TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/9 W145 2240393-1

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Veröffentlicht am 09.09.2021
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Entscheidungsdatum

09.09.2021

Norm

ASGG §71
ASVG §101
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W145 2240393-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela HUBER-HENSELER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , SVNR XXXX , vertreten durch RA XXXX , gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Niederösterreich, vom 14.12.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid vom 14.12.2020, AZ XXXX , hat die Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Niederösterreich (im Folgenden: belangte Behörde), den Antrag von XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführer) vom 21.08.2020 auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes betreffend den Antrag vom 09.12.2015 abgelehnt und den Antrag vom 21.08.2020 auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes betreffend den Antrag vom 08.02.2017 zurückgewiesen.

2. Mit Schriftsatz vom 15.01.2021 erhob der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers fristgerecht Beschwerde.

3. Mit Schreiben vom 09.03.2021 legte die belangte Behörde die verfahrensgegenständliche Angelegenheit dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und erstattete eine Stellungnahme.

4. Mit Schriftsatz vom 07.04.2021 erstattete der Vertreter des Beschwerdeführers im Rahmen eines Parteiengehörs eine Stellungnahme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 27.04.2016, AZ XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 09.12.2015 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgelehnt, weil Berufsunfähigkeit nicht vorliegt. Da Berufsunfähigkeit in absehbarer Zeit nicht eintreten wird, besteht auch kein Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation.

1.1.1. Im Rahmen der Feststellung über die Berufsunfähigkeit wurden zwei ärztliche Gutachten eingeholt.

Das erste Gutachten aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie wurde von Dr. XXXX nach einer Untersuchung am 17.02.2016 erstellt und ergab als Diagnose eine Konversionsstörung sowie ein Cervicalsyndrom ohne neurologische Ausfälle. Zur Leistungsfähigkeit wurde zusammengefasst ausgeführt, dass Tätigkeiten entsprechend dem umseitigen Leistungskalkül möglich und zumutbar sind. Das zweite Gutachten wurde aus dem Fachgebiet der inneren Medizin eingeholt und von Dr. XXXX nach einer Untersuchung ebenfalls am 17.02.2016 erstellt. Diagnostiziert wurde ebenfalls eine Konversionsstörung und ein Cervicalsyndrom ohne neurologische Ausfälle. In der chefärztlichen Stellungnahme vom 14.03.2016 wurde von Dr. XXXX die Diagnosen zusammengefasst und festgestellt, dass das Gesamtleistungskalkül für den ausgeübten Beruf bzw. die zumutbare Verweisungstätigkeit ausreicht. Diese Feststellung findet sich auch in den erwähnten fachärztlichen Gutachten.

In weiterer Folge wurde der abweisende Bescheid vom 27.04.2016 von der belangten Behörde erlassen. Gegen den Bescheid wurde kein Rechtsmittel erhoben und ist dieser somit in Rechtskraft erwachsen.

1.2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 05.04.2017, AZ XXXX , wurde der neuerliche Antrag des Beschwerdeführers vom 08.02.2017 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgelehnt, weil Berufsunfähigkeit nicht vorliegt. Da Berufsunfähigkeit in absehbarer Zeit nicht eintreten wird, besteht auch kein Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation.

1.2.1. Im Rahmen der Feststellung über die Berufsunfähigkeit wurden erneut zwei ärztliche Sachverständigengutachten eingeholt:

Ein Gutachten aus dem Fachbereich Psychiatrie erstellt nach einer Untersuchung am 10.03.2017 von Dr. XXXX ergab als Diagnose eine Konversionsstörung sowie Hypochondrie. Die Frage, ob die Tätigkeit im umseitigen Leistungskalkül möglich und zumutbar ist, wurde mit „Ja“ beantwortet. Es wurde ein weiteres Gutachten aus dem Fachbereich Orthopädie und orthopädische Chirurgie, erstellt von Dr. XXXX nach einer Untersuchung am 22.03.2017. Als Hauptdiagnose wurde eine Konversionsstörung sowie Hypochondrie angeführt. Weiters leidet der Beschwerdeführer unter einem Cervikalsyndrom mit geringem Schulter/Armsyndrom bei degenerativen Veränderungen und Bandscheibenschädigung. Zu der vorliegenden Leistungspotenzierung führte der Gutachter aus, dass der Beschwerdeführer aus orthopädischer Sicht für mittelschwere Tätigkeiten entsprechend dem Leistungskalkül geeignet ist. In der chefärztlichen Stellungnahme vom 23.03.2017 wurde von Dr. XXXX die Bestätigung über das Leistungskalkül erteilt. Als Hauptdiagnose wurde eine Konversionsstörung und als Nebendiagnose ein Cervikalsyndrom mit geringem Schulter/Armsyndrom bei degenerativen Veränderungen und Bandscheibenschädigungen diagnostiziert.

In weitere Folge wurde auch der Antrag vom 08.02.2017 von der belangten Behörde abgewiesen. Es wurde kein Rechtsmittel erhoben und der auch der Bescheid vom 05.04.2017 erwuchs in Rechtskraft.

1.3. Laut vom Beschwerdeführer eingeholten Gutachten vom 06.12.2017 von Dris. XXXX Msc, Facharzt für Anästhesiologie & Intensivmedizin, leidet er an einem sog. „Barré-Liéou-Syndrom“. Ein Hinweis auf eine Minderung der Erwerbsfähigkeit oder eine Berufsunfähigkeit aufgrund des Syndroms ist im Gutachten nicht enthalten; auch nicht im Schmerzmedizinischen Gutachten von Dr. XXXX vom 19.04.2020.

1.4. Mit Schriftsatz vom 08.05.2020 stellte der Beschwerdeführer die Anträge auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes betreffend der beiden oben genannten Bescheide.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Ausführungen zum Verfahrensgang und den Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

Zu den Ausführungen bzw. Anschuldigungen des Beschwerdeführers gegen die gutachterlichen Sachverständigen ist auszuführen, dass es für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar ist, wie der Beschwerdeführer auf den Vorwurf kommt, dass diese die Untersuchungsergebnisse manipuliert haben sollen. Der Beschwerdeführer wurde in beiden erstinstanzlichen Verfahren von jeweils zwei Sachverständigen (immer namentlich verschiedene) untersucht. Diese führten jeweils eine persönliche Untersuchung durch und erstellten daraufhin ihre Gutachten. Bei allen vier Gutachten wurde immer dieselbe Diagnose gestellt. Wie der Beschwerdeführer auf den Vorwurf kommt, die Gutachter, die ihm allem Anschein nach vorher persönlich unbekannt gewesen sind, hätten ein persönliches Interesse daran, ihm eine Berufsunfähigkeitspension zu verwehren, indem sie bewusst eine falsche Diagnose stellen, ist dem erkennenden Gericht schleierhaft. Die vom Beschwerdeführer vorgelegten Sachverständigengutachten gehen von einer anderen Diagnose aus. Anzumerken ist, dass ein Gutachten ohne persönliche Untersuchung des Beschwerdeführers erstellt wurde. Wie in der rechtlichen Beurteilung noch näher ausgeführt wird, liegt kein Grund für die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes vor, wenn ein anderer Sachverständige lediglich zu einer anderen Diagnose kommt. Wie die belangte Behörde richtigerweise ausgeführt hat, ist den Ausführungen des Beschwerdeführers zu entnehmen, dass es sich bei der Erkrankung „Barré-Lieou-Syndrom“ um ein sehr kompliziertes, nicht leicht erkennbares Krankheitsbild handelt. Dieses Syndrom wurde erst nach jahrelangem Suchen im Dezember 2017 – also nach den beiden Berufsunfähigkeitspensionsverfahren - erstellt. Es ist daher offenkundig, dass im Rahmen der Begutachtungen im Zuge der Pensionsverfahren weder gesicherte Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft außer Acht gelassen wurden noch ein offenkundiges Versehen vorlag.

Zudem wäre es dem Beschwerdeführer möglich gewesen aufgrund des erstmalig Ende 2017 festgestellten „Barré-Lieou-Syndroms“ einen neuerlichen Antrag auf Berufsunfähigkeitspension bei der belangten Behörde zu stellen.

Dem Vorwurf des Beschwerdeführers der Chefarzt Dr. XXXX habe aufgrund seiner politischen Ausrichtung ein Interesse daran, den Beschwerdeführer zu schädigen, ist anzumerken, dass Dr. XXXX den Beschwerdeführer nie persönlich gesehen hat, sondern für seine chefärztliche Stellungnahme die beiden erstellten Gutachten zusammengefasst hat. In der gleichen Rolle als zusammenfassende Gutachterin fungierte Dr. XXXX im Pensionsverfahren rund um den Antrag vom 08.02.2017.

2.2. Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag, oder wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Nach der Rechtsprechung des EGMR kann eine mündliche Verhandlung in Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK unterbleiben, wenn besondere beziehungsweise außergewöhnliche Umstände dies rechtsfertigen (vgl. EGMR 05.09.2002, Speil/Österreich, Appl. 42057/98, VwGH 17.09.2009, 2008/07/0015). Derartige außergewöhnliche Umstände hat der EGMR etwa bei Entscheidungen über sozialversicherungsrechtliche Ansprüche, die ausschließlich rechtliche oder in hohem Maße technische Fragen aufwerfen, als gegeben erachtet. Hier kann das Gericht unter Berücksichtigung der Anforderungen an die Verfahrensökonomie und Effektivität von einer mündlichen Verhandlung absehen, wenn der Fall auf Grundlage der Akten und schriftlichen Stellungnahmen der Parteien als angemessen entschieden werden kann (vgl. EGMR 12.11.2002, Fall Döry, Appl. 28.394/95, Z. 37 ff.; EGMR 8.2.2005, Fall Miller Appl. 55.853/00).

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrages von der Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und der Entfall der mündlichen Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1985, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Abl. Nr. 83 vom 30.03.2010, S. 389 entgegenstehen. Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache mehr zu erwarten war und sich der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als hinreichend geklärt darstellte. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers hat zudem auch keinen Antrag gestellt. Die belangte Behörde führte ein ordnungsgemäßes Beweisverfahren durch. Der Sachverhalt war weder in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig. Es wurden keine Rechts- und Tatfragen aufgeworfen, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte (vgl. ua VwGH 18.06.2012, B 155/12, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt unbestritten und die Rechtsfrage von keiner besonderen Komplexität ist).

Dem Entfall der mündlichen Verhandlung stehen weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen Bescheide einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Nach § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG ist belangte Behörde in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat – vorliegend die Pensionsversicherungsanstalt.

§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

In Ermangelung einer entsprechenden Anordnung der Senatszuständigkeit liegt im gegenständlichen Fall Einzelrichterzuständigkeit vor.

3.2. Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.3. Prüfungsumfang und Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts

§ 27 VwGVG legt den Prüfungsumfang fest und beschränkt diesen insoweit als das Verwaltungsgericht (bei Bescheidbeschwerden) prinzipiell (Ausnahme: Unzuständigkeit der Behörde) an das Beschwerdevorbringen gebunden ist (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren [2013], Anm. 1 zu § 27 VwGVG). Konkret normiert die zitierte Bestimmung: „Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung aufgrund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.“

Die zentrale Regelung der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG. Die vorliegend relevanten Abs. 1 und 2 dieser Bestimmung lauten wie folgt:

„§ 28 (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.       der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.“

Gegenständlich steht der maßgebliche Sachverhalt im Sinne des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG fest. Das Bundesverwaltungsgericht hat folglich in der Sache selbst zu entscheiden.

3.4. Zu A) Abweisung der Beschwerde

Ergibt sich gemäß § 101 ASVG nachträglich, dass eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, so ist mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen.

Die Entscheidung, ob der gesetzliche Zustand wegen eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens herzustellen ist, ist eine Verwaltungssache, die Herstellung des Zustandes selbst hingegen eine Leistungssache (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 22. Oktober 1996, Zl. 96/08/0057).

Ein Irrtum über den Sachverhalt liegt vor, wenn der Sozialversicherungsträger Sachverhaltselemente angenommen hat, die mit der Wirklichkeit zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht übereinstimmten (vgl. zB die Erkenntnisse des VwGH vom 18. März 1997, Slg. Nr. 14.640/A, und vom 29. Juni 1999, Zl. 97/08/0588). Es darf sich daher bei diesem Herstellungsgrund nicht um einen Irrtum über den anzuwendenden Rechtssatz, also nicht um einen Rechtsirrtum handeln (vgl. Teschner/Widlar, Allgemeine Sozialversicherung, Anm. 3 zu § 101).

Es kommt also darauf an, ob die vom Irrtum betroffenen und dann richtig gestellten Sachverhaltselemente im Zusammenhalt mit den vom Irrtum nicht betroffenen Feststellungen des seinerzeitigen Bescheides den Anspruch begründet bzw. erhöht hätten (vgl. das VwGH-Erkenntnis vom 23. April 2003, Zl. 98/08/0391).

Der seinerzeitige Irrtum muss dafür kausal sein, dass die Leistung zu Unrecht verweigert wurde. Führen zunächst außer Acht gelassene Tatsachen nicht dazu, dass die Anspruchsvoraussetzungen am Stichtag vorlagen, dann ist ein Antrag gemäß § 101 abzuweisen (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 8. September 1998, Zl. 97/08/0639).

Die Voraussetzungen des § 101 ASVG sind aber auch dann erfüllt, wenn der für die rechtliche Beurteilung maßgebliche Sachverhalt im seinerzeitigen Verfahren nicht ermittelt worden ist. Auch in Tatfragen, deren Beantwortung einem Sachverständigen überlassen bleiben muss, kann ein Irrtum vorliegen, etwa wenn der Sachverständige bei Erstellung von Befund und Gutachten eine gesicherte Erkenntnis seines Faches bzw. die Regeln der Wissenschaft nicht beachtet hat. Der Irrtum ist dann als wesentlich im Sinne des § 101 ASVG anzusehen, wenn er für die rechtliche Beurteilung des den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens bildenden Leistungsanspruches Bedeutung erlangt (VwGH vom 28.03.2012, Zl. 2012/08/0047 und vom 04.05.1999, Zl. 97/08/0061).

Ist das Ergebnis des Verfahrens, wie gegenständlich, von medizinischen Fragen und damit von Sachverständigengutachten abhängig, dann kann in der Außerachtlassung einer gesicherten Erkenntnis des Faches ein offenkundiges Versehen liegen. § 101 ASVG biete allerdings keine Handhabe dafür jede Fehleinschätzung im Tatsachenbereich, insbesondere auch die Beweiswürdigung im Nachhinein (auch mehrfach) neu aufzurollen (vgl. das Erkenntnis vom 22.10.1996, Zl. 96/08/0057: Es genügte nicht, wenn ein medizinischer Sachverständiger eine Einschätzung der Minderung der Erwerbstätigkeit vorgenommen hätte, die von einem anderen Sachverständigen bloß nicht geteilt wird, aber vertretbar erscheint). Bezüglich des Antrages vom 09.12.2015 sowie des Antrages vom 08.02.2017 wurden jeweils zwei Sachverständigengutachten von jeweils zwei Sachverständigen aus unterschiedlichen Fachrichtungen eingeholt. Alle vier Sachverständigen kamen, nach persönlicher Untersuchung des Beschwerdeführers, zu denselben Diagnosen. Das vom Beschwerdeführer vorgelegte Gutachten vom 06.12.2017 des Dris. XXXX , Facharzt für Anästhesiologie & Intensivmedizin, diagnostiziert dem Beschwerdeführer ein sog. „Barré-Liéou-Syndrom“. Ein weiteres Schmerzmedizinisches Gutachten vom 19.04.2020 von Dr. XXXX , das nicht nach einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers erstellt wurde, spricht davon, dass es sich im vorliegenden Fall um Schmerz als Begleitsymptom einer körperlichen Störung mit „außergewöhnlichen Schmerzen“ handelt und es zur Ausbildung des Vollbildes eines „Barré-Liéou-Syndroms“ kam. Weder im Gutachten Dris. XXXX noch im Gutachten Dris. XXXX , noch in der Beschwerde wird von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit beziehungsweise von einer Berufsunfähigkeit aufgrund des in den Gutachten genannten Syndroms gesprochen. Es wird lediglich ausgeführt, dass der Beschwerdeführer unter diesem Syndrom leide.

Wenn eine Krankheit aus Gründen, die nicht als offenkundiges Versehen im Sinne des § 101 ASVG zu werten ist, anlässlich eines (ersten) Antrages auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension nicht festgestellt werden konnte, dann kann dies nach § 101 ASVG im Nachhinein nicht mehr aufgegriffen werden, wenn die Krankheit später erkennbar wird und Gründe zu der Annahme bestehen, sie sei schon seinerzeit (freilich unerkannt) vorgelegen (VwGH vom 27.07.2001, Zl. 2001/08/0040).

Die belangte Behörde hat sich in ihren abweisenden Bescheiden auf die jeweils zwei eingeholten Sachverständigengutachten (nach Einholung einer Gesamtbeurteilung durch den Chefärztlichen Dienst der belangten Behörde) gestützt und dadurch einen Akt der Beweiswürdigung gesetzt, der als solcher im Rahmen des § 101 ASVG nicht ohne weiteres neu aufgerollt werden kann. Es liegt sohin kein wesentlicher Sachverhaltsirrtum vor.

Auch sieht das erkennende Gericht nicht, dass die vier medizinischen Sachverständigen, welche jeweils unabhängig voneinander ihre Gutachten erstellt haben, bei Erstellung von Befund und Gutachten eine gesicherte Erkenntnis des Faches außer Acht gelassen oder die Regeln der Wissenschaft nicht beachtet hätten. Dies wird auch in den vom Beschwerdeführer vorgelegten Gutachten nicht behauptet.

Die Voraussetzungen für die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes nach § 101 ASVG sind sohin nicht gegeben und es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Betreffend die Klagserhebung und –zurückziehung betreffend den Bescheid vom 05.04.2017:

Im sozialgerichtlichen Verfahren tritt mit Erhebung der Klage der Bescheid des Versicherungsträgers im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft (§ 71 ASGG). Die Entscheidungsbefugnis geht auf das Gericht über, das den durch die Klage geltend gemachten Anspruch selbständig und unabhängig vom Verfahren vor dem Versicherungsträger auf Basis der Sach- und Rechtslage bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zu prüfen hat (OGH vom 01.03.2011, Zl. 10 ObS 6/11x).

Durch die Zurücknahme der Klage tritt der durch die Klage außer Kraft getretene Bescheid nicht wieder in Kraft und gilt der Antrag des Versicherten soweit als zurückgezogen, als der darüber ergangene Bescheid durch die Klage außer Kraft getreten ist (OGH vom 18.03.2003, Zl. 10 ObS 50/03f).

3.5. Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Abweisung der Beschwerde ergeht in Anlehnung an die oben zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum ASVG. Die gegenständliche Entscheidung weicht daher weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch mangelt es an derartiger Rechtsprechung; sie ist auch nicht uneinheitlich. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage liegen nicht vor.

Schlagworte

ärztliche Untersuchung Berufsunfähigkeitspension Herstellung des Rechtszustandes Rückwirkung Sachverständigengutachten Voraussetzungen Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W145.2240393.1.00

Im RIS seit

13.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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