TE Vwgh Erkenntnis 2008/5/15 2006/09/0194

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Veröffentlicht am 15.05.2008
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;

Norm

BDG 1979 §114 Abs1;
BDG 1979 §92 Abs1 Z4;
BDG 1979 §93 Abs1;
BDG 1979 §95 Abs1;
BDG 1979 §95 Abs2;
BDG 1979 §95 Abs3;
MRK Art6 Abs1;
StGB §32 Abs1;
StGB §32 Abs2;
StGB §32;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des WM, vertreten durch Dr. Hermann Rieder, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Stiftgasse 23, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 26. April 2006, Zl. 5/8-DOK/06, betreffend Disziplinarstrafe der Entlassung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stand als Bezirksinspektor in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 8. November 2005 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe

"am 20.06.2005 und am 05.07.2005 in G. als Polizeibeamter mit dem Vorsatz, den Staat an seinem konkreten Recht auf Durchführung von unangekündigten und zweckentsprechenden behördlichen Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen der Gewerbeordnung und des Landes-Polizeigesetzes zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er I. P. als Betreiberin des 'Entspannungsstudios' G., HNr. xx, jeweils von Terminen für eine bevorstehende behördliche Kontrolle nach der Gewerbeordnung und dem Landes-Polizeigesetz in ihrem Entspannungsstudio, welche in seinem und im Beisein anderer Beamter vorgenommen werden sollte, verständigte und dadurch eine unangekündigte und zweckentsprechende Kontrolle verhinderte.

Der Beschwerdeführer hat hiedurch begangen das Verbrechen des Missbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und wird hiefür gemäß § 302 Abs 1 StGB in Anwendung des § 43 a Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 6 (sechs) Monaten

und zu einer Geldstrafe in der Höhe von

360 (dreihundertsechzig) Tagessätzen

im Uneinbringlichkeitsfall 180 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

sowie gemäß § 389 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.

Die Höhe des einzelnen Tagsatzes wird mit EUR 5,-- bestimmt, sodass die gesamte Geldstrafe EUR 1.800,-- beträgt.

Gemäß § 43 Abs 1 StGB wird die Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von 3 (drei) Jahren

bedingt nachgesehen."

(Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof).

Das Gericht begründete sein Urteil u.a. damit, dass der Beschwerdeführer in dem Wissen gehandelt habe, dass er durch sein Verhalten den Staat schädige, da der Zweck unangemeldeter Kontrollen durch die Mitteilung an die Betroffene zweifellos vereitelt worden sei. Der Beschwerdeführer habe gewusst, dass er durch sein Verhalten seine Befugnis zur Durchführung von unangemeldeten und zweckentsprechenden Kontrollen missbrauche und er habe es zumindest ernsthaft für möglich gehalten und sich damit abgefunden, dass der Staat dadurch an seinem konkreten Recht auf Durchführung von unangekündigten und zweckentsprechenden Kontrollen geschädigt werde.

Mit Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres vom 29. Dezember 2005 wurde der Beschwerdeführer wie folgt für schuldig erkannt (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

"RI M. ist schuldig Dienstpflichten gemäß § 91 BDG 1979 begangen zu haben. Er hat als Beamter der PI G. am 20. Juni 2005

(1.) und am 5. Juli 2005 (2.) das Verbrechen des Missbrauches der Amtsgewalt begangen, indem er I. P. als Betreiberin des 'Entspannungsstudios' G., von Terminen für eine bevorstehende behördliche Kontrolle verständigt und dadurch einen unangekündigte und zweckentsprechende Kontrolle verhindert hat. Weiters hat RI M. nicht - obwohl er von den fortwährenden Übertretungen nach dem § 14 des Landespolizeigesetzes sowie der Gewerbeordnung im Entspannungsstudio in Kenntnis war - und trotz dienstlicher Wahrnehmungen - die erforderlichen Maßnahmen zur Einleitung und Durchführung von Verwaltungsstrafverfahren durchgeführt bzw. veranlasst (3.). Schließlich hat er in der Zeit vom Dezember 2004 bis Juni 2005 fünf Mal das Entspannungsstudio von I.P. am Brenner besucht. Dabei hat er sich am Körper massieren und sexuell befriedigen lassen, obwohl er wusste, dass dies den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung nach § 14 Landespolizeigesetz sowie der Gewerbeordnung erfüllt (4.).

Gemäß § 126 Abs. 2 BDG 1979 in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Ziffer 4 BDG 1979 wird über den Beschuldigten M. die Disziplinarstrafe der ENTLASSUNG verhängt."

Zur Begründung führte die Disziplinarkommission im Wesentlichen aus, zum "disziplinären Überhang" werde nur kurz ausgeführt, dass - insoweit eine Ahndung des Verhaltens gemäß § 43 Abs. 2 BDG 1979 in Betracht komme - ein disziplinärer Überhang im Sinne des § 95 BDG 1979 immer vorliegen werde. Gerade diese Bestimmung enthalte nämlich mit ihrem Abstellen auf das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung dienstlicher Aufgaben einen spezifisch dienstrechtlichen Aspekt, der von keinem Tatbestand eines anderen Strafrechtsbereiches wahrgenommen werde. Die Disziplinarstrafe der Entlassung sei wesentlich eine dienstrechtliche Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Frage des durch die Verfehlung eingetretenen Vertrauensverlustes stehe im Vordergrund. Der Beschwerdeführer habe durch sein zweimaliges Verraten von geplanten Amtshandlungen gravierende Dienstpflichtverletzungen begangen, die im Hinblick auf § 93 Abs. 1 BDG 1979 durchaus zu den schwersten Verfehlungen, die ein Polizeibeamter im Hinblick auf seine dienstlichen Obliegenheiten begehen könne, zu zählen sei. Es sei ein großer Vertrauensverlust eingetreten und eine derartige Verfehlung sei jederzeit wieder möglich, obwohl der Schock beim Beschwerdeführer sicherlich tief sitzen werde. Das Bundespolizeikommando Innsbruck gehe nicht von einer Besserungsfähigkeit aus.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er habe die Leistungen des Entspannungsstudios weder dienstlich in Anspruch genommen noch habe er im Sinne des § 14 des Tiroler Landes-Polizeigesetzes Handlungen gesetzt, die auch nur im Entferntesten als tatbildlich im Sinne dieser Gesetzesstelle bezeichnet hätten werden können. Hinsichtlich der Spruchpunkte 1. und 2. wandte sich der Beschwerdeführer im Wesentlichen gegen die Verhängung der Disziplinarstrafe der Entlassung und führte u.a. aus, dass eine Ankündigung von Radarkontrollen mittlerweile im Rundfunk stattfinde, ein Qualitätsunterschied zwischen Kontrollen nach § 14 des Tiroler Landes-Polizeigesetzes und § 52 Z. 10a StVO bestehe daher nicht in dem Ausmaß wie dies die Behörde erster Instanz angeführt habe, dem Beschwerdeführer könne nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe Informationen aus einem Kernbereich seiner Tätigkeit als Beamter weitergegeben.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 26. April 2006 wurde die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen und das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis bestätigt. Die belangte Behörde führte in der Begründung des angefochtenen Bescheides nach Darstellung des Verfahrensganges und von Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, es stehe fest, dass der Beschwerdeführer mit dem rechtskräftigen Strafurteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 8. November 2005 des Amtsmissbrauches nach § 302 StGB für schuldig erkannt worden sei und zu einer Geldstrafe von EUR 1.800,-- und einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt worden sei. Nach § 95 Abs. 2 BDG 1979 sei die Disziplinarbehörde an den einem rechtskräftigen Strafurteil zu Grunde liegenden Sachverhalt gebunden. Diese Bindung erstrecke sich auch auf die Feststellungen zur subjektiven Tatseite, dies gelte auch für die Frage der Schuldfähigkeit bzw. Verringerung der Zurechnungsfähigkeit und des Grades des Verschuldens. Die Einholung eines diesbezüglichen Sachverständigengutachtens sei daher nicht erforderlich und die belangte Behörde habe sich im vorliegenden Fall weder mit Sachverhalts- noch mit Schuldfragen auseinander zu setzen und kein Beweisverfahren durchzuführen. Es sei nur noch auf die Strafbemessung einzugehen.

Für die Schwere der Dienstpflichtverletzung sei maßgeblich, in welchem objektiven Ausmaß gegen Standes- oder Amtspflichten verstoßen oder der Dienstbetrieb beeinträchtigt worden sei (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1975, VwSlg. 8853/A). Die belangte Behörde führte aus, dass der maßgebliche Focus des Disziplinarrechts überwiegend in der Aufrechterhaltung und Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen und korrekten Dienstbetriebes liege. Durch die Disziplinarstrafen solle der der Disziplinargewalt Unterworfene entweder an seine Dienstpflichten gemahnt und angehalten werden, diese künftig zuverlässig zu erfüllen, oder, wenn er in seinem Dienstverhältnis schuldhaft untragbar geworden sei, im Wege der Entlassung aus dem Dienstverhältnis entfernt werden. Mit der dem Disziplinarrecht zukommenden Ordnungsfunktion solle einer durch ein Dienstvergehen (Dienstpflichtverletzung) verursachten Störung des beamtenrechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses mit dem Ziel begegnet werden, die "Sauberkeit" und die Leistungsfähigkeit des Beamtentums zu erhalten und sein Ansehen zu wahren. Die Wahrung der Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich dienstlicher Informationen durch Exekutivbedienstete, die in sämtlichen Bereichen ihrer Tätigkeit mit Amtsgeheimnissen zu tun hätten, sei oberstes Gebot zur Aufrechterhaltung des Dienstes. Der Beschwerdeführer habe mit den ihm gegenständlich angelasteten Vorgangsweisen (Verraten von Amtshandlungen) das ihm vom Dienstgeber entgegen gebrachte Vertrauen gröblich verletzt und damit gegen die ihm auferlegten Dienstpflichten in schwer wiegender Weise verstoßen. Durch sein Verhalten sei das Vertrauen der Allgemeinheit in seine Dienstführung erschüttert und die ihm angelasteten Verfehlungen seien als Dienstpflichtverletzungen im Sinne des § 43 Abs. 2 BDG 1979 zu werten gewesen. Daher sei durchaus von der Notwendigkeit einer zusätzlichen disziplinären Bestrafung im Sinne des § 95 Abs. 3 BDG 1979 auszugehen gewesen. Wie der Verwaltungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen habe, liege - soweit eine Ahndung des Verhaltens gemäß § 43 Abs. 2 BDG 1979 in Betracht komme - ein "disziplinärer Überhang" immer vor, weil diese Bestimmung des BDG 1979 auf einen spezifisch dienstrechtlichen Aspekt abstelle, der von keinem Tatbestand eines anderen Strafrechtsbereiches wahrgenommen werde. Der nach § 43 Abs. 2 BDG 1979 wesentliche Gesichtspunkt der Vertrauenswahrung sei ein spezifisch dienstrechtlicher und werde bei der Verhängung von gerichtlichen Strafen nicht berücksichtigt. Dies treffe auch bei Verurteilung wegen "echter Beamtendelikte" (z.B. dem Amtsmissbrauch) zu (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 17. Jänner 2000, Zl. 97/09/0026, u.a.).

Ein Beamter, der dienstliche Informationen verrate und dadurch behördliche Kontrollmaßnahmen vereitle, sei grundsätzlich als Beamter nicht mehr tragbar, weil durch eine derartige Vorgangsweise das Vertrauensverhältnis zu seinen Vorgesetzten und der Allgemeinheit zerstört werde. Habe der Beamte - wie hier - durch sein Verhalten das Vertrauen des Dienstgebers in ihn zerstört und sei er damit in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis objektiv untragbar geworden, so sei mit Entlassung vorzugehen. In diesem Fall könne die sich aus spezialpräventiven Erwägungen ergebene Wahrungs-, Besserungs- und Sicherungsfunktion einer Disziplinarstrafe nicht zum Tragen kommen. Eine nähere Erörterung hinsichtlich des Vorliegens allfälliger Milderungsgründe erübrige sich daher. Sei nämlich unter Bedachtnahme auf die Schwere der Dienstpflichtverletzung und die daraus entstandenen Nachteile die "Untragbarkeit" des Beschwerdeführers für seinen Dienstgeber gegeben, so könne anderen Strafzumessungsgründen keine für die Frage der Strafbemessung ausschlaggebende Bedeutung mehr zukommen. Die Disziplinarstrafe der Entlassung bezwecke, dass sich die Dienstbehörde von einem Beamten, der sich infolge seines Fehlverhaltens untragbar gemacht habe, unter Auflösung des Beamtendienstverhältnisses trennen könne. Nur die im Fehlverhalten des Beamten offenbar gewordene Untragbarkeit, die es der Dienstbehörde unzumutbar mache, das Dienstverhältnis mit dem Beamten fortzusetzen, dürfe Grund für die Verhängung der Disziplinarstrafe der Entlassung sein. Damit bewirke die Entlassung zugleich die "Reinigung" der Beamtenschaft von einem Organwalter, der sich nicht mehr als würdig erwiesen habe, ihr weiterhin anzugehören. Vertrage die Funktion der Exekutive die Weiterbeschäftigung eines Beamten nicht mehr, dann auch nicht teilweise oder an einem anderen Dienstort oder in einer anderen Verwendung. Naturgemäß komme der Disziplinarstrafe der Entlassung keine Erziehungsfunktion in Bezug auf den Beamten zu, sie sei vielmehr als Instrument des so genannten "Untragbarkeitsgrundsatzes" zu sehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete und von diesem mit Beschluss vom 25. September 2006, B 1326/06-5, abgelehnte und dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 43 Abs. 1 BDG 1979 ist der Beamte verpflichtet, seine dienstlichen Aufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung treu, gewissenhaft und unparteiisch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus eigenem zu besorgen.

Gemäß § 91 BDG 1979 ist der Beamte, der schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt, nach diesem Abschnitt (das ist der 8. Abschnitt "Disziplinarrecht") zur Verantwortung zu ziehen.

Als Disziplinarstrafen sieht § 92 Abs. 1 BDG 1979 vor:

     1.        den Verweis,

     2.        die Geldbuße bis zur Höhe eines halben Monatsbezugs

unter Ausschluss der Kinderzulage,

     3.        die Geldstrafe bis zur Höhe von fünf Monatsbezügen

unter Ausschluss der Kinderzulage, und

     4.        die Entlassung.

Gemäß § 93 Abs. 1 BDG 1979 ist das Maß für die Höhe der Strafe die Schwere der Dienstpflichtverletzung. Dabei ist jedoch darauf Rücksicht zu nehmen, inwieweit die beabsichtigte Strafhöhe erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten. Die nach dem Strafgesetzbuch für die Strafbemessung maßgebenden Gründe sind dem Sinn nach zu berücksichtigen; weiters ist auf die persönlichen Verhältnisse und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beamten Bedacht zu nehmen.

Gemäß § 95 Abs. 1 BDG 1979 ist von der Verfolgung abzusehen, wenn der Beamte wegen einer gerichtlich oder verwaltungsbehördlich strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt wurde und sich die Dienstpflichtverletzung in der Verwirklichung des strafbaren Tatbestandes erschöpft, wenn anzunehmen ist, dass die Verhängung einer Disziplinarstrafe nicht erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten.

Nach dem Abs. 2 des § 95 BDG 1979 ist die Disziplinarbehörde an die dem Spruch eines rechtskräftigen Urteils zu Grunde gelegte Tatsachenfeststellung eines Strafgerichtes gebunden.

Wird von der Verfolgung nicht abgesehen, dann ist gemäß § 95 Abs. 3 BDG 1979, wenn sich eine strafgerichtliche oder verwaltungsbehördliche Verurteilung auf denselben Sachverhalt bezieht, eine Strafe nur auszusprechen, wenn und soweit dies zusätzlich erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten.

     Gemäß § 125a Abs. 3 BDG 1979 in der Fassung BGBl. I

Nr. 123/1998 kann von der Durchführung einer mündlichen

Verhandlung vor der Disziplinaroberkommission ungeachtet eines

Parteienantrages Abstand genommen werden, wenn

     1.        die Berufung zurückzuweisen ist,

     2.        die Angelegenheit an die erste Instanz zu verweisen

ist,

     3.        ausschließlich über eine Berufung gegen die

Auferlegung eines Kostenersatzes zu entscheiden ist,

     4.        sich die Berufung ausschließlich gegen die

Strafbemessung richtet, oder

     5.        der Sachverhalt nach der Aktenlage in Verbindung

mit der Berufung geklärt erscheint.

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen deswegen für rechtswidrig, weil darin nur eine formelhafte Scheinbegründung gegeben werde und nicht nachvollziehbar dargelegt werde, weshalb die schwerste Disziplinarstrafe verhängt worden sei. Die belangte Behörde habe vor allem die situationsbedingte Singularität der aus der Konfliktsituation, in welcher sich der Beschwerdeführer angesichts seines besonderen Verhältnisses zur Betreiberin des Massagesalons befunden habe, nicht beachtet, sodass die Strafzumessung nicht im gesetzlichen Rahmen der Schuld erfolgt sei. Der Beschwerdeführer meint auch, Art. 6 EMRK sei verletzt, weil die belangte Behörde nicht selbst über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und in Verkennung der Bindungswirkung der strafgerichtlichen Beurteilung der Schuldfrage vorgegangen sei. Die belangte Behörde hätte zu dem Ergebnis kommen müssen, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem Dienstgeber und ihm nicht zerstört sei, er habe über lange Zeit und bei zwei verschiedenen Wachkörpern, nämlich bei der Sicherheitswache des Bundes und der Zollwache tadelsfrei seinen Dienst verrichtet. Die Dienstbehörde sei seinen über die Jahre immer wieder gestellten Anträgen, ihn in seinen Wohnortbezirk L. zu versetzen, nicht nachgekommen, so sei es zu erklären, dass er im Sinne einer Gelegenheitstat seiner damaligen Situation im Zusammenhang mit dem Entspannungsstudio nicht gewachsen gewesen sei.

Zwar teilt der Verwaltungsgerichtshof nicht die im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK und das darin grundgelegte Prinzip eines fairen Verfahrens geäußerten Bedenken des Beschwerdeführers gegen die in § 95 Abs. 2 BDG 1979 normierte Bindung der Disziplinarkommission an die dem Spruch eines rechtskräftigen Urteils zu Grunde gelegte Tatsachenfeststellung eines Strafgerichtes. Selbst dann, wenn man davon ausginge, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK auf das vorliegende Disziplinarverfahren gegen den Beschwerdeführer anwendbar sei, wäre nämlich zu bedenken, dass diese bindende Wirkung nur im Verhältnis zu einem am Verfahren Beteiligten zum Tragen kommt, der im Strafverfahren die Möglichkeit entsprechenden rechtlichen Gehörs mit allen ihm darin eingeräumten Verteidigungsmöglichkeiten hatte. Auch folgt die Bindungswirkung im Disziplinarverfahren nicht bloß aus der Bestimmung des § 95 Abs. 2 erster Satz BDG 1979, sondern auch aus dem Gedanken der materiellen Rechtskraft, wie sie unanfechtbaren gerichtlichen Entscheidungen eigen ist. Die Bestimmung dient dem rechtsstaatlichen Anliegen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, weil durch die grundsätzliche Bindungswirkung sichergestellt werden soll, dass zu einem sachgleichen historischen Geschehensablauf nicht unterschiedliche tatsächliche Feststellungen in verschiedenen Verfahren rechtskräftig getroffen werden. Das gerichtliche Strafverfahren ist mit den strengsten rechtsstaatlichen Garantien ausgestattet, dies gilt im besonderen Maße für das Zustandekommen der tatsächlichen Feststellungen. Deshalb muss auch gemäß § 114 Abs. 1 BDG 1979 das Disziplinarverfahren unterbrochen und der Ausgleich eines sachgleichen gerichtlichen Strafverfahrens abgewartet werden, womit zugleich das Ziel verfolgt wird, widersprechende Entscheidungen zu vermeiden, die Disziplinarkommissionen könnten keine Überprüfungsinstanz für gerichtliche Strafurteile darstellen (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1991, Zl. 90/09/0191).

Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet.

So ist weder im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides noch in jenem des angefochtenen Bescheides jene Dienstpflicht angeführt, deren Verletzung dem Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid vorgeworfen wird.

Der Spruch eines Disziplinarerkenntnisses stellt die letzte im Disziplinarverfahren erfolgende Konkretisierung der gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfe dar. Die Disziplinarbehörden haben daher im Rahmen ihrer gesetzlichen Entscheidungszuständigkeit unter Zugrundelegung der im Anschuldigungspunkt enthaltenen, die Tat bestimmenden Sachverhaltselemente bei einem Schuldspruch - im Ergebnis nicht anders als dies § 44a Z. 1 VStG für den Bereich des Verwaltungsstrafverfahrens anordnet - die vom Beschuldigten begangene Tat bestimmt zu umschreiben, wobei - mangels eines Typenstrafrechtes - im Einzelnen die Darstellung des konkreten Verhaltens und der dadurch bewirkten Folgen sowie die Anführung des die Pflichtverletzung darstellenden Disziplinar(straf)tatbestandes erforderlich ist (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 17. November 2004, Zl. 2001/09/0035, m.w.N.).

Nach der Rechtsprechung zu dem - insoweit vergleichbaren - § 44a Z. 1 VStG muss der Spruch eines Straferkenntnisses so gefasst sein, dass die Subsumtion der als erwiesen angenommenen Tat unter die verletzte Verwaltungsvorschrift eindeutig und vollständig erfolgt, also aus der Tathandlung sogleich auf das Vorliegen der bestimmten Übertretung geschlossen werden kann. Der Beschuldigte hat ein subjektives Recht darauf, dass ihm die als erwiesen angenommene Tat und auch - was im vorliegenden Fall von Bedeutung ist - die verletzte Dienstpflicht richtig und vollständig vorgehalten wird (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 2007, Zl. 2005/09/0126, m.w.N.).

Dies hat die belangte Behörde hinsichtlich der - durchaus in der Berufung angefochtenen - Schuldsprüche unterlassen und insoferne weder - zum Faktum 3. auch hinsichtlich des Tatzeitraumes - konkretisiert noch begründet, die Verletzung welcher Dienstpflichten dem Beschwerdeführer weshalb vorzuwerfen war.

Wenn die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausführt, sie habe sich im vorliegenden Fall weder mit Sachverhalts- noch mit Schuldfragen auseinander zu setzen, und kein Beweisverfahren durchzuführen, weil sie gemäß § 95 Abs. 2 BDG 1979 an die Feststellungen des Landesgerichtes Innsbruck vom 8. November 2005 gebunden sei, so hat sie verkannt, dass sich diese Bindung nur auf die Spruchpunkte 1. und 2., nicht aber auf die unter den Spruchpunkten 3. und 4. zu Grunde liegenden Fakten beziehen konnte. Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid insoferne mit einem sekundären Verfahrensmangel, also mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet, indem sie diesbezügliche Feststellungen und Begründungen unterließ.

Die belangte Behörde hat die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung offensichtlich nicht auf die Bestimmung des § 125a Abs. 3 Z. 5 BDG 1979 gestützt, sondern hat in Anbetracht der - nach ihrer Auffassung - ausschließlich gegen die Strafbemessung gerichteten Berufung der Disziplinaranwältin von der Durchführung einer solchen gemäß § 125a Abs. 3 Z. 4 leg. cit. Abstand genommen. Damit hat sie allerdings verkannt, dass der Sachverhalt jedenfalls hinsichtlich der angeführten Punkte 3. und 4. nicht geklärt erschien. Auch hat die belangte Behörde ihre Entscheidung, von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung im Rahmen des ihr von § 125a Abs. 2 und 3 BDG 1979 eingeräumten Ermessens Abstand zu nehmen (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 14. November 2007, Zl. 2005/09/0115), nicht begründet.

Sind aber die Schuldsprüche nicht auf rechtmäßige Weise zu Stande gekommen, so durfte wegen der Begehung der diesen Vorwürfen zu Grunde liegenden Dienstpflichtverletzungen auch keine Strafe ausgesprochen werden. Schon dies führt im vorliegenden Fall zur Aufhebung des Strafausspruches des angefochtenen Bescheides, weil diesem keine Eventualbegründung dahingehend entnommen werden kann, dass die Verhängung der Disziplinarstrafe der Entlassung nach Auffassung der belangten Behörde auch nur unter Zugrundelegung der in den Punkten 1. und 2. umschriebenen Dienstpflichtverletzungen gerechtfertigt gewesen wäre.

Hinsichtlich der Strafbemessung ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 7. Juli 1999, Zl. 99/09/0042, dargelegt hat, dass es sich auch bei der Entlassung gemäß § 92 Abs. 1 Z. 4 BDG 1979 um eine Strafe handelt und sich die Disziplinarkommission auch bei Vorliegen einer objektiv schwer wiegenden Dienstpflichtverletzung gemäß § 93 Abs. 1 dritter Satz BDG 1979 an den nach dem Strafgesetzbuch für die Strafbemessung maßgebenden Gründen zu orientieren und gemäß § 32 Abs. 1 StGB vom Ausmaß der Schuld des Täters als Grundlage für die Bemessung der Strafe auszugehen hat. Die Disziplinarkommission hat in jedem Fall die Erschwerungs- und die Milderungsgründe gegeneinander abzuwägen (§ 32 Abs. 2 StGB) und dabei auf alle geltend gemachten oder der Aktenlage nach zu berücksichtigenden Milderungsgründe Bedacht zu nehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. November 2006, Zl. 2005/09/0053).

In dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 14. November 2007, Zl. 2005/09/0115, hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass der Disziplinarstrafe der Entlassung zwar kein "Erziehungszweck" zugeordnet werden kann, dass sich die Disziplinarkommission nach dem zweiten Satz des § 93 Abs. 1 BDG 1979 aber mit der Frage auseinander setzen muss, ob bei Fortsetzung des Dienstverhältnisses mit weiteren Dienstpflichtverletzungen zu rechnen wäre. Insoferne hat zwar die Behörde erster Instanz diesbezügliche Überlegungen angestellt, der angefochtene Bescheid lässt solche aber vermissen.

Die belangte Behörde ging im vorliegenden Fall zwar im Grunde des § 93 Abs. 1 erster Satz BDG 1979 zutreffend von einer beträchtlichen objektiven Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Dienstpflichtverletzung aus. Bei einer solchen Schwere kommt zwar grundsätzlich die Entlassung als Disziplinarstrafe in Betracht. Die belangte Behörde hat es jedoch unterlassen, sich gemäß § 93 Abs. 1 BDG 1979 im Sinne der dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit den geltend gemachten Milderungsgründen auseinander zu setzen. Sie hat vielmehr den Standpunkt vertreten, dies käme angesichts der einmal festgestellten Schwere der Dienstpflichtverletzungen angesichts der von ihr angenommenen "Untragbarkeit" gar nicht in Betracht. Damit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt.

Die belangte Behörde ist weiters zwar im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Dienstpflichtverletzungen des Beschwerdeführers gemäß § 95 Abs. 1 BDG 1979 in der gerichtlich strafbaren Handlung nicht erschöpfte, wegen welcher er rechtskräftig verurteilt worden war, und dass daher ein - erheblicher - "disziplinärer Überhang" vorlag. Sie hat aber - anders als die Behörde erster Instanz - nicht beurteilt, ob und inwieweit gegen den Beschwerdeführer angesichts der gegen ihn bereits vom Gericht ausgesprochenen Strafe eine Disziplinarstrafe auszusprechen und ob die Disziplinarstrafe der Entlassung zu verhängen war, um ihn von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten (§ 95 Abs. 3 BDG 1979, vgl. auch dazu das bereits genannte hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 14. November 2007, Zl. 2005/09/0115, auf welches insoferne gemäß § 43 Abs. 2 BDG 1979 verwiesen wird). Bei der dabei anzustellenden Prognose wird die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren die Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit weiterer Dienstpflichtverletzungen durch den Beschwerdeführer nach einer Beurteilung seiner - auch in der Dienstpflichtverletzung zum Ausdruck gebrachten - Persönlichkeit zu beurteilen haben (vgl. zur Spezialprävention allgemein Ebner, zu § 32, RZ 27ff, in:

Höpfel/Ratz, Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2003).

Der Aufhebungsgrund des § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG geht jenem des § 42 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. vor. Daher war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren war im Hinblick auf die in der angeführten Verordnung festgesetzten Pauschbeträge, welche die Umsatzsteuer miteinschließen, abzuweisen.

Wien, am 15. Mai 2008

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2006090194.X00

Im RIS seit

18.07.2008

Zuletzt aktualisiert am

20.11.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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