Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras, Mag. Ziegelbauer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karl H*****, vertreten durch Dr. Johannes Hofmann, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagten Parteien 1. Herbert N*****, vertreten durch Mag. Paul Max Breitwieser, Rechtsanwalt in Wels, und 2. Anton S*****, vertreten durch Dr. Bernhard Steinbüchler, Mag. Harald Mühlleitner und Mag. Sylvia Schrattenecker, Rechtsanwälte in St. Florian, wegen 1.508.000 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 22. November 2010, GZ 4 R 222/10k-67, womit der Beschluss des Landesgerichts Wels vom 14. Juli 2010, GZ 26 Cg 53/07h-62, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Nach dem im ersten Rechtsgang ergangenen Beschluss des Obersten Gerichtshofs 9 Ob 31/08m holte das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren ein Rechtsgutachten zum italienischen Recht ein.
Das Erstgericht wies in der Folge den Antrag des Klägers auf Unterbrechung des Verfahrens bis zur Entscheidung über seine - nach Ausschöpfung des italienischen Instanzenzugs - beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingebrachte Beschwerde (in der Begründung) ab und die Schadenersatzklage zurück. Es stellte den Verfahrensgang und Inhalt des vom Kläger gegen die Beklagten in Italien erfolglos geführten Prozesses fest und erkannte rechtlich, dass in diesem Verfahren bindend auch über die hier geltend gemachten Ansprüche entschieden worden sei. Die Klage sei wegen entschiedener Rechtssache zurückzuweisen. Dem Unterbrechungsantrag des Klägers sei nicht Folge zu geben, weil Entscheidungen des EGMR für österreichische Gerichtsentscheidungen keine Bindungswirkung entfalten.
Das Rekursgericht wies den Rekurs des Klägers gegen die Abweisung des Unterbrechungsantrags zurück, weil diese Entscheidung gemäß § 192 Abs 2 ZPO unanfechtbar sei. Im Übrigen gab es dem Rekurs nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Auf den Einwand des Klägers, dass die Urteile der italienischen Gerichte mangelhaft und unrichtig seien, sei nicht einzugehen, weil ausländische Entscheidungen gemäß Art 36 EuGVVO nicht in der Sache selbst nachgeprüft werden dürften. Im italienischen Verfahren sei nicht bloß über einen Teilschaden, sondern über den gesamten Schadenersatzanspruch des Klägers einschließlich des nunmehr geltend gemachten Schadens entschieden worden. Die Klage sei daher wegen entschiedener Sache (§ 411 ZPO) zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen Beschluss gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers ist nicht zulässig.
1. Nach § 192 Abs 2 ZPO können die nach den §§ 187 bis 191 ZPO erlassenen Anordnungen, soweit sie nicht eine Unterbrechung des Verfahrens verfügen, durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. Die Abweisung eines Unterbrechungsantrags ist daher nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich unanfechtbar (RIS-Justiz RS0037071; RS0037003). Anderes gilt nur dann, wenn die Unterbrechung zwingend vorgeschrieben ist (RIS-Justiz RS0037034; RS0037020; 4 Ob 23/10a). Das ist hier aber nicht der Fall.
Nur eine bereits ergangene Entscheidung des EGMR entfaltet eine gewisse Bindung des österreichischen Gerichts (vgl 1 Ob 302/04z). Eine Unterbrechung eines Rechtsstreits wegen Anhängigkeit eines Verfahrens vor dem EGMR hat nicht stattzufinden (Schragel in Fasching/Konecny2 II/2 § 190 ZPO Rz 6). Im Hinblick auf die fehlende Zuordnung zur staatlichen Gerichtsbarkeit fallen Entscheidungen des EGMR nicht unter die EuGVVO (Rassi in Fasching/Konecny2 V/1 Art 32 EuGVVO Rz 13 mwN). Eine vergleichbare Sachlage mit Vorabentscheidungsverfahren (§ 90a GOG) und Tatbeständen, die eine Unterbrechung zwingend vorsehen, vermag der Kläger nicht aufzuzeigen. Die zurückweisende Entscheidung des Rekursgerichts ist daher zutreffend.
2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits im ersten Rechtsgang ausgesprochen, dass dann, wenn aufgrund staatsvertraglicher Regelungen ein Urteil in Österreich vollstreckbar (anzuerkennen) ist, dieses materielle Rechtskraft äußert. Da im vorliegenden Fall das in Zivilsachen ergangene Urteil eines italienischen Gerichts zur Beurteilung steht, kann kein Zweifel sein, dass gemäß Art 33 Abs 1 EuGVVO eine derartige Bindung besteht. Die materielle Rechtskraft ist die wichtigste Urteilswirkung, die nach Art 33 EuGVVO anzuerkennen ist. Die objektiven und subjektiven Grenzen der Rechtskraft sind nach dem Grundsatz der Wirkungserstreckung dem Recht des Erststaats zu entnehmen. Ein Urteil eines ausländischen Gerichts kann daher im Inland nur jene Wirkung entfalten, die ihm im Bereich der Jurisdiktion dieses (ausländischen) Gerichts zukommt (9 Ob 31/08m mwN). Ein ausländisches Urteil entfaltet demnach im Anwendungsbereich des EuGVVO in Österreich grundsätzlich dieselben Rechtswirkungen wie im Urteilsstaat (3 Ob 212/06g mwN). Bei - wie hier - Identität des Streitgegenstands ist eine neuerliche Klage zwischen denselben Parteien zurückzuweisen (Rassi aaO Art 33 EuGVVO Rz 8; Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht3, Art 33 Rz 7; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht8 Vor Art 33 EuGVVO Rz 12).
2.1 Gemäß Art 36 EuGVVO darf die ausländische Entscheidung keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden. Der Anerkennung und damit auch der Bindung steht nicht entgegen, dass der Kläger behauptet, das Urteil des Oberlandesgerichts Trient sei „aktenwidrig und mit schwerwiegenden Mängeln behaftet“. Versagungsgründe nach Art 34 und 35 EuGVVO liegen nicht vor. (Vermeintliche) Verfahrensrechtliche Fehler sind ebenso wenig im Zweitstaat (Österreich) zu überprüfen wie Fragen der Tatsachenfeststellung (Rassi aaO Art 36 EuGVVO Rz 4; Czernich/Tiefenthaler/Kodek aaO Art 36 Rz 1; Kropholler aaO Art 36 EuGVVO Rz 2).
2.2 Mit seinem Verweis auf den in dieser Sache ergangenen Beschluss des erkennenden Senats übersieht der Revisionsrekurswerber, dass sich die maßgebliche Tatsachengrundlage nach der Verfahrensergänzung durch das Erstgericht verändert hat. Dies kann im Einzelfall ohne weiteres dazu führen, dass rechtliche Erwägungen im genannten Beschluss ihre Relevanz verlieren (vgl 1 Ob 121/08p; Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 511 ZPO Rz 5). Nach den Feststellungen in Verbindung mit dem eingeholten Sachverständigengutachten zum italienischen Recht machte der Kläger gegenüber den Beklagten im italienischen Zivilverfahren seinen gesamten Schaden aus der streitgegenständlichen Angelegenheit gestützt auf vertragliche und außervertragliche Haftung geltend. Das Oberlandesgericht Trient sprach dem Kläger jeden Schadenersatzanspruch gegen die Beklagten ab. Die dagegen vom Kläger erhobene Beschwerde wies der Kassationsgerichtshof ab. Infolge Identität des Streitgegenstands haben die Vorinstanzen zutreffend die neuerliche Klage zwischen denselben Parteien zurückgewiesen.
3. Der Revisionsrekurs ist daher einerseits absolut unzulässig und andererseits mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 528 Abs 1 ZPO unzulässig.
Schlagworte
Zivilverfahrensrecht,Gruppe: Internationales Privatrecht und Zivilverfahrensrecht,EuroparechtTextnummer
E96552European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0090OB00088.10X.0228.000Im RIS seit
18.03.2011Zuletzt aktualisiert am
21.09.2011