TE OGH 2010/2/17 2Ob222/09z

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Veröffentlicht am 17.02.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ÖBB-Infrastruktur Aktiengesellschaft, 1120 Wien, Vivenotgasse 10, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. v***** GmbH, *****, 2. L***** GmbH, *****, beide vertreten durch Sattlegger, Dorninger, Steiner & Partner Anwaltssocietät in Linz, wegen 528.382,18 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Mai 2009, GZ 2 R 36/09t-79, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 10. Dezember 2008, GZ 19 Cg 204/07g-73, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

1.) Die Parteibezeichnung der klagenden Partei wird von „ÖBB-Infrastruktur Betrieb Aktiengesellschaft“ auf „ÖBB-Infrastruktur Aktiengesellschaft“ berichtigt.

2.) Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 3.373,90 EUR (darin 562,32 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zu 1.): Aus dem Firmenbuch ergibt sich, dass die vormalige klagende Partei, die unter FN ***** protokollierte ÖBB-Infrastruktur Betrieb Aktiengesellschaft, als übertragende Gesellschaft mit der unter FN ***** protokollierten Gesellschaft als übernehmender Gesellschaft verschmolzen wurde und diese ihre Firma wie aus dem Spruch ersichtlich geändert hat (im Firmenbuch eingetragen jeweils am 3. 10. 2009).

Zu 2.): Die Klägerin und die Erstbeklagte schlossen am 8. 6. 2001 einen Vertrag über die Nutzung der Schieneninfrastruktur der Klägerin, dem deren Allgemeine Geschäftsbedingungen zu Grunde lagen. Danach erbringt die Erstbeklagte im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und Verantwortung Eisenbahnverkehrsleistungen auf Grundlage der CIM und des Eisenbahnbeförderungsgesetzes unter Nutzung der Schieneninfrastruktur der Klägerin. Diese gestattet die Nutzung gegen Entgelt.

Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten unter anderem folgende Bestimmungen:

„18.1. Soweit zwischenstaatliche Vereinbarungen sowie einschlägige gesetzliche Bestimmungen, insbesondere des EKHG, des ABGB und des HGB nicht entgegenstehen, gelten für die Haftung nachstehende Bestimmungen:

...

19. Haftung der ÖBB

19.1. Die ÖBB haften für

...

19.1.2. Sachschäden ...,

...

die dem EVU (Eisenbahnverkehrsunternehmen) ... durch den Betrieb der Schieneninfrastruktur während der Nutzung verursacht worden sind.

19.2. Die ÖBB sind von dieser Haftung befreit

...

19.2.2. bei Sachschäden ..., wenn der Schaden durch ein Verschulden des EVU, durch eine von den ÖBB nicht schuldhaft verursachte Anweisung des EVU oder durch Umstände verursacht worden ist, die die ÖBB nicht vermeiden und deren Folgen sie nicht abwenden konnten.

20. Haftung des EVU

20.1. Das EVU haftet für

...

20.1.2. Sachschäden ..., die den ÖBB oder ihren Hilfspersonen durch das EVU, durch die von ihm verwendeten Fahrbetriebsmittel oder durch von ihm beförderte Personen oder Güter während der Dauer der Nutzung verursacht worden sind.

20.2. Das EVU ist von dieser Haftung befreit

...

20.2.2. bei Sachschäden, wenn der Schaden durch ein Verschulden der ÖBB, eine vom EVU nicht schuldhaft verursachte Anweisung der ÖBB oder Umstände verursacht worden ist, die das EVU nicht vermeiden und deren Folgen es nicht abwenden konnte ...“

Am 2. 12. 2001 fuhr ein mit Kalk beladener Güterzug der Erstbeklagten von Steyrling nach Linz/Stahlwerke. Der Zug war 235 m lang und mit 1.580 Tonnen beladen. Dabei entgleiste das letzte Drehgestell eines Waggons, wodurch Gleisanlagen und Oberbau beschädigt wurden. Für den Triebwagenführer war das Auftreten des Bruchs am vorletzten Waggon und die Entgleisung nicht erkennbar. Er hätte keine Maßnahmen setzen können, um den Schaden zu verringern. Ursache der Entgleisung war ein Bruch der Radsatzwelle (Achsstummel) und nicht eine mangelhafte Qualität der Räder oder Überladung von Waggon oder Zug. Achsstummelbrüche sind extrem selten. Sie treten als Folge von heißgelaufenen Achslagern oder eines durch fortschreitende Risse geschwächten Querschnitts auf. Im vorliegenden Fall war ein Riss die Ursache.

Die Radsatzwelle ist so konstruiert, dass sie dauerfest ausgelegt ist, nämlich auf einen Zeitraum von 40 bis 50 Jahren. Sie wird gegen Korrosion lackiert. Risse in der Radsatzwelle sind durch spezielle Rissprüfungsverfahren im ausgebauten Zustand, etwa durch Ultraschall, erkennbar. Im eingebauten Zustand ist eine Sicht auf die Radsatzwelle zwischen Achslager und Radscheibe außer von einer Montagegrube aus nicht gegeben. Risse werden auch durch eine Schmutzschicht verdeckt. Risse in makroskopischer, also auch ohne Ultraschall mit freiem Auge sichtbarer, Größenordnung entstehen erst relativ kurz vor dem Bruchgeschehen. Rissprüfungsverfahren werden im Rahmen der vorgeschriebenen Wartungen durchgeführt. Revisionen, bei denen die Radsatzwelle ausgebaut und mit Ultraschall untersucht wird, haben bei Güterwägen im Abstand von sechs Jahren stattzufinden.

Es lag ein Dauerbruch vor, der von einer Fehlstelle mit folgender Korrosionsbildung ausging und infolge der Schwingbelastungen zu einer Schwächung des Querschnitts führte, der schließlich der Belastung nicht mehr standhielt. Eine solche Fehlstelle (lokaler Kerb) kann auf Bearbeitungsfehler, Schweißnähte bzw -punkte oder nicht metallische Einschlüsse im Sinn von Material- bzw Produktionsfehlern oder auch auf äußere Beschädigungen, grobe Korrosionsnarben und dergleichen zurückzuführen sein. Die einsetzende Korrosion führt zu einem drastischen Absinken der Schwingfestigkeit. Auch Korrosionsbildung kann an dieser Stelle nur durch Besichtigung von einer Montagegrube aus festgestellt werden, wobei infolge des Schmutzes ohne Reinigung der Achse nur stärkere Korrosion erkannt werden kann. Grundsätzlich kann einsetzende Korrosion schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit zu einem Bruch führen, wobei die Einwirkung von Streusalz beim Betrieb im Bahnhofsgelände oder ungewöhnlich häufiges Überfahren von Kreuzungen eine Rolle spielen kann. Dennoch treten solche Brüche bei der sehr großen Zahl von Güterwaggons, die im Verkehr sind, nur in ganz seltenen Einzelfällen auf. Vorschriften oder Regeln der Technik, wonach die Radsatzwelle innerhalb der Sechsjahresfrist von einer Grube aus kontrolliert oder der Korrosionsschutz überprüft werden müsste, bestehen nicht. Nur wenn sich ein besonderer Anlass für eine solche Untersuchung ergibt, ist sie innerhalb der sechs Jahre nötig. Hier war das nicht der Fall. Durch veränderte Betriebsgeräusche kann man Rost- oder Rissbildung an der Radsatzwelle nicht erkennen.

Die Wartung erfolgte durch die Zweitbeklagte, eine von der Klägerin zugelassene Werkstatt für Privatgüterwaggons, die bei der Klägerin eingestellt sind. Der gegenständliche Waggon war am 30. 9. 1997 ultraschallgeprüft worden. Am 26. 1. 1999 fand eine außertourliche Laufwerksrevision statt, da an der Lauffläche Abbröckelungen festgestellt wurden. Mit möglichen Mängeln der Radsatzwelle steht ein solcher Schaden in keinem Zusammenhang. Zu diesen Arbeiten gehörte auch die Aufarbeitung des Radsatzes, wobei die Radsatzlager abgebaut und aufgearbeitet und die Radsatzwelle für die Ultraschalluntersuchung gereinigt wird. Aus diesem Anlass fand eine weitere Ultraschallprüfung am 1. 2. 1999 statt, die keine Beschädigungen auswies. Am 2. 10. 2000 wurden die Radsätze und die Bremse in Stand gesetzt. Für die Bremsprüfung ist keine Grube erforderlich und sie betrifft die Radsatzwelle nicht. Die Wartungsarbeiten durch die Zweitbeklagte erfolgten ordnungsgemäß.

Die Klägerin begehrt den Ersatz ihres Sachschadens. Die Haftung der Erstbeklagten ergebe sich aus den Bestimmungen des Infrastrukturnutzungsvertrags insbesondere für den Fall, dass die vertraglich vorgesehenen Leistungen nicht selbständig erbracht würden. Gemäß Punkt 18 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen würden die Bestimmungen des EKHG, des ABGB und des HGB subsidiär gelten. Die Erstbeklagte hafte für die eingetretenen Schäden nach dem Vertrag und den genannten Bestimmungen für den Fall eigener Führung des Zugs, andernfalls nach § 1313a ABGB, weil sie sich der Zweitbeklagten als Erfüllungsgehilfin bedient habe. Diese haftet deliktisch nach dem EKHG. Weil eine anteilsmäßige Zuordnung des Schadens nicht möglich sei, hafteten die Beklagten solidarisch.

Die Beklagten wandten ein, nur die Erstbeklagte stehe in einem Vertragsverhältnis zur Klägerin. Die Zweitbeklagte sei nicht mit der Zugführung beauftragt worden, sie sei lediglich im Verhältnis zur Erstbeklagten für die Wartung zuständig gewesen. Der Achsbruch sei nicht vorhersehbar und nicht vermeidbar gewesen, weshalb die Haftungsbefreiung nach Punkt 20.2. der AGB zum Infrastrukturnutzungsvertrag vorliege. Aufgrund dieser Vertragslage sei auch eine Haftung der Erstbeklagten nach dem EKHG ausgeschlossen.

Beide Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.

Das Erstgericht führte rechtlich aus, der Haftungsausschluss gemäß Punkt 20.2. der AGB entspreche Art 17 Z 2 CMR oder Art 23 § 2 CIM. Es sei davon auszugehen, dass die für den Eisenbahnverkehr geltenden Bestimmungen zu Grunde gelegt werden sollten. Danach bestehe dann keine Haftung, wenn der Schaden trotz Anwendung der äußersten wirtschaftlich zumutbaren Sorgfalt nicht habe abgewendet werden können. Selbst bei Anwendung dieser äußersten Sorgfalt wären zur Verhinderung eines Ereignisses wie des vorliegenden notwendige Kontrollen innerhalb von Abständen von wenigen Monaten, die bei allen Güterwaggons durchzuführen wären, wirtschaftlich nicht zumutbar gewesen. Zwingende Bestimmungen, aus denen sich eine darüber hinausgehende Haftung ergebe, bestünden nicht. Auf das Vertragsverhältnis und von diesem umfasste Risiken sei das EKHG nicht anwendbar. Da die Zweitbeklagte gegenüber der Klägerin nur als Erfüllungsgehilfin der Erstbeklagten aufgetreten sei, hafte sie mangels Verschuldens nicht.

Das Berufungsgericht führte aus, Haftungsregelungen, wie sie in den AGB bestünden, hätten zum Ziel, einer ungleichmäßigen Verteilung des Haftunsgrisikos zwischen den Vertragspartnern entgegenzuwirken. Die zwischen der Klägerin und der Erstbeklagten getroffene Vertragsgestaltung folge den transportrechtlichen Regelungen des Art 17 Abs 2 CMR und Art 23 § 2 CIM, die nach herrschender Auffassung eine Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast und strengem Sorgfaltsmaßstab vorsähen. Nach der dazu bestehenden oberstgerichtlichen Rechtsprechung trete eine Haftungsbefreiung nur dann ein, wenn es bei Anwendung der nach den Umständen des Falls möglichen und vernünftigerweise zumutbaren Sorgfalt nicht möglich gewesen sei, den Schadensfall zu verhindern (RIS-Justiz RS0073763), wobei „Unabwendbarkeit“ nicht absolute Unvermeidbarkeit bedeute und keine wirtschaftlich unzumutbaren oder absurden Maßnahmen gefordert werden dürften (RIS-Justiz RS0029824 [T5]). Regelungen des EKHG stünden der vertraglich bestimmten Verteilung der Unfallrisiken bei Sachschäden nicht entgegen (§ 10 EKHG), vielmehr bleibe es in diesem Bereich der vertragsautonomen Gestaltung überlassen, das Schadensrisiko etwa nach Maßgabe abgewogener Verschuldenskriterien, Sphären der Schadensverursachung oder entsprechend den vom Gesetzgeber im Fall des EKHG für maßgeblich erachteten Zurechnungskriterien zwischen den Vertragspartnern aufzuteilen. Dass es für die Erstbeklagte mit wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen möglich gewesen wäre, den gegenständlichen Schaden zu verhindern, habe die Klägerin gar nicht behauptet.

Der Zweitbeklagten fehle die für den Betriebsunternehmer im Sinn des EKHG kennzeichnende „freie Verfügung“ über den Bahnbetrieb und die Herrschaft über die Betriebsvorgänge, wozu vor allem die Entscheidung über die Verwendung der Anlagen und den Einsatz der Betriebsmittel (des Eisenbahnverkehrsunternehmens) zähle. Eine Haftung der Zweitbeklagten nach dem EKHG komme daher mangels Betriebsunternehmereigenschaft nicht in Betracht.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zur Klarstellung der Haftung nach Maßgabe der den Verträgen über die Nutzung der Schieneninfrastruktur der Klägerin zu Grunde liegenden AGB zu.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn einer Klagsstattgebung abzuändern. Hilfsweise wird beantragt, das Urteil des Berufungsgerichts dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren dem Grunde nach zur Gänze stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin vertritt die Ansicht, im vorliegenden Fall habe sich lediglich die Gefahr durch einen der beiden Betriebsunternehmer (Eisenbahnverkehrs- bzw Infrastrukturunternehmer), nämlich jene der Beklagten, verwirklicht, weshalb diese der Klägerin für den Schaden nach EKHG solidarisch einzustehen hätten. Durch die Vertragsbestimmungen werde die Haftung nach dem EKHG nicht ausgeschlossen. Diese Haftung bestehe, da der Unfall auf einem Versagen einer Verrichtung der Eisenbahn beruhe, weshalb der Haftungsausschluss nach § 9 EKHG nicht zum Tragen komme. Die Auslegung der Haftungsbestimmungen im Sinn der Vorinstanzen würde einen unzulässigen Haftungsausschluss darstellen, weil dadurch auch die Haftung für Schäden ausgeschlossen werde, die weder voraussehbar noch kalkulierbar seien. Derartige Haftungsausschlüsse seien unzulässig iSd § 879 ABGB.

Die Haftungsbestimmungen der AGB seien den Formulierungen der Art 36 CIM bzw Art 9 § 2 lit b CUI nachgebildet. Diese Bestimmungen sähen als Haftungsbefreiungsgrund unter anderem die Unvermeidbarkeit vor. Darunter sei im Sinn des CIM nach ständiger Rechtsprechung und Lehre lediglich höhere Gewalt zu verstehen. Aus der wortgleichen Übernahme der erwähnten Bestimmungen des CIM und CUI in den AGB ergebe sich die Intention, dass zwischen den Vertragsparteien dieselbe Rechtslage geschaffen werden sollte, wie sie sich für den internationalen Eisenbahnverkehr aufgrund des CIM bzw CUI ergebe. Auch auf die Zweitbeklagte sei das EKHG im vollen Umfang anzuwenden, wenn diese lediglich die Traktion besorge.

Hiezu wurde erwogen:

Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

              Maßgebliche Auslegungskriterien des § 914 ABGB sind der Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung und die Absicht der Parteien (vgl RIS-Justiz RS0014160; Binder in Schwimann3 § 914 Rz 25, 62). Unter der „Absicht der Parteien“ ist die dem Erklärungsgegner erkennbare und von ihm widerspruchslos zur Kenntnis genommene Absicht des Erklärenden zu verstehen (2 Ob 31/07h mwN; 2 Ob 212/08b mwN; Bollenberger in KBB2 § 914 Rz 6). Der Wortlaut der Vereinbarung ist allein maßgeblich, wenn keine abweichende Absicht festgestellt werden kann (Bollenberger aaO Rz 5 mwN).

              Die von der Revisionswerberin behauptete Absicht, die hier maßgebliche Bestimmung der AGB (Punkt 20.2.2.) entsprechend den insoweit gleichlautenden Normen des CIM bzw CUI auszulegen, ist nicht als übereinstimmender Parteiwille nach den dargestellten Kriterien festgestellt worden. Im Übrigen gibt es weder ein Vorbringen der Klägerin noch Feststellungen dahingehend, die Parteien hätten vom Wortlaut der vertraglichen Bestimmungen abweichende oder darüber hinausgehende Vereinbarungen getroffen.

              Mangels vom Wortlaut abweichender Parteienabsicht im Sinne der dargestellten Auslegungsregeln ist die von den Vorinstanzen vertretene Auslegung, der eingetretene Schaden wäre vom Eisenbahnverkehrsunternehmen mit wirtschaftlich zumutbarer Sorgfalt nicht vermeidbar gewesen, weshalb der Erstbeklagten der Freibeweis gemäß Punkt 20.2.2. der AGB gelungen sei, nicht zu beanstanden.

              Im Übrigen wird zu den mit der zitierten Haftungsbestimmung gleichlautenden, von der Revisionswerberin ins Treffen geführten Formulierungen der Art 36 CIM bzw Art 9 § 2 lit b CUI Folgendes angemerkt:

              Zur inhaltlich ebenfalls gleichlautenden Haftungsbestimmung des Art 17 Z 2 CMR hat schon das Berufungsgericht auf die dazu herrschende Auffassung hingewiesen (Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast und strengem Sorgfaltsmaßstab, vgl Schütz in Straube, Wiener Kommentar zum UGB [2009], § 452 Anh I Art 17 CMR Rz 4, 6; Haftungsbefreiung bei - hier zu bejahendem - unabwendbarem Ereignis, vgl RIS-Justiz RS0073763; RS0029824). Demgegenüber wird nach der Rechtsprechung die Frachtführerhaftung der Eisenbahn im Sinn einer vom Verschulden unabhängigen Gefährdungshaftung verstanden (SZ 53/21 = RIS-Justiz RS0058540 zu § 94 EVO; 2 Ob 507/93 = EvBl 1994/16 zu Art 36 CIM; 7 Ob 133/09y zu § 94 EBG). In der Lehre ist dieses Thema umstritten (vgl Helm in Staub, dHGB³ [1982], § 460 Anh II [Art 27 CIM] Rz 5 bis 7; Csoklich, Transportrecht [1990], 214; Spera, Internationales Eisenbahnfrachtrecht [1991], Art 36 Anm 15; Holzhammer, Allgemeines Handelsrecht und Wertpapierrecht8 [1998], 276; Schütz in Straube, Wiener Kommentar zum UGB [2009], § 453 Anh § 94 EBG Rz 4).

              Selbst wenn es für die vorzunehmende Vertragsauslegung auf das Verständnis der einschlägigen Normen der zitierten Übereinkommen in Rechtsprechung und Lehre ankäme, wäre dieses somit nicht eindeutig, was nach der Unklarheitenregelung des § 915 zweiter Halbsatz ABGB zu Lasten der Klägerin als Aufstellerin der AGB ausschlüge (RIS-Justiz RS0018008 [T2]; RS0008901 [T2]).

Auf ein die Haftung des Eisenbahnverkehrsunternehmens dennoch begründendes „Versagen der Verrichtungen“ iSd § 9 Abs 1 EKHG kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Die von den Vertragsparteien getroffenen wiedergegebenen Vereinbarungen über die wechselseitige Haftung für Sachschäden sehen - abweichend von § 9 Abs 1 EKHG - keine Ausnahme vom Haftungsausschluss bei einem hier durchaus in Frage kommenden (vgl Danzl, EKHG8 § 9 E 40 bis E 50a) „Versagen der Verrichtungen“ vor.

Die Vertragsparteien haben damit eigenständige Haftungsvereinbarungen getroffen. Davon abweichende Bestimmungen des EKHG wie insbesondere § 9 Abs 1 EKHG („Versagen der Verrichtungen“) wären nur dann anwendbar, wenn sie im Sinn des Punktes 18 der AGB den vertraglichen Vereinbarungen entgegenstünden. Dispositive gesetzliche Bestimmungen können vertraglichen Bestimmungen aber niemals „entgegenstehen“. Gemäß § 10 EKHG darf die Verpflichtung des Betriebsunternehmers oder Halters für die Tötung oder Verletzung entgeltlich beförderter Personen Ersatz zu leisten, im Vorhinein weder ausgeschlossen noch beschränkt werden. Entgegenstehende Vereinbarungen sind nichtig. Nach einhelliger Lehre ist aus § 10 EKHG der Umkehrschluss zu ziehen, dass ein Ausschluss von Ansprüchen für Sachschäden mit § 10 EKHG vereinbar ist (Schauer in Schwimann³ § 10 EKHG Rz 2 f mwN). Da die Parteien das EKHG demnach für Sachschäden abbedungen haben, erübrigen sich alle weiteren Überlegungen der Revision über eine Haftung der Beklagten nach EKHG.

Diese Auslegung schafft auch keinen sittenwidrigen Haftungsausschluss, weil etwa dadurch nicht vorhersehbare und nicht kalkulierbare Schadensrisiken von der Haftung ausgeschlossen würden (vgl Krejci in Rummel³ § 879 Rz 118). Mögen Achsbrüche wie im vorliegenden Fall auch selten vorkommen, so sind sie dennoch nicht gänzlich unvorhersehbar oder unkalkulierbar. Überdies ist eine gröbliche Benachteiligung nach § 879 Abs 3 ABGB bei einem Haftungsausschluss dann zu verneinen, wenn er - wie hier - wechselseitig für beide Vertragsparteien gilt und daher nicht zum Nachteil nur einer Partei sein kann (2 Ob 212/08b = RIS-Justiz RS0124503).

Soweit die Revisionswerberin eine Haftung der Zweitbeklagten zu argumentieren versucht, wird sie auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO.

Textnummer

E93581

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0020OB00222.09Z.0217.000

Im RIS seit

12.05.2010

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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