TE OGH 2011/1/28 6Ob250/10y

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Veröffentlicht am 28.01.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien - Wiener Wohnen für den 10. Bezirk, 1100 Wien, Dieselgasse 1-3, vertreten durch Dr. Johann Sommer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Verein *****, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwältin in Wien, wegen Aufkündigung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 28. Juli 2010, GZ 39 R 171/10a-32, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 8. Februar 2010, GZ 3 C 887/08h-24, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 311,85 EUR (darin 51,97 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

Mit Urteil vom 8. 2. 2010 erkannte das Erstgericht die Aufkündigung vom 16. 6. 2008 für rechtswirksam und verpflichtete die beklagte Partei zur geräumten Übergabe des Geschäftslokals Top Nr ***** im Hause ***** an die klagende Partei.

Das Urteil wurde der beklagten Partei zu Handen des am Poststück als Obmann bezeichneten Dr. K***** N***** am 3. 3. 2010 durch postamtliche Hinterlegung zugestellt, wobei der Beginn der Abholfrist mit 4. 3. 2010 festgesetzt wurde. Nachdem Dr. K***** N***** mitgeteilt hatte, dass dem Urteil keine Rechtsmittelbelehrung angeschlossen gewesen sei, verfügte das Erstgericht die neuerliche Zustellung des Urteils samt Rechtsmittelbelehrung. Daraufhin wurde das Urteil der beklagten Partei abermals zu Handen des Obmanns Dr. K***** N***** zugestellt, und zwar am 19. 3. 2010 durch postamtliche Hinterlegung.

Am 16. 4. 2010 erhob die beklagte Partei Berufung gegen dieses Urteil. Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht die Berufung als verspätet zurück. Auslösend für den Beginn der vierwöchigen Berufungsfrist des § 464 ZPO sei die am 3. 3. 2010 erfolgte Zustellung. Gemäß § 6 ZustG löse die neuerliche Zustellung eines einmal zugestellten Dokuments keine Rechtswirkungen aus.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der rechtzeitige Rekurs der beklagten Partei sowie ein - lediglich in eventu erhobener - Wiedereinsetzungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Gegen einen Beschluss, mit dem das Berufungsgericht eine Berufung zurückweist, ist gemäß § 519 ZPO ein Rekurs ohne Rücksicht auf den Streitwert oder das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig (RIS-Justiz RS0043893 [T7], RS0043760 [T17]). Der Rekurs ist im vorliegenden Fall daher zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Voraussetzung für den Beginn des Laufs der Rechtsmittelfrist ist, dass die Zustellung rechtswirksam war (RIS-Justiz RS0006997). In der Entscheidung 3 Ob 169/74 hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass die Rechtsmittelfrist durch Zustellung bloß der zweiten Seite einer Entscheidung, aus welcher weder Spruch noch Geschäftszahl ersichtlich sind, also nicht einmal die entschiedene Causa verlässlich entnommen werden kann, nicht in Gang gesetzt wird. Gleiches wurde bei einem infolge Seitenvertauschung unverständlichen Urteil angenommen (3 Ob 93/76).

Mit den diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalten ist der vorliegende Fall aber in keiner Weise vergleichbar. Das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung bei der zugestellten Ausfertigung beeinträchtigte weder die Zuordnung des Urteils zu einer bestimmten Streitsache noch dessen Verständlichkeit. Nicht jeder Verstoß gegen Form- oder Inhaltsvorschriften für Urteile führt zur Unwirksamkeit der Zustellung. Eine derartige Auslegung würde die Rechtssicherheit massiv beeinträchtigen. Die Rechtsmittelbelehrung ist mangels Anführung in § 417 ZPO nicht Bestandteil der schriftlichen Urteilsausfertigung; sie kann auch auf einem gesonderten Blatt erfolgen (§ 152 Geo).

§ 447 ZPO, der für Urteile im bezirksgerichtlichen Verfahren eine Rechtsmittelbelehrung vorsieht, stellt eine spezifische Ausprägung der in § 432 Abs 1 ZPO normierten allgemeinen Belehrungspflicht im bezirksgerichtlichen Verfahren dar und ergänzt damit die - nur für verkündete Entscheidungen geltende - Bestimmung des § 432 Abs 2 ZPO (Kodek in Fasching/Konecny2 § 447 ZPO Rz 1).

Das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung hat nach ständiger Rechtsprechung auf die Wirksamkeit eines Beschlusses keinen Einfluss (RIS-Justiz RS0041485). Für ein Urteil kann nichts anderes gelten. Nach völlig herrschender Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0109747, RS0036701 [T4]) und Lehre (GKodek in Fasching/Konecny2 § 447 ZPO Rz 4; vgl auch Gitschthaler in Rechberger, ZPO3 § 146 Rz 9) ändert der Umstand, dass entgegen der Vorschrift der §§ 432 Abs 2 und 447 ZPO dem Beklagten keine Rechtsmittelbelehrung erteilt wurde, nichts an der Verspätung der Berufung; dieser Umstand könnte vielmehr allenfalls einen Wiedereinsetzungsgrund bilden.

Damit erweist sich der angefochtene Beschluss als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Rekurs ein Erfolg zu versagen war. Über den Wiedereinsetzungsantrag wird das Erstgericht zu entscheiden haben.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Schlagworte

Zivilverfahrensrecht

Textnummer

E96381

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0060OB00250.10Y.0128.000

Im RIS seit

07.03.2011

Zuletzt aktualisiert am

04.05.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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