TE Lvwg Erkenntnis 2022/4/5 LVwG-2021/32/3288-8

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Veröffentlicht am 05.04.2022
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Entscheidungsdatum

05.04.2022

Index

50/01 Gewerbeordnung
24/01 Strafgesetzbuch

Norm

GewO 1994 §13 Abs1 Z1
StGB §21 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Ing. Mag. Peinstingl über die Beschwerde von Frau AA, vertreten durch RA BB, Adresse 1, **** Z, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Z vom 29.11.2021, Zl ***, betreffend eine Angelegenheit nach der Gewerbeordnung 1994 nach der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung

zu Recht:

1.       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Mit dem Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Z vom 29.11.2021, Zl ***, wurde festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Ausübung des von der nunmehrigen Antragstellerin angemeldeten Gewerbes „Lebens- und Sozialberatung“ im Standort **** Z, Adresse 2, nicht vorliegen und wurde ihr die Ausübung dieses Gewerbes untersagt.

Die belangte Behörde stützte sich bei der Entscheidung auf die Gewerbeausschließungsgründe nach § 13 Abs 1 Z 1 GewO 1994.

Begründend führt die belangte Behörde aus, die nunmehrige Beschwerdeführerin verurteilt worden sei, eine mit einer 1 Jahr übersteigende Freiheitsstrafe bedrohte Tat begangen zu haben, die außerhalb ihres Zustandes dem Verbrechen des versuchten Mordes zuzurechnen wäre. In der Folge sei sie bedingt in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen worden. Nach Ansicht der Behörde sei eine Verurteilung zu einer Einweisung einem Freiheitsentzug gleichzuhalten, weshalb im gegenständlichen Fall der Gewerbeausschließungsgrund nach § 13 Abs 1 Z 1 lit b iVm Abs 2 GewO 1994 vorliegen würde, nachdem Tilgung nicht eingetreten sei.

Die nunmehrige Beschwerdeführerin hat einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ua auch zur Erhebung der Beschwerde gestellt. In diesem Zusammenhang hat sie auch rudimentär Beschwerde erhoben.

In dieser Beschwerde wird zusammengefasst ausgeführt, dass keine Verurteilung im rechtlichen Sinne vorliege und verweist in diesem Zusammenhang auf den Strafregisterauszug. Der behördlichen Entscheidung liege eine ungerechtfertigte Argumentation zugrunde, wonach eine Erkrankung rechtlich einer bewusst gesetzten Straftat gleichzusetzen sei. Dadurch ergäbe sich zudem eine Benachteiligung aufgrund einer Erkrankung. Es liege eine Diskriminierung aufgrund der Behinderung, eine Missachtung der innewohnenden Würde der nunmehrigen Beschwerdeführerin vor, insbesondere durch Gleichstellung mit einem Straftäter. Der angefochtene Bescheid bilde eine Untersagung der Teilhabe an der Gesellschaft als arbeitende Person und liege eine Missachtung der Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen, eine Missachtung der menschlichen Vielfalt, der Chancengleichheit aufgrund einer Erkrankung in beruflicher Hinsicht und der Gleichberechtigung von Menschen mit und ohne Erkrankungen vor.

Mit dem Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 26.01.2022, LVwG-2021/32/3088-3, wurde der Antrag auf die Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen.

Mit der Eingabe vom 12.03.2022 hat die Antragstellerin ihre Beschwerde gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Z vom 29.11.2021, Zl ***, ergänzt und darin wie folgt ausgeführt:

„Hiermit möchte ich meine persönliche Stellungnahme an Sie senden.

Ich bitte Sie um eine vorurteilsfreie Behandlung und sehe keinen Widerspruch in einer Ausübung des Gewerbes der Lebens- und Sozialberatung, im Gegenteil.

Ich bitte Sie meinen Schritt in die Selbständigkeit nicht per se abzulehnen, ohne die Entwicklungen und die individuelle Situation zu kennen. Die Gleichstellung einer psychischen Erkrankung mit dem eines Straftäters sollte rechtlich differenziert werden. Zudem sollte die individuelle Situation der Menschen betrachtet werden, wie gut man mit einer Erkrankung leben kann. Es wäre seltsam, wenn ein Diabetiker nicht auf einer Stoffwechselstation arbeiten könnte, da er selbst mit Diabetes gut lebt. Man würde dies sogar befürworten.

In einem Gutachten von Frau CC (März 2022) wurde kürzlich bejaht, dass die kumulativen Gefährdungsfaktoren, die damals bestanden, ausgeschlossen werden können, aufgrund der guten medizinischen Versorgung und vor allem meiner Krankheitseinsicht und meiner verlässlichen Einnahme der Depotmedikation. Ebenso die Begleitung durch den Verein DD und EE empfiehlt Frau CC, solle ausgeschlichen werden. Es bestünde somit keinerlei Unterschied mehr zu gesunden Menschen, außer der regelmäßigen Einnahme meiner Medikamente, der fachärztliche Kontrollen und einer freiwilligen Psychotherapie.

Zudem arbeite ich in einem guten Verhältnis in der FF als Berufstrainerin und begleite Menschen auf ihrem Weg in die berufliche Selbständigkeit erfolgreich:

Hier sehen Sie ebenso meine gelungene Arbeit als Berufscoach in mehreren Zeitungsartikeln:

GG: FF bringt Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt - Z (JJ.at)

(an dieser Stelle sind zwei Zeitungsausschnitte eingefügt, Anmerkung)

Eine Gleichstellung mit einem Straftäter sollte hierbei nicht erfolgen und wäre fachlich nicht korrekt. Dies ist damals im Rahmen einer unzureichenden medizinischen Behandlung erfolgt (Zitat CC) und nicht im Rahmen einer bewussten Setzung einer Straftat. Dieser Unterschied sollte nicht nur inhaltlich unterschieden werden, sondern auch formal.

Ausschnitt aus dem Sachverständigengutachten CC:

‚In der Gesamtbeurteilung kann daher eine günstige bis sehr günstige Prognose gegeben werden. Eine exakte Vorhersage menschlichen Verhaltens ist mit keiner Methode möglich. Aus fachlicher Sicht ist jedoch unter Berücksichtigung aller bekannten Fakten von keiner signifikant erhöhten Gefahr für das Kindeswohl bei künftig unbegleiteten Kontakten mit der Mutter auszugehen. Dies unter der Prämisse, dass die bisher angeordneten Auflagen an die Mutter weitgehend weitergeführt werden. Aus fachlicher Sicht kann eine Reduktion der Betreuung durch die Vereine DD und/oder EE empfohlen werden.‘

Aus diesem Grund bin ich nicht verurteilt worden, sondern medizinisch behandelt worden und gut genesen, im Sinne einer normalen und gesunden Lebensführung. Es ist davon auszugehen, dass die gleiche Ausgangssituation wie bei gesunden Menschen bestünde, so CC.

Aus diesen Gründen, würde ich Sie bitten, meine Gewerbeanmeldung zu erlauben.“

Am 30.03.2022 wurde eine mündliche Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol durchgeführt, an der die Beschwerdeführerin, ihr Rechtsvertreter sowie 2 Vertreter der belangten Behörde teilgenommen haben.

In der Verhandlung hat der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin 2 Gutachten vorgelegt. Ein psychiatrisches Gutachten im Auftrag der Staatsanwaltschaft Z datiert vom 13.08.2019 und wurde von KK verfasst. Das weitere Gutachten erging im Auftrag des Bezirksgericht Z zu *** und stammt von CC.

II.      Sachverhalt:

Dem Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Z vom 05.12.2019, ***, ist zu entnehmen, dass die nunmehrige Beschwerdeführerin am 05.09.2019 in Z unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer paranoiden Schizophrenie F20, versucht ihre minderjährige Tochter vorsätzlich zu töten, indem sie die Tochter im Arm haltend vom Balkon ihrer im 6. Stock gelegenen Wohnung ca 21 m in die Tiefe sprang, wodurch die Tochter Schädelverletzungen und weitere Verletzungen erlitt. Hiedurch hat die nunmehrige Beschwerdeführerin eine mit einer 1 Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Tat begangen, die außerhalb ihres Zustandes als Verbrechen des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB zuzurechnen wäre.

Die Beschwerdeführerin wurde hierfür gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, da nach ihrer Person, ihrem Zustand und der Art der Tat zu befürchten war, dass sie sonst unter Einfluss ihrer geistigen, seelischen Abartigkeit von höherem Grad eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen (schwere Körperverletzung bzw strafbaren Verhandlungen mit Todesfolge) begehen werde.

Gemäß § 45 Abs 1 StGB wurde die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher unter Bestimmung einer Probezeit von 5 Jahren bedingt nachgesehen.

Unter II. der vorgenannten Entscheidung wurden der Beschwerdeführerin insgesamt 5 Weisungen erteilt und wurde zudem die Bewährungshilfe angeordnet.

Das Urteil war mit 05.12.2019 rechtskräftig und vollstreckbar. Die Verurteilung ist noch nicht getilgt.

Mit der Eingabe vom 05.10.2021 um 20:02, sohin als eingelangt zu betrachten am 06.10.2021 hat die nunmehrige Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde das Gewerbe „psychologische Beraterin“ im Standort **** Z, Adresse 2, unter Anschluss von diversen Unterlagen angemeldet. Mit der E-Mail vom 06.10.2021 wurde der Gewerbewortlaut auf „Lebens- und Sozialberaterin“ präzisiert.

III.     Beweiswürdigung:

Die vorgenannten Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich unzweifelhaft anhand der dem behördlichen Akt einliegenden bezüglichen Schriftstücke.

IV.      Rechtslage:

Gewerbeordnung 1994 - GewO 1994, BGBl Nr 194/1994 idF BGBl I Nr 155/2015:

㤠13

(1) Natürliche Personen sind von der Ausübung eines Gewerbes ausgeschlossen, wenn sie

1. von einem Gericht verurteilt worden sind

a)   wegen betrügerischen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen und Zuschlägen nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz (§ 153d StGB), organisierter Schwarzarbeit (§ 153e StGB), betrügerischer Krida, Schädigung fremder Gläubiger, Begünstigung eines Gläubigers oder grob fahrlässiger Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen (§§ 156 bis 159 StGB) oder

b)   wegen einer sonstigen strafbaren Handlung zu einer drei Monate übersteigenden Freiheitsstrafe oder zu einer Geldstrafe von mehr als 180 Tagessätzen und

3.       die Verurteilung nicht getilgt ist.

…“

Im Übrigen wird auf die Internetseite ris.bka.gv.at (Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes) verwiesen.

V.       Erwägungen:

Vorab ist festzuhalten, dass die belangte Behörde ihrer Entscheidung das Vorliegen eines Gewerbeausschließungsgrundes nach § 13 Abs 1 Z 1 lit b GewO 1994 zugrunde gelegt hat.

Die zentrale Frage im gegenständlichen Verfahren bildet, inwieweit die hier vorliegende bedingt ausgesprochene Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher unter Bestimmung einer Probezeit von 5 Jahren einer 3 Monate übersteigenden Freiheitsstrafe iSd § 13 Abs 1 Z 1 lit b GewO gleichzuhalten ist.

Das Verwaltungsgericht übersieht nicht, dass die Beschwerdeführerin zu keiner Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Sie hat aber eine Handlung begangen, die, sofern sie zum Zeitpunkt der Tat zurechnungsfähig gewesen wäre, als versuchter Mord zu verurteilen gewesen wäre.

Die hier in Rede stehende Bestimmung betreffend Gewerbeausschließungsgründe ist als Schutznorm zu verstehen. Andere am Geschäftsverkehr teilnehmende Personen sollen vor Personen geschützt werden, die bestimmte (lit a leg cit) oder schwerwiegende strafbare Handlungen (lit b leg cit) begangen haben. Für eine am Geschäftsleben teilnehmende Person ist es dabei nicht weiter von Belang, ob diese Tat im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit oder als strafgerichtlich mit Freiheitsstrafe zu verurteilende Handlung begangen wurde.

Der Handlung des versuchten Mordes liegt gemäß § 75 iVm § 15 StGB ein Strafrahmen von mindestens 10 Jahren zugrunde.

Der Umstand, dass eine Verurteilung bedingt nachgesehen wurde, ist im Hinblick auf das Vorliegen eines Ausschließungsgrundes nicht von Belang (vgl VwGH 15.10.1982, 81/94/0031 uva).

Gemäß § 1 Abs 6 Tilgungsgesetz 1972 sind unter Verurteilungen nach diesem Bundesgesetz (Tilgungsgesetz 1972) auch Urteile zu verstehen, mit denen die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 des Strafgesetzbuches angeordnet wird.

Gemäß § 3 Abs 1 Z 4 Tilgungsgesetz 1972 beträgt die Tilgungsfrist bei einer einzigen Verurteilung ua dann 15 Jahre, wenn die Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 des Strafgesetzbuches angeordnet worden ist.

Im Ergebnis liegt aufgrund der vorliegenden, nicht getilgten Verurteilung ein Ausschließungsgrund im Sinn des § 13 Abs 1 Z 1 lit b GewO 1994 vor.

Abschließend wird wie folgt erwähnt:

Gemäß § 26 Abs 1 GewO 1994 hat die Behörde im Falle des Ausschlusses von einer Gewerbeausübung gemäß § 13 Abs 1 oder 2 GewO 1994 die Nachsicht von diesem Ausschluss zu erteilen, wenn nach der Eigenart der strafbaren Handlung und nach der Persönlichkeit des Verurteilten die Begehung der gleichen oder ähnlichen Straftat bei Ausübung des Gewerbes nicht zu befürchten ist.

Eine Nachsicht gemäß § 26 Abs 1 GewO 1994 darf nur auf Antrag erteilt werden („antragsbedürftiger Verwaltungsakt“).

Ein derartiger Antrag ist dem behördlichen Akt nicht zu entnehmen, könnte aber von der Beschwerdeführerin jederzeit gestellt werden.

VI.      Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der iSd Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dem Verwaltungsgericht ist keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage bekannt, inwieweit eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einen Ausschließungsgrund im Sinn des § 13 Abs 1 Z 1 GewO 1994 bilden kann.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Ing. Mag. Peinstingl

(Richter)

Schlagworte

Geistig abnormer Rechtsbrecher
Gewerbeausschließungsgrund
Ausschluss
Gewerbeausübung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2022:LVwG.2021.32.3288.8

Zuletzt aktualisiert am

15.04.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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