RS UVS Oberösterreich 2002/06/19 VwSen-420328/16/Gf/La

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 19.06.2002
beobachten
merken
Beachte
gleichlautende Entscheidung zu VwSen-420329/17/Gf/La vom 19. Juni 2002; Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt; VfGH vom 26.11.2002, Zl.: B 1262/02; Beschwerde wurde dem VwGH zur Entscheidung abgetreten. Rechtssatz

Gemäß Art.3 MRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher bzw. erniedrigender Strafe oder Behandlung unterzogen werden. Dabei handelt es sich um ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht (vgl. Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht, 3.A., 587; Berka, Die Grundrechte, RN 380). Dies bedeutet, dass bestehende Rechtsvorschriften, die von ihrem Regelungsgehalt her tendenziell Berührungspunkte mit dem durch diese Gewährleistung geschützten Rechtsbereich aufweisen (sog. "eingriffsnahe Gesetze"), im Zweifel einschränkend dahin auszulegen sind, dass sie staatliche Organe prinzipiell nicht zu einem derartigen Eingriff ermächtigen, also keine Handlungsgrundlage iSd Art.18 Abs.1 B-VG bilden. Die vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis VfSlg 15061/1997 mangels gesetzmäßiger Kundmachung mit Wirkung vom 1. Jänner 1999 aufgehobenen - und in der Folge nicht in Form einer (Durchführungs-)Verordnung erlassenen - Bestimmungen (§ 1 und § 2 Abs.1) der sog. "Handfesseldienstanweisung" kommen daher schon a priori nicht als eine "eingriffsnahe" Vorschrift im vorgenannten Sinne in Betracht.Explizite außenwirksame (vgl. demgegenüber zB. den bloß verwaltungsintern maßgeblichen Erlass des Bundesministers für Inneres vom 24. September 1987, Zl. 6700/91-II/5/87 - sog. "Richtlinien über die Eigensicherung beim Einschreiten", insbes. deren Pkt.2.3. "Anlegen von Handschellen") Bestimmungen stellen somit lediglich § 4 des Waffengebrauchsgesetzes, BGBl. Nr. 149/1969, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. I 146/1999 (im Folgenden: WaffGebrG), einerseits und § 26 Abs.2 der Anhalteordnung, BGBl. Nr. II 128/1999 (im Folgenden: AnhO), dar.Wie sich insbesondere aus den §§ 1, 3 und 26 AnhO, aber auch aus dem Gesamtregelungszweck dieser Verordnung ergibt, bezieht sich diese lediglich auf das Verhältnis zwischen Aufsichtsorganen und Häftlingen, also Personen, die im Haftraum einer Behörde angehalten werden. Die Festnahme einer Person durch ein Sicherheitsorgan und deren Vorführung vor die Behörde selbst ist hingegen vom Anwendungsbereich der AnhO nicht umfasst. § 26 Abs.2 AnhO vermag daher im gegenständlichen Fall von vornherein keinen tauglichen Maßstab für die Prüfung der Frage der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Amtshandlung zu bilden. Im Hinblick auf Art.3 MRK einerseits und Art.18 Abs.1 B-VG andererseits ist diese Maßnahme sohin vielmehr ausschließlich unter dem Aspekt, ob die einschreitenden Organe ihr Vorgehen auf das WaffGebrG stützten konnten, zu prüfen. Nach § 4 WaffGebrG ist ein Waffengebrauch nur dann zulässig, wenn ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahmen, wie ua. die Anwendung von Körperkraft oder verfügbare gelindere Mittel - insbesondere Handfesseln -, ungeeignet scheinen oder sich als wirkungslos erwiesen haben. Aus § 9 WaffGebrG folgt, dass (Zwangs-)Mittel, deren Wirkung der einer Waffe gleichkommt, unter sinngemäßer Heranziehung der für den Einsatz von von Dienstwaffen maßgeblichen Bestimmungen angewendet werden dürfen (vgl. in diesem Sinne z.B. auch VfSlg 10247/1985, 466).In Verbindung mit § 2 WaffGebrG ergibt sich daraus insgesamt, dass das Anlegen von Handfesseln u.a. auch im Falle gerechter Notwehr zulässig ist (§ 2 Z1 WaffGebrG). Im gegenständlichen Fall erfolgte das Anlegen der Handfesseln zum Zwecke der Eigensicherung, nämlich deshalb, weil der erste Zeuge bereits zu Beginn der Fahrzeugkontrolle im KFZ des Erstbeschwerdeführers eine - objektiv nicht bereits ex ante als eher ungefährlich erkennbare - Gaspistole wahrgenommen hat. Daraus eine konkrete Gefahrensituation für die eigene körperliche Sicherheit des ersten Zeugen und jene seines Kollegen abzuleiten, erscheint auf Grund der konkreten Begleitumstände (Pistole, Verfolgungsjagd auf der Autobahn) nicht unvertretbar. Demnach ist es aber grundsätzlich auch nicht rechtswidrig, wenn die einschreitenden Beamten den Beschwerdeführern - davon, wie der zweite Zeuge bei der öffentlichen Verhandlung dargetan hat, ausgehend, dass diese nach oder vor der Begehung (auch) einer gerichtlich strafbaren Handlung betreten wurden - Handfesseln angelegt haben. Gleiches gilt für die (zunächst) gezückte(n) Dienstpistole(n). Der Umstand, dass die Rechtsmittelwerber von Anfang an keinen nennenswerten Protest dagegen erhoben haben, lässt zudem keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Umstandes aufkommen, dass den Beschwerdeführern die Handfesseln auch während ihres Transportes zum Wachzimmer belassen und dort über entsprechendes Ersuchen anstandslos abgenommen wurden. Anderes wäre hingegen dann anzunehmen, wenn die Art und Weise des Anlegens der Handfesseln oder der Drohung mit der Dienstpistole intentional darauf abgezielt hätte, die Würde der Beschwerdeführer als Mensch und/oder als Person zu beeinträchtigen. Den einzigen Anhaltspunkt in diese Richtung bildet das Vorbringen der Rechtsmittelwerber, dass die Handfesseln zu fest angezogen gewesen seien, was beim Erstbeschwerdeführer gravierende Verletzungsfolgen nach sich gezogen habe. Abgesehen davon, dass es diesem nicht gelungen ist, derartige Verletzungsfolgen schlüssig zu belegen (so konnten keine ärztlichen Gutachten beigebracht werden; den vorgelegten Fotos kommt kein substanzieller Beweiswert zu; etc.) - wobei in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen ist, dass er die naheliegendste Möglichkeit, nämlich eine dementsprechende Untersuchung durch den Polizeiarzt, gerade nicht ergriffen hat -, fällt dieses Beschwerdevorbringen primär in die Zuständigkeit der ordentlichen (Zivil- und Straf-)Gerichtsbarkeit. Selbst wenn man aber annähme, dass die behaupteten Verletzungsfolgen tatsächlich vorgelegen wären, ist damit noch nicht gleichzeitig auch darüber hinaus erwiesen, dass diese unter die Menschwürde gröblich beeinträchtigenden Umständen zugefügt wurden. Im Ergebnis war daher die gegenständliche Beschwerde insoweit als unbegründet abzuweisen. Selbst wenn diesbezüglich tatsächlich nichts verbal geäußert worden sein mag, kann hier kein Zweifel daran bestehen, dass in Gestalt der Verbringung der Beschwerdeführer in Handschellen auf das Polizeiwachzimmer eine rechtlich als Festnahme zu qualifizierende Maßnahme vorliegt.(Hingegen haben sich in der öffentlichen Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat keinerlei Hinweise dafür ergeben, dass es sich hierbei - wie von der belangten Behörde noch in ihrer Gegenschrift vertreten - um eine Vorführung iSd § 46 SPG gehandelt haben könnte; dieser Einwand wurde vom Behördenvertreter in der Verhandlung auch nicht mehr weiter aufrecht erhalten.)Objektiv besehen hätte diese zu Beginn der Amtshandlung nur auf Art.2 Abs.1 Z3 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988 (im Folgenden: PersFrSchG), iVm § 35 Z1 VStG gestützt werden können, weil der Erstbeschwerdeführer offenkundig zahlreiche Übertretungen der StVO als unmittelbarer Täter begangen hat; dem Zweitbeschwerdeführer eine entsprechende Beihilfe hiezu anzulasten, war gleichfalls zumindest nicht unvertretbar. Doch darf in diesem Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden, dass auch die behördliche Festnahmebefugnis gemäß Art.1 Abs.3 letzter Halbsatz PersFrSchG unter dem Regime des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes steht, und zwar derart, dass die persönliche Freiheit jeweils nur entzogen werden darf, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht. Dieses Prinzip wurde im gegenständlichen Fall offenkundig deshalb verletzt, weil es für die einschreitenden Organe nach dem Anlegen der Handschellen ein Leichtes gewesen wäre, die Identität der Beschwerdeführer festzustellen, waren sie doch spätestens ab diesem Zeitpunkt keiner akuten Eigengefährdung mehr ausgesetzt. Diesbezüglich hat sich jedoch in der mündlichen Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat ergeben, dass sich der erste Zeuge ohnehin den Führerschein des Erstbeschwerdeführers zeigen ließ bzw. ihm diesem selbst aus der Jacke gezogen hat. Damit lag aber der Festnahmegrund des § 35 Z1 VStG nicht mehr vor. Sollten die einschreitenden Sicherheitsorgane hingegen davon ausgegangen sein, dass die Festnahme deshalb gerechtfertigt gewesen wäre, um auf dem Wachzimmer einen Alkomattest durchführen zu können, so ist die belangte Behörde darauf zu verweisen, dass die StVO keine dementsprechende Ermächtigung erhält. Die Beschwerdeführer sind daher durch ihre zwangsweise Verbringung auf das Wachzimmer der Bundespolizeidirektion W am 21. Februar 2002 zwischen 15.40 Uhr und 17.30 Uhr in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.Dies hatte der Oö. Verwaltungssenat gemäß § 67c Abs.3 AVG festzustellen; im Übrigen war die Beschwerde hingegen als unbegründet abzuweisen.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten