TE Vfgh Erkenntnis 2021/12/15 G229/2021

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Veröffentlicht am 15.12.2021
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art137
B-VG Art143
B-VG Art144
B-VG Art140 Abs1 Z1 litb
StGG Art2
VfGG §7 Abs1, §34, §35, §57a Abs5, §62a Abs5
ZPO §530, §531, §534

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht sowie des Rechtsstaatsprinzips durch den Ausschluss der Wiederaufnahme des Verfahrens bei Parteianträgen auf Normenkontrolle gemäß einer Bestimmung des VfGG; Wiederaufnahme auch anderer Verfahren als Beschwerdeverfahren, Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche und Anklagen oberster Bundes- und Landesorgane verfassungsrechtlich geboten

Spruch

I. §34 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 ? VfGG, BGBl Nr 85/1953, idF BGBl I Nr 33/2013 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2022 in Kraft.

III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl G83/2021 ein Antrag auf Wiederaufnahme eines auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG (Parteiantrag) gestützten Verfahrens anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12. Dezember 2017 wurde der Antragsteller wegen mehrerer Vergehen der gefährlichen Drohung nach §107 Abs1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Zudem wurde gemäß §21 Abs2 StGB die Einweisung des Antragstellers in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

1.1.1. Mit Beschluss des Vollzugsgerichtes (Landesgericht Krems an der Donau) vom 26. August 2020 wurde der Antrag des im Maßnahmenvollzug der Justizanstalt Stein an der Donau angehaltenen Antragstellers auf bedingte Entlassung aus einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher abgewiesen und nach §25 Abs3 StGB festgestellt, dass dessen weitere Unterbringung notwendig sei. Dieser Beschluss wurde dem Antragsteller persönlich am 2. September 2020 zugestellt.

1.1.2. Mit am 11. September 2020 in der Direktion der Justizanstalt Stein an der Donau eingebrachtem Schreiben erhob der Antragsteller Beschwerde gegen diesen Beschluss und beantragte zudem dessen Zustellung an seinen Rechtsvertreter (Verteidiger), der am selben Tag seine Vollmacht bekanntgab und ebenfalls die Zustellung des Beschlusses beantragte.

1.1.3. Nach Übersendung des Aktes an das Oberlandesgericht Wien mit Vorlagebericht vom 16. September 2020 betreffend die Beschwerde des Antragstellers vom 11. September 2020 stellte das Landesgericht Krems an der Donau mit Verfügung vom 30. September 2020 den Beschluss vom 26. August 2020 dem Verteidiger des Antragstellers zu und verständigte davon das Oberlandesgericht Wien.

1.1.4. Das Oberlandesgericht Wien gab mit Beschluss vom 2. Oktober 2020 der Beschwerde des Antragstellers vom 11. September 2020 nicht Folge.

1.1.5. Am 13. Oktober 2020 brachte der Verteidiger des Antragstellers eine Beschwerdeausführung gegen den Beschluss des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 26. August 2020 ein.

1.2. Aus Anlass dieser Beschwerdeausführung stellte der Antragsteller am 14. Oktober 2020 beim Verfassungsgerichtshof (G354/2020) einen auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag und begehrte darin, näher bezeichnete Bestimmungen des StVG, in eventu das gesamte StVG, als verfassungswidrig aufzuheben.

1.3. Mit Beschluss vom 2. November 2020 wies das Oberlandesgericht Wien die Beschwerde des Antragstellers vom 13. Oktober 2020 als unzulässig zurück, weil sie verspätet sei und zudem ihrer Behandlung wegen des Beschlusses des Oberlandesgerichtes Wien vom 2. Oktober 2020 das Prozesshindernis der res iudicata entgegenstehe.

1.4. Mit Beschluss vom 26. November 2020 wies der Verfassungsgerichtshof den auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag des Antragstellers mit der Begründung zurück, dass die Beschwerde, aus deren Anlass der Antrag gestellt worden war, unzulässig gewesen sei.

1.5. Auf Grund einer von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§23 StPO) hob der Oberste Gerichtshof mit Urteil vom 25. März 2021 (Z 12 Os 139/20p [12 Os 22/21h, 12 Os 23/21f]) die Beschlüsse des Oberlandesgerichtes Wien vom 2. Oktober und vom 2. November 2020 auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung über die Beschwerde des Antragstellers einschließlich des Vorbringens seines Verteidigers gegen den Beschluss des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 26. August 2020 auf. In seiner Begründung führte der Oberste Gerichtshof aus, dass §17 Abs1 Z3 letzter Satz StVG vorsehe, dass ein Beschluss des Vollzugsgerichtes – ungeachtet der subsidiären Anwendung der Bestimmungen der StPO – dem Verurteilten stets selbst bekanntzumachen sei. Auf Verlangen des Verurteilten sei jedoch eine Ausfertigung des Beschlusses auch seinem Verteidiger zuzustellen, wodurch für diesen die Frist zur Erhebung einer Beschwerde (§88 Abs1 StPO) ausgelöst werde. Gleiches gelte auch, wenn der Verteidiger die Zustellung einer Beschlussausfertigung verlange. Somit sei das Oberlandesgericht Wien in seiner Entscheidung vom 2. Oktober 2020 fälschlich von Beginn und Ablauf aller möglichen Rechtsmittelfristen in Bezug auf den Beschluss des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 26. August 2020 ausgegangen, obwohl die dem Verteidiger des Antragstellers zur Ausführung des Rechtsmittels (das in weiterer Folge mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 2. November 2020 zurückgewiesen wurde) zustehende Frist noch offen gewesen sei. Damit seien dem Antragsteller die ihm durch §17 Abs1 Z3 letzter Satz StVG und §7 Abs1 StPO eingeräumten Verteidigungsrechte genommen worden, zumal das Gesetz bei der Beschwerde keine "Einmaligkeit" in dem Sinn kenne, dass Beschwerdevorbringen nur in einer einzigen Schrift erstattet werden dürften.

1.6. Am 30. März 2021 stellte der Antragsteller beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Es liege nunmehr auf Grund des Urteiles des Obersten Gerichtshofes vom 25. März 2021 und der Aufhebung des Beschlusses des Oberlandesgerichtes Wien vom 2. November 2020 eine geänderte Vorfrageentscheidung vor, aus der sich die Zulässigkeit und Rechtzeitigkeit der Beschwerdeausführung vom 13. Oktober 2020 ergebe, aus dessen Anlass wiederum der auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützte Antrag an den Verfassungsgerichtshof (G 354/2020) gestellt worden sei. Zudem regte der Antragsteller in Bezug auf §34 VfGG eine amtswegige Gesetzesprüfung an.

2. Bei der Behandlung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §34 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 – VfGG, BGBl 85/1953, idF BGBl I 33/2013 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof beschloss daher am 14. Juni 2021, diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"1. Um die Rechtzeitigkeit des Antrages und die Zulässigkeit des Antrages auf Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens beurteilen zu können, dürfte der Verfassungsgerichtshof auch §34 VfGG anzuwenden haben. Die Bestimmung des §34 VfGG erscheint daher als präjudiziell (vgl VfSlg 8028/1977, 9912/1984, 16.631/2002, 18.014/2006, 19.917/2014).

2. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen die in Prüfung gezogene Bestimmung das Bedenken, dass diese gegen den Gleichheitssatz gemäß Art2 StGG und Art7 B-VG sowie gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen dürfte (vgl VfGH 2.7.2016, G535/2015; VfSlg 20.107/2016):

2.1. Nach Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

2.2. Aus Art140 Abs1 Z1 litd B-VG und §62a VfGG geht hervor, dass bei Unzulässigkeit des Rechtsmittels im Anlassverfahren die Legitimation zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG fehlt (vgl VfGH 2.7.2015, G133/2015; 17.9.2015, G110/2015; 11.6.2018, G273/2017 ua).

Mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 2. November 2020 wurde das Rechtsmittel des Antragstellers im Anlassverfahren, nämlich die Beschwerde des Antragstellers vom 13. Oktober 2020, als unzulässig zurückgewiesen. Mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 25. März 2021 wurde dieser Beschluss aber aufgehoben und dem Oberlandesgericht Wien die neuerliche Entscheidung über die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 26. August 2020 aufgetragen.

Gemäß §530 Abs1 Z5 ZPO ist in einem Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abschlossen worden ist, der Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu bewilligen, wenn ein strafgerichtliches Erkenntnis, auf das die Entscheidung gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben ist. Der Antrag auf Wiederaufnahme muss innerhalb von vier Wochen gestellt werden (§534 Abs1 ZPO). Die Frist beginnt im Falle des §530 Abs1 Z5 ZPO an dem Tag, an dem das strafgerichtliche Urteil in Rechtskraft erwachsen ist (§534 Abs2 Z3 ZPO).

In der vorliegenden Konstellation läge also ein Wiederaufnahmegrund im Sinne des §35 Abs1 VfGG iVm §530 Abs1 Z5 ZPO vor. §34 VfGG steht aber einer Wiederaufnahme eines Verfahrens gemäß Art140 B-VG entgegen.

2.3. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass es keine sachliche Rechtfertigung iSv Art2 StGG und Art7 Abs1 B-VG gibt, eine Wiederaufnahme des Verfahrens iSv §530 Abs1 Z5 ZPO zwar im Verfahren nach der Zivilprozessordnung vor den ordentlichen Gerichten vorzusehen, nicht aber auch im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 B-VG, der subsidiär (§35 VfGG) ebenfalls die Zivilprozessordnung anzuwenden hat, obwohl das Rechtsschutzinteresse bei Wegfall einer Entscheidung iSv §530 Abs1 Z5 ZPO in allen Verfahren gleichartig zu sein scheint (vgl VfSlg 20.107/2016 zu §33 VfGG idF BGBl I 33/2013).

3. §34 VfGG dürfte zudem nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichts-hofes auch gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen:

3.1. Bei der Abwägungsentscheidung zwischen dem Interesse der Rechtssicherheit und Bestandskraft sowie dem Interesse der Rechtmäßigkeit eines Rechtsaktes dürfte der Gesetzgeber einen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum haben. Dieser rechtspolitische Gestaltungsspielraum dürfte größer sein, wenn es um ein Verfahren geht, das in einen Rechtsakt mündet, bei dem der individuelle Rechtsschutz des Einzelnen nicht im Vordergrund steht.

3.2. Das Institut der Wiederaufnahme des Verfahrens wegen der in §530 Abs1 Z1 bis 7, §531 ZPO normierten Gründe dürfte in erster Linie dem individuellen Rechtsschutz dienen und damit auch in Zusammenhang mit der rechtsstaatlich gebotenen Effektivität des Rechtsschutzes stehen (vgl zB VfSlg 11.196/1986, 15.218/1998, 17.340/2004, 19.969/2015).

3.3. Da §34 VfGG die Wiederaufnahme des Verfahrens nur in Fällen der Art137, 143 und 144 B-VG gestattet, nicht aber (unter anderem) für das Verfahren betreffend einen Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG (oder Art139 Abs1 Z4 B-VG), dürfte die in Prüfung gezogene Bestimmung auch im Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip stehen (vgl VfSlg 20.107/2016 zu §33 VfGG idF BGBl I 33/2013).

4. Im Rahmen des Gesetzesprüfungsverfahrens wird unter anderem zu klären sein, welche Bedeutung die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Anwendung des §34 VfGG in anderen Verfahren als in Verfahren gemäß Art137, 143 und 144 B-VG hat. So hat der Verfassungsgerichtshof beispielsweise eine Wiederaufnahme des Verfahrens in Bezug auf Verfahren betreffend die Wahlgerichtsbarkeit gemäß Art141 B-VG auf Grund der Bestimmung des §34 VfGG als unzulässig angesehen (vgl VfSlg 16.309/2001)."

4. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wie folgt entgegengetreten wird (ohne die Hervorhebungen im Original):

"I.    Zur Rechtslage:

1. Beim Verfassungsgerichtshof wurde ein Antrag auf Wiederaufnahme des mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 26. November 2020, G354/2020, abgeschlossenen Verfahrens eingebracht. Mit dem vorgenannten Beschluss hatte der Verfassungsgerichtshof einen auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag, näher bezeichnete Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes – StVG, BGBl Nr 144/1969, in eventu das gesamte StVG, als verfassungswidrig aufzuheben, zurückgewiesen. Aus Anlass des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §34 des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 – VfGG, BGBl Nr 85/1953, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 33/2013, entstanden. Mit Beschluss vom 14. Juni 2021, G83/2021-6, hat der Verfassungsgerichtshof daher beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit des §34 VfGG gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B-VG von Amts wegen zu prüfen.

2.     §34 VfGG hat folgenden Wortlaut:

       §34. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens kann nur in den Fällen der Art137, 143 und 144 B-VG stattfinden. Über ihre Zulässigkeit entscheidet der Verfassungsgerichtshof in nichtöffentlicher Sitzung.

3.     Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

§35 VfGG normiert die subsidiäre, sinngemäße Anwendung der Zivilprozessordnung – ZPO, RGBl Nr 113/1895, soweit das VfGG nicht anderes bestimmt.

Gemäß §530 Abs1 ZPO kann ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist, auf Antrag einer Partei wieder aufgenommen werden, wenn ein Wiederaufnahmegrund im Sinne des §530 Abs1 Z1 bis 7 ZPO vorliegt. Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist dementsprechend etwa zulässig, wenn ein strafgerichtliches Erkenntnis, auf welches die Entscheidung gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben ist (§530 Abs1 Z5 ZPO). Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens muss innerhalb von vier Wochen gestellt werden (§534 Abs1 ZPO). Die Frist beginnt im Falle des §530 Abs1 Z5 ZPO an dem Tag, an dem das strafgerichtliche Urteil in Rechtskraft erwachsen ist (§534 Abs2 Z3 ZPO).

Zufolge §34 erster Satz VfGG kann eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur in den Fällen der Art137, 143 und 144 B-VG stattfinden. Die sinngemäße Anwendung der ZPO wird dementsprechend eingeschränkt, weshalb eine Wiederaufnahme des Verfahrens im Fall des Art140 B-VG ausdrücklich ausgeschlossen ist (zB VfSlg 14.670/1996, VfGH 19.11.2015, G438/2015).

II. Zum Anlassverfahren und zur Zulässigkeit:

1.     Anlassverfahren

Mit Urteil vom 12. Dezember 2017 verurteilte das Landesgericht für Strafsachen Wien den Antragsteller wegen mehrerer Vergehen der gefährlichen Drohung nach §107 Abs1 und 2 des Strafgesetzbuches – StGB, BGBl Nr 60/1974, zu einer Freiheitsstrafe. Gemäß §21 Abs2 StGB ordnete es zudem die Einweisung des Antragstellers in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an. Mit Beschluss des Vollzugsgerichtes (Landesgericht Krems an der Donau) vom 26. August 2020 wurde der Antrag des im Maßnahmenvollzug der Justizanstalt Stein an der Donau angehaltenen Antragstellers auf bedingte Entlassung aus einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher abgewiesen und nach §25 Abs3 StGB festgestellt, dass dessen weitere Unterbringung notwendig ist. Dieser Beschluss wurde dem Antragsteller persönlich am 2. September 2020 zugestellt. Mit am 11. September 2020 in der Direktion der Justizanstalt Stein an der Donau eingebrachtem Schreiben erhob der Antragsteller Beschwerde gegen diesen Beschluss und beantragte zudem dessen Zustellung an seinen Rechtsvertreter (Verteidiger), der am selben Tag seine Vollmacht bekanntgab und ebenfalls die Zustellung des Beschlusses beantragte. Nach Übersendung des Aktes an das Oberlandesgericht Wien mit Vorlagebericht vom 16. September 2020 betreffend die Beschwerde des Antragstellers vom 11. September 2020 stellte das Landesgericht Krems an der Donau mit Verfügung vom 30. September 2020 den Beschluss vom 26. August 2020 dem Verteidiger des Antragstellers zu und verständigte davon das Oberlandesgericht Wien. Das Oberlandesgericht Wien gab mit Beschluss vom 2. Oktober 2020 der Beschwerde des Antragstellers vom 11. September 2020 nicht Folge. Am 13. Oktober 2020 brachte der Verteidiger des Antragstellers eine Beschwerdeausführung gegen den Beschluss des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 26. August 2020 ein.

Aus Anlass dieser Beschwerdeausführung stellte der Antragsteller am 12. Oktober 2020 beim Verfassungsgerichtshof (G354/2020) einen auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag und begehrte darin, näher bezeichnete Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes (StVG), in eventu das gesamte StVG, als verfassungswidrig aufzuheben.

Mit Beschluss vom 2. November 2020 wies das Oberlandesgericht Wien die Beschwerde des Antragstellers vom 13. Oktober 2020 als unzulässig zurück, weil sie verspätet sei und zudem ihrer Behandlung wegen des Beschlusses des Oberlandesgerichtes Wien vom 2. Oktober 2020 das Prozesshindernis der res iudicata entgegenstehe.

Mit Beschluss vom 26. November 2020 wies der Verfassungsgerichtshof den auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag des Antragstellers mit der Begründung zurück, dass die Beschwerde, aus deren Anlass der Antrag gestellt worden sei, unzulässig sei.

Auf Grund einer von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§23 der Strafprozeßordnung 1975 – StPO, BGBl Nr 631/1975) hob der Oberste Gerichtshof mit Urteil vom 25. März 2021 die Beschlüsse des Oberlandesgerichtes Wien vom 2. Oktober und vom 2. November 2020 auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung über die Beschwerde des Antragstellers einschließlich des Vorbringens seines Verteidigers gegen den Beschluss des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 26. August 2020 auf. In seiner Begründung führte der Oberste Gerichtshof aus, dass §17 Abs1 Z3 letzter Satz StVG vorsehe, dass ein Beschluss des Vollzugsgerichtes – ungeachtet der subsidiären Anwendung der Bestimmungen der StPO – dem Verurteilten stets selbst bekanntzumachen sei. Auf Verlangen des Verurteilten sei jedoch eine Ausfertigung des Beschlusses auch seinem Verteidiger zuzustellen, wodurch für diesen die Frist zur Erhebung einer Beschwerde (§88 Abs1 StPO) ausgelöst werde. Gleiches gelte auch, wenn der Verteidiger die Zustellung einer Beschlussausfertigung verlange. Somit sei das Oberlandesgericht Wien bei seiner Beschlussfassung vom 2. Oktober 2020 fälschlich vom Beginn und vom Ablauf aller möglichen Rechtsmittelfristen in Bezug auf den Beschluss des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 26. August 2020 ausgegangen, obwohl die dem Verteidiger des Antragstellers zur Ausführung des Rechtsmittels (das in weiterer Folge mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 2. November 2020 zurückgewiesen wurde) zustehende Frist noch offen gewesen sei. Damit seien dem Antragsteller die ihm durch §17 Abs1 Z3 letzter Satz StVG und §7 Abs1 StPO eingeräumten Verteidigungsrechte genommen worden, zumal das Gesetz bei der Beschwerde keine 'Einmaligkeit' in dem Sinn kenne, dass Beschwerdevorbringen nur in einer einzigen Schrift erstattet werden dürften.

Am 30. März 2021 stellte der Antragsteller den hier maßgeblichen Antrag auf Wiederaufnahme des verfassungsgerichtlichen Verfahrens. Es liege eine geänderte Vorfrageentscheidung vor, aus der sich die Zulässigkeit und Rechtzeitigkeit der Beschwerdeausführung vom 13. Oktober 2020 ergebe, aus dessen Anlass wiederum der auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützte Antrag an den Verfassungsgerichtshof (G354/2020) gestellt worden sei. Zudem regte der Antragsteller in Bezug auf §34 VfGG eine amtswegige Gesetzesprüfung an.

2.     Zulässigkeit

2.1.   Gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Verfassungswidrigkeit von Gesetzen von Amts wegen, wenn er das Gesetz in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte.

2.2.   Der Bundesregierung sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die gegen die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes hinsichtlich der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung sprächen.

III. In der Sache:

Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist (vgl zB VfSlg 19.532/2011) und ausschließlich beurteilt, ob die in Prüfung gezogene Bestimmung aus den in der Begründung des Einleitungsbeschlusses dargelegten Gründen verfassungswidrig ist. Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Einleitungsbeschluss dargelegten Bedenken.

1.     Zu den Bedenken im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip:

1.1.   Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen die in Prüfung gezogene Bestimmung das Bedenken, dass sie gegen das 'Rechtsstaatsprinzip' verstößt. Was damit gemeint ist, ist allerdings – auch und gerade, weil im Einleitungsbeschluss keine Bestimmungen der Bundesverfassung genannt werden, aus denen sich dieses 'Prinzip' ergibt – unklar, wird doch dieser Begriff in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes für zwei unterschiedliche 'Prinzipien' verwendet (vgl statt vieler Grabenwarter/Holoubek, Verfassungsrecht. Allgemeines Verwaltungsrecht4 [2019] Rz 781 ff): Einerseits stellt sich das 'Rechtsstaatsprinzip' im Lichte der Judikatur als ein allgemeines verfassungsrechtliches Prinzip dar, dem einfachgesetzliche Bestimmungen – wie §34 VfGG – zu entsprechen haben, das aber durch verfassungsgesetzliche Regelungen durchbrochen werden kann (zB VfSlg 11.196/1986). Andererseits hat es der Verfassungsgerichtshof als Grundprinzip (Baugesetz) gemäß Art44 Abs3 B-VG anerkannt und daran auch Verfassungsbestimmungen gemessen (zB VfSlg 16.327/2001).

1.2.   Soweit die leitenden Grundsätze (Grundprinzipien) der Bundesverfassung, deren Änderung als Gesamtänderung der Bundesverfassung dem Verfahren gemäß Art44 Abs3 B-VG unterliegt, aus der Stammfassung des B-VG abzuleiten sind (wobei die durch das Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, BGBl Nr 744/1994, bewirkten Änderungen hier außer Betracht bleiben können), lohnt sich ein Blick auf die historische Entwicklung des §34 VfGG.

Bereits das Verfahrensrecht des Reichsgerichtes beinhaltete eine Vorschrift über die Wiederaufnahme des Verfahrens. §37 des Gesetzes, betreffend die Organisation des Reichsgerichtes, das Verfahren vor demselben und die Vollziehung seiner Erkenntnisse, RGBl Nr 44/1869 (in der Folge: RGOrgG), lautete wie folgt:

       '§. 37. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist nur in den Fällen des Art3, lita) des Staatsgrundgesetzes über die Einsetzung eines Reichsgerichtes statthaft; über die Zulässigkeit derselben hat nur das Reichsgericht zu entscheiden.'

Die Grundsatzentscheidung dieser Bestimmung, die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht für alle Verfahrensarten zu ermöglichen (vor dem Reichsgericht war dies allein im Rahmen der unter dem B-VG in dessen Art137 überführten sog 'Kausalgerichtsbarkeit' zulässig), findet auch in der heute geltenden Rechtslage noch ihren Niederschlag.

Mit §2 des Gesetzes über die Errichtung eines deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshofes, StGBl Nr 48/1919, wurde §37 RGOrgG inhaltlich unverändert rezipiert. Auch §40 des Verfassungsgesetzes, betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung, BGBl Nr 2/1920, ordnete 'bis auf weiteres' die Anwendung der seinerzeit auf das Reichsgericht zugeschnittenen Bestimmung über die Wiederaufnahme des Verfahrens an. Ungeachtet der im Vergleich zum Reichsgericht und zum deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshof dem Verfassungsgerichtshof mit dem Sechsten Hauptstück der Stammfassung des B-VG übertragenen Zuständigkeiten, aus denen insbesondere die Gesetzesprüfung hervorleuchtet, wurde §37 RGOrgG dementsprechend materiell mit Verfassungsbestimmung übergeleitet. In den Worten Wiederins (Aufenthaltsbeendende Maßnahmen im Fremdenpolizeirecht [1993] 74): 'Der Verfassungsgesetzgeber ging dabei mit Selbstverständlichkeit davon aus, daß mit dem überkommenen Organisations- und Verfahrensrecht das Auslangen zu finden war.'

Der Ermächtigung des Art148 B-VG idF BGBl Nr 1/1920 entsprechend, wurde mit dem Bundesgesetz über die Organisation und über das Verfahren des Verfassungsgerichtshofes, BGBl Nr 364/1921 (in der Folge: VfGG 1921), für den Verfassungsgerichtshof ein erster neuer verfahrensrechtlicher Rahmen geschaffen. §32 VfGG 1921 schränkte die Wiederaufnahme des Verfahrens ebenfalls auf bestimmte Verfahrensarten ein – wobei die Gesetzesprüfung nicht darunterfiel – und hatte folgenden Wortlaut:

       '§32. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens kann nur in den Fällen der Artikel 137 und 143 des Bundes-Verfassungsgesetzes stattfinden. Über ihre Zulässigkeit entscheidet der Verfassungsgerichtshof.'

Folgende weitere Entwicklungsschritte sind zu nennen:

§34 des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1925 über die Organisation und über das Verfahren des Verfassungsgerichtshofes (Verfassungsgerichtshofgesetz), BGBl Nr 454/1925, lautete wie folgt:

       '§34. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens kann nur in den Fällen der Artikel 137, 143 und 144, Absatz 2, des Bundes-Verfassungsgesetzes stattfinden. Über ihre Zulässigkeit entscheidet der Verfassungsgerichtshof.'

§34 des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1930 (Verordnung des Bundeskanzlers vom 24. April 1930, betreffend Wiederverlautbarung des Verfassungsgerichtshofgesetzes, BGBl Nr 127/1930) hatte, nach einer Änderung durch die Zweite Verfassungsgerichtshofgesetz-Novelle BGBl Nr 112/1930 folgenden Wortlaut:

       '§34. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens kann nur in den Fällen der Artikel 137, 143 und 144 des Bundes-Verfassungsgesetzes stattfinden. Über ihre Zulässigkeit entscheidet der Verfassungsgerichtshof in nichtöffentlicher Sitzung.'

§34 des Verfassungsgerichtshofgesetzes — VerfGG. 1953 (Kundmachung der Bundesregierung vom 12. Mai 1953, womit das Verfassungsgerichtshofgesetz wiederverlautbart wird, BGBl Nr 85/1953) lautete wie folgt:

       '§34. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens kann nur in den Fällen der Art137, 143 und 144 des Bundes-Verfassungsgesetzes stattfinden. Über ihre Zulässigkeit entscheidet der Verfassungsgerichtshof in nichtöffentlicher Sitzung.'

§34 VfGG, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 4/2008, hatte folgenden Wortlaut:

       '§34. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens kann nur in den Fällen der Art137, 143, 144 und 144a B-VG stattfinden. Über ihre Zulässigkeit entscheidet der Verfassungsgerichtshof in nichtöffentlicher Sitzung.'

§34 VfGG lautet derzeit wie folgt:

       '§34. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens kann nur in den Fällen der Art137, 143 und 144 B-VG stattfinden. Über ihre Zulässigkeit entscheidet der Verfassungsgerichtshof in nichtöffentlicher Sitzung.'

An der bei Schaffung der Verfassungsgerichtsbarkeit getroffenen Systementscheidung, im Verfahren gemäß Art140 B-VG (sowie im Verfahren gemäß Art139 B-VG) eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zuzulassen, wurde also bis heute nicht gerüttelt, obwohl die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofes in der Zwischenzeit um die Verfahren gemäß Art143 und 144 B-VG – und vorübergehend auch um jenes gemäß Art144a B-VG – erweitert worden waren.

Angesichts dieses rechtshistorischen Befundes muss nach Ansicht der Bundesregierung die Ableitung eines 'Rechtsstaatsprinzips' als Grundprinzip (Baugesetz) gemäß Art44 Abs3 B-VG, mit dem Inhalt, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens auch im Gesetzesprüfungsverfahren gemäß Art140 B-VG (sowie im Verordnungsprüfungsverfahren gemäß Art139 B-VG und damit wohl auch in den Verfahren gemäß Art139a und Art140a B-VG) verfassungsrechtlich zwingend geboten ist, scheitern: Dies würde nämlich bedeuten, dass alle Bestimmungen betreffend die Wiederaufnahme im verfassungsgerichtlichen Verfahren wegen Verstoßes gegen ein solches 'Rechtsstaatsprinzip' seit jeher verfassungswidrig waren. Dies anzunehmen, erscheint allerdings kaum plausibel.

1.3.   Sollte der Verfassungsgerichtshof seine Bedenken im Einleitungsbeschluss hingegen auf ein allgemeines verfassungsrechtliches 'Rechtsstaatsprinzip' gestützt haben, vermag die Bundesregierung nicht nachzuvollziehen, aus welchen (allenfalls durch Teiländerung neu hinzugekommenen) Verfassungsbestimmungen sich ergeben sollte, auch im Gesetzesprüfungsverfahren gemäß Art140 B-VG (sowie im Verordnungsprüfungsverfahren gemäß Art139 B-VG) sei die Möglichkeit einer Wiederaufnahme verfassungsrechtlich zwingend geboten. Die Bundesverfassung äußert sich zu dieser Frage nämlich nicht.

In VfSlg 2929/1955 hat der Verfassungsgerichtshof erstmals festgehalten: 'Wenn der Beschwerdeführer hierin ganz allgemein einen 'Verstoß gegen das rechtsstaatliche Prinzip' erblicken will, so verkennt er offenbar den Sinn dieses Rechtsbegriffes, der darin gipfelt, daß alle Akte staatlicher Organe im Gesetze und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen die Gewähr dafür bietet, daß nur solche Akte in ihrer rechtlichen Existenz dauernd gesichert erscheinen, die in Übereinstimmung mit den sie bedingenden Akten höherer Stufe erlassen wurden (Adamovich, Grundriß des österreichischen Verfassungsrechtes, 4. Auflage, S. 71).' Hat man im Lichte der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes beginnend mit VfSlg 11.196/1986 zudem erkannt, dass die durch das 'Rechtsstaatsprinzip' 'unabdingbar geforderten Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen', ist zu prüfen, ob diese allgemeinen Postulate im vorliegenden Fall von Relevanz sein können.

Bereits an der Struktur des VfGG wird deutlich, dass dem Verfassungsgerichtshof Zuständigkeiten übertragen sind, die unterschiedliche verfahrensrechtliche Regelungen erforderlich machen. In diesem Sinne ist zu prüfen, ob eine Anwendung der §§530 ff ZPO im Gesetzesprüfungsverfahren (sowie im Verordnungsprüfungsverfahren) überhaupt in Betracht kommt oder die in §530 Abs1 Z1 bis 7 ZPO angeführten Wiederaufnahmegründe allein auf die in §34 VfGG angeführten Verfahrensarten übertragen werden können.

Nachdem §34 VfGG auf Grund eines Antrags gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG von Amts wegen in Prüfung gezogen wurde, sei darauf hingewiesen, dass weder das B-VG noch das VfGG oder eine sonstige Rechtsvorschrift ausdrücklich vorsehen, dass in einem Verfahren gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes auf ein strafgerichtliches Erkenntnis im Sinne des §530 Abs1 Z5 ZPO gegründet sein müsste. Erst indem der Verfassungsgerichtshof offensichtlich von einer eigenständigen Prüfung der Zulässigkeit des in Art140 Abs1 Z1 litd B-VG angesprochenen Rechtsmittels abgesehen und sich auf die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien gestützt hat, konnte jene Situation eintreten, die zur Stellung des Wiederaufnahmeantrags im Anlassverfahren geführt hat. Auf dem Boden dieser Überlegungen könnte der Verfassungsgerichtshof seinen rechtsstaatlichen Bedenken gegen §34 VfGG durch eine Anpassung seiner Judikatur, wonach das Erfordernis des Vorliegens eines zulässigen Rechtsmittels nicht erfüllt sei, sofern das ordentliche Gericht das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen habe (VfGH 19.11.2015, G209/2015), die Grundlage entziehen. Sollte der Verfassungsgerichtshof der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes über die (Rechtzeitigkeit und) Zulässigkeit des vor diesem Gericht erhobenen Rechtsmittels (zur Mitteilungspflicht siehe §62a Abs5 zweiter Satz VfGG) nach eigenständiger Prüfung folgen, läge eine keinem weiteren Rechtszug mehr unterliegende Entscheidung eines Höchstgerichtes vor, die vor dem Hintergrund einer späteren Entscheidung eines ordentlichen Gerichtes möglicherweise als inhaltlich unrichtig anzusehen wäre. Ein Wiederaufnahmegrund gemäß §530 Abs1 Z1 bis 7 ZPO könnte darin freilich nicht erblickt werden.

1.4. Wenn also im Einleitungsbeschluss aus einem als solchen bezeichneten 'Rechtsstaatsprinzip' abgeleitet wird, die Wiederaufnahme des Verfahrens sei im Gesetzesprüfungsverfahren gemäß Art140 B-VG (sowie im Verordnungsprüfungsverfahren gemäß Art139 B-VG) verfassungsrechtlich zwingend geboten, dann ist dem von Seiten der Bundesregierung entgegenzuhalten, dass sie keine Bestimmungen der Bundesverfassung zu identifizieren vermochte, aus denen sich ein solches verfassungsrechtliches 'Prinzip' (bzw ein verfassungsrechtliches 'Prinzip' dieses Inhalts) ergibt. Vor dem Hintergrund der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung wäre die Geltung eines solchen verfassungsrechtlichen 'Prinzips' auch nicht naheliegend, war eine Wiederaufnahme des Verfahrens im Gesetzesprüfungsverfahren gemäß Art140 B-VG doch noch nie möglich. Das 'rechtsstaatliche Prinzip' würde diesfalls also etwas gebieten, wofür weder das Bundesverfassungsrecht noch das einfachgesetzliche Ausführungsrecht positivrechtliche Anhaltspunkte bietet oder jemals geboten hat. Eine solche Bedeutung kann ihm daher nach Ansicht der Bundesregierung nicht beigemessen werden.

2.     Zu den Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz gemäß Art2 StGG und Art7 B-VG:

2.1.   Im Einleitungsbeschluss geht der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, 'dass es keine sachliche Rechtfertigung iSv Art2 StGG und Art7 Abs1 B-VG gibt, eine Wiederaufnahme des Verfahrens iSv §530 Abs1 Z5 ZPO zwar im Verfahren nach der Zivilprozessordnung vor den ordentlichen Gerichten vorzusehen, nicht aber auch im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 B-VG, der subsidiär (§35 VfGG) ebenfalls die Zivilprozessordnung anzuwenden hat, obwohl das Rechtsschutzinteresse bei Wegfall einer Entscheidung iSv §530 Abs1 Z5 ZPO in allen Verfahren gleichartig zu sein scheint (vgl VfSlg 20.107/2016 zu §33 VfGG idF BGBl I 33/2013)'

2.2.   Der Gleichheitsgrundsatz bindet den Gesetzgeber (siehe etwa VfSlg 13.327/1993, 16.407/2001) als er ihm insofern inhaltliche Schranken setzt, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassung wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (siehe etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002). Ob eine Regelung zweckmäßig ist und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht mit dem Maß des Gleichheitssatzes gemessen werden (zB VfSlg 14.301/1995, 15.980/2000 und 16.814/2003).

2.3.   Im Einleitungsbeschluss wird dem Rechtsschutzinteresse (der Prozesspartei) im Ergebnis die Bedeutung beigemessen, die einzig maßgebliche verfassungsrechtliche Determinante für eine gesetzliche Wiederaufnahmeregelung zu sein. Träfe diese Annahme zu, müssten freilich die Wiederaufnahmeregelungen aller Verfahrenssysteme von Verfassung wegen identisch sein (was nicht der Fall ist). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind derartige Unterschiede jedoch nicht verfassungsrechtlich bedenklich, weil verschiedene Ordnungssysteme nicht miteinander verglichen werden können (sog 'Ordnungssystemjudikatur'; vgl statt vieler zB VfSlg 20.324/2019). In diesem Zusammenhang sei insbesondere darauf aufmerksam gemacht, dass einzelne Verfahrenssysteme auch eine amtswegige Wiederaufnahme kennen, worin bereits zum Ausdruck kommt, dass das Institut der Wiederaufnahme nicht primär dem (Individual-)Rechtsschutz, sondern der möglichsten Gewährleistung der Richtigkeit der Sachentscheidung dient.

Mindestens ebensolche Relevanz wie dem Rechtsschutzinteresse der Prozesspartei kommt jedoch dem Prozessgegenstand selbst zu: Verfahren vor den (Zivil-)Gerichten nach der ZPO sind 'bürgerliche Rechtsstreitigkeiten', Gesetzesprüfungsverfahren gemäß Art140 B-VG (sowie Verordnungsprüfungsverfahren gemäß Art139 B-VG und auch Verfahren gemäß Art139a und Art140a B-VG) vor dem Verfassungsgerichtshof sind dies nicht; die in §35 Abs1 VfGG normierte subsidiären Anwendbarkeit ua der ZPO im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ändert daran nichts. Dass §35 Abs1 VfGG auf die ZPO verweist, ändert auch nichts daran, dass es sich beim Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und beim Zivilprozess um jeweils unterschiedliche Ordnungssysteme handelt: Denn der Gesetzgeber hat durch das VfGG den Besonderheiten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens Rechnung getragen und insofern ein eigenständiges Verfahrenssystem geschaffen (vgl mutatis mutandis VfSlg 20.249/2018: 'Dass der Gesetzgeber für das Verfahren wegen gerichtlich strafbarer Finanzdelikte auf die Bestimmungen der StPO verweist, steht dem – entgegen dem Vorbringen des antragstellenden Gerichtes – nicht entgegen, weil er durch die §§196a bis 245 FinStrG den Besonderheiten des finanzstrafgerichtlichen Verfahrens Rechnung trägt und insofern auch für das gerichtliche Finanzstrafverfahren ein eigenständiges Verfahrenssystem geschaffen hat.'). Diese beiden Verfahrenssysteme können daher auch nicht miteinander verglichen werden.

Nach Ansicht der Bundesregierung gibt es jedenfalls gute Gründe dafür, Gesetzesprüfungsverfahren (sowie Normenprüfungsverfahren ganz allgemein) anders zu behandeln als 'bürgerliche Rechtsstreitigkeiten' und auch als jene strukturelle Ähnlichkeiten mit dem Zivilprozess aufweisenden, 'kontradiktorischen' Verfahren gemäß Art137, 143 und 144 B-VG. Denn Gesetzesprüfungsverfahren (sowie Normenprüfungsverfahren ganz allgemein) dienen nicht nur – und wohl auch nicht primär – dem Individualrechtsschutz, sondern der Gewährleistung der (objektiven) Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung (bzw der Rechtmäßigkeit genereller Normen). Indem der Gesetzgeber in diesen Verfahren keine Möglichkeit der Wiederaufnahme eröffnet, misst er der Rechtskraft der verfassungsgerichtlichen Entscheidung im Gesetzesprüfungsverfahren (sowie im Normenprüfungsverfahren ganz allgemein) und damit der Rechtssicherheit eben tendenziell größere Bedeutung bei als dem Interesse des Einzelnen an einer Wiederaufnahme des Verfahrens. Dies ist jedoch schon deswegen nicht unsachlich, weil der Ausgang eines Gesetzesprüfungsverfahrens (bzw Normenprüfungsverfahrens) eben nicht nur für den 'Anlassfall', sondern potenziell für alle Adressaten des Gesetzes (bzw der Norm) Rechtsfolgen hat.

Im Hinblick darauf ist auch aus jener Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes, wonach die Wiederaufnahme des Verfahrens zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen (Verwaltungs-)Verfahrens zählt (vgl die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I² [1998] 40 E 16 zu ArtII EGVG zitierte Judikatur sowie ferner VwGH 23.6.2010, 2007/06/0004; VwGH 26.6.2014, Ro 2014/16/0034; VfSlg 7017/1973, 19.733/2013), nichts zu gewinnen.

2.4.   Außerdem bestehen zwischen den Instituten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Wiederaufnahme des Verfahrens wesentliche Unterschiede, die einer Übertragung jener Gründe, die zur Aufhebung des §33 VfGG geführt haben, auf den vorliegenden Fall entgegenstehen. Das wird auch anhand der Anlassfälle in VfSlg 20.107/2016 und des vorliegenden Verfahrens deutlich: Anders als in dem VfSlg 20.107/2016 zugrunde gelegenen Fall liegt nämlich im vorliegenden Fall keine Akzessorietät zwischen dem prozessrechtlichen Fristen im Verfahren vor den ordentlichen Gerichten und im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof vor und es handelt sich bei dem Verfahren vor den ordentlichen Gerichten auch nicht um einen Zivilprozess: Was im Einleitungsbeschluss mit dem für den Verfassungsgerichtshof geltenden Verfahrensrecht verglichen wird, ist nämlich gerade nicht das im Anlassverfahren (für die Strafgerichte) geltende Prozessrecht, sondern das Zivilprozessrecht.

2.5.   Schließlich kann nach Ansicht der Bundesregierung bei Berücksichtigung der oben unter III.1.3. dargestellten Überlegungen ein verfasssungswidriges Ergebnis vermieden werden.

3.     Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig ist."

II. Rechtslage

1. §34 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG), BGBl 85/1953, idF BGBl I 33/2013 lautet:

"§34. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens kann nur in den Fällen der Art137, 143 und 144 B-VG stattfinden. Über ihre Zulässigkeit entscheidet der Verfassungsgerichtshof in nichtöffentlicher Sitzung."

2. §35 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG), BGBl 85/1953, idF BGBl I 92/2014 lautet:

"§35. (1) Soweit in diesem Gesetz nicht anderes bestimmt ist, ist auf das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof die Zivilprozessordnung – ZPO,

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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