TE OGH 1982/9/16 13Os109/82

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Veröffentlicht am 16.09.1982
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.September 1982

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Horak, Dr. Schneider und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Müller-Dachler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Michael A wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1

StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Bezirksgerichts Liesing vom 23.November 1981, GZ. U 1533/81-8, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Hörburger, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalts Dr. Kodek, zu Recht erkannt:

Spruch

1. Die faktische Einbeziehung des Verfahrens 18 U 355/80 des Jugendgerichtshofs Wien in das Verfahren U 1533/81 des Bezirksgerichts Liesing zur Straffestsetzung gemäß § 13 Abs. 2 JGG. ohne einen diesbezüglichen Antrag des öffentlichen Anklägers und ungeachtet der Unzuständigkeit des Bezirksgerichts Liesing hiefür verletzt die Bestimmungen des § 46 Abs. 4 JGG. und des § 56 Abs. 3 StPO 2. Der Strafausspruch im Urteil des Bezirksgerichts Liesing vom 23. November 1981, GZ. U 1533/81-8, womit die zu 18 U 355/80 des Jugendgerichtshofs Wien von Michael A verwirkte Strafe gesondert mit zwanzig Tagessätzen zu je 60 (sechzig) Schilling, im Nichteinbringungsfall mit zehn Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, festgesetzt wurde, verletzt die Bestimmungen des § 46 Abs. 4 JGG. und des § 28 Abs. 1 StGB Das Urteil des Bezirksgerichts Liesing vom 23. November 1981, GZ. U 1533/81-8, das im übrigen (nämlich im Schuldspruch wegen der am 18.Juni 1981 verübten Vergehen nach § 83 Abs. 1 StGB und nach § 36 Abs. 1 lit. b WaffenG.

und im Strafausspruch wegen dieser Taten (30 Tagessätze zu je 100 S, im Uneinbringlichkeitsfall 15 Tage Freiheitsstrafe) sowie in den Aussprüchen über die Einziehung eines Springmesser nach § 26 StGB und die Kostenersatzpflicht gemäß § 389 StPO) unberührt bleibt, wird in dem vorstehend (zu 2) angeführten Strafausspruch aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Jugendgerichtshofs Wien vom 20.Juni 1980, GZ. 18 U 355/80-5, wurde der am 7.August 1963 geborene Kfz-Mechanikerlehrling Michael A nach einer in seiner und seiner Mutter Gegenwart durchgeführten Hauptverhandlung des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Gemäß § 13 JGG. wurden der Ausspruch und die Vollstreckung der deshalb zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von zwei Jahren vorläufig aufgeschoben. Dieses Urteil wurde am 26.August 1980 dem Vater des Jugendlichen zugestellt (Rückschein bei S. 25) und ist daher mit Ablauf des 29.August 1980 (in der Endverfügung ON. 6 unrichtig mit 10.September 1980 angegeben) in Rechtskraft erwachsen. In Kenntnis einer neuerlichen Verurteilung des Jugendlichen am 8.Mai 1981 zu 18 U 155/81 des Jugendgerichtshofs Wien wegen Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Geldstrafe (siehe die Verständigung gemäß § 7 StRegG., ON. 9 in 18 U 355/80 des Jugendgerichtshofs Wien) sah die Staatsanwaltschaft von der Stellung eines Straffestsetzungsantrags (§ 13 Abs. 2 JGG.) ab (ON. 8 des zuletzt zitierten Akts). Am 18.Juni 1981 beging Michael A weitere Straftaten und wurde deshalb der Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof Wien angezeigt, wo die Anzeige am 7.August 1981 einlangte (S. 15 im Akt U 1533/81 des Bezirksgerichts Liesing). Da Michael A mittlerweile das 18. Lebensjahr vollendet hatte, beantragte die Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof Wien am 11.August 1981 die Abtretung des Verfahrens an das Bezirksgericht Liesing (S. 1/2 in U 1533/81 des Bezirksgerichts Liesing). Der Tatsache der noch offenen Probezeit in dem Verfahren 18 U 355/80 des Jugendgerichtshofs Wien trug die Staatsanwaltschaft weder durch einen Antrag auf Verbindung des neuen Akts mit diesem Verfahren und auf Straffestsetzung zum Schuldspruch vom 20.Juni 1980 noch durch die Erklärung, daß die Festsetzung der verwirkten Strafe derzeit nicht begehrt werde, Rechnung. Nach der Abtretung an das Bezirksgericht Liesing beantragte der dortige Bezirksanwalt am 29.September 1981

die Bestrafung des (zur Tatzeit - 18.Juni 1981 - noch jugendlichen) Beschuldigten nach § 83 Abs. 1 StGB und § 36 Abs. 1 lit. b WaffenG. unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des Jugendgerichtsgesetzes sowie die Einziehung des sichergestellten Springmessers nach § 26 StGB (S. 1 b in U 1533/81 des Bezirksgerichts Liesing). Das Bezirksgericht Liesing setzte die Hauptverhandlung für den 23. November 1981 an und dehnte - ohne (ersichtliche) Beischaffung der Akten 18 U 355/80 des Jugendgerichtshofs Wien und ohne förmliche Beschlußfassung nach § 56 StPO - das Verfahren auf die Festsetzung der im letztzitierten Verfahren verwirkten Strafe aus. Mit dem zunächst gemäß § 458 Abs. 2 StPO in Form eines Protokolls- und Urteilsvermerks beurkundeten, auf Antrag der Staatsanwaltschaft erst später (mit unrichtigem Datum) unter ON. 11 ausgefertigten Urteil vom 23.November 1981, GZ. U 1533/81-8, fällte das Bezirksgericht Liesing einen Schuldspruch im Sinn des Strafantrags und verhängte über Michael A wegen der am 18.Juni 1981 begangenen Straftaten, offenbar nach § 83 Abs. 1 StGB, unter Bedachtnahme auf § 28 StGB und 'unter Anwendung des JGG.' eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 100 S, im Fall der Uneinbringlichkeit 15 Tage Ersatzfreiheitsstrafe. Darüber hinaus setzte der Bezirksrichter - nach dem Vorgesagten ohne einen darauf zielenden Antrag des öffentlichen Anklägers - die zu 18 U 355/80 des Jugendgerichtshofs Wien verwirkte Strafe mit weiteren 20 Tagessätzen zu je 60 S (10 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) fest. Dieses Urteil erwuchs in Rechtskraft. Eine Verständigung des Jugendgerichtshofs Wien von der faktischen Einbeziehung des Verfahrens 18 U 355/80 und der Straffestsetzung unterblieb.

Rechtliche Beurteilung

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde sodann dem Vater des Beschuldigten als dessen gesetzlichem Vertreter eine Urteilsausfertigung zugestellt (Rückschein bei ON. 11 in U 1533/81 des Bezirksgerichts Liesing). Dies war allerdings verfehlt, weil die Sondervorschriften über die Verteidigung und die Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters (§ 38, 39 JGG.) nur bei einem jugendlichen Beschuldigten Anwendung finden, also einem solchen, der zur Zeit des konkreten prozessualen Vorgangs das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (JBl. 1972 S. 437, 438 u.a.). Da der gesetzliche Vertreter indes kein Rechtsmittel anmeldete, hatte diese ungesetzliche Zustellung keine weiteren Auswirkungen.

Die Geldstrafen wurden bisher nicht bezahlt und die richterliche Verfügung ihrer Einhebung (S. 38) nicht durchgeführt. Im Verfahren U 1533/81 des Bezirksgerichts Liesing wurde das Gesetz in mehrfacher Beziehung verletzt:

Zunächst war es gesetzwidrig, die Verhandlung und die Entscheidung ohne einen dahin zielenden Antrag des öffentlichen Anklägers und ohne eine förmliche Einbeziehung des Verfahrens 18 U 355/80 des Jugendgerichtshofs Wien gemäß § 56 StPO auf die Straffestsetzung in diesem Verfahren auszudehnen. Nach dem klaren Wortlaut des § 46 Abs. 4 JGG. hängt die Festsetzung der durch Zwischenurteil verwirkten Strafe nach § 13 Abs. 2 JGG.

von einem diesbezüglichen Antrag des Staatsanwalts ab. überdies wäre das Bezirksgericht Liesing für die Straffestsetzung im Verfahren 18 U 355/80 des Jugendgerichtshofs Wien selbst bei Vorliegen eines Antrags des Staatsanwalts nicht zuständig gewesen, weil bei Vereinigung beider Strafsachen gemäß § 56 Abs. 3 StPO die spezielle Zuständigkeit des Jugendgerichtshofs den Ausschlag gegeben hätte (dazu u.a. LSK. 1979/387). Mit dem eingehaltenen Vorgang verletzte das Bezirksgericht Liesing daher die Bestimmungen des § 46 Abs. 4 JGG. und des § 56 Abs. 3 StPO Aber auch im Fall einer zulässigen Verbindung der Verfahren über die neue Straftat und zur Festsetzung der im früheren Verfahren verwirkten Strafe gemäß § 56 StPO wäre im Urteil sodann - bei Stattgebung des Straffestsetzungsantrags - unter Bedachtnahme auf § 28 Abs. 1 StGB als einzige Strafe zu verhängen gewesen. Die vorliegend vom Bezirksgericht Liesing kumulierende Verhängung von zwei Geldstrafen (mit unterschiedlichen Tagessätzen) und von zwei Ersatzfreiheitsstrafen verstieß gegen die letztzitierte Bestimmung. Der das Bezirksgericht Liesing bei dieser Vorgangsweise anscheinend bestimmende Gedanke, die Höhe des Tagessatzes müßte bei der nachträglich festgesetzten Strafe auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten zur Zeit jener Hauptverhandlung, in der gegen ihn der Schuldspruch (des Jugendgerichtshofs) ergangen ist, Bedacht nehmen, findet im Gesetz keine Deckung; denn gemäß § 19 Abs. 2 StGB ist der Tagessatz nach den persönlichen Verhältnissen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Rechtsbrechers im Zeitpunkt des Urteils erster Instanz zu berechnen, womit jenes Urteil gemeint ist, mit dem die Strafe verhängt wird, und nicht etwa ein Zwischenurteil, das lediglich einen Schuldspruch enthält, die Straffrage aber dem Grund und der Höhe nach offen läßt. Nur der Vollständigkeit halber sei auch noch darauf hingewiesen, daß im Fall einer zulässigen Straffestsetzung die Herstellung eines Protokolls- und Urteilsvermerks an Stelle eines Hauptverhandlungsprotkolls und einer Urteilsausfertigung jedenfalls unzulässig gewesen wäre, weil § 458 Abs. 2 StPO zu jenen Bestimmungen zählt, die nach § 36 JGG. in Jugendstrafsachen, also abgestellt auf das (jugendliche) Alter des Beschuldigten zur Zeit der Einleitung des Verfahrens (§ 1 Z. 4 JGG.) - und nicht zur Zeit der jeweiligen Prozeßhandlung - nicht anzuwenden sind.

Zusammenfassend ergibt sich: Der ohne Straffestsetzungsantrag des öffentlichen Anklägers (§ 46 Abs. 4 JGG.) gefällte Strafausspruch des Bezirksgerichts Liesing (Straffestsetzung) ist gemäß § 468 Abs. 1 Z. 4, 281 Abs. 1 Z. 11 StPO nichtig. Er verletzt überdies die Bestimmungen des § 28 StGB sowie des § 56 Abs. 3 StPO und war - als sich zum Nachteil des Beschuldigten auswirkend (§ 292 StPO) - aufzuheben.

Anmerkung

E03851

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1982:0130OS00109.82.0916.000

Dokumentnummer

JJT_19820916_OGH0002_0130OS00109_8200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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