TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/30 W272 1264468-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.06.2021
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Entscheidungsdatum

30.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W272 1264468-3/27E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Russische Föderation, vertreten durch ZEIGE Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, Außenstelle Innsbruck vom 29.09.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. - III. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt IV. wird stattgegeben und in Erledigung der Beschwerde festgestellt, dass gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 9 BFA-VG iVm § 52 FPG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und dem Beschwerdeführer gemäß § 58 Abs. 2 iVm §§ 55 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt wird.

III. In Erledigung der Entscheidung werden die Spruchpunkte V. – VII. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig, reiste spätestens am 13.08.2005 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet und brachte durch seine gesetzliche Vertreterin am 14.08.2005 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes Zl. XXXX vom 29.09.2006 wurde dem Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 7 AsylG 1997 abgewiesen, der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und der BF in die Russische Föderation ausgewiesen.

3. Nach dagegen fristgerecht erhobener Beschwerde erkannte der Asylgerichtshof mit Erkenntnis XXXX vom 06.10.2008, dass der Beschwerde stattgegeben wird und dem BF Asyl gewährt wird sowie dass ihm kraft Gesetztes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Da dem Vater des BF Asyl gewährt wurde, wurde dem BF da eine Fortsetzung eines gemeinsamen Familienlebens iSd Art. 8 EMRK in einem anderen Staat nicht möglich ist, gem. § 10 Abs. 2 und Abs. 5 AsylG Asyl gewährt. Dem Vater wurde gem. § 7 AsylG 1997 mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 06.10.2008, XXXX Asyl gewährt und gem. § 12 leg cit festgehalten, dass diesem damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Der Vater gab als Grund für seine Ausreise, bei der Einvernahme am 23.08.1005 an, dass er Anfang März 2004 von betrunkenen russischen Militärbeamten ohne Grund auf der Straße festgenommen und zu einem Militärstützpunkt gebracht worden, wo er geschlagen und gefoltert worden sei. Er sei dort einen Monat lang inhaftiert worden. Seine Verwandten hätten dann die Beamten bestochen und nach seiner Freilassung seine Flucht organisiert. Anlässlich einer ärztlichen Untersuchung gab dieser weiter an, dass er mit einem Nachbarn auf einer Bank nahe einer Schule gesessen, als es in der Nähe zu einer Explosion gekommen sei. Daraufhin seien gepanzerte Fahrzeuge gekommen und sei er festgenommen und weggebracht worden. Zuerst sei er in einem Wagen für Gefangene, später in einem Keller gefangen gehalten worden. Es sei ihm minutenlang eine Plastiktüte über den Kopf gezogen worden, wodurch er das Bewusstsein verloren habe. Aufgrund dieser Vorfälle habe er Alpträume und Kopfschmerzen. Bei einer Einvernahme vor dem BAA am 23.08.2006 gab er im Wesentlichen diese Geschichte wieder und ergänzte dahingehend, dass er den Soldaten beteuert habe, dass er unschuldig sei und kein Widerstandskämpfer. Da nach dem allgemein bekannten Überfall tschetschenischer Widerstandskämpfer auf Einrichtungen des inguschetischen Innenministeriums (Anm; dieser fand am 21. Juni 2004 statt) in ganz Inguschetien Säuberungsaktionen des FSB stattfanden, habe sein Schwiegervater seine Flucht befürwortet. Für den Fall der Rückkehr in die Heimat befürchte er ins Gefängnis zu kommen oder getötet zu werden, dies auf Verantwortung des FSB. Auch anderorts im Herkunftsstaat würde er nach so einem Vorfall nicht in Sicherheit leben können. Der Asylgerichtshof stellte fest, dass an einem nicht näher bestimmbaren Tag im März 2004 es zu einem Anschlag auf einen Militärtransporter der russ. föderalen Truppen im Heimatort des Vaters, dem mehrere Soldaten zum Opfer fielen gekommen ist. Im Zuge eingeleiteter Fahndungsmaßnahmen geriet der Vater des BF in zufälliger Weise in das Visier derselben, er wurde festgenommen und für mehrere Wochen festgehalten. Ihm wurde die Unterstützung von bewaffneten Untergrundkämpfern unterstellt und wurde er im Zuge der Verhöre in verschiedenen Formen misshandelt. Der Vater wurde gegen Bestechungsgelder freigekauft. Im Zuge eines Anschlages auf verschiedene Einrichtungen in Inguschetien am 21.06.2004 erfolgten weitere Fahndungsmaßnahmen gegen Mitglieder der tschetschenischen Volksgruppe. Der Vater des BF entschloss sich aus Furcht vor eventuellen weiteren, gegen ihn gerichteten Verfolgungsmaßnahmen mit seinen Familienangehörigen, darunter auch der BF, zur Ausreise. Ob die Mutter des Vaters des BF im Zuge von Fahndungsmaßnahmen aufgesucht wurde, konnte nicht mit hinreichender Gewissheit festgestellt werden. Im Zusammenschau mit dem vom Vater des BF geschilderten Ereignissen im März 2004 stellte der Asylgerichtshof im Lichte der damals aktuellen Ländersituation im Herkunftsstaat fest, dass hinreichend Gründe zur Annahme bestehen, dass der Vater des BF seitens der staatlichen Sicherheitskräfte dem bewaffneten islamistisch-separatistischen Untergrund in den kaukasischen Teilrepubliken zugerechnet und deshalb bei einer Rückkehr in die engere Heimat neuerlich in deren Blickfeld geraten würde, was in gezielte Verfolgungshandlungen von asylrelevantem Ausmaß gegen den BF münden könnte. Der Vater des BF gehörte in Anbetracht dieser Ereignisse zu einem Personenkreis, dem ein Naheverhältnis zu tschetschenischen bzw. islamistischen auch inzwischen in Inguschetien äußerst aktiven Separatisten bzw. Widerstandskämpfern unterstellt wurde und der deshalb von anti-separatistischen Aktionen staatlicher Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung besonders betroffen ist.

4. Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 24.07.2013, rechtskräftig am 29.07.2013, XXXX , wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 40 Tagessätzen zu je 4,00 EUR im NEF 20 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, davon Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 4,00 EUR im NEF 10 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt. Der unbedingte Teil der Geldstrafe wurde am 05.12.2013 vollzogen.

5. Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 08.09.2014, rechtskräftig am 12.09.2014, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Raufhandels nach §91 Abs. 2 1. Fall und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 100 Tagessätzen zu je 4,00 EUR im NEF 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, davon Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 4,00 EUR im NEF 25 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt. Der unbedingte Teil der Geldstrafe wurde am 07.04.2015 vollzogen.

6. Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 30.08.2018, rechtskräftig am 04.09.2018, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Besitzes verbotener Waffen nach § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG zu einer Geldstrafe in der Höhe von 100 Tagessätzen zu je 6,00 EUR im NEF 50 Tage verurteilt. Vollzugsdatum 26.02.2020.

7. Eine Anfrage zu verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen ergab folgende Verwaltungsstrafen:

Art. III Abs. 1 Z 2 EGVG in der Höhe von 100,00 EUR oder 2 Tage Ersatzarreststrafe vom 02.12.2015 der LPD-Tirol

§ 27 Abs. 1 iVm § 1 Abs. 3 FSG in der Höhe von 600,00 EUR oder 10 Tage Ersatzarreststrafe vom 26.01.2018 der LPD – Wien

§ 37 Abs. 1 iVm § 1 Abs. 3 FSG in der Höhe von 800,00 EUR oder 15 Tage Ersatzarreststrafe vom 28.03.2019 der LPD-Wien

§ 52 lit aZ. 2 StVO in der Höhe von 96,00 EUR oder 1 Tag, 20 Stunden Ersatzarreststrafe vom 28.03.2019 der LPD-Wien

8. Am 18.02.2020 um 20:55 wurde der BF von einer Polizeistreife der LPD XXXX in XXXX wegen einer Vorführungsanordnung angehalten. Neben der einzubringenden Verwaltungsstrafe in der Höhe von 600,00 EUR wurde beim BF ein Reisepass der russischen Föderation lautend auf seinen Namen, welcher am 31.12.2014 ausgestellt wurde und bis 31.12.2024 Gültigkeit besitzt, vorgefunden.

9. Durch Mitteilung des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Tirol vom 11.03.2020 wurde bekannt, dass gegen den BF staatspolizeiliche Vormerkungen vorliegen und aus Sicht der zuständigen Spezialbehörde (LVT) der BF eine Gefahr für die Republik Österreich darstellt. Der BF habe Kontakt in radikal islamistische Kreise, besuche mehrfach Moscheen von denen russische Staatsbürger (Tschetschenen) nach Syrien in den Djihad gereist seien und sei auch an der „LIES“ Koran Verteileraktion in Innsbruck beteiligt gewesen.

10. Mit Mitteilung vom 13.03.2020 wurde der BF über die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens bezüglich seines Status als Asylberechtigter nachweislich in Kenntnis gesetzt.

11. Am 25.05.2020 wurde der BF per Cisco-Videotelefonie durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Er gab im Wesentlichen an, dass er gesund sei und keine Medikamente benötige. Er legte vor eine Arbeitsbestätigung ausgestellt durch die Post-AG. Er gab an dort seit 16.03.2020 beschäftigt zu sein, davor sei er Profiboxer gewesen. Er gab an, dass er im Besitz eines russischen Reisepasses ist, welcher in der russischen Botschaft in Warschau ausgestellt wurde. Er wollte sich damit eine Rot-weiß-Rot Karte ausstellen lassen und habe gedacht, es wäre damit leichter. Er habe einen Freund dort und deswegen habe er ihn dort ausstellen lassen. Er habe auch in die Russische Föderation wollen, zumal dort seine Oma lebe und sie dort einen Schlaganfall hatte. Er sei deshalb immer mit dem Auto über Polen, Weißrussland nach Inguschetien gefahren. Er habe seinen Asylstatus von seiner Familie, er selbst sei nie verfolgt worden. Er sei mit XXXX aus Wien nach Inguschetien gefahren. Er sei ca. 1 Monate dort gewesen, das letzte Mal ca. 5 – 6 Monate. Er habe dort nichts gemacht, und sei nur bei seiner Oma gewesen. Den Verstoß gegen das Waffengesetz sei wegen dem Besitz eines Schlagstockes im Auto gewesen. In Österreich habe er einen Food-Truck aufmachen wollen. Er habe keine Asylgründe noch Angst bei einer Rückkehr gefoltert oder mit dem Tod bestraft zu werden. In Russland seien seine Großmutter väterlicherseits und seine Großeltern mütterlicherseits. Es sei dort ganz ruhig und sie leben von der Pension. In Österreich lebe er mit seinen Eltern und Brüdern in einem gemeinsamen Haushalt. Er sei aber finanziell nicht von ihnen abhängig. In Österreich habe er die Hauptschule besucht und einige Kurse wie ECDL und Berufsorientierungskurs. Die Reise nach Russland sei immer wegen seiner kranken Großmutter gewesen. In Österreich habe er bei der „LIES-Aktion“ teilgenommen, aber schon lange nichts mehr von ihnen gehört. Er halte nichts von ihnen und er habe keine Beziehung zu ihnen. In Wien habe er bei einem türkischen Freund namens XXXX gewohnt, mehr wisse er nicht mehr. Die Verwaltungsstrafen habe er gezahlt, das Geld sei von seinem Bruder gewesen. In Europa habe er noch weitere Verwandte.

Vorgelegt wurde: Bestätigung über Beschäftigung ei der Post AG;
Hauptschuljahres- und Abschlusszeugnis;

12. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 29.09.2020 wurde dem Beschwerdeführer der am 06.10.2008 zuerkannte Status des Asylberechtigten gem. § 7 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG 2005 (im Folgenden: AsylG) aberkannt und gem. § 7 Abs. 4 festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dem Beschwerdeführer gem. § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde gem. § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt III) und gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt IV). Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 9 FPG wurde ein unbefristetes Einreisverbot erlassen.

Begründend führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass sich eine Aberkennung einerseits daraus ergebe, dass der BF sich einen russischen Reisepass ausstellen habe lassen und in die russische Föderation gereist sei. Dies zeige, dass der BF sich freiwillig unter den Schutz seines Heimatstaates gestellt habe und die Russische Föderation durch Ausstellung des Reisepasses gezeigt habe, dass sie diesen Schutz auch angedeihen lassen. Weiters habe sich die Situation in der Russischen Föderation seit Zuerkennung des Asylstatus geändert und der BF sei keiner Verfolgung ausgesetzt, dies habe auch die Reise in die russische Föderation gezeigt. Weiters ergebe sich die Asylaberkennung aufgrund der Mitteilung des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Der BF habe sich an der LIES-Aktion beteiligt und sei auch nicht von „LIES-Stiftung“ glaubhaft distanziert, sodass der BF ein Naheverhältnis zu extremistisch terroristischen Organisationen habe und wie auch das LVT als Spezialbehörde mitteilte, eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich. Der BF ist gesund und erwerbsfähig und könne daher in der Russischen Föderation zurückkehren, ohne dass er in eine Existenz bedrohende Notlage geraten würde. Er könne wie andere russische Staatsbürger auf das Sozialsystem zurückgreifen. Das Einreiseverbot ergebe sich aufgrund seines Naheverhältnisses zur „LIES-Stiftung“ und damit zum Naheverhältnis zu einer radikal-islamistischen Organisation. Diese Stiftung sei die Rekrutierungsbasis für Dschihat-Kämpfer. Dass der BF hier nur beiläufig teilgenommen habe, sei für das BFA nach persönlicher Einvernahme nicht glaubhaft, überdies sei die fachkundige Einschätzung des LVT gegenläufig. Die strafrechtlichen Verurteilungen und verwaltungsrechtlichen Strafen ergeben sich aus dem im Akt aufliegenden Anfragebeantwortungen und Urteile. Aus dem bisherigen Verhalten und der Täuschung der Ausstellung eines russischen Reisepasses – diese erfolgte in Polen und nicht in Österreich - ergibt sich, dass der BF noch immer eine schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt und diese nur durch die Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbotes verhindert werden kann. Das ausgesprochene Einreiseverbot ist daher zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten.

13. Mit Schriftsatz vom 27.10.2020 erhob der Beschwerdeführer vollumfänglich das Rechtsmittel der Beschwerde und führte aus, dass der Grundsatz der amtswegigen Ermittlungspflicht nicht eingehalten worden sei und das Verfahren mit einer Mangelhaftigkeit belastet habe. Zunächst wurde vorgebracht, dass die Einvernahme des BF nicht persönlich stattgefunden habe, sondern über eine Videoübertragung. Mangels einer expliziten Regelung sei daher davon auszugehen, dass die Einvernahme über Video nicht den Verfahrensregeln entspricht und daher das Ermittlungsverfahren absolut mangelhaft sei. Dass der BF seit 15 Jahren in Österreich sei, gut integriert, sehr gut Deutsch spricht, seine Familie und Freunde hier leben, sei durch die Behörde nicht berücksichtigt worden. Seine Familie verfüge über ein dauerhaftes Bleiberecht. Er sei zwar straffällig geworden, jedoch nur zu Geldstrafen verurteilt und bereue diese Taten. Er sei sehr bemüht ein straffreies Leben zu führen. Auch die Reise in die Russische Föderation sei mangelhaft erhoben worden und der BF sei nur zu seiner kranken Großmutter gefahren. Dies wäre jedoch von erheblicher Bedeutung zumal es sich nur um einen temporären Besuch gehandelt habe. Ermittlungen zu den Asylgründen der Familie des BF fehlen vollends. Die Länderfeststellungen seien mangelhaft und die Prüfung der Zumutbarkeit der IFA nicht erfolgt, die Beweislast treffe die Behörde und nicht den BF. Der BF beantrage die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

14. Das BVwG führte eine Anfrage an das LVT Tirol durch und erhielt eine Anfragebeantwortung mit Schreiben datiert mit 10.11.2020, wo die Einschätzung, der BF sei eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit Österreichs, vollinhaltlich aufrechterhalten wurde.

15. Am 11.01.2021 brachte das BFA eine Stellungnahme ein und führte darin zusammengefasst aus, dass die grundsätzliche Ablehnung der Einvernahme via Videoübertragung nicht nachvollziehbar sei und seitens der Rechtsvertretung nicht dargelegt worden sei, aufgrund welcher Rechtsgrundlage diese unzulässig sein sollte. Die Rechtsvertretung habe zwar eine mangelnde Ermittlung gerügt, die Vorwürfe seien aber ohne Substanz geblieben. Es sei seitens des BF auch kein neuer Sachverhalt dargelegt worden. Der BF habe sich in der Befragung durch das BFA unkooperativ verhalten und seien seine Aussagen in der Gesamtschau als nicht vertrauenswürdig einzustufen. Es werde außerdem darauf hingewiesen, dass der Ausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG bewusst nicht auf eine strafrechtliche Verurteilung abstellt. Auch § 53 Abs. 3 Z 9 FPG fordere lediglich ein Naheverhältnis zu einer als terroristisch eingestuften Organisation und keine diesbezügliche Verurteilung.

16. Eine am 21.01.2021 und 16.03.2021 anberaumte Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde aufgrund Krankheit des BF bzw. des Nichterscheinens der Rechtsberatung auf den 14.04.2021 vertagt. Eine ärztliche Bestätigung legte der BF nicht vor.

17. Am 14.04.2021 fand in Abwesenheit des BF eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Der BF blieb der Verhandlung unentschuldigt fern. Die ordnungsgemäße Zustellung der Ladung durch Hinterlegung am 18.03.2021 ist ausgewiesen.

18. Am 15.04.2021 langte eine ärztliche Bestätigung, hinsichtlich der Nichtteilnahme des BF an der mündlichen Verhandlung aufgrund gesundheitlicher Probleme, von Dr. XXXX , beim Bundesverwaltungsgericht ein.

19. Mit Schreiben vom 18.04.2021 wurde von ZEIGE Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch eine vom BF unterschriebene Vollmacht vorgelegt. Gleichzeitig wurde vorgebracht, eine Reduzierung des unbefristeten Einreiseverbotes zu prüfen, da der BF sonst wohl in einen Zustand großer Verzweiflung geraten würde und nicht imstande wäre, sich in Tschetschenien eine neue Zukunft aufzubauen.

20. Am 09.06.2021 langten die angefragten Mitteilungen des BVT und des LVT Wien beim Bundesverwaltungsgericht ein. Das BVT verwies hinsichtlich der Beurteilung der aktuellen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch den BF auf die laufenden Erhebungen des LVT Wien. Das LVT Wien führte in seinem Bericht vom 04.05.2021 aus, dass keine Informationen zu staatspolizeilich relevanten Vorgängen betreffend den BF vorliegen und er hieramts noch nicht in Erscheinung getreten ist.

21. Mit Schreiben vom 17.06.2021 teilte die Rechtsvertretung des BF mit, dass der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgezogen und um eine Entscheidung aufgrund der Aktenlage ersucht werde.

Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist am XXXX in XXXX in der russischen Teilrepublik Inguschetien geboren, Staatsangehöriger der Russischen Föderation sowie inguschetischer Herkunft. Er bekennt sich zum muslimischen Glauben.

Der Beschwerdeführer reiste am 13.08.2005 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte durch seine gesetzliche Vertreterin am 14.08.2005 einen Antrag auf internationalen Schutz, dem nach Beschwerde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 06.10.2008, XXXX als Familienangehöriger seines Vaters Asyl gewährt wurde. Es wurde die Feststellung getroffen, dass diesem damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Begründet wurde die Zuerkennung des Status als Asylberechtigter dadurch, da der Vater im März 2004 in das Blickfeld der russischen Sicherheitskräfte in Inguschetien gelangte und im Zuge der Vorkommnisse im Juni 2004, der Vater zu jenem Personenkreis zählte, dem ein Naheverhältnis zu tschetschenischen bzw. islamistischen auch inzwischen in Inguschetien äußerst aktiven Separatisten bzw. Widerstandskämpfern unterstellt wurde und der deshalb von anti-separatistischen Aktionen staatlicher Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung besonders betroffen ist. Der Vater des BF liefe daher in Gefahr, festgenommen, festgehalten und im Zuge dieser Anhaltung misshandelt und eventuell auch gefoltert, schlimmstenfalls getötet zu werden. Daher der Vater des BF einer asylrelevanten Verfolgung unterlegen ist.

Der Beschwerdeführer lebte bis zu seiner Ausreise nach Österreich mit seiner Familie in XXXX , Inguschetien. In Inguschetien leben nach wie vor eine Großmutter väterlicherseits und die Großeltern mütterlicherseits des Beschwerdeführers.

Der BF besuchte seine Großmutter mütterlicherseits in den letzten Jahren mehrmals für einen Zeitraum von mehreren Monaten, zuletzt im Jahr 2019 für etwa einen Monat. Der BF ließ sich in der russischen Botschaft in Warschau einen russischen Reisepass im Jahr 2014 ausstellen und nutzte diesen bei Einreise in die Russische Föderation. Der Reisepass ist noch bis 31.12.2024 gültig.

Der BF unterstellte sich freiwillig dem Schutz seines Herkunftsstaates.

Im Bundesgebiet befinden sich die Eltern und drei Brüder, die gemeinsam mit ihm eingereist sind. Der BF lebte zunächst mit seiner Familie im gemeinsamen Haushalt in Innsbruck und seit 31.03.2021 in Wien bei seiner Mutter. Finanzielle Abhängigkeiten bestehen nicht. Einer seiner Brüder borgte ihm Geld um seine Verwaltungsstrafen zu bezahlen. Er ist ledig und hat keine Sorgepflichten. Sonstige besondere soziale Anknüpfungspunkte im Inland hat der BF nicht.

Der Beschwerdeführer besuchte in Österreich die Hauptschule, schloss die 4. Klasse ab und absolvierte auch Kurse wie ECDL und einen Berufsorientierungskurs. Den Besuch einer Abendschule und einer HTL machte er nicht zu Ende. Er spricht Russisch und Deutsch.

Der Beschwerdeführer weist keine lebensbedrohlichen Erkrankungen auf, er ist gesund und arbeitsfähig. Er gab an, einmal einen Epilepsieanfall gehabt zu haben, er sei aber mit Epilepsie nicht diagnostiziert worden. Der BF legte diesbezüglich auch keinen Befund vor.

Der Beschwerdeführer war als professioneller Boxer tätig, musste seine Karriere jedoch nach dem epileptischen Anfall aufgeben. Im Zeitraum 01.01.2009 bis 14.04.2021 war er in Österreich wie folgt berufstätig:

?        Österreichische XXXX als Angestellter von 16.03.2020 bis 08.07.2020;

?        ?XXXX als geringfügig Beschäftigter von 27.01.2020 bis 03.02.2020;

?        ?XXXX als geringfügig Beschäftigter von 20.03.2019 bis 01.04.2019;

?        ?XXXX als Arbeiter von 20.08.2018 bis 28.08.2018;

?        ?XXXX als geringfügig Beschäftigter von 24.07.2017 bis 31.07.2017;

?        ?XXXX als Arbeiter am 05.10.2016;

?        ?XXXX als geringfügig Beschäftigter von 27.10.2016 bis 19.11.2016 und von 17.10.2015 bis 02.11.2015;

?        ?XXXX als Arbeiter am 09.02.2015;

?        ?XXXX als geringfügig Beschäftigter von 26.09.2013 bis 31.10.2013;

?        ?XXXX als geringfügig Beschäftigter von 03.08.2012 bis 04.08.2012;

?        ?XXXX als Arbeiter von 30.05.2016 bis 03.06.2016, von XXXX und von XXXX ;

?        ?XXXX . als freier Dienstnehmer von 24.02.2012 bis 27.02.2017;

?        ?XXXX als Arbeiter von 13.07.2011 bis 26.07.2011;

Der BF ist derzeit nicht berufstätig.

1.2 Der Beschwerdeführer weist folgende rechtskräftige Verurteilungen auf:
- Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 24.07.2013, XXXX , wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 40 Tagessätzen zu je 4,00 EUR im NEF 20 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, davon Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 4,00 EUR im NEF 10 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt. Der unbedingte Teil der Geldstrafe wurde am 05.12.2013 vollzogen. Der BF schlug einen anderen am 15.08.2012 in Innsbruck mit einem wuchtigen Faustschlag ins Gesicht, was eine Kieferprellung zur Folge hatte. Mildernd wurde der Umstand des Geständnisses und der Unbescholtenheit gewertet.
- Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 08.09.2014, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs. 2 1. Fall und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 100 Tagessätzen zu je 4,00 EUR im NEF 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, davon Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 4,00 EUR im NEF 25 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt. Der unbedingte Teil der Geldstrafe wurde am 07.04.2015 vollzogen. Der BF hat im Zuge eines Raufhandels eine andere Person verletzt.

Der BF hat damit zweimal in gleicher schädlicher Neigung einen anderen am Körper verletzt und damit den Straftatbestand der Körperverletzung nach § 83 StGB verwirklich und wurde danach auch bestraft.

- Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 30.08.2018, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Besitzes verbotener Waffen nach § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG zu einer Geldstrafe in der Höhe von 100 Tagessätzen zu je 6,00 EUR im NEF 50 Tage verurteilt. Vollzugsdatum 26.02.2020. Der BF hat wenn auch fahrlässig eine verbotene Waffe, nämlich einen Schlagring besessen. Mildernd wurde gewertet, das reumütige Geständnis, erschwerend die zwei Vorstrafen.

Verwaltungsstrafen:

Art. III Abs. 1 Z 2 EGVG in der Höhe von 100,00 EUR oder 2 Tage Ersatzarreststrafe vom 02.12.2015 der LPD-Tirol

§ 27 Abs. 1 iVm § 1 Abs. 3 FSG in der Höhe von 600,00 EUR oder 10 Tage Ersatzarreststrafe vom 26.01.2018 der LPD – Wien

§ 37 Abs. 1 iVm § 1 Abs. 3 FSG in der Höhe von 800,00 EUR oder 15 Tage Ersatzarreststrafe vom 28.03.2019 der LPD-Wien

§ 52 lit aZ. 2 StVO in der Höhe von 96,00 EUR oder 1 Tag, 20 Stunden Ersatzarreststrafe vom 28.03.2019 der LPD-Wien

Der BF war im Rahmen der „LIES-Aktion“ tätig und unterstützte im Jahr 2014 die Verteilung des Korans. Der BF besucht laufend die Moschee. Ein Naheverhältnis über den Besuch in der Moschee zu anderen islamischen Personen oder zu islamistischen bzw. terroristischen Organisationen kann derzeit nicht festgestellt werden.

Eine Gefährdung für die Sicherheit der Republik Österreich geht derzeit vom BF nicht aus.

Die Umstände, aufgrund deren der BF als Flüchtling anerkannt worden ist, bestehen nicht mehr. Die Umstände für die Zuerkennung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft haben sich wesentlich geändert.

1.3 Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer in Inguschetien respektive der Russischen Föderation aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten nicht bedroht wird. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden.

1.4 Ebenfalls festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Inguschetien respektive in die Russische Föderation nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer spricht Tschetschenisch auf muttersprachlichem Niveau, hat im Bundesgebiet eine Schulbildung sowie zwei Jahre einer Lehre absolviert und leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen. Auch unter Berücksichtigung der Coronapandemie und damit der wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen in der Region, welche auch in der Russischen Föderation, vorhanden ist, ist es dem BF trotzdem möglich ein Leben zu führen ohne in eine aussichtslose Lage zu geraten. Der BF ist nicht gefährdet an einer schweren Form des COVID-19 Virus zu erkranken oder gar den Tod zu erleiden.

Es ist dem BF möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation auch außerhalb der Teilrepublik Inguschetien und des Föderationskreises Nordkaukasus niederzulassen und sich dort anzumelden. Die wirtschaftlich stärkeren Metropolen, wie Moskau und Regionen in Russland bieten trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise und vorhandener Coronapandemie bei vorhandener Arbeitswilligkeit entsprechende Chancen auch für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken (Tschetschenien).

Der BF hat keine individuellen gefahrenerhöhenden Umstände aufgezeigt, die unter Beachtung seiner persönlichen Situation innewohnenden Umstände eine Gewährung von subsidiären Schutz auch bei einem niedrigen Grad willkürlicher Gewalt angezeigt hätte.

1.5. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern in der Russischen Föderation wird Folgendes festgestellt: (letzte Aktualisierung: 10.06.2021)

(Auszüge aus den Länderbericht zur Russischen Föderation)

Covid-19-Situation

Letzte Änderung: 18.05.2021

Russland ist von Covid-19 landesweit stark betroffen. Regionale Schwerpunkte sind Moskau und St. Petersburg (AA 15.2.2021). Aktuelle und detaillierte Zahlen bietet unter anderem die Weltgesundheitsorganisation WHO (https://covid19.who.int/region/euro/country/ru). Die Regionalbehörden in der Russischen Föderation sind für Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 zuständig, beispielsweise betreffend Mobilitätseinschränkungen, medizinische Versorgung und soziale Maßnahmen (RAD 15.2.2021; vgl. CHRR 12.3.2021). Die Maßnahmen der Regionen sind unterschiedlich, richten sich nach der epidemiologischen Situation in der jeweiligen Region und ändern sich laufend (WKO 9.3.2021; vgl. AA 15.2.2021). Es herrscht eine soziale Distanzierungspflicht für öffentliche Plätze und öffentliche Verkehrsmittel. Der verpflichtende Mindestabstand zwischen Personen beträgt 1,5 Meter (WKO 9.3.2021).

Die regierungseigene Covid-19-Homepage gibt Auskunft über die vom russischen Gesundheitsministerium empfohlenen Covid-19-Medikamente, nämlich Favipiravir, Hydroxychloroquin, Mefloquin, Azithromycin, Lopinavir/Ritonavir, rekombinantes Interferon-beta-1b und Interferon-alpha, Umifenovir, Tocilizumab, Sarilumab, Olokizumab, Canakinumab, Baricitinib und Tofacitinib. Der in Moskau entwickelte Covid-19-Krankenhausbehandlungsstandard umfasst folgende vier Komponenten: Antivirale Therapie, Antithrombose-Medikation, Sauerstoffmangelbehebung und Prävention/Behandlung von Komplikationen. Auf Anordnung des Arztes wird Patienten ein Pulsoxymeter ausgehändigt (Gerät zur Messung des Blutsauerstoffsättigungsgrades). Die medizinische Covid-Versorgung erfolgt für die Bevölkerung kostenlos (CHRR o.D.a).

Folgende Impfstoffe wurden in der Russischen Föderation entwickelt: Gam-COVID-Vac ('Sputnik V'), EpiVacCorona, CoviVac und Ad5-nCoV (CHRR o.D.b). Mittlerweile sind in der Russischen Föderation drei heimische Impfstoffe zugelassen (Sputnik V, EpiVacCorona und CoviVac). Groß angelegte klinische Studien gibt es bisher nicht (DS 20.2.2021; vgl. RFE/RL 21.2.2021). Impfungen erfolgen kostenlos (Mos.ru o.D.). In Moskau wurden bisher mehr als 700.000 Personen geimpft (Mos.ru 8.3.2021). Obwohl Russland als weltweit erstes Land seinen Covid-Impfstoff Sputnik V registrierte, haben die Impfungen effizient gerade erst begonnen (DS 12.2.2021). Bisher wurden in der Russischen Föderation in etwa 2,2 Millionen Personen (ca. 1,5% der Bevölkerung) geimpft bzw. erhielten zumindest eine der zwei Teilimpfungen (RFE/RL 21.2.2021).

Für die Einreise nach Russland wird grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger müssen bei der Grenzkontrolle keinen COVID-Test vorlegen, dieser muss jedoch spätestens drei Tage nach der Einreise nachgeholt werden. Russische Staatsbürger, die nach der Einreise ein positives Testergebnis erhalten, müssen sich in Quarantäne begeben. Die Ausreise aus Russland ist bis auf unbestimmte Zeit eingeschränkt und nur in bestimmten Ausnahmefällen möglich. Die internationalen Flugverbindungen wurden teilweise wieder aufgenommen. Direktflüge zwischen Österreich und Russland werden derzeit ein- bis zweimal wöchentlich von Austrian Airlines und Aeroflot angeboten. Russische Inlandsflüge wurden während der ganzen Pandemiezeit aufrecht erhalten (WKO 9.3.2021). Der internationale Zugverkehr – mit Ausnahme der Strecke zwischen Russland und Belarus - und der Fährverkehr sind eingestellt (AA 15.2.2021).

Staatliche Unterstützungsmaßnahmen für die russische Wirtschaft sind unterschiedlich und an viele Bedingungen gebunden. Zu den ersten staatlichen Hilfsmaßnahmen zählten Kredit-, Miet- und Steuerstundungen (ausgenommen Mehrwertsteuer), Sozialabgabenreduktion sowie Kreditgarantien und zinslose Kredite. Später kamen Steuererleichterungen sowie direkte Zuschüsse dazu. Viele der Maßnahmen sind nur für kleine und mittlere Unternehmen oder bestimmte Branchen zugänglich und haben einen zweckgebundenen Charakter (beispielsweise gebunden an Gehaltszahlungen oder Arbeitsplatzerhalt) (WKO 9.3.2021). Die Regierung bietet Exporteuren Hilfe an, die Möglichkeit eines Konkursmoratoriums, zinslose Kredite für Gehaltsauszahlungen usw. (CHRR o.D.c). Jänner bis Oktober 2020 ist die Industrieproduktion pandemiebedingt um 3,1% zurückgegangen. Besonders die Rohstoffproduktion ist um 6,6% gefallen, während die verarbeitende Industrie mit 0,3% praktisch stagnierte. Die im Jahr 2020 sehr stark fallenden Ölpreise waren unter anderem eine Auswirkung der Covid-19-Pandemie und mit einem globalen Nachfragerückgang verbunden und führten zu einer Rubelabwertung von 25%. Nach leichter Erholung verlor der Rubel unter anderem wegen der anhaltenden geringen Rohstoffnachfrage Mitte 2020 erneut an Wert und lag Anfang Dezember bei ca. 90 Rubel je Euro (WKO 12.2020). Das Realwachstum des Bruttoinlandsprodukts betrug im Jahr 2020 -3,1%. Im Vergleich dazu betrug der entsprechende Wert im Jahr 2019 2%. Die öffentliche Verschuldung betrug im Jahr 2020 17,8% des Bruttoinlandsprodukts (2019: 12,4%) (WIIW o.D.).

Moskau:

In Moskau herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Das Tragen von Masken auf Straßen wird empfohlen. Kultur- und Bildungsveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 50% der Zuschauerplätze belegt sind. Bürgern über 65 Jahren und chronisch Kranken wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021; vgl. WKO 9.3.2021, AA 15.2.2021). Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Am Arbeitsplatz sind vorgeschriebene Hygienevorschriften (unter anderem Temperaturmessungen, Mund- und Handschutz, Desinfektionsmittel, Mindestabstand etc.) einzuhalten (WKO 9.3.2021). Gemäß dem Moskauer Bürgermeister verbessert sich die Pandemielage in Moskau. Ein Großteil der Einschränkungen wurde aufgehoben. Gastronomiebetriebe sind wieder geöffnet. Für Schüler höherer Klassen und Studierende findet nun wieder Präsenzunterricht statt (Mos.ru 7.3.2021; vgl. Mos.ru 8.3.2021, LM 8.2.2021, Russland Analysen 19.2.2021). In der Oblast [Gebiet] Moskau wurde die Mehrzahl der wegen Covid geltenden Einschränkungen zurückgenommen. Einzig Massenveranstaltungen bleiben fast ausnahmslos verboten (Russland Analysen 19.2.2021).

St. Petersburg:

Auch in St. Petersburg herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Die für gastronomische Betriebe geltenden Beschränkungen der Öffnungszeiten wurden aufgehoben. Kulturveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 75% der Zuschauerplätze belegt sind. Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke sind Selbstisolierung und Fernarbeit verpflichtend (CHRR 12.3.2021; vgl. Gov.spb 5.3.2021, WKO 9.3.2021, Russland Analysen 8.2.2021).

Tschetschenien:

An öffentlichen Orten wird das Tragen von Masken empfohlen. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke ist Selbstisolierung vorgesehen (CHRR 12.3.2021; vgl. Chechnya.gov 10.2.2021, Ria.ru 10.2.2021, KMS 10.2.2021). Bisher wurden mehr als 19.000 Personen geimpft (Chechnya.gov 26.2.2021). Mitarbeitern staatlich finanzierter Organisationen in Tschetschenien wurde mit Entlassung gedroht, sollten sie die Covid-Impfung verweigern. Bewohner in Tschetschenien berichten, ihnen seien Sanktionen angedroht worden, sollten sie sich nicht impfen lassen (CK 23.1.2021). Reisebeschränkungen wurden aufgehoben (Ria.ru 10.2.2021; vgl. Chechnya.gov 10.2.2021, KMS 10.2.2021).

Dagestan:

An öffentlichen Orten herrscht Maskenpflicht. Einstweilen dürfen keine Massenveranstaltungen stattfinden. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021). Es finden Massenimpfungen statt, und verwendet wird der Impfstoff Sputnik V (E-dag.ru 23.2.2021). Bisher wurden mehr als 18.000 Personen (2,4%) geimpft (E-dag.ru 12.3.2021).

Politische Lage

Letzte Änderung: 26.05.2021

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 1.2021c; vgl. CIA 5.2.2021). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017). Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017, AA 21.10.2020c). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 1.2021a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.3.2020). Die Wahlbeteiligung lag der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 3.3.2021). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018). Wahlbetrug ist weit verbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BTI 2020). Präsident Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden (GIZ 1.2021a). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin, für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren (GIZ 1.2021a; vgl. FH 3.3.2021), dies gilt aber nicht für weitere Präsidenten (FH 3.3.2021). Die Volksabstimmung über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem sie aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der sogenannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 1.2021a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als 'obere Parlamentskammer' das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten (GIZ 1.2021a): Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2021c). Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 1.2021a).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, welche die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern und die Partei der Volksfreiheit (PARNAS), eine demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 1.2021a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016, FH 3.3.2021). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die nächste Duma-Wahl steht im Herbst 2021 an (Standard.at 1.1.2021).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 1.2021a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 1.2021a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten Parteien waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer 'smarten Abstimmung' aufgerufen. Die Bürgersollten Jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Neben den bis Juli 2021 verlängerten wirtschaftlichen Sanktionen wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes (Presse.com 10.12.2020) haben sich die EU-Außenminister wegen der Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny auf neue Russland-Sanktionen geeinigt. Die Strafmaßnahmen umfassen Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gegen Verantwortliche für die Inhaftierung Nawalnys (Cicero 22.2.2021).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 26.05.2021

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 7.4.2021a; vgl. GIZ 1.2021d, EDA 7.4.2021). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 7.4.2021a; vgl. EDA 7.4.2021). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 7.4.2021).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern (SWP 4.2017). Seitdem war der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken sollte (SWP 4.2017; vgl. Deutschlandfunk 29.9.2020). Der Einsatz in Syrien ist der größte und längste Auslandseinsatz des russischen Militärs seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Zunächst sollten nur die Luftstreitkräfte die syrische Armee unterstützen. Bodentruppen wurden erst später und in geringerem Maße mobilisiert - in Form von Spezialeinheiten und schließlich am Ende des Feldzugs als Militärpolizei. Es gab auch Berichte über den Einsatz privater paramilitärischer Strukturen (DW 29.9.2020). Hier ist vor allem die 'Gruppe Wagner' zu nennen. Es handelt sich hierbei um einen privaten russischen Sicherheitsdienstleister, der nicht nur in Syrien, sondern auch in der Ukraine und in Afrika im Einsatz ist. Mithilfe solcher privaten Sicherheitsdienstleister lässt sich die Zahl von Verlusten des regulären russischen Militärs gering halten (BPB 8.2.2021), und der teure Einsatz sorgt dadurch in der russischen Bevölkerung kaum für Unmut (DW 29.9.2020).

In den letzten Jahren rückte eine weitere Tätergruppe in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpften, wurde auf einige Tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017). Erst im Oktober 2020 wurden bei Spezialoperationen zentralasiatische Dschihadisten in Südrussland getötet und weitere in Moskau und St. Petersburg festgenommen (SN 15.10.2020).

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 26.05.2021

Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert, wenngleich das nicht mit einer nachhaltigen Stabilisierung gleichzusetzen ist (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff 'low level insurgency' umschrieben (SWP 4.2017).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten Islamischen Staates (IS), der mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat. Dabei sorgen nicht nur Propaganda und Rekrutierung des sogenannten IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. 2018 wurde laut dem Inlandsgeheimdienst FSB die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen mehr als halbiert. Auch 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Jedoch stellt ein Sicherheitsrisiko für Russland die Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut diversen staatlichen und nicht-staatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere Tausend Personen umfasste. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten nach Russland zurückkehren, wird gerichtlich vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020).

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpften Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl aufseiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der 'Tschetschenisierung' wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für eine nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Die russische Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus gilt seit einigen Jahren als Brutstätte von Terrorismus. Mehr als 1.000 Kämpfer aus dem Land sollen sich dem sog. Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Terroristen aus Dagestan sind auch in anderen Teilen Russlands und im Ausland aktiv. Viele Radikale aus Dagestan sind außerdem in den Nahen Osten ausgereist. In den Jahren 2013 und 2014 brachen ganze salafistische Familien dorthin auf. Die russischen Behörden halfen den Radikalen damals sogar bei der Ausreise. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wollte Russland möglichst viele Gefährder loswerden (Deutschlandfunk 28.6.2017). Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste, gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan, schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung (ÖB Moskau 6.2020). Laut dem Leiter des dagestanischen Innenministeriums gab es bei der Bekämpfung des Aufstands in Dagestan einen Durchbruch. Die Aktivitäten der Gruppen, die in der Republik aktiv waren, sind seinen Angaben zufolge praktisch komplett unterbunden worden. Nach acht Mitgliedern des Untergrunds, die sich Berichten zufolge im Ausland verstecken, wird gefahndet. Trotzdem besteht laut Analysten und Journalisten weiterhin die Möglichkeit von Anschlägen durch einzelne Täter (ACCORD 13.1.2020).

[Anmerkung Staatendokumentation:] Bitte vergleichen Sie hierzu auch alle Kapitel zur Allgemeinen Menschenrechtslage (einschließlich der Kapitel zu Tschetschenien, Dagestan und Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein).

Im Jahr 2020 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im gesamten Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller verfügbaren Quartals- und Monatsberichte von Caucasian Knot] bei 56 Personen, davon wurden 45 getötet und 11 verwundet. 42 der Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Tschetschenien sind im Jahr 2020 insgesamt 18 Personen getötet und zwei verwundet worden. 15 der Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Dagestan sind im Jahr 2020 insgesamt neun Personen getötet und eine verwundet worden. Alle Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, die verwundete Person ist den Exekutivkräften zuzurechnen. Drei Getötete gab es in Kabardino-Balkarien und einen Getöteten in Inguschetien (Caucasian Knot 2.7.2020a, Caucasian Knot 2.7.2020b, Caucasian Knot 27.10.2020, Caucasian Knot 24.12.2020, Caucasian Knot 20.2.2021).

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 26.05.2021

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte für Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsperson, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 6.2020). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 3.3.2021). Auch Korruption ist im Justizsystem ein Problem (EASO 3.2017, BTI 2020)

Das russische Justizsystem ist institutionell abhängig von den Untersuchungsbeamten, die häufig die Urteile bestimmen. Politisch wichtige Fälle werden vom Kreml überwacht, und Richter haben nicht genug Autonomie, um den Ausgang zu bestimmen (ÖB Moskau 6.2020). Die Personalkommission des Präsidenten und die Vorsitzenden des Gerichts kontrollieren die Ernennung und Wiederernennung der Richter des Landes, die eher aus dem Justizsystem befördert werden, als unabhängige Erfahrungen als Anwälte zu sammeln. Änderungen der Verfassung, die im Jahr 2020 verabschiedet wurden, geben dem Präsidenten die Befugnis, mit Unterstützung des Föderationsrates, Richter am Verfassungsgericht und am Obersten Gerichtshof zu entfernen, was die ohnehin mangelnde Unabhängigkeit der Justiz weiter schädigt (FH 3.3.2021).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs-und Kassationsverfahren geschaffen wurden sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto „Schuldvermutung“ im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter etc.). Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen von Ende 2018, rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen, und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen. Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 6.2020).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das zur Untergrabung der Souveränität Russlands missbraucht werde (ÖB Moskau 6.2020). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgeric

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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