TE Vwgh Erkenntnis 2005/1/28 2004/01/0476

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Veröffentlicht am 28.01.2005
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AVG §66 Abs1 idF 1998/I/158;
AVG §66 Abs2 idF 1998/I/158;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des M in G, geboren 1973, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. September 2004, Zl. 248.831/0-V/13/04, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 29.12.2003 nach Überquerung der March in Österreich aufgegriffene Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger des Sudan, beantragte im Zuge seiner Einvernahme durch die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf die Gewährung von Asyl. Im Zuge seiner einstündigen Einvernahme durch das Bundesasylamt am 23. März 2004 (unter Beziehung eines Dolmetschers für Arabisch) begründete er seinen Antrag wie folgt:

"Ich bin im Ostsudan aufgewachsen und habe dort auch gelebt. Die ganzen Bewohner des Ostsudan gehören zur Demokratischen Union. Der Führer ist Mohammad Osman El Margany.

Die regierende Partei ist die islamische Front, diese Partei behandelt alle Leute unserer Gegend als Parteimitglieder der Demokratischen Union, diese Leute werden sehr schlecht behandelt.

Ich war einmal im Klubgebäude der Partei der Demokratischen Union in meinem Wohnort. Da kamen vier Zivilpersonen herein und haben sie uns beleidigt und geschlagen. Sie haben dann mich und noch sechs Andere mitgenommen zur Sicherheitsbehörde, das war am 8.6.2001.

Sie haben mich dann beschimpft und geschlagen und andauernd

befragt, ich wurde ein Jahr festgehalten.

F: Waren diese Befragungen jeden Tag?

                                               A: Nein, es war so

jeden dritten oder vierten Tag.

     F: Was wurden denn Sie da gefragt?

                                                A: Ich wurde über

die Parteiaktivitäten gefragt. Meine Antwort war immer die gleiche, dass ich einfach hingegangen bin, um mir mit den anderen Anwesenden die Zeit zu vertreiben, ich war nicht einmal Parteimitglied.

Am 29.2.2002 haben sie mich dann laufen gelassen.

F: Waren Sie in dieser Zeit in einem Gefängnis?

                                         A: Nein, es war auch kein

Lager, einmal war ich alleine in einem Zimmer, dann waren wieder

mehrere Leute drinnen.

     F: Mussten Sie Arbeiten verrichten?

                                                 A: Nein.

Einmal haben wir zu Essen bekommen, dann wieder nicht. Wir schliefen auf dem Boden. Sie haben mich seelisch gequält, es war eine schwarze Zeit.

Ich habe keine Chance, irgendeinen Job zu kriegen. Ich blieb zu Hause.

     F: Was ist vom Februar 2002 bis zur Ausreise aus dem Sudan

passiert?                             A: Es ist nichts passiert,

gar nichts ist geschehen.

     F: Warum haben Sie sich dann entschlossen, das Land zu

verlassen?                              A: Ich habe Angst, dass

ich wieder in Haft komme.

Ich glaube, ich habe vorher einen Fehler gemacht und gesagt, dass ich am 10.6.2003 weggegangen bin aus dem Sudan, es war der 14.1.2003, da bin ich ausgereist.

     F: Was würde denn geschehen, wenn Sie nach Hause zurückfahren

müssten?           A: Das wäre eine Katastrophe.

     F: Wie meinen Sie das?

                                                           A: Ich

werde dort in größerer Gefahr sein als vorher.

     F: Haben Sie sich jemals politisch oder religiös betätigt?

                                       A: Nein, nein.

     F: Haben oder hatten Sie jemals ein Problem mit den Behörden

Ihres Heimatstaates?

                                                          A: Nein,

es war das erste Mal, dass ich in Haft genommen worden bin.

     F: Ich beende jetzt das Interview. Wollen Sie noch etwas

anführen, was Ihnen wichtig ist und Sie jetzt sagen wollen und wir

hier aufschreiben sollen?                   A: Ich bin seelisch

ganz kaputt, so wie wenn ich auf der Straße wäre und mit mir

selbst rede.

     F: Schaut jemand auf Ihre Eltern, wer sorgt für sie?

                                         A: Für meinen Vater ist

gut gesorgt, er hat mehrere Busse, die er vermietet, meine Brüder

arbeiten auch mit.

     F: Hat Ihr Vater bzw. haben Ihre Brüder auch dieselben

Probleme wie Sie?                     A: Alle Bewohner der Gegend

sind der Regierungspartei verdächtig."

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach dem Sudan" gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Es schenkte den Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen keinen Glauben und begründete dies im Wesentlichen damit, dass dem Beschwerdeführer zwar eine Belästigung und Schikanierung "aufgrund traditioneller Vorbehalte oder aber auch aus politisch-sozialen Ressentiments heraus" hätte widerfahren können, dass ihm aber kein Glauben geschenkt werden könne, wenn er behaupte, "als völlig unbedeutende und unbekannte Person" für ein Jahr quasi in Haft gehalten worden zu sein. Es sei wohl davon auszugehen, dass im angestammten Lebensumfeld des Beschwerdeführers bzw. in dörflichen Kleinstrukturen "jeder jeden kennt" und damit auch politisch Verantwortlichen bekannt sei, ob der Beschwerdeführer irgendwelche zweckdienlichen Hinweise "zu partei-internen Hintergründen" hätte liefern können oder nicht. Beachtlich erscheine auch, dass der Beschwerdeführer überhaupt nichts zu seiner Haft geschildert habe bzw. dass nur mit Mühe nach entsprechenden Nachfragen ansatzweise etwas zu den Haftbedingungen in Erfahrung habe gebracht werden können. Eine rund einjährige völlig unvermutete Anhaltung samt entsprechenden Misshandlungen hinterlasse (nämlich) erfahrungsgemäß psychische und physische Spuren, weshalb "solche Menschen" nicht nur fähig seien, genaue Schilderungen zu diesem ungewöhnlichen Lebensabschnitt zu machen, sondern auch nicht in der Lage seien, "nonverbale Kommunikationsmechanismen" zu unterdrücken. Von alledem sei beim Beschwerdeführer nichts zu bemerken gewesen, er habe vielmehr den Eindruck erweckt, "einfach irgendeine Geschichte ohne jeglichen Realitätswert" zu erzählen. Ungewöhnlich sei auch, dass "sodann" bis zur Ausreise aus dem Sudan nichts geschehen sein solle; es habe offenbar keinen konkreten unmittelbaren Anlass zum Verlassen der Heimat gegeben. In diesem Zusammenhang erscheine die vom Beschwerdeführer ohne jeglichen Zusammenhang in den Raum gestellte Aussage bemerkenswert, er hätte "keine Chance einen Job zu kriegen". Dies scheine der wahre Grund für das Verlassen der Heimat zu sein.

Bezogen auf die politischen Verhältnisse im Sudan stellte das Bundesasylamt ua. fest, dass Mohammed Osman al-Mirghani als Chef der traditionell proägyptischen Democratic Unionist Party Mitbegründer des sudanesischen Oppositionsbündnisses National Democratic Alliance (NDA) gewesen sei. Dieses Oppositionsbündnis sei bestrebt, die Diktatur durch eine Allparteienregierung zu ersetzen und in einer Interimsperiode eine demokratische Verfassung ausarbeiten zu lassen. Im Übrigen werden in diesem Zusammenhang im erstinstanzlichen Bescheid die anderen Führer des Oppositionsbündnisses und der Gang des Friedensprozesses dargestellt. Mangels Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers - so das Bundesasylamt rechtlich - komme weder die Gewährung von Asyl noch die Einräumung von Abschiebeschutz in Betracht.

Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid des Bundesasylamtes Berufung, in der er die erstinstanzliche Beweiswürdigung als mangelhaft rügte und vorbrachte, dass seine Einvernahme sehr kurz gewesen sei und er seine Fluchtgründe nicht vollständig und ausführlich habe vorbringen können. Näheres werde in einer - in der Folge jedoch nicht erstatteten - Berufungsergänzung nachgeholt werden. Außerdem werde die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragt.

Mit Bescheid vom 23. September 2004 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß §§ 7, 8 AsylG - ohne Durchführung der beantragten Verhandlung - ab. Sie führte aus, dass der Beschwerdeführer im Rahmen des Berufungsschriftsatzes keine konkreten Verfahrensrügen erhoben und keine neuen Sachverhaltselemente in das Verfahren eingeführt habe. Es seien damit keine Indizien aufgezeigt worden, dass das erstinstanzliche Ermittlungsverfahren mangelhaft gewesen bzw. die Beweiswürdigung und rechtliche Qualifizierung des Bundesasylamtes rechtlich verfehlt wären. Die belangte Behörde schließe sich daher der Beweiswürdigung sowie der rechtlichen Einordnung des vorliegenden Sachverhaltes durch die Erstbehörde vollinhaltlich an und erkläre die bezughabenden Passagen des erstinstanzlichen Bescheides zum Inhalt ihres Bescheides, weshalb die Berufung abzuweisen gewesen sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Der Beschwerdeführer ist im Recht, wenn er das erstinstanzliche Verfahren und den erstinstanzlichen Bescheid als mangelhaft erachtet. Schon seine (offenkundig unter Einschluss der Erhebung seiner persönlichen Daten) bloß einstündige Einvernahme durch das Bundesasylamt erweist sich als oberflächlich, lässt sich doch ausgehend von der in den Verwaltungsakten erliegenden Niederschrift nicht erkennen, dass das vom Beschwerdeführer geschilderte Vorbringen im Einzelnen näher hinterfragt worden wäre. So blieb beispielsweise unerörtert, wo der Beschwerdeführer angehalten wurde, welche Leute sich mit ihm im "Zimmer" befanden, wie sich die Befragungen im Detail gestalteten oder welche Misshandlungen der Beschwerdeführer zu erleiden hatte. Dass davon ausgehend jene beweiswürdigenden Überlegungen im erstinstanzlichen Bescheid, wonach nur mit Mühe nach entsprechenden Nachfragen etwas zu den Haftbedingungen habe in Erfahrung gebracht werden können, nicht tragfähig sind, versteht sich von selbst. Die in diesem Zusammenhang ergänzend angeführte "Erfahrungstatsache", dass eine rund einjährige völlig unvermutete Anhaltung - beim Beschwerdeführer nicht feststellbare - psychische und physische Spuren hinterlasse, vernachlässigt seine Aussage, wonach er "seelisch ganz kaputt" sei, welche die erstinstanzliche Behörde ebenfalls ohne jegliche Reaktion im Raum stehen ließ.

Dem Bundesasylamt ist weiter anzulasten, dass es keine erkennbaren Ermittlungen dahingehend tätigte, ob Vorfälle in der vom Beschwerdeführer geschilderten Art - bezogen auf die von ihm behauptete Herkunftsregion und den vorgebrachten politischen Hintergrund - in Berichten über die Verhältnisse im Sudan Niederschlag finden (vgl. zur diesbezüglichen Verpflichtung der Asylbehörden etwa das hg. Erkenntnis vom 18. April 2002, Zl. 2001/01/0023). Angesichts dieses Versäumnisses entbehrt die im erstinstanzlichen Bescheid aufgestellte These, es sei unglaubwürdig, dass der Beschwerdeführer "als völlig unbedeutende und unbekannte Person" für ein Jahr angehalten worden sei, einer nachvollziehbaren Grundlage.

Nach dem Gesagten durfte sich die belangte Behörde keinesfalls mit einem Verweis auf den erstinstanzlichen Bescheid begnügen. Sie wäre vielmehr - so sie nicht ein Vorgehen nach § 66 Abs. 2 AVG in Erwägung ziehen wollte (siehe dazu grundlegend die hg. Erkenntnisse je vom 21. November 2002, Zl. 2000/20/0084, und 2002/20/0315) - zur Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung verpflichtet gewesen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2004, Zl. 2003/01/0299).

Da nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Durchführung der gebotenen Berufungsverhandlung und Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers in Verbindung mit der Berichtslage betreffend Vorfälle der behaupteten Art zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 28. Jänner 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004010476.X00

Im RIS seit

03.03.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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