigt ist, muss nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten unter Berücksichtigung seiner Art und Schwere eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (vgl. dazu VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289, Rn. 7 und 8, mwN; 22.8.2019, Ra 2019/21/0062).

Im Rahmen der zu treffenden Gefährdungsprognose und der Beurteilung des Gesamtverhaltens eines Fremden kann zur Begründung einer Gefährdung auch das einer bereits getilgten Verurteilung zugrundeliegende Verhalten herangezogen werden (vgl. VwGH 22.5.2013, 2013/18/0074, 24.4.2012, 2011/23/0291, mwN)

3.2.3. Der Beschwerdeführer weist zwei aus dem Jahr 2018 stammende strafgerichtliche Verurteilungen wegen des Vergehens der sexuellen Belästigung und öffentlicher geschlechtlicher Handlungen nach § 218 Abs. 1 Z 2 StGB auf und wurde demnach zweimal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Straftaten verurteilt, wodurch der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG grundsätzlich erfüllt und eine vom Beschwerdeführer ausgehende schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit indiziert ist.

Dem rechtskräftigem Urteil eines österreichischen Bezirksgerichts vom 08.01.2018, mit welchem der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs. 1 Z 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Wochen, welche ihm unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde, verurteilt worden ist, lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Dezember 2017 im Bundesgebiet unter Umständen, die geeignet waren, berechtigtes Ärgernis zu erregen, zwei Frauen, dadurch, dass er am offenen Fenster stehend onanierte, belästigt hat. Im Zuge der Strafbemessung wurde der bisher ordentliche Lebenswandel des Beschwerdeführers als mildernd gewertet, als erschwerend wurde kein Umstand berücksichtigt.

Mit rechtskräftigem Urteil eines österreichischen Bezirksgerichts vom 29.08.2018 wurde der Beschwerdeführer abermals wegen des Vergehens der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs. 1 Z 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verurteilt, deren Vollzug unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im April 2018 im Bundesgebiet eine Frau durch eine geschlechtliche Handlung vor ihr und unter Umständen, unter denen dies geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, belästigt hat, indem er in seinem verkehrsbedingt angehaltenen PKW sitzend vor ihr onanierte und sie dabei beobachtete. Bei der Strafzumessung waren kein Umstand als mildernd und die einschlägige Vorstrafe sowie der rasche Rückfall als erschwerend anzunehmen.

Der Beschwerdeführer weist zudem zwei bereits getilgte Vorverurteilungen (wegen § 146 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Wochen [2007] sowie wegen § 83 Abs.1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten [2010]) auf. Entsprechend der dargestellten Rechtsprechung sind diese bereits getilgten Verurteilungen im Rahmen der zu treffenden Gefährdungsprognose zu berücksichtigen.

3.2.4. In Relation zur Gesamtaufenthaltsdauer des Beschwerdeführers von mittlerweile rund fünfzehn Jahren ergibt sich aus den konkret gesetzten Straftaten, wenn auch deren Unrechtsgehalt nicht zu verharmlosen ist, zum Entscheidungszeitpunkt keine vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinne des § 53 Abs. 3 FPG. Dabei war zu berücksichtigen, dass die befassten Strafgerichte in den bisher geführten Strafverfahren jeweils die Verhängung von vergleichsweise geringen Freiheitsstrafen als ausreichend erachteten, welche allesamt jeweils bedingt nachgesehen wurden. Da durch die zuständigen Strafgerichte der tatsächliche Vollzug einer Freiheitsstrafe aus spezialpräventiven Gründen bislang nicht als erforderlich erachtet worden ist, kann im Hinblick auf das konkrete Fehlverhalten des Beschwerdeführers nicht davon ausgegangen werden, dass von dessen Person eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgeht, welche eine Aufenthaltsbeendigung nach einem mittlerweile rund fünfzehnjährigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet aus öffentlichem Interesse geboten erscheinen lässt. Die letzte Tathandlung liegt zum Entscheidungszeitpunkt mehr als zwei Jahre zurück.

Da dem Beschwerdeführer nach Erlassung des angefochtenen Bescheides in Stattgabe eines Verlängerungsantrages durch die Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde neuerlich ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus“ erteilt worden ist, ist zudem davon auszugehen, dass im dortigen Verfahren keine Versagungsgründe gemäß § 11 Abs. 1 und 2 NAG festgestellt worden sind.

Auch die Begründung des angefochtenen Bescheides lässt nähere fallbezogene Erwägungen dazu vermissen, weshalb im Falle des Beschwerdeführers auf Grund seines bisherigen Gesamtverhaltens die Annahme einer gegenwärtigen und als hinreichend schwer zu qualifizierenden Gefahr gerechtfertigt wäre.

3.3. Im Rahmen der zu erstellenden Gefährdungsprognose liegt daher zum Entscheidungszeitpunkt eine vom Beschwerdeführer ausgehende, gegenwärtige und hinreichend schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinne des § 53 Abs. 3 FPG nicht vor, sodass es die Voraussetzungen des § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 Abs. 6 BFA-VG als nicht gegeben erachtet werden.

In einer Konstellation, in der im Zusammenhang mit dem Antrag auf Verlängerung eines erteilten Aufenthaltstitels nach dem NAG 2005 die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 Z 4 FrPolG 2005 zu prüfen ist, ist das VwG zu einer Feststellung nach § 9 Abs. 3 BFA-VG, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, nicht befugt. Ebenso wenig ist dann eine Feststellung dahingehend zu treffen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung plus" nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegen, bzw. ein solcher Aufenthaltstitel zu erteilen. Das gilt auch für den Fall, in dem die Niederlassungsbehörde (noch) nicht gemäß § 25 NAG 2005 an das BFA herangetreten ist (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0193 mwN).

Es waren daher die in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer erlassene Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden übrigen Spruchpunkte ersatzlos zu beheben.

4. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Verhandlung kann nach Abs. 2 entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist (Z 1) oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist (Z 2).

Da der Bescheid aufzuheben war, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß §§ 21 Abs. 7 BFA-VG iVm 24 Abs. 2 VwGVG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Aufenthaltstitel Behebung der Entscheidung Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Behebung Gefährdungsprognose Rot-Weiß-Rot-Karte plus Rückkehrentscheidung behoben sexuelle Belästigung strafgerichtliche Verurteilung Verlängerungsantrag Versagungsgrund Voraussetzungen wesentliche Änderung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W192.2216895.1.00

Im RIS seit

19.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten