TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/29 I422 2232787-1

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Veröffentlicht am 29.07.2020
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Entscheidungsdatum

29.07.2020

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
StGB §127
StGB §129
StGB §130 ersterFall
VwGVG §14 Abs1
VwGVG §15 Abs1
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I422 2232787-1/12E

Schriftliche Ausfertigung des am 27.07.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , StA Slowakei, vertreten Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.04.2020, Zl. 494614805/190786081, nach Beschwerdevorentscheidung vom 17.06.2020, Zl. 494614805/190786081, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.07.2020, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und die Beschwerdevorentscheidung dahingehend abgeändert, dass Spruchpunkt I. des Bescheides zu lauten hat:

„I. Gemäß § 67 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) wird gegen Sie ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.“

Im Übrigen wird die Beschwerdevorentscheidung bestätigt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Aufgrund einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung erließ die belangte Behörde mit verfahrensgegenständlichem Bescheid über den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von sieben Jahren (Spruchpunkt I.) und gewährte dem Beschwerdeführer keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.). Zugleich erkannte die belangte Behörde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.).

Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass das Recht des Beschwerdeführers auf Parteiengehör verletzt worden sei. Zwar sei er mit Schreiben vom 09.03.2020 vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt worden, doch sei eine solche schriftliche Verständigung zur Beurteilung der Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich und zur Feststellung des Vorliegens ausreichender Existenzmittel nicht ausreichend und hätte der Beschwerdeführer jedenfalls einvernommen werden müssen. Des Weiteren habe die belangte Behörde das fristgerechte Antwortschreiben des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt. Insbesondere habe es die belangte Behörde unterlassen ausreichende Ermittlungen hinsichtlich des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich anzustellen. Er verfüge über ein funktionierendes familiäres und großes soziales Netzwerk im Bundesgebiet. Er pflege regelmäßigen Kontakt zu seinen in Österreich lebendem Vater und Bruder. Nach der Entlassung aus der Haft könne er zunächst auch bei seinem Bruder wohnen, zumindest bis er eine Arbeit und eine Wohnung gefunden habe. Darüber hinaus spreche er sehr gut Deutsch. Er bereue seine Straftaten sehr und bemühe sich um Besserung. Eine vorzunehmende Zukunftsprognose hätte daher zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfallen müssen.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 17.06.2020, Zl. 494614805/190786081 wies die belangte Behörde die Beschwerde gegen den Bescheid als unbegründet ab. Begründend führte sie aus, dass nach Würdigung der schriftlichen Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 11.03.2020 das Bestehen eines schützenswerten Privat- und Familienlebens ausgeschlossen werden könne und sei auch ein funktionierendes, familiäres, privates und soziales Netzwerk im Bundesgebiet nicht ersichtlich. Selbst bei Annahme eines bestehenden Privatlebens und seiner Beziehung zu seinem Bruder sei dieses Privatleben nicht dergestalt, dass ein Eingriff zulässig sei. Es bestehe ein starkes öffentliches Interesse an Ordnung und Sicherheit und überwiege dieses die persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich.

In der Folge beantragte der Beschwerdeführer die Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht und führte im Wesentlichen aus, dass er nicht einvernommen worden sei und beantragte er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Mit Schreiben vom 07.07.2020 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

Mit Teilerkenntnis vom 09.07.2020 gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt III. der Beschwerdevorentscheidung) Folge und behob diesen Spruchpunkt ersatzlos. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Am 27.07.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt in der das Erkenntnis mündlich verkündet wurde.

Mit Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 28.07.2020 wurde die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist slowakischer Staatsangehöriger und somit EWR-Bürger bzw. Unionsbürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner derartigen gesundheitlichen Beeinträchtigung, die einer allfälligen Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen.

Der Zeitpunkt der letzten Einreise des Beschwerdeführers in das Bundesgebiet kann nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer verfügte seit dem Jahr 2010 immer wieder tages- bzw. wochenweise über einen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet. Zuletzt war er im Zeitraum von 04.05.2014 bis 06.05.2014 und von 03.06.2014 bis 05.06.2014 mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet. Ebenso wurde er aufgrund seiner Inhaftierung am 18.02.2020 melderechtlich erfasst. Am 10.07.2020 wurde der Beschwerdeführer aus der Strafhaft entlassen. Es liegt keine Anmeldebescheinigung gemäß § 53 Abs. 1 NAG vor.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Derzeit sind keine Familienangehörigen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gemeldet.

Der Vater Alexander KRISTOF, geboren am 01.10.1964, war zuletzt von 28.05.2019 bis 08.06.2019 mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet.

Der Bruder Julius BALOG, geboren am 10.10.1999, war von 26.05.2020 bis 20.07.2020 mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet.

Der Bruder Alexander BALOG, geboren am 23.06.1987, war zuletzt von 11.07.2020 bis 13.07.2020 mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet.

Es bestehen keine berücksichtigungswürdigen sprachlichen, privaten oder sozialen Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Österreich. Der Beschwerdeführer ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nach. Eine berufliche Verfestigung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet liegt somit nicht vor. In Österreich erhält der Beschwerdeführer eine Unterstützung durch die Pannonische Tafel und seitens der Dompfarre St. Martin.

In seinem Herkunftsstaat absolvierte der Beschwerdeführer die Grundschule sowie eine Berufsschule als Maler, welche er nach zwei Jahren abbrach. In der Zeit von 2014 bis 2018 lebte und arbeitete der Beschwerdeführer in Deutschland als Reinigungskraft, Zeitungsbote und Bäcker. Zuletzt war er bis August 2018 in seinem Herkunftsstaat als Hilfsarbeiter in einer Holzfabrik tätig.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich strafgerichtlich verurteilt. So befand ihn das Landesgericht Eisenstadt mit rechtkräftigem Urteil vom 31.03.2020, 007 Hv 58/2019z, des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls teils durch Einbruch gemäß §§ 127, 129 Abs. 1 Z. 1, 130 Abs.1 1. Fall StGB für schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten, davon 14 Monate bedingt, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren.

Der Verurteilung lag zu Grunde, dass der Beschwerde am 21.11.2019 im Unternehmen L[...] und Sch[...] GmbH drei Spinde von Angestellten aufbrach und daraus Bargeld im Wert von € 300 entnahm und er am 09.12.2019, 15.12.2019, 26.01.2020 und am 01.02.2020 teils im bewussten und im gewollten Zusammenwirken mit einem abgesondert verfolgten Mittäter bei der H[...] KG Lebensmittel im Gesamtwert von € 1.037 an sich nahm und dass er am 11.01.2020 bei der M[...] Handelswaren GmbH Lebensmittel im Wert von € 100 an sich zu nehmen versuchte.

Dass der Beschwerdeführer sechs einschlägige Vorstrafen aufweist, kann nicht festgestellt werden.

Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 16.04.2020, in der Fassung einer Beschwerdevorentscheidung vom 17.06.2020, wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen, ihm kein Durchsetzungsaufschub gewährt sowie einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Mit Teilerkenntnis vom 09.07.2020 erkannte das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung des bekämpften Bescheides und seinen Angaben im Beschwerdeschriftsatz sowie der Beschwerdevorentscheidung. Das Bundesverwaltungsgericht führte zudem in Anwesenheit der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine mündliche Verhandlung durch. Ergänzend wurden Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR), des Sozialversicherungsträgers und des Strafregisters eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellung zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere seiner Identität ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Die Identität des Beschwerdeführers ist durch den vorliegenden slowakischen Personalausweis belegt.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Akteninhalt und brachte der Beschwerdeführer auch im Rahmen seiner Beschwerde nichts Gegenteiliges vor.

Auf der Einsichtnahme in das ZMR gründen die Feststellungen betreffend den bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Dass der Beschwerdeführer letztmalig am 14.02.2020 ins Bundesgebiet eingereist ist, kann mangels Bescheinigung nicht verifiziert werden. Zudem wurde dem erkennenden Gericht eine Bestätigung über die Haftentlassung des Beschwerdeführers übermittelt. Eine Anmeldebescheinigung liegt weder im Verwaltungsakt ein bzw. wurde sie bislang nicht vorgelegt. Dies wurde in der Beschwerde auch nicht beanstandet.

Der Familienstand des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und wurde er im Rahmen des Beschwerdeverfahrens auch nicht widerlegt.

Die Feststellungen hinsichtlich der Aufenthalte der beiden Brüder sowie des Vaters des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ergeben sich aus Auszügen aus dem Zentralen Melderegister.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Österreich bisher keiner legalen Erwerbstätigkeit nachging, ergibt sich aus einem Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem sowie des Sozialversicherungsträgers und brachte der Beschwerdeführer weder in seiner Stellungnahme vom 11.03.2020 noch im Rahmen seiner Beschwerde Gegenteiliges vor. In seiner Beschwerde verwies der Beschwerdeführer auch auf die Unterstützung durch die Pannonische Tafel und die Dompfarre St. Martin. Für das Bestehen berücksichtigungswürdiger sprachlicher, privater oder sozialer Anknüpfungspunkte ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers keine Anhaltspunkte und wurde dahingehend auch im Beschwerdevorbringen kein weiteres Vorbringen erstattet.

Die Feststellungen hinsichtlich seiner Ausbildung sowie seiner beruflichen Tätigkeit in der Slowakei ergeben sich ebenso wie seinen Angaben zu seinen bisherigen beruflichen Tätigkeiten in Deutschland aus den glaubhaften Ausführungen des Beschwerdeführers in seiner schriftlichen Stellungnahme.

Die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers ergibt sich aus einem Auszug aus dem österreichischen Strafregister sowie aus dem im Akt einliegenden Strafurteil vom 31.03.2020, 7 Hv 58/19z.

Im Strafurteil wird zwar auf das Vorliegen von sechs einschlägige Vorstrafen verwiesen, diese scheinen aber im Strafregister des Beschwerdeführers nicht auf und ergeben sich diesbezüglich auch keinerlei Anhaltspunkte aus dem Verwaltungsakt.

Der verfahrensgegenständliche Bescheid vom 16.04.2020, Zl. 494614805/190786081, sowie die verfahrensgegenständliche Beschwerdevorentscheidung vom 17.06.2020, Zl. 494614805/190786081, liegen im Verwaltungsakt ein.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zur Teilweisen Stattgabe:

3.1. Zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1. Rechtslage:

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Die belangte Behörde begründete dies im Wesentlichen mit der strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers in Österreich. Aufgrund der einschlägigen Vorstrafen, der Mehrzahl der Angriffe und der mehrfachen Deliktsqualifikation, der 15 KPA-Eintragungen sowie der wirtschaftlichen Situation des Beschwerdeführers sei mit einer Fortsetzung zu rechnen. Es müsse daher von einer aktuellen, gegenwärtigen Gefahr gesprochen werden.

Der Beschwerdeführer verfügte seit dem Jahr 2010 lediglich tages- bzw. wochenweise über einen Hauptwohnsitz in Österreich, zuletzt im Mai und im Juni 2014 bzw. aufgrund seiner Inhaftierung auch im Zeitraum von Februar bis Juli 2020. Nachdem somit eine Aufenthaltsdauer von zehn Jahren nicht vorliegt, kommt nicht der erhöhte, sondern der einfache Prüfungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 S 2 FPG, wonach für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eine aktuelle, erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefordert wird, zur Anwendung.

Der Beschwerdeführer weist im Bundesgebiet eine strafgerichtliche Verurteilung auf.

Am 31.03.2020 wurde er rechtskräftig wegen des gewerbsmäßigen Diebstahls, teils durch Einbruch gemäß §§ 127, 129 Abs. 1 Z. 1, 130 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten, davon 14 Monate bedingt, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Die belangte Behörde hat die verhängte Dauer des ausgesprochenen Einreiseverbots nicht (nur) auf die Tatsache der Verurteilungen bzw. der daraus resultierenden Strafhöhen, sohin gerade nicht auf eine reine Rechtsfrage abgestellt. Vielmehr hat sie unter Berücksichtigung des Systems der abgestuften Gefährdungsprognosen, das dem FPG inhärent ist, (vgl. VwGH 20.11.2008, 2008/21/0603; VwGH 22.11.2012, 2012/23/0030) sowie unter Würdigung des individuellen, vom Beschwerdeführer durch sein persönliches Verhalten im Bundesgebiet gezeichneten Charakterbildes eine Gefährdungsprognose getroffen und diese Voraussage ihrer administrativrechtlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Das Bundesverwaltungsgericht kam aufgrund der Verurteilung des Beschwerdeführers in Österreich, des sich hieraus ergebenden Persönlichkeitsbildes und der Gefährdungsprognose ebenfalls zur Überzeugung, dass vom Beschwerdeführer permanent eine derart schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgeht, welche ein Aufenthaltsverbot dem Grunde nach zu rechtfertigen vermag. Dahingehend ist insbesondere zu berücksichtigen, dass es dem Beschwerdeführer erst jüngst darauf ankam, sich durch die wiederkehrende Begehung von gewerbsmäßigen Diebstählen (teils durch Einbruch), über eine längere Zeit von zumindest mehreren Wochen hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen bzw. sich dadurch seine Existenz zu sichern. Insbesondere wird im gegenständlichen Fall auch berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer sein strafrechtlich relevantes Handeln setzte, obwohl er Unterstützungen von Seiten wohltätiger Einrichtungen erhält wie beispielsweise die Pannonische Tafel oder die Dompfarre von St. Martin/P..

Sein jüngst an den Tag gelegtes Verhalten weist eindeutig auf seine mangelnde Rechtstreue gegenüber der österreichischen Rechtsordnung hin und bringt er dadurch seine Gleichgültigkeit gegenüber den in Österreich rechtlich geschützten Werten deutlich zum Ausdruck.

Insbesondere aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer obdachlos ist, derzeit über kein Einkommen verfügt und somit von einer schlechten wirtschaftlichen Situation auszugehen ist und ihn auch die ihn zugekommen karitativen Unterstützung nicht von seinen strafbaren Handlungen abhielten, ist – vor allem auch unter Berücksichtigung der Deliktsqualifikation der Gewerbsmäßigkeit – von einer erheblichen Wiederholungsgefahr nach der Entlassung aus der Strafhaft auszugehen.

Im gegenständlichen Fall ist die Zeit zudem jedenfalls noch zu wenig weit fortgeschritten, um ihm einen allenfalls gegebenen – im Verfahren aber nicht einmal ansatzweise dokumentierten – positiven Gesinnungswandel zu attestieren (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0276) und vermag daran auch die Beteuerung in seiner Beschwerde, dass er seine Taten bereue, nichts zu ändern.

Die gemäß § 9 BFA-VG vorzunehmende Abwägung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen kann – aufgrund seines lediglich wochenweisen Aufenthaltes in Österreich und mangels familiärer, privater, sozialer und beruflicher Anknüpfungspunkte zu Österreich – nicht zu einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes führen (vgl. VwGH 23.11.2019, Ra 2019/19/0289).

Angesichts des zuvor aufgezeigten und in seiner Gesamtheit doch gravierenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers ist davon auszugehen, dass das gegen ihn erlassene Aufenthaltsverbot gemäß § 9 BFA-VG zulässig und zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Verhinderung von weiteren strafbaren Handlungen durch den Beschwerdeführer) auch dringend geboten ist.

Die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes sind demnach höher zu gewichten als die gegenläufigen, privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers. Unter diesen Umständen ist die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 9 BFA-VG als zulässig zu werten (vgl. VwGH 06.12.2019, Ra 2019/18/0437).

Die Dauer des Einreiseverbots ist aber - in teilweiser Stattgebung der Beschwerde - auf fünf Jahre zu reduzieren, weil dies dem Fehlverhalten des Beschwerdeführers und der von ihm ausgehenden Gefährdung entspricht. Dabei ist zu berücksichtigten, dass ein dreimaliges (wenn auch schwerwiegendes) Fehlverhalten vorlag, das Strafgericht den Strafrahmen nicht ausschöpfte, der Beschwerdeführer zum ersten Mal straffällig wurde, er ein Geständnis ablegte und es teilweise beim Versuch blieb. Ein Einreiseverbot in der Dauer von sieben Jahren steht außer Relation zu der über den Beschwerdeführer verhängten teilbedingten Freiheitsstrafe, dem Unrechtsgehalt der von ihm begangenen Taten unter Berücksichtigung aller Milderungs- und Erschwerungsgründe und seiner privaten Situation.

3.2. Zur Nichtgewährung eines Durchsetzungsaufschubes (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Da der Beschwerdeführer aufgrund des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls, teils durch Einbruch, straffällig wurde, es zu einem Zusammentreffen mehrerer Straftaten kam sowie Wiederholungsgefahr gegeben ist, war seine sofortige Ausreise nach dem Strafvollzug im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit notwendig. Vor diesem Hintergrund ist Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides nicht zu beanstanden.

Aufgrund der vorangegangenen Überlegungen war spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der gegenständlichen Angelegenheit setzte sich das erkennende Gericht ausführlich mit der Thematik der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, der Gefährdungsprognose und auch mit der Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbotes (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091; 19.12.2019, Ra 2019/21/0276; ua.) auseinander.

Dabei weicht die der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsprechung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I422.2232787.1.01

Im RIS seit

09.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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