TE UVS Niederösterreich 2008/01/30 Senat-FR-08-0016

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.01.2008
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Spruch

I

 

Der Beschwerde wird Folge gegeben. Es wird festgestellt, dass die Festnahme, der Schubhaftbescheid vom 4.1.2008, Zl **S3-F-07 T, und die Anhaltung der Beschwerdeführerin in Schubhaft ab dem 4.1.2008 rechtswidrig waren.

 

Rechtsgrundlagen:

§§83 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl I Nr100/2005 in der Fassung BGBl I Nr157/2005 iVm §67 Abs3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG).

 

II

 

Es wird festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen

 

nicht vorliegen.

 

Rechtsgrundlagen:

§83 Abs4, erster Satz, FPG.

 

III

 

Die unterlegene Partei (BH X, zuzuordnen dem Bund, Bundesminister für Inneres) hat der Beschwerdeführerin gemäß §79a AVG iVm §83 Abs2 FPG und der UVS-Aufwandsersatzverordnung 2003, BGBl II Nr334/2003, den Schriftsatzaufwand in der Höhe von ? 660,80 sowie die Gebühr von ? 13,20, insgesamt somit ? 674,--, binnen zwei Wochen ab Zustellung dieser Entscheidung zu ersetzen.

Text

In der am 23. Jänner 2008 beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land NÖ eingelangten Schubhaftbeschwerde ist ausgeführt:

 

?Die BF befindet sich über Veranlassung der BH X seit 04.01.2008 in Schubhaft.

 

Dagegen erhebe ich

 

Beschwerde gem §82 Abs1 FPG.

 

Begründung

 

A.) Sachverhalt

 

Die Beschwerdeführerin ist am 4.1.2008 in Österreich eingereist und hat am selben Tag einen Asylantrag gestellt. Das Asylverfahren ist derzeit beim Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost anhängig.

 

Das Bundesasylamt führt derzeit Konsultationen gemäß der Dublin-II-VO Nr 343/2003 des Rates mit Polen.

 

Die BF erstattet durch ihren ausgewiesenen Vertreter nachstehende

 

Beschwerde gemäß §82 PFG

 

mit welcher die Verhängung der Schubhaft und die Anhaltung in Schubhaft durch die Bezirkshauptmannschaft X durch Schubhaftbescheid vom 04.01.2008 zur Zl **S3-F-08 T bekämpft wird.

 

Sachverhalt:

 

Beweis: Bezughabender Verwaltungsakt der belangten Behörde

 

Beschwerdegründe:

 

Die Schubhaft wird mit §76 Abs2 Zif4 FrPolG begründet. Nach weitwendigen Ausführungen zu im Zusammenhang mit der Freiheitsentziehung nicht relevanten Themenkreisen wie Migrationssoziologie und Integration begründet die schubhaftverhängende Behörde schließlich den Bescheid damit, dass die BF, eine Asylwerberin aus Tschetschenien/russ Föderation, die angegeben hatte, sich in Polen nicht sicher gefühlt zu haben, ?sich nicht einmal um ein Visum bemühte(n), um legal nach Österreich einreisen zu können??. Dies würde zeigen, dass sich die BF auch an weitere negative Entscheidungen nicht halten würde. Zwar zitiert die Behörde höchstgerichtliche Judikatur, wonach das zu prüfende Sicherheitserfordernis nicht allein in einer fehlenden Ausreisewilligkeit begründet werden kann, sondern soziale und allenfalls auch berufliche Verankerung sowie das bisherige Verhalten in die Prüfung mit einzubeziehen ist, tatsächlich führt die Behörde eine solche umfassende Prüfung jedoch nicht durch. Die BF hielt sich zum Zeitpunkt ihrer Festnahme freiwillig zur Verfügung der Behörden der EAST-Ost in T*********** auf. Sie hat selbst mit den Behörden Kontakt aufgenommen und soweit es ihr möglich war im Verfahren kooperiert, hat alle Auskünfte gegeben und hat in keiner Weise zu erkennen gegeben, dass sie sich im Fall einer negativen Entscheidung im Asylverfahren nicht entsprechend gesetzeskonform verhalten wird. Die illegale Einreise mit Schleppern, die von der Behörde als Grund für die Annahme des Sicherungserfordernisses herangezogen wird, ist im Falle der BF, die sich mit ihrer Mutter nach Österreich begeben hat, keinesfalls geeignet, dieses Sicherungserfordernis zu belegen. Wie aus dem Akt hervorgeht gab es nicht einmal eine Schlepper unterstützte Einreise. Der Vorhalt im bekämpften Bescheid, dass die BW Schlepper unterstützt einreiste zeigt, wie wenig sich die Behörde mit dem individuellen Vorbringen auseinander gesetzt hat und lässt vermuten, dass der gesamte Bescheid auf Textbausteinen beruht in denen lediglich persönliche Daten wahlweise verändert werden. Die BF, die sich in Polen vor Verfolgung nicht sicher fühlte, ist zusammen mit ihrer Mutter engen Verwandten, nach Österreich nachgereist. Dies ist durchaus nachvollziehbar, da sie von diesen Hilfe und Unterstützung erwarten kann, während sie in Polen mit ihrer Mutter völlig auf sich allein gestellt wäre.

 

Die Ausführungen der schubhaftverhängenden Behörde sind Leerformeln, die sich in unzähligen Schubhaftbescheiden befinden. Es wird in keiner Weise auf die konkrete Situation der BF eingegangen.

 

Gemäß §80 Abs1 FPG ist die Behörde verpflichtet, bei Verhängung einer freiheitsberaubenden Maßnahme eine Verhältnismäßigkeitsprüfung anzustellen.

Dies hat die BH X jedoch erkennbar unterlassen:

 

Die Ausführungen der belangten Behörde (S18), es sei ?der Schluss zulässig, dass Sie versuchen durch Begehung strafbarer Handlungen ihren Unterhalt zu fristen?, ist eine Pauschalverurteilung ohne jede tatsächliche Grundlage und verstösst gegen das im Verfassungsrang stehende Willkürverbot, welches auch auf Nicht-ÖsterreicherInnen Anwendung findet. Alle weiteren Ausführungen der belangten Behörde zu diesem Thema bewegen sich auf dem gleichen Niveau.

 

Auch eine allenfalls zur Sicherung des Verfahrens gem §10 AsylG verhängte Schubhaft wäre unzulässig, da diesfalls von einem gelinderen Mittel Gebrauch gemacht werden hätte können. In Betracht kommt die Anordnung der Unterkunftnahme in von der Behörde bestimmten Räumen oder die Anordnung, eine Meldeadresse oder einen Zustellungsbevollmächtigen bekannt zu geben. Angesichts der Tatsache, dass sich mehrere enge Verwandte in Österreich befinden, wäre dies für die BF auch möglich und wird in dieser Beschwerde nochmals ausdrücklich angeboten. Die verhängte Schubhaft ist daher unverhältnismäßig. Auch die Annahme der Behörde, die BF werde sich bei Anordnung des gelinderen Mittels dem Zugriff der Behörden entziehen, fußt auf keinerlei Ermittlungsergebnissen und ist auch durch kein Verhalten der BF indiziert.

 

Es werden daher gestellt die

 

Anträge

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat Niederösterreich möge

 

1.

die Festnahme der BF,

2.

die Verhängung der Schubhaft und

3.

die Anhaltung der BF in Schubhaft seit dem 4.1.2008 für rechtswidrig erklären sowie,

in eventu

 4. aussprechen, dass die Voraussetzung für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vorliegen

sowie

 5. der BF zu Handen seines Vertreters Kostenersatz im Umfang der anzuwendenden Pauschalersatzverordnung zuerkennen.

 

D********* M*****

 

als bevollmächtigter Vertreter

K****** I*****?

 

Aus dem zur Entscheidung vorgelegten Akt der Behörde erster Rechtsstufe und den darin enthaltenen Unterlagen ergibt sich folgender maßgeblicher Sachverhalt:

 

Die Beschwerdeführerin ist russische Staatsangehörige, die der tschetschenischen Volksgruppe angehört und ist am 4.1.2008 über unbekannt illegal und schlepperunterstützt, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokumentes zu sein, in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Sie hielt sich vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet von Österreich in Polen auf und hat sich in Bezug auf die Beschwerdeführerin ein Eurodac-Treffer mit der Nummer PL1071220080469053000/700044***D, sohin ein solcher, der auf die Asylbeantragung in Polen Rückschlüsse zulässt, ergeben.

 

Die Beschwerdeführerin hat am 4.1.2008 einen Asylantrag eingebracht, bezüglich welchem am 8. Jänner 2008 seitens Österreichs die Anfrage nach Artikel 16 Abs1c an Polen erging und langte am 17. Jänner 2008 die Zustimmung Polens zur Übernahme der Beschwerdeführerin ein. Am 27. Jänner 2008 erfolgte die Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt und ist im Zeitpunkt der Erlassung dieser Entscheidung noch keine Entscheidung des Bundesasylamtes betreffend den von der Beschwerdeführerin gestellten Asylantrag erlassen worden.

 

Die Beschwerdeführerin hat laut Niederschrift anlässlich der Erstbefragung nach dem Asylgesetz 2005 (Niederschrift vom 4. Jänner 2008) angegeben, dass sich in Österreich die Mutter, D********* Z***, geb 8.7.1975, aufhalte. Die Beschwerdeführerin sei am 17.12.2007 mit dem Zug aus ihrem Heimatstaat ausgereist. Sie sei legal mit einem Reisepass, ausgestellt vom Innenministerium in Grosny, ausgereist. Der Reisepass sei ihr ihn in Polen abgenommen worden. Die Reise von der Einreise in die EU bis nach Österreich habe vom 20.12.2007 bis 4.1.2008 gedauert. Am 17.12.2007, gegen 16,00 Uhr, habe sie mit ihrer Mutter einen Zug in Grosny bestiegen und sie seien nach Moskau gefahren. Diese Fahrt habe ca 2 Tage gedauert. Dort seien sie am selben Tag in einen anderen Zug gestiegen und über Brest nach Polen ? Terespol ? gefahren. Die Einreise in Polen sei am 20.12.2007 erfolgt. In Terespol hätten sie einen Asylantrag gestellt und seien erkennungsdienstlich behandelt worden. Die Auslandsreisepässe seien ihnen abgenommen worden und seien sie in das Flüchtlingslager Dembak geschickt worden. Zwei Tage später seien sie in das Lager Kolbel überstellt worden. Dort hätten sie ca 10 Tage verbracht. Am Abend des 3. Jänner 2008 seien sie mit einem Schnellzug vom Lager nach Warschau gefahren. Dort hätten sie nach einem Taxi gesucht. Es seien noch zwei tschetschenische Burschen mit gewesen, die sie zufällig getroffen hätten und die auch ein Taxi suchten. Sie seien alle gemeinsam mit einem Taxi gefahren. Danach hätten sie noch ca zwei Stunden zu Fuß nach einem Lager suchen müssen. Die Mutter und die Beschwerdeführerin hätten gemeinsam das Taxi (? 400,--) bezahlt. Die Einreise in die EU sei über Weißrussland am 20.12.2007 illegal mit dem Zug erfolgt. Sie habe in Polen um Asyl angesucht und habe sie ihre Mutter begleitet. Sie sei in Polen untergebracht gewesen und habe sich dort vom 20.12.2007 bis 3.1.2008 aufgehalten. Es habe dort keinen Arzt gegeben, obwohl sie seinen benötigten. Das Essen sei ungenießbar gewesen. Sie hätten dort nicht bleiben wollen. Die Mutter der Beschwerdeführerin sei krank und brauche medizinische Betreuung. Die Reise habe vom 17.12.2007 bis 4.1.2008 gedauert. Sie seien nicht geschleppt worden, sondern hätten sie die Reise selbst organisiert. In der Heimat der Beschwerdeführerin sei es gefährlich. Ihr Mann sei im Jahr 2005 verschwunden. Ihr Bruder Musa sei vor vier Jahren eingesperrt worden und sei immer noch in Haft. Maskierte bewaffnete Männer seien in ihr Haus eingedrungen und hätten dieses durchsucht. Sie hätten ihren Lebensgefährten gesucht. Sie habe sich im Lager Dembak vom 20.12.2007 bis 22.12.2007 aufgehalten. Anschließend sei sie bis 3.1.2008 im Lager in Kolbel gewesen und am 3.1.2008 aus Polen ausgereist. Sie wolle nicht nach Polen. Sie brauche Hilfe und Schutz. In Polen müssten sie hungern. Es gebe keine Hinweise, dass sie im Falle der Rückkehr in ihren Heimatstaat mit irgend welchen Sanktionen zu rechnen habe.

 

Anlässlich der Einvernahme vor der Fremdenpolizeibehörde erster Rechtsstufe laut Niederschrift vom 4.1.2008 gab die Beschwerdeführerin an, dass sie (und ihre Mutter) in Polen gewesen seien, dass man ihnen aber dort nicht geholfen habe. Ihre Mutter sei krank und hätten sie keine medizinische Hilfe bekommen. Sie hätten ursprünglich in Polen bleiben wollen. Da sie in Polen keine Hilfe bekommen hätten und das Essen schlecht gewesen sei und die Mutter kaum gegessen und Leberzhirrose habe, seien sie nach Österreich gekommen. Auf dem Bahnhof in Warschau hätten sie und mit zwei weiteren Personen sich erkundigt, wie man nach Wien kommen könne. Sie hätten ? 200,-- pro Person an eine Person gegeben und die hätten dann mit einem Fahrer die Fahrt ausgemacht. Es sei ein normaler PKW gewesen und sie hätten einen Schlepper gehabt. Der Schlepper habe sie irgendwo ausgesetzt und hätten sie zwei Stunden lang nach einer Person gesucht, die ihnen helfen könne. Sie habe sich ?dem Asylverfahren im Dublinsaat Polen entzogen? (Anmerkung: Fragestellung des Behördenorganes), da sie 10 Tage in Polen in einem Lager gewesen seien und nicht einmal zu einem Arzt gebracht worden seien. Sie wolle nicht nach Polen und wolle, dass ihre Mutter hier behandelt werde. Sie wolle deshalb nicht nach Polen, weil einem dort nicht geholfen werde, da wären sie lieber in Russland geblieben, aber dort lasse man sie auch nicht in Ruhe. Es könne nicht sein, dass Polen sie in ihr Heimatland abschiebe. Sie habe durch ihre Flucht aus dem Dublinstaat Polen ihre mögliche Abschiebung in ihren Heimatstaat nicht verhindern wollen. Sie wisse nicht, was sie machen könne, weil sie nicht nach Polen zurückwolle. Sie habe keine Macht und keine Kraft. Sie wolle nicht in einem anderen Staat um Asyl ersuchen, sie wolle hier bleiben. Sie habe den Behörden in Polen nicht gesagt, dass sie diesen Staat verlassen werde bzw verlassen habe. Bei der Erstbefragung durch die Polizei habe sie angegeben, dass sie in Polen gewesen sei. Sie habe in Polen um Asyl angesucht. Im Asylverfahren in Polen sei bis jetzt noch nichts passiert, sie hätte noch keine Einvernahme gehabt. Sie glaube, dass das Asylverfahren in Polen noch nicht abgeschlossen sein könne, wisse es aber nicht. Sie habe nur in Österreich und in Polen um Asyl angesucht. Sie habe in Polen den selben Namen verwendet, wie hier. Sie sei mit ihrer Mutter vom 20.12.2007 bis zum 3.1.2008 in Polen gewesen. Ihre Angaben seien richtig. Der Pass sei in Polen. Ihre Identität könne sie mit ihrem Inlandspass beweisen. Sie habe noch nicht in Österreich gearbeitet und kein Einkommen in Österreich, kenne keinen potentiellen Arbeitgeber und wisse nichts über den österreichischen Arbeitsmarkt. Sie habe keine Wohnung in Österreich und sei noch nicht in Schubhaft gewesen. Sie habe keine Familienangehörigen in Österreich oder der EU bzw wisse sie es noch nicht. In Russland habe sie eine Schwester, ihr Vater sei verschollen und ihr Bruder sei in Haft. Sie wolle nicht nach Russland, wenn man illegal bleibe, dann werde man ja festgenommen und in ein anderes Land wolle sie auch nicht. Nach Polen wolle sie auch nicht. Sie wisse es nicht. Sie sei nicht krank und benötige nicht die ärztliche Behandlung.

 

Mit Bescheid vom 4.1.2008, Zl **S3-F-07 T, verfügte die Bezirkshauptmannschaft X, Außenstelle T***********, betreffend die Beschwerdeführerin die Anhaltung in Schubhaft gemäß §76 Abs2 Z4 und Abs 3 sowie §113 Abs1 FPG, um das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gemäß §10 Asylgesetz 2005 und um die Abschiebung der Beschwerdeführerin zu sichern.

Nach umfangreichen Ausführungen, teilweise aus dem Brockhaus betreffend Begriffe wie ?sozial?, ?unsozial? aber auch ?asozial? und ?Integration? und nach Wiedergabe höchstgerichtlicher Judikatur wurde die Inschubhaftnahme der Berufungswerberin im Wesentlichen damit begründet, dass sich die Beschwerdeführerin vor ihrer illegalen Einreise nach Österreich in Polen aufgehalten habe, welches Mitglied der Europäischen Union und Unterzeichner des Dublin-II-Abkommens sei. Es sei daher davon auszugehen, dass ihr Antrag auf Internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zurückgewiesen werden würde. Sie besitze kein gültiges Reisedokument und sei nicht Willens und nicht in der Lage, das Bundesgebiet zu verlassen. Ihre Ausreise sei aus eigenem Entschluss und auf legalem Weg nicht möglich, sodass eine fremdenpolizeiliche Maßnahme zu treffen sei. Die Beschwerdeführerin habe sich zumindest ?vom 4.1.2008? bis möglicherweise unmittelbar vor ihrer Einreise nach Österreich in Polen aufgehalten und diesen EU-Staat verlassen, weil sie sich dort nicht sicher gefühlt habe und weil sie nicht krankenversorgt worden sei. Sie habe durch ihr Verhalten gezeigt, dass sie sich nicht an die österreichischen und polnischen Einreise-, Aufenthalts- und Ausreisebestimmungen gehalten habe. Da sie angegeben habe, auf keinen Fall nach Polen zurückzukehren, gehe die Behörde davon aus, dass sie in keinster Weise gewillt sei, die österreichischen Gesetze zu respektieren und dass davon auszugehen sei, dass im Fall einer negativen Asylentscheidung umgehenst untertauchen werde, um sich dem behördlichen Zugriff zu entziehen. Sie habe Polen verlassen und sei anzunehmen, dass sie ihr Verhalten in Österreich fortsetzen wolle, da sie angegeben habe, nicht nach Polen zu wollen. Dies deshalb, weil sie sich dort nicht sicher fühlte und weil sie dort nicht krankenversorgt worden sei. Es sei daher anzunehmen, dass sich die Beschwerdeführerin im Fall einer negativen österreichischen Dublin -Entscheidung dem Zugriff der österreichischen Behörden ebenfalls entziehen werde, um nicht nach Polen abgeschoben werden zu können.

Die Beschwerdeführerin habe kein Visum beantragt und sei dennoch schlepperunterstützt eingereist. Sie habe kein Wissen über den österreichischen Arbeitsmarkt und verfüge nicht über eine Integration und sei weiters von der Anwendung des gelinderen Mittels nicht Gebrauch zu machen gewesen, da die Fremdenpolizeibehörde erster Rechtsstufe Grund zur Annahme gehabt habe, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden könne.

 

In rechtlicher Hinsicht wurde hierüber erwogen:

 

Die Beschwerdeführerin besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist somit Fremde im Sinne des §2 Abs4 Z1 FPG.

 

Gemäß §1 Abs2 FPG sind auf Asylwerber die §§41 bis 43, 53, 58, 68, 69, 72 und 76 Abs1 nicht anzuwenden.

 

Asylwerber ist ein Fremder ab Einbringung eines Antrages auf internationalen Schutz bis zum rechtskräftigen Abschluss, zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens (§1 Z14 Asylgesetz 2005).

 

Gemäß §82 Abs1 FPG hat der Fremde, wenn gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde, das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen,

4.

wenn er auch diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;

5.

wenn er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz angehalten

wird oder wurde oder

 6. wenn gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

 

Zur Entscheidung über die Beschwerde ist gemäß §83 Abs1 der unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel der Beschwerdeführer festgenommen wurde. Die Festnahme erfolgte in Niederösterreich, die Behandlung der Beschwerde fällt daher in die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land NÖ.

 

Gemäß §76 Abs2 FPG kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß §10 Asylgesetz 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

5. gegen ihn eine durchsetzbare ? wenn auch nicht rechtkräftige ? Ausweisung (§10 Asylgesetz 2005) erlassen wurde;

6. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;

7. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§60) verhängt worden ist oder

8. aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

 

Gemäß §76 Abs3 FPG ist die Schubhaft mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß §57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß §57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

 

Die Behörde kann gem §77 Abs1 FPG von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass deren Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Gegen Minderjährige hat die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn, sie hätte Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann.

 

Als gelinderes Mittel kommt insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in periodischen Abständen bei dem dem Fremden bekannt gegebenen Polizeikommando zu melden (Abs3).

 

Nach Abs4 ist die Schubhaft anzuordnen, wenn der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs3 nicht nachkommt oder ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zur Behörde, in der auf dies Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge leistet.

 

Die Art1, 2 und 3 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl Nr684/1988, lauten:

 

4.

Jedermann hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit).

5.

Niemand darf aus anderen als den in diesem Bundesverfassungsgesetz

genannten Gründen oder auf eine andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden.

 6. Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nur gesetzlich vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist; die persönliche Freiheit darf jedenfalls nur entzogen werden, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht.

 

Voraussetzung für die Anordnung der Schubhaft ist, dass im Entscheidungszeitpunkt mit Recht angenommen werden kann, der Fremde werde sich dem behördlichen Zugriff entziehen oder diesen zumindest wesentlich erschweren (Verwaltungsgerichtshofentscheidung vom 8.9.2005, ZI2005/21/01/0100).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 8.9.2005, ZI 2005/21/0301, sehr ausführlich mit der Frage der Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Verhängung der Schubhaft bzw der Verpflichtung, die Anwendung gelinderer Mittel zu prüfen, auseinandergesetzt. Demnach kann zB fehlende Ausreisewilligkeit für sich allein die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nicht rechtfertigen, vielmehr ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ein Sicherungserfordernis besteht. Das Höchstgericht erachtet ein Sicherungsbedürfnis etwa bei mangelnder beruflicher oder sozialer Verankerung im Inland als gegeben. Nur bei einer derartigen ? oder vergleichbaren Konstellation könne die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens, als schlüssig angesehen werden.

 

Wenn auch im gegenständlichen Fall zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft die Tatbestandsvoraussetzung nach §76 Abs2 Z4 FPG insoweit vorlag, als vom Vorliegen eines Eurodac-Treffers in Bezug auf die Beschwerdeführerin ausgehen war, somit von der Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden konnte, dass ihr Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen sein wird, war im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte im Lichte der erst jüngst dazu ergangenen höchstgerichtlichen Judikatur festzustellen, dass sich aus dem zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegten Akt konkrete Hinweise für eine Vereitelung oder Vereitelungsabsicht durch die Beschwerdeführerin in Bezug auf die von der Fremdenpolizeibehörde erster Instanz angestrebte Maßnahme, deren Besicherung wegen seitens der Fremdenpolizeibehörde erster Rechtstufe ? offenbar als ultima ratio ? zur Schubhaftverhängung gegriffen worden war, sich nicht entnehmen lassen.

 

Im Rahmen der jeder Schubhaftverhängung vorauszugehen habenden Rechtschutzgutabwägung zwischen den jedem Menschen zustehenden, Verfassungsrang genießenden, Grund- und Freiheitsrechten, im gegenständlichen Fall des Rechtes auf persönliche Freiheit sowie des Rechtes auf Familienleben nach Art8 EMRK, war unter gleichzeitiger Berücksichtigung des staatlichen Interesses zur Absicherung voraus zu prognostizierender notwendiger fremdenpolizeilicher Maßnahmen durch Eingriff in diese Rechte festzustellen, dass sich die Beschwerdeführerin nach der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet sofort freiwillig den österreichischen Behörden stellte, somit von sich aus freiwillig mit diesen in Kontakt trat (vgl VwGH vom 22.11.2007, Zl 2006/21/0387, ua) und offenbar wahrheitsgetreue Angaben hinsichtlich ihrer (im Übrigen durch einen als echt qualifizierten Personalausweis bestätigte) Identität machte.

 

Ebenso war im Lichte der geltenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes festzustellen, dass aus dem von der Beschwerdeführerin offerierten Verhalten, sich trotz der Anhängigkeit eines Asylverfahrens in einem anderen Dublin-Staat aus diesem entfernt zu haben, mangels exakt nachvollziehbaren Standes des dortigen Asylverfahrens eine Schlussfolgerung hinsichtlich einer allfälligen Nichtakzeptanz negativer asylrechtlicher Entscheidungen nicht zulässig ist und dem offerierten Verhalten der Beschwerdeführerin, sich trotz tristester persönlicher Verhältnisse illegal von einem Staat der EU in einen anderen (Österreich) ?verbringen? zu lassen, nach dieser Judikatur offenbar (vgl geltende VwGH ?Judikatur sogar bei Verwendung gefälschter Reisedokumente) keine erhöhte Bedeutung bei der Rechtschutzgutabwägung beizumessen ist.

 

Die Ermächtigung zu einer Anordnung der Schubhaft findet sich nur im FPG 2005 und ist von dieser entsprechend der höchstgerichtlichen Judikatur nur im äußersten Fall Gebrauch zu machen und ist weiters festzustellen, dass sich auch dem Reglement der gesetzlichen Bestimmungen im Zusammenhang mit der Dublin-II-Verordnung keine Hinweise auf eine erleichterte Möglichkeit des Vorgehens mit Schubhaftverfügung zur Erfüllung zwischenstaatlicher Verpflichtungen ergäben.

 

Ebenso vermag nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die bloße Ausreiseunwilligkeit, so auch der Wille der Beschwerdeführerin, sich nicht nach Polen abschieben zu lassen, für sich alleine keine Schubhaftverhängung zu rechtfertigen.

 

Bei der Rechtschutzgutabwägung wäre jedenfalls bereits von der Fremdenpolizeibehörde erster Rechtstufe zu berücksichtigen gewesen, dass die Beschwerdeführerin unbestritten unmittelbar nach ihrer Einreise nach Österreich einen Asylantrag stellte, dabei von sich aus mit den österreichischen Behörden in Kontakt trat und schließlich bei ihrer ersten Einvernahme offenkundig wahrheitsgemäße Angaben über ihre Identität und den Ablauf ihrer bisherigen Flucht erstattete.

 

Angesichts dieser Umstände und vor dem Hintergrund der vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28. September 2004, B 292/04, Verfassungssammlung 17.288, zum Ausdruck gebrachten Auffassung, dass der Umstand, dass ein Asylwerber bereits in einem anderen Land die Gewährung von Asyl beantragt habe, für sich nicht den Schluss rechtfertige, dass er unrechtmäßig in einen anderen Schengen-Staat weiterziehen und sich so dem Verfahren entziehen werde, war nicht zu sehen, weshalb es konkret bei der Beschwerdeführerin gegenständlich der Verhängung der Schubhaft bedurfte.

 

Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin als Asylwerberin im Zulassungsverfahren gemäß §2 Abs1 Grundversorgungsgesetz ? Bund 2005 ? grundsätzlich Anspruch auf Versorgung in einer Betreuungseinrichtung des Bundes hat, weshalb sich die ? im bekämpften Bescheid nicht beantwortete ? Frage stellt, weshalb sie, wäre sie nicht in Schubhaft genommen worden und wäre ihr diese Versorgung gewährt worden ? diese Unterstützung aufgeben und in die ?Anonymität? untertauchen hätte sollen, dies unbeschadet der weiters zu berücksichtigenden Tatsache, die Beschwerdeführerin Hinweise auf eine Familienangehörige, welche sich ebenfalls im Bundesgebiet befindet, erstattet hat.

 

Im Hinblick darauf, dass entsprechend der geltenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Schubhaft ausschließlich die ultima ratio darstellen darf, war unter Berücksichtigung des oben Ausgeführten festzustellen, dass die Fremdenpolizeibehörde erster Rechtstufe nicht von einer erhöhten Gefahr des Untertauchens in die ?Anonymität? in Bezug auf die Beschwerdeführerin ausgehen durfte und bei Berücksichtigung der freiwilligen Kontaktnahme der Beschwerdeführerin sofort nach ihrer Einreise in das österreichische Bundesgebiet mit der österreichischen Behörde, der sofortig erfolgten Asylbeantragung und der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin als Asylwerberin Anspruch auf Grundversorgung hat, vielmehr höchstens das Vorliegen der allfälligen Voraussetzungen der Anwendung eines gelinderen Mittels zu prüfen gewesen wäre.

 

Da somit im gegenständlichen Falle ein Überwiegen des Sicherungsbedürfnisses gegenüber den Persönlichkeitsrechten der Beschwerdeführerin zu verneinen war, waren die spruchgemäßen Feststellungen zu treffen und festzustellen, dass der Schubhaftbescheid und die bisherige Anhaltung in Schubhaft rechtswidrig waren und weiters festzustellen, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung der Beschwerdeführerin in Schubhaft nicht vorliegen.

 

Die Abhaltung einer öffentlichen Verhandlung konnte gemäß §83 Abs2 Z1 FPG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage, der Angaben des Beschwerdeführers und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war, Widersprüchlichkeiten im Bezug auf die maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen und eine initiative Darlegung von für die Entscheidungsfindung relevanten Umständen, die durch weitere Hinterfragung zu klären gewesen wären, nicht erfolgt ist.

 

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogenen Gesetzesstellen.

Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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