TE Vfgh Erkenntnis 1994/6/20 B254/93

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Veröffentlicht am 20.06.1994
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
RAO §9 Abs1
StGB §111

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt; keine Verfassungswidrigkeit durch die Unterlassung einer analogen Anwendung des im Strafrecht beim Tatbestand der üblen Nachrede geregelten Wahrheitsbeweises im vorliegenden Disziplinarverfahren

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Erkenntis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 7. Juni 1991 wurde der Beschuldigte des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig befunden. Darnach hat er den Anzeiger Dr. K F E, Rechtsanwalt in Wien,

"1.

im Schreiben vom 19. September 1985 durch die Textpassagen

              a)              'Durch Ihre mutwillige und rechtswidrige

Vorgangsweise sollte der Betrieb blockiert werden, und zwar eindeutig durch Irreführung meiner Person. Der Sinn war rechtswidrige Bereicherung Ihrer Mandantin und rechtswidrige Schädigung meiner Person, dies alles durch Irreführung über Gewinnentnahme und Verwaltung ...';

    b) '... durch die eindeutig von Ihnen und Ihrer Mandantin

        im bewußten und gewollten Zusammenwirken abgegebene

        Willenserklärung ... ist die Betrugsabsicht erweislich

        ...';

    c) '... ansonsten wäre die ungeheure Kaltblütigkeit und

        Frechheit in der Vorgangsweise nicht zu erklären

        ...';

    d) '... zu der rücksichtslosen Irreführung mit allen

        Mitteln tritt bei Ihnen und Ihrer Mandantin noch im

        bewußten und gewollten Zusammenwirken die

        Verunglimpfung meiner Person ...';

    e) '... werfen Sie Treueverletzung wider besseres Wissen

        dem Steuerberater ... vor. Hierin ist Arglist zu

        beweisen ...';

    f) '... die unsagbare Unverfrorenheit, noch immer zu

        behaupten, ich hätte im Zusammenwirken mit dem

        Bilanzersteller und der Buchhalterin Betriebsgelder

        veruntreut ...';

    g) '... Sie wissen ganz genau, daß durch Ihre Eingriffe,

        die vor allem vereinbarungswidrig und im übrigen

        außer mutwillig völlig sinnlos waren, Schäden in

        Millionenhöhe entstanden sind. Diese Schäden sind

        nur durch Irreführung meiner Person möglich geworden

        und wurde die offensichtliche Betrugsabsicht erst

        durch ... Ihre geäußerten Wünsche an den

        Bilanzhersteller offensichtlich ...';

und

2. im Schreiben vom 20. September 1985 durch die Sätze

h)

'... Ihre ständig wiederholte Behauptung, bei den Sub-Konten handle es sich um nicht ordnungsgemäß verwendete Betriebsgelder, ist glatte Lüge ...',

ungerechtfertigt einer rechtswidrigen Vorgangsweise, Betrugsabsicht, der Irreführung, der Arglist und der Lüge geziehen und darüber hinaus die beiden Schreiben nicht zur persönlichen Öffnung übersandt."

Hiefür wurde er zu einer Geldbuße von 20.000 S und zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.

1.2. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (künftig OBDK) vom 12. Oktober 1992, Z4 Bkd 5/91 - 12, keine Folge gegeben.

Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt:

    "Nach den Konstatierungen des angefochtenen Erkenntisses

steht fest, daß es seit 1977 Auseinandersetzungen zwischen dem

Disziplinarbeschuldigten und seiner Schwester ... gibt, in denen

seit 1980 die Schwester des Disziplinarbeschuldigten vom Anzeiger

... vertreten wird. ... Seinen subjektiven Eindrücken hat der

Disziplinarbeschuldigte unter anderem auch in den beiden an den Anzeiger gerichteten Schreiben vom 19. und 20. September 1985 Ausdruck verliehen. Auf Grund des Inhaltes dieser Schreiben hat Rechtsanwalt Dr.E eine Privatanklage nach §111 StGB erhoben. ...

    Am 25. August 1987 hat der Disziplinarbeschuldigte an den

Vertreter des Anzeigers (Privatanklägers) ein Schreiben mit einem

Anbot zur vergleichsweisen Bereinigung des Strafverfahrens

gerichtet, wonach er eine Ehrenerklärung abgibt, daß 'sämtliche

Vorwürfe ...' nicht weiter aufrecht 'erhalten und ... mit dem

Ausdruck ... des besonderen Bedauerns' zurückgezogen werden. ...

    In rechtlicher Würdigung des festgestellten Sachverhaltes

wird im ... Erkenntis (des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer

Wien) zusammenfassend ausgeführt, daß die beiden Briefe, aus denen die inkriminierten Textpassagen stammen, weder sachlich noch sachdienlich gewesen seien, ihr Inhalt sich vielmehr darin erschöpfe, den Adressaten ohne konkrete und sachliche Bezugnahme nur zu beleidigen und eines entweder unehrenhaften oder sogar strafgesetzwidrigen Verhaltens zu beschuldigen. Dadurch, daß diese Briefe auch noch dritten Personen, so insbesondere dem Kanzleipersonal des Empfängers, zur Kenntnis gelangt seien, würden Ehre und Ansehen des Standes schwer beeinträchtigt. In einem Fall wie dem vorliegenden erscheine der Wahrheitsbeweis als solcher unzulässig, da sich die Tatbestände, das ist das nach dem Strafgesetz strafbare Verhalten und das disziplinäre Fehlverhalten, nicht decken, zumal letzteres schon in der, durch keinerlei sachliches Erfordernis gebotenen, eindeutig gehässigen Ausdrucksweise gelegen sei. ...

....

    Der Berufung, die ... der Sache nach eine unrichtige

rechtliche Beurteilung sowie eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens behauptet, kommt keine Berechtigung zu.

    ...

    Denn den Berufungsdarlegungen zuwider ... enthält das

Schreiben des Disziplinarbeschuldigten vom 19. September 1985 nicht weniger als sieben und das nur einen Tag danach vom Disziplinarbeschuldigten abgefaßte Schreiben vom 20. September 1985 einen weiteren beleidigenden Vorwurf gegen den Anzeiger, ohne eine sachliche Kritik an bestimmten, konkret substantierten Vorgangsweisen erkennen zu lassen. Aus dem Inhalt beider Schreiben ergibt sich vielmehr eindeutig eine von sachbezogener Kritik losgelöste Diffamierung des Anzeigers. ...

...

... eine Erweiterung des Verfahrens in die Richtung eines 'Wahrheitsbeweises' war hier nicht geboten:

Dem Rechtsanwalt ist durch §18 RL-BA untersagt, den Rechtsanwalt einer anderen Partei unnötig in den Streit zu ziehen und persönlich anzugreifen. ...

... Es ist dem Disziplinarbeschuldigten zwar einzuräumen, daß auf der Ebene des gerichtlichen Strafrechtes der Wahrheitsbeweis nach §111 Abs3 StGB zugelassen wird; er stellt dann allerdings weder einen Rechtfertigungsgrund, noch einen Schuldausschließungsgrund, sondern bloß einen Strafausschliessungsgrund dar, was eine gerichtliche Sanktion verbietet ... . Die ehrenrührige Äußerung bleibt auch bei Gelingen des Wahrheitsbeweises aus strafrechtlicher Sicht somit rechtswidrig und schuldhaft. Umsomehr hat dies im Disziplinarrecht zu gelten ...

. Die Beeinträchtigung des Standesansehens hängt nämlich nicht von

der Frage ab, ob ein ehrenrühriger Vorwurf der Wahrheit entspricht

und diese erweisbar ist. Auch ein wahrheitsgemäßer (allenfalls sogar

strafrechtlich relevanter) Vorwurf macht (bei diesfalls

gerichtlicher Straflosigkeit dennoch) disziplinär verantwortlich,

wenn die Anschuldigung über den mit ihr zwangsläufig verbundenen

diffamierenden Effekt hinaus in ihrer Diktion unnötig ehrverletzend

und beleidigend abgefaßt wird, ... .

    Somit ist .. entscheidend ... ob

a/ der Disziplinarbeschuldigte den Rechtsanwalt

Dr.E in den Streit gezogen und persönlich

angegriffen hat,

b/ dies unnötig war und

c/ hiedurch infolge der Kenntisnahme vom Briefinhalt

durch seine Klientin und Kanzleiangestellte das Standesansehen beeinträchtigt wurde.

Diese Fragen sind aus den dargelegten Gründen alle zu bejahen. ...

..."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

3.1. Der Beschwerdeführer sieht sich im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt, weil im angefochtenen Bescheid ein allfälliger, die Straflosigkeit der üblen Nachrede nach §111 Abs1 StGB bewirkender Wahrheitsbeweis (§111 Abs3 erster Satz StGB) nicht als entscheidungswesentlich erachtet wurde. Hiezu verweist er auf drei Erkenntnisse, in denen im Disziplinarverfahren die Abführung des Wahrheitsbeweises als wesentlich erachtet wurde (OGH 12.4.1934, AnwZ 1934, S 458; OGH 19.1.1933, SSt XIII/5 betreffend das Vorliegen von Schuldausschließungsgründen und OGH 17.3.1927, DS 78/26, SSt VII/23 betreffend das Vorliegen von unwiderstehlichem Zwang).

3.2. Die belangte Behörde führt in der Gegenschrift hiezu aus, der Beschwerdeführer übersehe, daß in den von ihm bezogenen Entscheidungen jeweils Schuldausschließungsgründe oder Entschuldigungsgründe als beachtlich erklärt worden seien. Der Wahrheitsbeweis nach §111 Abs3 erster Satz StGB sei hingegen ein - die Tatbestandsmäßigkeit, die Rechtswidrigkeit und die Schuld an sich nicht tangierender - besonderer sachlicher Strafausschließungsgrund. Im Unterbleiben einer vom Beschwerdeführer geforderten analogen Anwendung des §111 Abs3 StGB sei eine Gleichheitsverletzung nicht zu erblicken. Daß an die Ausdrucksweise eines Rechtsanwaltes höhere Anforderungen gestellt würden, ergebe sich aus §9 Abs1 RAO, wonach Angriffs- und Verteidigungsmittel den Gesetzen nicht widersprechen dürfen, sowie §2 RL-BA, wonach der Rechtsanwalt immer nur solche Mittel anwenden dürfe, die mit Gesetz, Anstand und Sitte vereinbar sind.

3.3. Der angefochtene Bescheid stützt sich in rechtlicher Hinsicht auf §9 RAO und §2 RL-BA 1977. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Norm wurden vom Beschwerdeführer nicht vorgebracht; auch im VfGH sind solche aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden (vgl. auch VfSlg. 12796/1991). Ausgehend von der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen könnte der Vorwurf des Beschwerdeführers, der angefochtene Bescheid verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, nur dann zutreffen, wenn die Behörde den angewendeten Rechtsvorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hätte (vgl. VfSlg. 10413/1985, 11682/1988).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).

All dies ist nicht der Fall.

Wenn die belangte Behörde §9 Abs1 RAO dahin versteht, daß einer Anspruchsdurchsetzung nicht dienliche, beleidigende und unsachliche Äußerungen den Anordnungen dieser Gesetzesstelle widersprechen, wird damit dem Gesetz weder ein verfassungswidriger Inhalt unterstellt, noch denkunmöglich vorgegangen.

Auch mit dem weiteren, auf Willkür abzielenden Vorwurf, die belangte Behörde hätte den vom Beschwerdeführer angebotenen Wahrheitsbeweis und darauf abzielende Beweisanträge übergangen, werden in Wahrheit nur eine einfachgesetzliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides und vermeintliche Verfahrensmängel geltend gemacht, nicht aber eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz aufgezeigt. Daß der angefochtene Bescheid mit einer gehäuften Verkennung der Rechtslage und deshalb mit der Unterlassung der Erhebung von Beweisen im entscheidenden Punkt belastet sei, trifft offenkundig nicht zu. Ob von der belangten Behörde das Gesetz richtig angewendet wurde, hat der Verfassungsgerichtshof dabei nicht zu prüfen.

3.4. Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, beleidigende Schreibweise

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B254.1993

Dokumentnummer

JFT_10059380_93B00254_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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