TE Vfgh Erkenntnis 1991/12/12 WI-4/91

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Veröffentlicht am 12.12.1991
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Index

L1 Gemeinderecht
L1010 Stadtrecht

Norm

B-VG Art60 Abs1
B-VG Art117 Abs5
B-VG Art141 Abs1 litb
Grazer Statut 1967 §21 Abs4
Grazer Statut 1967 §26
Grazer Statut 1967 §27 Abs4
Grazer Statut 1967 §27 Abs5
Grazer Statut 1967 §51
VfGG §67 Abs1
VfGG §67 Abs2
VfGG §68 Abs1

Leitsatz

Aufhebung der Wahl in den Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz vom 21.03.91 wegen rechtswidrigen Verhaltens des Wahlleiters; Unbedenklichkeit der Mehrheitswahl bei Verzicht auf einen Wahlvorschlag durch die vorschlagsberechtigte Wahlpartei; Ungültigkeit aller nicht auf wählbare Personen lautenden Stimmen

Spruch

Der Wahlanfechtung wird stattgegeben und die Wahl in den Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz ab der Kundmachung des Wahlergebnisses durch den Bürgermeister aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz besteht gemäß §26 des Statuts der Landeshauptstadt Graz 1967, LGBl. 130/1967 idF LGBl. 71, 72/1987 (Statut 1967), aus elf Mitgliedern, und zwar aus dem Bürgermeister, den Bürgermeister-Stellvertretern und den Stadträten.

1.1.2. Mit Schreiben vom 2. März 1991, beim Bürgermeister eingelangt am 4. März 1991, teilte die - von der Wahlpartei der ÖVP vorgeschlagene - Stadträtin Dkfm. Ruth Feldgrill-Zankel dem Bürgermeister mit, daß sie mit Ablauf des 4. März 1991 ihre Funktion als Mitglied des Stadtsenates zurücklege.

Der Klub der Wahlpartei der ÖVP (Gemeinderatsclub der Grazer Volkspartei) gab mit Schreiben vom 18. März 1991, beim Bürgermeister eingelangt am 20. März 1991, bekannt, daß er keinen Vorschlag für die Besetzung des Stadtsenatssitzes erstatte, der durch diesen Rücktritt frei geworden war und der ihm gemäß §27 Abs2 Statut 1967 zustehe. Daraufhin schlugen mehrere Mitglieder des Gemeinderates mit Schreiben vom 21. März 1991 vor, den Stadtsenatssitz durch Mehrheitswahl gemäß §27 Abs5 Statut 1967 zu besetzen und Dipl.-Ing. Dagmar Grage zur Stadträtin zu wählen.

1.1.3. Am selben Tag fand eine ordentliche öffentliche Sitzung des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz statt.

Bürgermeister-Stellvertreter Edegger teilte für den Klub der ÖVP auch hier mit, daß die Wahlpartei der ÖVP keinen Vorschlag für die Besetzung des freien Stadtsenatssitzes einbringe und schloß - nach dem Protokoll dieser Sitzung (S 15) - mit den Worten: "Ausdrücklich halten wir unseren Anspruch auf die Besetzung des freien Stadtsenatssitzes bis zur Abklärung der vorhin genannten Umstände (: Änderung des Statutes 1967) aufrecht. Ich bitte um Kenntnisnahme dieses Standpunktes."

Der Bürgermeister trug ua. den Inhalt der Vorschrift des §27 Abs5 Statut 1967 vor, bestellte als Leiter der Wahlhandlung - nach längerer Wechselrede - zwei Wahlzeugen, gab den Wahlvorschlag, lautend auf Dipl.-Ing. Dagmar Grage, nochmals bekannt und unterbrach die Sitzung für den Wahlakt. Die Wahl ging mit vorgedruckten Stimmzetteln geheim vor sich.

Die ausgeteilten Stimmzettel waren mit folgendem Text bedruckt:

"STIMMZETTEL

für die Wahl eines Stadtrates/einer Stadträtin gemäß §27 Abs5 des Statutes.

Zum Stadtrat/zur Stadträtin wähle ich

................................................"

Nach dem Abstimmungsvorgang eröffnete der Bürgermeister das Wahlergebnis mit folgenden Worten (Protokoll S 35):

    "Zahl der abgegebenen Stimmen: 54

    Ungültige Stimmen:              7

    Gültige Stimmen:               47

Der Vorschlag auf Frau Dipl.-Ing. Grage erhielt 15 Stimmen. Damit ist festzuhalten, daß der Vorschlag die erforderliche Stimmenanzahl für die Wahl zum Stadtrat nicht erreicht hat."

Die 54 abgegebenen Stimmzettel waren wie folgt ausgefüllt:

15 mit "Grage" (D. Grage oä., Krage, Dagmar G.),

2 mit "nicht"

19 mit "nein" (davon drei zusätzlich durchgestrichen)

und

5 mit "nein, keine Zustimmung".

6 Stimmzettel waren nur durchgestrichen, 7 leer.

Danach faßte der Gemeinderat mehrere Beschlüsse, durch die mit jenen Geschäften, die der zurückgetretenen Stadträtin Dkfm. Feldgrill-Zankel zur Berichterstattung und Antragstellung im Stadtsenat oblegen hatten, andere Mitglieder des Stadtsenates gemäß §62 Abs3 Statut 1967 betraut wurden.

1.2.1.1. Mit ihrer am 17. April 1991 zur Post gegebenen, an den Verfassungsgerichtshof gerichteten und auf Art141 Abs1 litb B-VG gestützten Wahlanfechtung begehren sieben Mitglieder des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz die Aufhebung (Nichtigerklärung) der Wahl in den Stadtsenat vom 21. März 1991, und zwar ab der Feststellung des Wahlergebnisses durch den Vorsitzenden des Gemeinderates, den Bürgermeister, in eventu ab der Verkündung, daß "ungültige Stimmen 7, gültige Stimmen 47" abgegeben worden seien, in eventu ab der Feststellung, daß "der Vorschlag die erforderliche Stimmenzahl für die Wahl zum Stadtrat nicht erhalten hat".

1.2.1.2. Begründend bringen die Anfechtungswerber dazu - gerafft wiedergegeben - vor, der Bürgermeister habe Stimmen, die auf "nein" lauteten, als gültig gewertet. Hätte er sie als ungültige Stimmen behandelt, so hätte er feststellen müssen, daß Dipl.-Ing. Grage zur Stadträtin gewählt worden sei. Die Wahlpartei der ÖVP habe darauf verzichtet, einen Kandidaten zur Wahl vorzuschlagen. Für diesen Fall sehe §27 Abs5 Statut 1967 vor, daß die Funktion durch Mehrheitswahl im Gemeinderat besetzt werde, der in diesem Fall nicht an einen Vorschlag oder an die Angehörigen einer Wahlpartei gebunden sei. Für die Durchführung der Mehrheitswahl verweise §27 Abs5 auf die Absätze 3, 4 und 6 des §21 Statut 1967 ("Wahl des Bürgermeisters").

Aus §21 Abs4 Statut 1967 ergebe sich, daß Stimmzettel, die auf "nein" lauten, ungültig seien. Zu dieser Auslegung führe der Zusammenhang mit §27 Abs4 Statut 1967, demzufolge Stimmen, die den Vorschlägen der Wahlparteien nicht entsprächen, ungültig seien. Auch die Wortsinn- und die teleologische Interpretation führten zu diesem Ergebnis.

Daraus folge, daß bei der Mehrheitswahl nach §27 Abs5 Statut 1967 jener Kandidat gewählt sei, der die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen auf sich vereinigen könne. §21 Abs5 Statut 1967 sehe für die Wahl des Bürgermeisters ein anderes Erfordernis vor; auf diese Bestimmung verweise §27 Abs5 aber gerade nicht.

Unrichtig sei schließlich der Rekurs des Bürgermeisters auf §51 Abs2 Statut 1967, wonach zur Fassung eines gültigen Beschlusses die Zustimmung der einfachen Mehrheit der anwesenden Mitglieder erforderlich sei, weil es sich nicht um einen Beschluß, sondern um eine Wahl gehandelt habe.

1.2.2.1. Der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz legte die Wahlakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher er die Abweisung der Wahlanfechtung beantragte.

1.2.2.2. Er führte aus, das Statut 1967 unterscheide zwischen der "Fraktionswahl" des §27 Abs4 und der "Mehrheitswahl" des §27 Abs5. Bei der Mehrheitswahl sei §27 Abs4 letzter Satz nicht heranzuziehen; dies übersähen die Anfechtungswerber offensichtlich. Ein Umkehrschluß aus §21 Abs4 Statut 1967 ergebe, daß alle dort nicht angeführten Stimmzettel gültig seien, also auch solche, die eindeutig erkennen lassen, daß der Wähler den oder die Kandidaten ablehne, etwa durch Beifügung des Wortes "nein". §27 Abs5 Statut 1967 verweise auf §21 Abs4 und daher auf dessen Gültigkeitserfordernisse, nicht jedoch auf §21 Abs5, der die Beschlußerfordernisse bei der Wahl des Bürgermeisters festlegt. Das zeige, daß das Beschlußquorum in §51 Statut 1967 geregelt sei.

Der Wortlaut des §21 Abs4 Statut 1967 lasse nicht den Schluß zu, den die Anfechtungswerber zögen, denn nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes müßten die Bestimmungen der Wahlordnungen strikte nach ihrem Wortlaut ausgelegt werden.

Der Bürgermeister verweist schließlich auf das Erk. VfSlg. 6614/1971 und meint, Wahlvorschriften, die keine Möglichkeit für Gegenstimmen vorsähen, widersprächen den dort dargestellten Grundsätzen und seien verfassungswidrig, wenn nicht das Prinzip der proportionalen Vertretung im Stadtsenat zu schützen sei. Dieser Grundsatz sei auch in Art60 Abs1 B-VG für die Wahl des Bundespräsidenten verankert.

1.3. Die maßgebenden Bestimmungen des Statuts der Landeshauptstadt Graz 1967, LGBl. 130/1967 idF LGBl. 71, 72/1987, lauten in ihrem Zusammenhang:

"§21

(1) Der Bürgermeister wird vom Gemeinderat auf Grund von Wahlvorschlägen gewählt; er muß, unbeschadet der Bestimmungen des Abs2, nicht dem Gemeinderat angehören, jedoch in den Gemeinderat wählbar sein.

(2) Wahlvorschläge können nur von jenen im Gemeinderat vertretenen Wahlparteien eingereicht werden, die gemäß §27 Abs2 Anspruch auf einen Stadtsenatssitz haben. Wahlparteien, die die absolute Mehrheit im Gemeinderat besitzen, haben den in der Parteiliste ihres Wahlvorschlages für die Gemeinderatswahl an erster Stelle stehenden Wahlwerber, sofern dieser nicht von mehr als der Hälfte der Wähler gestrichen oder zurückgereiht wurde, für die Wahl des Bürgermeisters vorzuschlagen.

(3) Der Vorsitzende hat die Wahl zu leiten und zur Prüfung des Wahlergebnisses zwei Gemeinderatsmitglieder als Wahlzeugen zu bestellen. Hierauf hat er die Wahlvorschläge entgegenzunehmen und die gültigen Wahlvorschläge bekanntzugeben.

(4) Die Wahl ist mit Stimmzetteln vorzunehmen. Leere sowie unklar ausgefüllte Stimmzettel oder solche, die auf Personen lauten, die nicht gemäß Abs3 vom Vorsitzenden bekanntgegeben wurden, sind ungültig.

(5) (Verfassungsbestimmung) Zum Bürgermeister ist der Kandidat gewählt, für den mehr als die Hälfte aller Mitglieder des Gemeindrates ihre Stimme abgegeben hat. Ist dieses Ergebnis in zwei aufeinanderfolgenden Abstimmungen nicht erreicht worden, so findet frühestens 24 Stunden, spätestens jedoch 48 Stunden später eine

3. und nötigenfalls 4. Abstimmung statt. Hat auch bei dieser Abstimmung kein Kandidat mehr als die Hälfte der Stimmen des Gemeinderates auf sich vereinigt, so findet eine 5. Abstimmung statt, und zwar zwischen jenen beiden Kandidaten, die bei der

4. Abstimmung die meisten Stimmen auf sich vereinigt haben. Es gilt jener Kandidat als gewählt, der bei der 5. Abstimmung die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Bei Stimmengleichheit gilt der Kandidat jener Wahlpartei als gewählt, die über die größere Mandatszahl im Gemeinderat verfügt. Ist die Zahl der Mandate gleich, so entscheidet das Los. Das Los ist von dem an Lebensjahren jüngsten Gemeinderatsmitglied zu ziehen.

(6) Der Gewählte hat unmittelbar nach seiner Wahl vor dem versammelten Gemeinderat zu erklären, ob er gewillt ist, die Wahl anzunehmen. Nur im Falle der Verhinderung oder wenn ein nicht dem Gemeinderat Angehörender zum Bürgermeister gewählt wurde, kann die Erklärung innerhalb einer Woche schriftlich abgegeben werden. Falls der Gewählte die Wahl ablehnt, ist binnen zwei Wochen eine Neuwahl vorzunehmen.

§26

Den Stadtsenat, der aus 11 Mitgliedern besteht, bilden der Bürgermeister, die Bürgermeisterstellvertreter und die Stadträte. Mitglieder des Stadtsenates können auch Personen sein, die nicht dem Gemeinderat angehören, jedoch in den Gemeinderat wählbar sind.

§27

. . .

(2) Vor Beginn der Wahlhandlung sind die 11 Stadtsenatssitze auf die einzelnen Wahlparteien mittels der Wahlzahl aufzuteilen. Diese ist zu ermitteln, indem die Zahlen der Wählerstimmen, die bei der Wahl in den Gemeinderat auf die einzelnen Wahlparteien entfielen (Parteisummen), nach ihrer Größe geordnet nebeneinander geschrieben werden; unter jede dieser Summen wird die Hälfte geschrieben, darunter das Drittel, das Viertel und nach Bedarf die weiter folgenden Teilzahlen; hiebei sind auch Bruchteile zu berechnen. Die so angeschriebenen Zahlen werden nach ihrer Größe geordnet, wobei mit der größten Parteisumme begonnen wird. Als Wahlzahl gilt die elftgrößte der so angeschriebenen Zahlen. Jede Wahlpartei erhält so viele Stadtsenatssitze, als die Wahlzahl in ihrer Parteisumme enthalten ist. Die Stellen des Bürgermeisters und der Bürgermeisterstellvertreter sind auf den Anteil jener Wahlpartei an den Stadtsenatssitzen anzurechnen, auf deren Liste sie bei der Wahl des Gemeinderates standen oder, wenn sie nicht Mitglieder des Gemeinderates sind, von der sie vorgeschlagen wurden. Wenn nach dieser Berechnung zwei oder mehrere Wahlparteien auf einen Stadtsenatssitz den gleichen Anspruch haben, so entscheiden zwischen ihnen die auf sie entfallenen Wählerstimmen. Sind auch diese gleich, so entscheidet das Los.

(3) Der Bürgermeister hat das Ergebnis der Aufteilung der Stadtsenatssitze nach Abs2 dem Gemeinderat vor dem Wahlakt bekanntzugeben.

(4) Nach Bekanntgabe des Aufteilungsergebnisses haben die einzelnen Wahlparteien durch ihre Klubobmänner (§48) dem Bürgermeister die Vorschläge für die von ihnen zu besetzenden Funktionen der Bürgermeisterstellvertreter und Stadträte zu überreichen. Von Wahlparteien, die sich zu keinem Klub zusammengeschlossen haben, müssen die Vorschläge von mehr als der Hälfte der Gemeinderatsmitglieder der betreffenden Wahlpartei unterschrieben sein. Der Bürgermeister hat dem Gemeinderat die gültigen Vorschläge bekanntzugeben. Die Wahl jedes Stadtsenatsmitgliedes hat durch den Gemeinderat in einem gesonderten Wahlakt durch Erheben der Hand oder über Beschluß des Gemeinderates mittels Stimmzettel zu erfolgen. Stimmen, die den Vorschlägen der Wahlparteien nicht entsprechen, sind ungültig.

(5) Erstattet eine Wahlpartei für die ihr zukommenden Stadtsenatssitze (einschließlich der Stellen der Bürgermeisterstellvertreter) keinen oder keinen gültigen Vorschlag, so erfolgt die Besetzung dieser Funktionen gesondert durch Mehrheitswahl im Gemeinderat, der in diesem Falle nicht an einen Vorschlag oder an die Angehörigen der bezüglichen Wahlpartei gebunden ist, sondern die Wahl aus allen seinen Mitgliedern bzw. gemäß §26 auch nicht aus seiner Mitte vornehmen kann. Für die Durchführung dieser Mehrheitswahl gelten §21 Abs3, 4 und 6 sinngemäß.

(6) Die Bürgermeisterstellvertreter und die Stadträte können nach den Bestimmungen des Abs4 jederzeit durch eine andere Person ersetzt werden.

(7) Ausgenommen von der Wählbarkeit in den Stadtsenat ist eine Person, die mit dem Bürgermeister oder bereits gewählten Stadtsenatsmitgliedern verheiratet ist, bis zum zweiten Grad in gerader Linie oder in der Seitenlinie verwandt oder verschwägert ist, oder im Verhältnis eines Wahlelternteiles oder Wahlkindes steht. Jede dieser Bestimmung widersprechende Wahl ist ungültig.

§51

(1) Der Gemeinderat ist beschlußfähig, wenn sämtliche Mitglieder des Gemeinderates ordnungsgemäß zur Sitzung eingeladen wurden und, sofern dieses Statut oder andere Gesetze für bestimmte Beratungsgegenstände nicht eine höhere Anwesenheitspflicht anordnen, mehr als die Hälfte aller Mitglieder anwesend sind.

(2) Zur Fassung eines gültigen Beschlusses sind die Beschlußfähigkeit und die Zustimmung der einfachen Mehrheit der anwesenden Mitglieder erforderlich, sofern dieses Statut oder andere Gesetze nicht die Zustimmung einer erhöhten Mehrheit der anwesenden Mitglieder anordnen.

(3) Stimmenthaltung gilt als Ablehnung. Die Abstimmung erfolgt durch Erheben der Hand. Wenn es dieses Statut bestimmt oder der Gemeinderat es besonders beschließt, ist die Abstimmung mit Stimmzetteln oder namentlich durchzuführen.

(4) Bei Stimmengleichheit gilt der Antrag als abgelehnt."

2. Über die Wahlanfechtung wurde erwogen:

2.1.1. Gemäß Art141 Abs1 litb B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof ua. über Anfechtungen von Wahlen in die mit der Vollziehung betrauten Organe einer Gemeinde (Gemeindevorstand, §67 Abs1 VerfGG 1953), so auch in den Stadtsenat (Art117 Abs1 litb B-VG) und somit auch über die Anfechtung der Wahl einzelner Mitglieder des Stadtsenats (vgl. zur Wahl der Mitglieder eines Gemeindevorstands VfSlg. 8447/1978, zu jener der Mitglieder einer Landesregierung VfGH 30.11.1989 WI-2/89). Nach Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden. Sie bedarf gemäß §67 Abs2 Satz 1 VerfGG 1953 eines Antrages von einem Zehntel der Mitglieder der Gemeindevertretung (das sind hier sechs Mitglieder - §15 Abs1 Statut 1967), mindestens aber von zwei Mitgliedern.

2.1.2. Nach §68 Abs1 VerfGG 1953 muß die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem anzuwendenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides eingebracht sein.

Einen derartigen, die unmittelbare Anfechtung der Wahl in den Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz beim Verfassungsgerichtshof ausschließenden Instanzenzug richtet weder das Statut 1967 noch eine andere Rechtsvorschrift ein.

Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Laufs der Anfechtungsfrist ist die Beendigung des Wahlverfahrens (s. VfSlg. 9085/1981, 9940/1984, 10.610/1985), di. bei der Wahl in den Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz die Kundmachung der Angelobung (§29 Abs3 Statut 1967, vgl. auch VfSlg. 6277/1970, 9032/1981), in dem Fall, daß es zu einer Angelobung nicht kommt, weil - behaupteterweise - niemand gewählt wurde, die Kundmachung des Wahlergebnisses durch den Wahlleiter, di. durch den Bürgermeister (§27 Abs5 iVm §21 Abs3, §49 Abs1 Statut 1967).

Der Bürgermeister machte das Wahlergebnis am 21. März 1991 vor dem Gemeinderat kund.

Die am 17. April 1991 zur Post gegebene Wahlanfechtung wurde darum rechtzeitig eingebracht.

2.1.3. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Wahlanfechtung zulässig.

Daran vermag auch die seither zum Statut 1967 ergangene Novelle LGBl. 70/1991 nichts zu ändern:

Nach der angefochtenen Wahl, nämlich am 30. April 1991, beschloß der Steiermärkische Landtag eine Änderung des Statuts 1967, die am 22. August 1991 kundgemacht wurde und gemäß ihrem ArtII am 23. August 1991 in Kraft trat.

ArtI lautet:

"Das Statut der Landeshauptstadt Graz 1967, LGBl. Nr. 130, in der Fassung der Kundmachung LGBl. Nr. 127/1972, der Gesetze LGBl. Nr. 9/1973, 27/1973, 15/1976, 54/1983, 6/1985, 11/1985, 87/1986, 90/1986, der Kundmachung LGBl. Nr. 45/1987 sowie der Gesetze LGBl. Nr. 71/1987 und 72/1987, wird wie folgt geändert:

'Ist im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes oder wird nach diesem Zeitpunkt die Stelle eines Stadtrates frei, so kann mit Zustimmung jener Wahlpartei, die gemäß §27 Abs2 berechtigt wäre, einen Wahlvorschlag zu erstatten, mit einfacher Mehrheit auf die Wahl eines Stadtrates verzichtet werden. Die Zahl der Mitglieder des Stadtsenates muß jedoch mindestens 9 betragen.'"

Da die Gesetzesnovelle - wie bereits festgehalten - erst im August 1991 in Kraft trat, ist die angefochtene Wahl (vom 21. März 1991) nicht an ihr zu messen, die Novelle darum in diesem Wahlanfechtungsverfahren - ebenso wie die weitere Novelle zum Statut 1967 vom 11. Juni 1991, LGBl. 79/1991 - nicht präjudiziell. Sie wirkt sich - wie nebenher bemerkt sei - auf die Anfechtung allein schon deshalb nicht aus, weil der Gemeinderat nach der Aktenlage gar nicht beschlossen hat, auf die Wahl eines Stadtrates zu verzichten. Doch selbst ein solcher nachträglicher Verzicht - sollte es dennoch dazu gekommen sein - bliebe auf die Anfechtung ohne Einfluß: Schon in der älteren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfSlg. 2043/1950, 2158/1951, insb. 3169/1957) wird zum Ausdruck gebracht, daß jenen Akten, die auf eine nichtig erklärte Wahl folgen, die gesetzliche Grundlage entzogen sei. Da also, sollte die Wahl (ab der Kundmachung ihres Ergebnisses) aufgehoben werden, davon auszugehen ist, daß die Stelle eines Stadtrates nicht frei blieb, wäre damit einem Verzichtsbeschluß des Gemeinderates der Boden entzogen. (In einer jüngeren Entscheidung sprach der Verfassungsgerichtshof zudem aus, die Legitimation zur Wahlanfechtung (dort: zur Beschwerdeführung gegen einen wahlrechtlichen Bescheid) falle nicht dadurch weg, daß die Funktionsperiode in der Zwischenzeit abgelaufen sei (VfSlg. 10.090/1984, dem folgend 10.705/1985, 10.828/1986, vgl. auch 8219/1977).)

2.2. In der Sache hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:

2.2.1.1. §27 Abs2 Statut 1967 sieht vor, daß die elf Stadtsenatssitze auf die Wahlparteien nach dem d'Hondtschen Verfahren aufgeteilt werden; Grundlage hiefür bilden die Zahlen der Wählerstimmen. Angerechnet werden dabei die Stellen des - nach Mehrheitswahl zu wählenden (§21 Abs5 Statut 1967) - Bürgermeisters und der zwei oder drei Bürgermeister-Stellvertreter, die nur solchen Wahlparteien zufallen können, welche Anspruch auf einen Stadtsenatssitz haben (§27 Abs1 Statut 1967). Die Mitglieder des Stadtsenates (außer dem Bürgermeister) werden von den Wahlparteien im Weg der sog. Fraktionswahl (§27 Abs4 Statut 1967) bestellt, eines Prinzips, gegen das der Verfassungsgerichtshof grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken hegt (VfSlg. 6614/1971, 8447/1978, VfGH 30.11.1989 WI-2/89; vgl. auch VfSlg. 6277/1970). Nur dann, wenn eine Wahlpartei für den ihr zukommenden Stadtsenatssitz keinen (gültigen) Vorschlag erstattet, wird die Funktion gesondert durch Mehrheitswahl besetzt (§27 Abs5 Statut 1967).

Der Verfassungsgerichtshof hat gegen die Regelung des §27 Abs5 Statut 1967 - wie beigefügt sei - keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Blick auf Art117 Abs5 B-VG. Denn es ist davon auszugehen, daß diese Verfassungsbestimmung - anders als Art117 Abs2 B-VG, der festlegt, daß die Wahlen in den entsprechenden allgemeinen Vertretungskörper ua. (jedenfalls) auf Grund des persönlichen Verhältniswahlrechtes stattfinden (vgl. VfSlg. 9912/1984) - den Parteien nur einen "Anspruch" auf Vertretung im Gemeindevorstand (Stadtsenat) nach Maßgabe ihrer Stärke einräumt: Auf diesen "Anspruch" (dieses Besetzungsrecht) kann die vorschlagsberechtigte Wahlpartei verzichten, indem sie etwa - wie hier - keinen gültigen Wahlvorschlag beibringt (Putschögl, Gemeindevorstandswahl, in: Fröhler/Oberndorfer (Hrsg.),

Das österreichische Gemeinderecht (1982) 37; s. auch VfSlg. 8447/1978): Es liegt innerhalb des Spielraums des Landesgesetzgebers, für einen derartigen "Verzichts-"Fall eine Mehrheitswahl nach Art des §27 Abs5 Statut 1967 vorzusehen, um eine Besetzung der sonst verwaist bleibenden Vorstandsstellen und damit eine funktions- und arbeitsfähige Gemeindevertretung nach Möglichkeit zu sichern.

Die Mehrheitswahl nach §27 Abs5 Statut 1967 - es genügt hier die relative Mehrheit der gültigen Stimmen, weil eine die absolute Mehrheit erfordernde Sondernorm fehlt - obliegt dem Gemeinderat, "der in diesem Falle nicht an einen Vorschlag oder an die Angehörigen der bezüglichen Wahlpartei gebunden ist, sondern die Wahl aus allen seinen Mitgliedern bzw. . . . auch nicht aus seiner Mitte vornehmen kann". Für die Durchführung dieser Mehrheitswahl gelten gemäß §27 Abs5 Statut 1967 die Vorschriften des §21 Abs3, 4 und 6 Statut 1967 (über die Wahl des Bürgermeisters) sinngemäß:

Nun ordnet §21 Abs4 des Statuts 1967 (über die Bürgermeisterwahl) an, daß leere sowie unklar ausgefüllte Stimmzettel oder solche, die auf Personen lauten, die nicht gemäß Abs3 vom Vorsitzenden bekanntgegeben wurden, ungültig sind. Wenn die Norm des §21 Abs4 Statut 1967 demgemäß (auch) bestimmt, es seien (ua.) Stimmzettel ungültig, die auf Personen lauten, die nicht vom Vorsitzenden gemäß Abs3 bekanntgegeben wurden, so liegt ihr zugrunde, daß für die Bürgermeisterwahl gültige Wahlvorschläge lediglich von jenen im Gemeinderat vertretenen Wahlparteien eingereicht werden können, die Anspruch auf einen Stadtsenatssitz haben: Nur Personen, die in diese Vorschläge Aufnahme fanden, sind wählbar. Solche Vorschläge, welche die Wähler insoweit binden, als bloß die darin aufscheinenden Personen zur Wahl stehen, gibt es indessen bei einer Mehrheitswahl nach §27 Abs5 Statut 1967, die keine Bindung an einen Vorschlag oder an die Angehörigen der entsprechenden Wahlpartei kennt, gar nicht: Wer bei dieser Wahl wählbar ist, legt vielmehr §27 Abs5 iVm §26 Statut 1967 ausdrücklich fest, und zwar jedes Mitglied des Gemeinderates wie überhaupt jede zum Gemeinderat wählbare Person. Die kraft §27 Abs5 Statut 1967 verfügte "sinngemäße" Geltung des §21 Abs4 Statut 1967 (nicht "strikte" Geltung, wie der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz in seiner Gegenschrift zu meinen scheint) bedeutet folglich für die Mehrheitswahl nach §27 Abs5 Statut 1967, daß jeder Stimmzettel ungültig ist, der nicht auf eine wählbare Person - ob vorgeschlagen oder nicht - lautet, also nicht auf einen Angehörigen jenes Personenkreises, der bei dieser Wahl an die Stelle der bei der Bürgermeisterwahl (§21 Abs4 Statut 1967) wählbaren Personen, ds. die dort vom Vorsitzenden mit bindender Wirkung bekanntgegebenen, tritt, eines Personenkreises, der gemäß §27 Abs5 Statut 1967 - wie schon erwähnt - aus allen zum Gemeinderat passiv Wahlberechtigten besteht (s. §26 Statut 1967).

Bei dieser Mehrheitswahl - nicht etwa "Abstimmung" nach dem Vorbild des Art60 Abs1 B-VG - kommt es nur darauf an, für wen eine Stimme abgegeben wird (nicht aber darauf, gegen wen). Denn nur solche Stimmen werden kraft Gesetzes gezählt. §21 Abs4 Statut 1967, sinngemäß gehandhabt, stellt bloß klar, welche Stimmzettel nicht - für jemanden - gezählt werden dürfen und ungültig sind: Aus dem System des §27 Abs5 iVm §21 Abs4 Statut 1967 ergibt sich, daß es sich dabei um alle jene Stimmzettel handelt, die nicht eindeutig auf eine wählbare Person lauten. Es wäre auch nicht einzusehen, welche Bedeutung es haben sollte, wenn sogenannte "Gegenstimmen" als gültig gewertet werden müßten. Bei dieser (Mehrheits-)Wahl ohne bindende (Wahl-)Vorschläge ist nämlich einzig und allein entscheidend, ob eine Stimme auf eine wählbare Person entfällt oder nicht, es spielt also keine Rolle, aus welchem Grund ("Gegenstimme" oder sonstige Ungültigkeit) eine Stimme nicht zugerechnet werden kann.

2.2.1.3. Da §27 Abs5 iVm §21 Abs4 Statut 1967 das Mehrheitserfordernis für die Wahl eines Stadtrates abschließend regelt, kann §51 nicht - wie aber der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz in seiner Gegenschrift ausführte - zur Anwendung kommen.

2.2.2. Außerdem vertrat der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz in seiner Gegenschrift mit Bezugnahme auf das Erkenntnis VfSlg. 6614/1971 die Auffassung, Wahlvorschriften, die keine Möglichkeit für "Gegenstimmen" vorsähen, seien verfassungswidrig, wenn nicht mehr "das - in diesem Fall höher zu bewertende - Prinzip der proportionalen Vertretung im Stadtsenat und damit verbunden das Nominierungsrecht der anspruchsberechtigten Wahlpartei zu schützen" sei.

Dieser Einwand ist jedoch vom Ansatz her verfehlt, weil es vorliegend um eine Mehrheitswahl geht, bei der nach dem bereits Gesagten keinesfalls nur ein "vorgeschlagener" Kandidat gewählt werden kann. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich (s. dazu Abschnitt: 2.2.1.1.), wenn das Statut für den Fall, daß es ansonsten zu keiner Besetzung aller Stadtsenatssitze käme, eine Regelung wie in §27 Abs5 Statut 1967 trifft, indem es eine Mehrheitswahl aus einem größeren Personenkreis ohne Möglichkeit schlichter "Gegenstimmen" vorsieht, um im vorrangigen Interesse der Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen zu vermeiden, daß es letzten Endes zu gar keiner Wahl kommt.

2.3. Der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz verletzte daher das Gesetz, als er die nicht auf wählbare Personen lautenden Stimmzettel ("Gegenstimmen" in Beziehung auf Dipl.-Ing. Dagmar Grage) als gültig wertete und daher die einzige nach der Aktenlage wählbare Person, die Stimmen auf sich vereinigte, für nicht gewählt erklärte.

3. Demgemäß mußte die angefochtene Wahl ab dieser Kundmachung aufgehoben werden.

Das Wahlverfahren ist nunmehr unter Zugrundelegung des Umstandes abzuschließen, daß die strittige Stelle eines Stadtrates (einer Stadträtin) im Zeitpunkt des Inkrafttretens der zum Statut 1967 ergangenen Novelle LGBl. 70/1991 nicht frei war und auch seither - bis zur Beendigung der Wahlprozedur - nicht frei wurde (s. Abschnitt 2.1.3.). Das hat zur Folge, daß Dipl.-Ing. Dagmar Grage als gewählt angesehen werden muß.

Kosten konnten nicht zugesprochen werden, weil ein Kostenersatz im Verfahren nach Art141 B-VG nur in §71 a Abs3 VerfGG 1953 (vgl. dazu auch §27 VerfGG 1953) vorgesehen ist, eine Bestimmung, die vorliegend nicht in Betracht kommt (vgl. VfSlg. 9086/1981, 11.168/1986).

Schlagworte

VfGH / Wahlanfechtung, VfGH / Fristen, Wahlen, Fraktionswahlrecht, Gemeindevorstand, Stadtsenat, Stimmzettel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:WI4.1991

Dokumentnummer

JFT_10088788_91W00I04_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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