Entscheidungsdatum
11.01.2021Norm
BFA-VG §18 Abs2 Z1Spruch
I411 2184409-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Robert POLLANZ als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Ägypten, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Farid RIFAAT, Schmerlingplatz 3/6, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich vom 13.12.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.12.2020 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt III. insofern stattgegeben, dass die Dauer des befristeten Einreiseverbotes von sieben Jahren auf ein Jahr herabgesetzt wird.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Ägyptens, ist seit Juni 2013 auf Grundlage eines Aufenthaltstitels für Familienangehörige in Österreich niedergelassen.
2. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX zu XXXX vom 17.03.2015, rechtskräftig seit selbigem Tag, wurde er wegen der Vergehen der Körperverletzung nach
§ 83 Abs 1 StGB unter Setzung einer dreijährigen Probezeit zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Höhe von drei Monaten verurteilt.
3. Mit 18.04.2017 verurteilte ihn das Landesgericht XXXX zu XXXX wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1 und Abs 3 Z 2 und Abs 4 erster Fall FPG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Höhe von 32 Monaten. Das Urteil erwuchs mit 13.11.2017 in Rechtskraft.
4. Mit Parteiengehör vom 25.04.2017, dem BF zugestellt am 03.05.2017, teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA; belangte Behörde) dem BF mit, dass beabsichtigt werde, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung nach Ägypten sowie ein Einreiseverbot zu erlassen. Dem BF wurde dabei die Möglichkeit gegeben, binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens schriftlich Stellung zu seinem Privat- bzw. Familienleben bzw. zu den Länderfeststellungen zu nehmen. Dem kam der BF fristgerecht mit Schreiben vom 08.05.2017, bei der belangten Behörde eingelangt am 12.05.2017, nach.
5. Mit Bescheid vom 13.12.2017, Zl. XXXX , erließ die belangte Behörde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Ägypten zulässig sei (Spruchpunkt II.), erließ gegen ihn ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt III.), gewährte ihm keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.) und erkannte einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.).
6. Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch seine Rechtsvertretung fristgerecht mit Datum 04.01.2018 vollinhaltlich Beschwerde. Begründend wurde ausgeführt, dass sich die belangte Behörde ausschließlich auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Strafe stütze und das Gesamtverhalten des BF nicht berücksichtigt worden sei. Zudem verfüge der BF im Bundesgebiet über ein intensives Familienleben. Bis zum Antritt seiner Strafhaft habe er mit seiner österreichischen Ehefrau und ihren [damals] beiden gemeinsamen, in den Jahren 2013 und 2014 geborenen Kindern zusammengelebt. Er habe einen hohen Grad der Integration erreicht und strebe an, sich nach dem Ende seiner Haft weiterhin zu integrieren. Vor diesem Hintergrund sei das von der belangten Behörde verhängte Einreiseverbot unverhältnismäßig und rechtswidrig.
7. Mit Schriftsatz vom 24.01.2018, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 29.01.2018, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.
8. Am 12.02.2018 langte eine handschriftliche Beschwerdenachreichung seitens des BF ein.
9. Mit E-Mail vom 22.09.2020 ersuchte der Rechtsvertreter des BF um Mitteilung des Verfahrensstandes.
10. Mit Datum 16.11.2020 stellte der BF durch seine Rechtsvertretung einen Fristsetzungsantrag an den Verwaltungsgerichtshof wegen Verletzung der Entscheidungsfrist des Bundesverwaltungsgerichtes.
11. Am 03.12.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung via Videokonferenz in Anwesenheit des BF, seines Rechtsvertreters, einer Dolmetscherin für arabische Sprache und der Zeugin XXXX statt. Entschuldigt fern blieb ein Vertreter der belangten Behörde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zunächst wird der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Ägypten. Seine Identität steht fest.
Er heiratete am XXXX in Ägypten die österreichische Staatsbürgerin XXXX . Diese wurde am XXXX in Ägypten geboren und lebt seit 15 Jahren in Österreich. Ihr wurde die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Die Familie der Ehegattin (Mutter, Geschwister und Onkel) lebt ebenfalls in Österreich. Aufgrund der Eheschließung erteilte das Magistrat der Stadt XXXX dem BF am 15.05.2013 erstmals einen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“, welcher mehrmals verlängert wurde, und zwar zuletzt am 18.05.2016 bis zum 18.05.2019. Über einen am 28.03.2019 gestellten Verlängerungsantrag des BF wurde bisher keine Entscheidung getroffen. Seit 17.06.2013 weist er durchgehend einen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet auf.
Der BF lebt mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Töchtern, XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX sowie XXXX , geb. XXXX , welche allesamt die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, in einem gemeinsamen Haushalt, abgesehen vom Zeitraum seiner Strafhaft (10.11.2016 bis zum 20.08.2018). In dieser Zeit erhielt er regelmäßige Besuche von seiner Gattin, ein- bis zweimal waren auch die Kinder dabei. Der BF stellt eine wichtige Bezugsperson für seine Kinder dar.
Zudem hat der BF Freunde und Bekannte in Österreich. Ein Bruder und eine Schwester des BF sowie ein Onkel und Cousins und Cousinen des BF leben ebenfalls im Bundesgebiet. Er spricht neben der Sprache seines Herkunftslandes Deutsch auf Niveau A2. In Ägypten lebt nach wie vor der Vater des BF, zu dem er in regelmäßigem Kontakt steht.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Seine Schulbildung hat er in Ägypten erfahren, zudem einen Bachelorabschluss in sozialer Arbeit erworben. In den Ferien arbeitete der BF immer in XXXX in einem Hotel. In Österreich ging er Vollzeiterwerbstätigkeiten vom 08.11.2013 bis 08.06.2016 als Angestellter sowie vom 01.12.2018 bis 19.04.2019, vom 07.05.2019 bis 01.01.2020 und vom 01.06.2020 bis heute als Arbeiter nach. In den übrigen Zeiten außerhalb der Haft bezog er Arbeitslosengeld, Notstands- bzw. Überbrückungshilfe sowie bedarfsorientierte Mindestsicherung und ging daneben teilweise auch einer geringfügigen Beschäftigung als Arbeiter nach. Er trägt derzeit mit seiner Beschäftigung zum Lebensunterhalt seiner Familie bei, wobei er – bei Ableistung von Überstunden – ein monatliches Einkommen von netto EUR 1.700,-- bis EUR 1.800,-- ins Verdienen bringt. Die Ehefrau des BF ging zuletzt im Zeitraum vom 18.11.2012 bis 15.06.2013 einer Erwerbstätigkeit nach. Nach dem Bezug von einem pauschalen Kinderbetreuungsgeld (17.11.2013 bis 27.03.2014 sowie 24.11.2014 bis 27.03.2017) bezog die BF Arbeitslosengeld und Notstands- bzw. Überbrückungshilfe, dies somit auch im Zeitraum der Inhaftierung des BF. Seit 30.08.2020 erhält sie ein pauschales Kinderbetreuungsgeld in Höhe von EUR 650,--.
Der BF wurde im Bundesgebiet bisher insgesamt zweimal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt und stellt sich ein Auszug aus dem Strafregister zur Person des BF wie folgt dar:
01) LG F.STRAFS. XXXX vom 17.03.2015 RK 17.03.2015
§ 83 (1) StGB
Datum der (letzten) Tat 17.12.2014
Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Vollzugsdatum 17.03.2015
zu LG F.STRAFS. XXXX RK 17.03.2015
(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig
Vollzugsdatum 17.03.2015
LG F.STRAFS. XXXX vom 13.10.2020
02) LG XXXX vom 18.04.2017 RK 13.11.2017
§§ 114 (1), 114 (3) Z 2, 114 (4) FPG
Datum der (letzten) Tat 21.03.2016
Freiheitsstrafe 32 Monate
zu LG XXXX RK 13.11.2017
Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 20.08.2018, bedingt, Probezeit 3 Jahre
LG F.STRAFS. XXXX vom 15.06.2018
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX zu XXXX vom 17.03.2015, rechtskräftig seit selbigem Tag, wurde der BF wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Höhe von drei Monaten unter Setzung einer dreijährigen Probezeit verurteilt. Dabei wurde er für schuldig befunden, am 16.12.2014 seine Ehefrau, indem er ihr gegen die Knie trat, wodurch sie eine Prellung mit Hämatom im Bereich der rechten Kniescheibe erlitt, sowie am 17.12.2014 seinen Schwager, indem er mit einem Klappmesser wiederholt Stichbewegungen in Richtung seines Oberkörpers ausführte und ihm mehrmals mit der Faust ins Gesicht schlug, wodurch dieser eine 0,5 cm dicke Stichwunde am Bauch links, eine oberflächliche Schnittwunde an der linken Schulter, eine Schädelprellung und eine Rippenprellung links erlitt, vorsätzlich verletzt zu haben. Mildernd wurde dabei der bisher ordentliche Lebenswandel, erschwerend das Zusammentreffen von zwei Vergehen berücksichtigt.
Mit Urteil vom 18.04.2017, rechtskräftig seit 13.11.2017 wurde der BF seitens des Landesgerichtes XXXX zu XXXX für schuldig befunden, im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zwei Mittätern in XXXX , Wien und anderen Orten als Mitglied einer kriminellen Vereinigung die rechtswidrige Ein- bzw. Durchreise von jeweils mindestens drei Fremden, welche sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhielten, in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union bzw. einen Nachbarstaat Österreichs, nämlich insbesondere in die Bundesrepublik Deutschland, mit dem Vorsatz gefördert zu haben, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt in Höhe von zumindest ca. EUR 500,-- pro geschleppter Person zu bereichern, indem sein Mittäter I. I. zwischen 20. und 21.03.2016 den Mittäter XXXX und den BF als Schlepper anheuerte und sie mit dem entgeltlichen Transport dreier irakischer Staatsbürger von Österreich bis nach Deutschland beauftragte, sowie weiters der Mittäter XXXX und der BF am 21.03.2016 den bereits rechtskräftig verurteilten XXXX mit dem entgeltlichen Weitertransport der drei irakischen Staatsangehörigen von Österreich nach Deutschland beauftragten, welcher sodann in ihrem Auftrag und in ihrer Begleitung am 21.03.2016 die drei Personen entgeltlich von Wien bis nach XXXX transportierte und dabei auf frischer Tat betreten wurde. Der BF wurde hierfür wegen des Verbrechens der Schlepperei nach §§ 114 Abs 1 und Abs 3 Z 2 und Abs 4 erster Fall FPG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Höhe von 32 Monaten verurteilt. Entsprechend den Ausführungen im Strafurteil zeigte die Ausführung der Tat bei allen Angeklagten im Rahmen der kriminellen Vereinigung ein hohes Schuldmaß auf – somit auch beim BF. Mildernd wurde bei der Strafbemessung das Tatsachengeständnis, erschwerend hingegen die Mehrfachqualifikation der Begehung in Bezug auf drei Personen sowie im Rahmen einer kriminellen Vereinigung und die Tatbegehung während offener Probezeit gewertet. Infolge dieser Verurteilung befand sich der BF im Zeitraum vom 10.11.2016 bis zum 20.08.2018 in Strafhaft, bevor er mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX zu XXXX vom 15.06.2018 unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt entlassen wurde.
1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Ägypten:
Die wesentlichen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des BF lauten:
Sicherheitslage
Die terroristische Bedrohung ist auf ägyptischem Gebiet chronisch (FD 1.7.2019b). Es besteht landesweit weiterhin ein erhöhtes Risiko terroristischer Anschläge. Diese richten sich meist gegen ägyptische Sicherheitsbehörden, vereinzelt aber auch gegen ausländische Ziele und Staatsbürger (AA 1.7.2019; vgl. FD 1.7.2019a).
Das Risiko besteht auch bei politischen Kundgebungen, Demonstrationen und religiösen Veranstaltungen in Ballungsräumen. Insbesondere bei christlich-orthodoxen Feiertagen ist in der Umgebung von christlichen Einrichtungen erhöhte Vorsicht geboten (BMEIA 1.7.2019). Nach der Zündung eines Sprengkörpers am 19.5.2019 in Gizeh wird empfohlen wachsam zu sein und stark frequentierte Bereiche zu meiden (FD 1.7.2019a). In den letzten Jahren wurden mehrere Terroranschläge verübt. Nach einer Reihe von Anschlägen wurde im April 2017 für drei Monate der landesweite Ausnahmezustand ausgerufen. Dieser wird seitdem regelmäßig alle drei Monate verlängert (AA 1.7.2019; AI 26.2.2019; vgl. FD 1.7.2019). Die Maßnahme geht mit erhöhten Eingriffsbefugnissen für Sicherheitskräfte und Militär einher. Es kommt vor allem nachts zu verstärkten Kontrollen durch Sicherheitskräfte (AA 1.7.2019). Zu Demonstrationen kommt es seit der Wahl von Staatspräsident Al-Sisi im Mai 2014 kaum noch (AA 1.7.2019).
Es kam auch zu einem erneuten religiös motivierten Angriff, auf einen koptischen Pilgerbus in Minya, bei dem 29 Menschen getötet wurden (FD 1.7.2019). Seit 2016 ist es wiederholt zu Anschlägen auf koptische Christen und koptische Kirchen gekommen. Dabei gab es zahlreiche Tote und Verletzte (AA 1.7.2019). Am 28.12.2018 wurden bei der Aktivierung eines Sprengsatzes in der Nähe der Pyramiden von Gizeh vier Menschen getötet. Am 15.2.2019 versuchten die Sicherheitskräfte, drei in Kairo gefundene Sprengsätze zu entschärfen, von denen einer explodierte. Am 18.2.2019 tötete eine Person mit einem Sprengstoffgürtel drei Menschen (FD 1.7.2019b).
Vor Reisen in den Norden der Sinai-Halbinsel und das ägyptisch-israelische Grenzgebiet wird gewarnt (AA 1.7.2019). Am 9.2.2019 begann die ägyptische Armee ihre umfassende Operation "Sinai 2018" gegen militante Islamisten auf der Sinai Halbinsel (AA 24.6.2019a; AI 26.2.2019). Es kam zu Angriffen auf Touristen am Strand und in Hotels. Ein besonders schwerer terroristischer Anschlag nach dem Freitagsgebet in einer Moschee im November 2017 im Dorf Bir el Abed im Nord-Sinai forderte mehr als 300 Menschenleben (AA 1.7.2019; vgl. AA 24.6.2019a; FD 1.7.2019b) und zahlreiche weitere verletzt (AA 1.7.2019). Bereits im August 2013 wurde im Gouvernorat Nordsinai der Ausnahmezustand verhängt und seitdem immer wieder verlängert. Es gilt auch eine nächtliche Ausgangssperre (AA 1.7.2019). Bereits Im April 2017 wurden in Folge von Anschlägen auf zwei Kirchen in Alexandria und Tanta 45 Menschen getötet und über 100 verletzt. Die Terrororganisation "Islamischer Staat" hat sich zu den Anschlägen bekannt. Staatspräsident Al-Sisi verhängte einen Tag später den Ausnahmezustand, der seitdem alle drei Monate verlängert wurde. Die Politik der Härte und des permanenten Ausnahmezustands hat die Terrorgefahr jedoch nicht beseitigen können (AA 24.6.2019a). Das Österreichische Außenministerium ruft für den Nordsinai ein partielles Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 5) aus wie auch für die Saharagebiete an den Grenzen zu Libyen (einschließlich Mittelmeergebiet) und zum Sudan (BMEIA 1.7.2019). Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) besteht in den restlichen Gebieten der Sinai-Halbinsel, inklusive der Ostküste im Bereich von Nuweiba bis Taba sowie auch für das Innere des Südsinai (BMEIA 1.7.2019). Es kommt auch weiterhin zu terroristischen Anschlägen, zuletzt am 2.11.2018 in der ägyptischen Provinz Minya, wo sieben koptische Pilger starben, und am 28.12.2018 sowie am 19.5.2019 in der Nähe der Pyramiden von Gizeh, wo ausländische Touristen zu Tode kamen oder verletzt wurden (AA 24.6.2019a). Am 24.6.2019 kam es auf dem Sinai zu einem Gefecht zwischen der Armee und Kämpfern des Islamischen Staates (IS). Laut Auskunft des Innenministeriums seien dabei sieben Polizisten und vier Kämpfer des IS getötet worden (BAMF 1.7.2019).
Vor Reisen in entlegene Gebiete der Sahara einschließlich der Grenzgebiete zu Libyen und Sudan wird gewarnt (AA 1.7.2019). Die ägyptischen Behörden haben die Grenzregionen zu Libyen und zum Sudan zu Sperrgebieten erklärt (AA 1.7.2019). Minenfelder sind häufig unzureichend gekennzeichnet, insbesondere auf dem Sinai, in einigen nicht erschlossenen Küstenbereichen des Roten Meeres, am nicht erschlossenen Mittelmeerküstenstreifen westlich von El Alamein und in Grenzregionen zu Sudan und Libyen (AA 1.7.2019).
Die Kriminalitätsrate ist in Ägypten vergleichsweise niedrig. Kleinkriminalität wie Taschendiebstähle und auch vereinzelte Übergriffe speziell auf Frauen haben etwas zugenommen (AA 1.7.2019).
Allgemeine Menschenrechtslage
Die Lage der Menschenrechte ist besorgniserregend (AA 24.6.2019a). Die im Januar 2014 angenommene Verfassung enthält einen im Vergleich zu früheren Verfassungen erweiterten Grundrechtskatalog, der sowohl bürgerlich-politische wie auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte umfasst. Viele dieser Grundrechte stehen jedoch unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt. In der Praxis werden diese Rechte immer weiter eingeschränkt, vor allem bürgerlich-politische Rechte. Allerdings hat Ägypten den Kernbestand internationaler Menschenrechtsübereinkommen ratifiziert, so etwa den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Pakt über wirtschaftliche und soziale Rechte, die Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, die UN-Folterkonvention und die UN-Behindertenrechtskonvention, wie auch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Erhebliche Vorbehalte zu diesen Instrumenten betreffen unter anderem Bestimmungen betreffend die Gleichstellung von Mann und Frau vor dem Hintergrund islamischen Rechts (Scharia-Vorbehalt) (AA 22.2.2018).
Obwohl Ägypten alle wichtigen internationalen Menschenrechtskonventionen unterzeichnete und Personen- und Freiheitsrechte in der Verfassung geschützt sind, wurde und wird das Land regelmäßig wegen Menschenrechtsverletzungen stark kritisiert. Internationale Menschenrechtsorganisationen sowie viele der über 30 ägyptischen Menschenrechtsorganisationen veröffentlichen regelmäßig englisch- und arabischsprachige Berichte zur Menschenrechtslage in Ägypten, darunter die Egyptian Organization for Human Rights EOHR, das Nadim Zentrum für Gewaltopfer, die Egyptian Initiative for Personal Rights EIPR und das Budgetary and Human Rights Observatory (GIZ 12.2018).
Das Ausmaß der ägyptischen Menschenrechtskrise weitete sich aus, da die Behörden Gegner, Kritiker, Satiriker, aktuelle und ehemalige Menschenrechts- und Arbeitsrechtsaktivisten, Journalisten, Präsidentschaftskandidaten und Überlebende sexueller Belästigung verhafteten. Die Behörden nutzten die verlängerte Untersuchungshaft, um Gegner zu inhaftieren, und schränkten und schikanierten zivilgesellschaftliche Organisationen und deren Mitarbeiter ein. Die Behörden wandten Einzelhaft, Folter und weitere Arten von Misshandlungen an und ließen Hunderte von Menschen ungestraft verschwinden. Untersuchungen von Fällen außergerichtlicher Hinrichtungen wurden unterlassen. Zivil- und Militärgerichte erließen nach unfairen Prozessen Massenurteile und verurteilten Hunderte von Menschen zum Tode. Menschen wurden aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen sexuellen Orientierung verhaftet. Die Behörden hinderten Christen daran, ihren Glauben frei auszuüben, und verabsäumten es, die Verantwortlichen für sektiererische Gewalt zur Verantwortung zu ziehen. Die Streitkräfte setzten bei einer laufenden Militäroperation im Sinai verbotene Streubomben ein (AI 26.2.2019).
Die bedeutendsten Menschenrechtsprobleme waren der übermäßige Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte, Defizite in ordentlichen Gerichtsverfahren und die Unterdrückung der bürgerlichen Freiheiten. Übermäßiger Einsatz von Gewalt umfasste rechtswidrige Tötungen und Folter. Zu den prozessbedingten Problemen gehörte die übermäßige Verwendung von präventiver Haft und Untersuchungshaft. Das Problemfeld bei den bürgerlichen Freiheiten beinhaltet gesellschaftliche und staatliche Beschränkungen der Meinungs- und Medienfreiheit, sowie der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Andere Menschenrechtsprobleme beinhalteten das Verschwindenlassen, harte Gefängnisbedingungen, willkürliche Verhaftungen, eine Justiz, die in einigen Fällen zu Ergebnissen kam, die nicht durch öffentlich zugängliche Beweise gestützt wurden oder die politische Motivationen zu reflektieren schienen, Straflosigkeit für Sicherheitskräfte, Begrenzung der Religionsfreiheit, Korruption, Gewalt, Belästigung und gesellschaftliche Diskriminierung von Frauen und Mädchen, einschließlich weiblicher Genitalverstümmelung, Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, Menschenhandel, gesellschaftliche Diskriminierung religiöser Minderheiten, Diskriminierung und Verhaftungen auf der Grundlage sexueller Orientierung (USDOS 13.3.2019).
Weiters gibt es glaubhafte Berichte über Folter und Misshandlungen auch mit Todesfolge in Haftanstalten der Staatssicherheit und Polizeistationen. Die Todesstrafe kommt unter Staatspräsident Al-Sisi wieder verstärkt zur Anwendung und wird seit Dezember 2017 auch vermehrt vollstreckt. Im Namen der Terrorismusbekämpfung und Sicherung der Stabilität geht die staatliche Repression mit erheblichen Verletzungen grundlegender Menschenrechte einher. (AA 24.6.2019a).
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Wiedereinbürgerung vor. Zudem darf laut Verfassung kein Bürger daran gehindert werden, das Staatsgebiet zu verlassen. Dennoch dürfen Männer, die den Wehrdienst nicht absolviert und keine Ausnahmegenehmigung erhalten haben, nicht ins Ausland reisen oder auswandern. Nationale Personalausweise belegen den Abschluss des Militärdienstes (USDOS 13.3.2019).
Die Behörden verlangten sporadisch von Bürgern im Alter von 18 bis 40 Jahren, eine Erlaubnis des Innenministeriums, um in bestimmte Länder zu reisen, um so den Beitritt zu terroristischen Gruppen zu erschweren und die Flucht von Kriminellen zu verhindern (USDOS 13.3.2019).
Die Regierung verhängte zunehmend Reiseverbote für Menschenrechtsverteidiger und politische Aktivisten, die wegen Straftaten angeklagt oder untersucht wurden. Weiters gibt es kein von der Regierung auferlegtes Exil, und die Verfassung verbietet der Regierung, Bürger auszuweisen oder Bürgern die Rückkehr ins Land zu verbieten. Einige Politiker leben freiwillig außerhalb des Landes, da sie von der Regierung mit Strafverfolgung bedroht wurden (USDOS 13.3.2019).
Grundversorgung
Subventionen zur Absicherung der Grundversorgung der ägyptischen Bevölkerung haben eine lange Tradition und zehren einen erheblichen Teil des Staatshaushaltes auf. Daran ändert auch das mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbarte Reformprogramm, das Kürzungen der staatlichen Subventionen für Elektrizität, Treibstoff, aber auch für Brotgetreide einschließt, nichts. So wurde z.B. nach Kürzung von Subventionen im Sommer 2017 und damit verbundenen Preissteigerungen die Zahl der Berechtigten für Lebensmittelkarten erhöht (bisher schon ca. 70 Mio. Personen) und auch der Umfang der über diese Karten zu beziehenden Güter nochmals ausgedehnt. Nicht-Ägypter haben nach hiesiger Kenntnis keinen Zugang zu diesem System (AA 22.2.2019). Im Rahmen des mit dem IWF verhandelten Reformprogramms versucht die Regierung, den notwendigen Strukturwandel in die Wege zu leiten. Das Wirtschaftswachstum lag 2017 bei 4,2 % und 2018 bei 5,3 %. Subventionen für Benzin, Diesel und Elektrizität werden von der Regierung sukzessive reduziert. Bis Juni 2021 ist eine vollständige Eliminierung aller Energiesubventionen vorgesehen (AA 24.6.2019c).
Ein weiteres Instrument der sozialen Sicherung liegt im Mietrecht begründet. Für einen Großteil von Mietverträgen, die in den 1950er und 1960er Jahren geschlossen wurden und seitdem innerhalb der Großfamilie weitergegeben wurden, gilt noch eine Mietpreisbindung, die im Altbestand zu teilweise grotesk niedrigen Mieten führt. Für neue Verträge seit ca. 1990 gelten ohnehin die Gesetze des Marktes. Im Rahmen der Erschließung von Wüstenregionen wird ein gewisser Prozentsatz an Land und Wohnungen an arme Bevölkerungsteile verlost (AA 22.2.2019).
Im Rahmen von zwei Sozialhilfeprogrammen KARAMA und TAKAFUL werden zudem verstärkte Schritte für eine gezielte Unterstützung der Ärmsten vorgenommen. Das Karama Projekt sieht monatliche Geldleistungen im Umfang von 40-80 USD an die Ärmsten der Armen sowie an ältere Menschen und Behinderte vor. Das konditionierte Takaful Projekt zielt auf die finanzielle Unterstützung von Familien mit Kindern ab, vorausgesetzt diese besuchen regelmäßig eine Schule (AA 22.2.2019).
Darüber hinaus existiert ein zwar in seiner Leistungsfähigkeit beschränktes, aber funktionierendes Sozialversicherungssystem, welches Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Unfallversicherungselemente enthält und von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam bezahlt wird. Die größten Probleme ergeben sich hier aus relativ geringen tatsächlichen Auszahlungen und der Nichterfassung der großen Anzahl an Personen ohne formelle Erwerbsaktivitäten (informeller Sektor) bzw. solche die arbeitslos sind. Einen erheblichen Beitrag zur sozialen Sicherung leisten karitative Einrichtungen, vornehmlich auf religiöser Basis und finanziert aus Spenden und wohltätigen Stiftungen (AA 22.2.2019).
Formale staatliche Institutionen für die Aufnahme von Rückkehrern sind hier nicht bekannt. Subventionsabbau droht - trotz langsam sinkender Inflation und sozialen Gegenmaßnahmen der Regierung die wirtschaftliche Situation vor allem der armen Segmente der Gesellschaft weiter zu verschlechtern. Bisher hat sich der latent in der Bevölkerung vorhandene Unmut nur punktuell manifestiert. Viel wird davon abhängen, wie schnell eine wirtschaftliche Erholung auch diese Schichten erfasst. Daneben zeichnet sich ab, dass Militär und auch Sicherheitsdienste in sozialen Bereichen, beispielsweise in der Verteilung von Lebensmitteln, einspringen und staatliche Aufgaben verstärkt substituieren (AA 22.2.2019).
Ägypten ist das nach Südafrika am stärksten industrialisierte Land Afrikas. Die Landwirtschaft spielt eine erhebliche Rolle. Der große informelle Sektor (v.a. Dienstleistungen; Schätzungen gehen von 30-40 % des BIP aus) nimmt zudem einen Großteil der Arbeitskräfte auf. Bei einem Netto-Bevölkerungswachstum von jährlich rund 2,5 Millionen Menschen ist die Arbeitslosigkeit und insbesondere Jugendarbeitslosigkeit besonders hoch (offiziell wird die Jugendarbeitslosigkeit mit 28 % angegeben, Schätzungen gehen von höheren Zahlen aus). Ägypten hat ein großes Interesse an ausländischen Direktinvestitionen und fördert diese gezielt. Zahlreiche Handelshemmnisse und Bürokratie schrecken potenzielle Investoren jedoch ab. Staatliche Unternehmen sowie das ägyptische Militär spielen im Wirtschaftsleben eine starke Rolle. Jeder dritte Ägypter ist in der Landwirtschaft beschäftigt. Die landwirtschaftliche Nutzfläche erstreckt sich vor allem entlang des Nils sowie im Nildelta, macht aber nur rund 4 % der Gesamtfläche des Landes aus (AA 24.6.2019c).
Der Dienstleistungssektor absorbiert einen erheblichen Teil der Erwerbstätigen und erwirtschaftet große Teile des Bruttoinlandsproduktes. Einen maßgeblichen Beitrag leistet hierbei der Tourismusbereich (AA 24.6.2019c). Der Dienstleistungssektor ist der größte Wirtschaftssektor (GIZ 9.2018c). Er bietet rund 50 % der ägyptischen Arbeitskräfte eine Beschäftigung und trägt mit rund 49 % etwa die Hälfte zum BIP bei (GIZ 9.2018c). Ein schwer zu erfassender und vermutlich erheblicher Teil des Dienstleistungsbereichs arbeitet informell (AA 24.6.2019c).
Nach einer Studie der staatlichen Statistikbehörde CAPMAS gibt eine ägyptische Durchschnittsfamilie rund 40 % ihres Einkommens nur für Nahrungsmittel aus, Familien aus ärmeren Schichten bis zu 63 %. Die Einkommensverteilung hat sich in den letzten drei Jahrzehnten immer stärker zuungunsten der unteren Einkommensschichten entwickelt. Die meisten Ägypter verdienen jedoch wesentlich weniger als die Durchschnittslöhne und nur 60 % aller Lohnabhängigen haben überhaupt geregeltes Einkommen. Die dramatischen Preiserhöhungen für Grundlebensmittel in den letzten Jahren verschärften den Kaufkraftverlust und trafen vor allem die unteren Einkommensschichten, die nach Angaben von CAPMAS mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben (GIZ 9.2018).
Die staatlichen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung werden heute weithin als unzulänglich kritisiert. Sie bestehen im Wesentlichen aus nicht zielgruppenorientierten Subventionen für Grundnahrungsmittel und Energie, extrem niedrigen Sozialhilfe- und Pensionszahlungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen sowie Kredit-, und Entwicklungsprogrammen des Sozialfonds für Entwicklung (SfD), die jedoch weit hinter dem Bedarf zurückbleiben (GIZ 9.2018).
Die Armutsquote (2016/17) ist auf 27 % gestiegen (die höchste seit 2000). Über 10 Millionen Menschen in Ägypten haben weniger als 1 $ am Tag zur Verfügung. Rund 12,5 % der Bevölkerung sind arbeitslos und ca. 17 % der Familien werden von Frauenarbeit (im informellen Sektor) unterstützt (GIZ 9.2018).
Medizinische Versorgung
In Kairo ist eine ausreichende Versorgung gewährleistet. Die medizinische Versorgung außerhalb Kairos hat sich in den letzten Jahren zwar deutlich verbessert, dennoch entspricht sie nach wie vor oft nicht westeuropäischem Standard (AA 9.7.2019). Es kommt zu gravierenden Qualitätsmängel in der staatlichen Versorgung - mangelnde Hygiene oder vernachlässigte Wartung von Geräten ebenso wie unterbezahltes Personal (GIZ 2.2018).
Das grundlegend funktionierende Sozialversicherungssystem mit Elementen der Kranken- und Unfallversicherung ist eingeschränkt leistungsfähig. Eine minimale kostenlose Grundversorgung ist gegeben. Notfälle werden behandelt; die Grundversorgung chronischer Krankheiten ist minimal und oft nur mit Zuzahlungen gegeben (AA 22.2.2019). Der Großteil der ägyptischen Bevölkerung ist über den Staat versichert. Problematisch ist, dass diese Versicherung an Ausbildung oder Arbeitsplatz gekoppelt ist, und Arbeitslose oder Arme daher ausschließt (GIZ 2.2018).
Aktuell soll ein neuer Gesetzesentwurf das Problem angehen und eine adäquate Krankenversicherung schrittweise auf alle Bevölkerungsgruppen ausdehnen (GIZ 2.2018). Ein Gesetz über umfassende Gesundheitsvorsorge wurde im Herbst 2017 verabschiedet, aber dessen Finanzierung ist noch nicht abschließend geregelt. Es gibt im Großraum Kairo über 100 staatliche Krankenhäuser, u. a. die Uni-Kliniken Kasr El Aini und Ain Shams. Die Versorgung mit Medikamenten im örtlichen Markt ist ausreichend. Importe werden staatlich kontrolliert (AA 22.2.2019).
Im September 2017 kam es zum ersten Ausbruch von Dengue-Fieber am Roten Meer (Alquaseer) seit mehreren Jahren. Inzwischen wurden auch Fälle aus Hurghada gemeldet (AA 9.7.2019).
Rückkehr
Es gibt keine gesonderten Aufnahmeeinrichtungen. Zur Situation von Rückkehrern liegen keine Erkenntnisse vor. Staatliche Maßnahmen als Reaktion auf Asylanträge im Ausland sind nicht bekannt. Formale staatliche Institutionen für die Aufnahme von Rückkehrern sind nicht bekannt (AA 22.2.2019).
2. Beweiswürdigung:
Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:
2.1. Zum Verfahrensgang und zum Sachverhalt:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Ägypten mit Stand 24.07.2019. Auskünfte aus dem Strafregister, den Zentralen Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister (ZMR) sowie ein Sozialversicherungsdatenauszug zur Person des BF wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt. Zudem wurde der BF am 03.12.2020 in der mündlichen Verhandlung per Videokonferenz vor dem Bundesverwaltungsgericht einvernommen, ebenso die Zeugin XXXX .
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Identität des BF samt Geburtsdatum steht aufgrund des vorgelegten ägyptischen Reisepasses XXXX mit Gültigkeit bis zum XXXX fest (AS 7).
Hinsichtlich seiner Verehelichung mit XXXX kann auf den beglaubigt übersetzten Eheschließungsvertrag vom XXXX verwiesen werden (AS 71 f), welcher zudem auch im Auszug aus dem Zentralen Melderegister zur Person des BF angeführt ist. Aus dem Eheschließungsvertrag geht weiters das Geburtsdatum sowie der in Ägypten liegende Geburtsort der Ehegattin hervor. Der Umstand, dass diese seit 15 Jahren in Österreich lebt, ergibt sich aus den Ausführungen der XXXX im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung via Videokonferenz (Protokoll vom 03.12.2020, S 9), wobei selbiges auch im Auszug aus dem Zentralen Melderegister zu ihrer Person seine Deckung findet. Entsprechend den Ausführungen der XXXX konnte auch die Feststellung zu ihrer in Österreich aufhältigen Familie (Mutter, Geschwister, Onkel) getroffen werden (Protokoll vom 03.12.2020, S 12). Hinsichtlich der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gilt es, auf den vorgelegten Staatsbürgerschaftsnachweis der XXXX vom XXXX zu verweisen. Die Erteilung des Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ samt Verlängerung bzw. der Anhängigkeit des am 28.03.2019 gestellten Verlängerungsantrags wird im Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister zur Person des BF ersichtlich. Der Umstand, dass der BF seit dem 17.06.2013 durchgängig im Bundesgebiet mit Hauptwohnsitz gemeldet ist, ist dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister zu entnehmen.
Aus selbigem ergibt sich in Übereinstimmung mit dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister zur Person der XXXX das Zusammenleben des BF mit dieser und den drei minderjährigen Töchtern. Von der Ehegattin und den Kindern wurden jeweils die österreichischen Staatsbürgerschaftsnachweise vorgelegt, zudem auch die Geburtsurkunden aller Kinder. Aus einer Zusammenschau der Vollzugsinformation (AS 85), dem Beschluss zur bedingten Entlassung XXXX und dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister zur Person des BF ergibt sich der Zeitraum seines Strafhaftaufenthaltes. Der Umstand, dass der BF regelmäßige Besuche von seiner Gattin erhielt und die Kinder ein- bis zweimal dabei waren, ergibt sich aufgrund der glaubhaften Ausführungen der Gattin im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung (Protokoll vom 03.12.2020, S 12). Als nicht glaubhaft gestalteten sich hingegen die Ausführungen des BF, wonach die Kinder – bis auf einmal – immer bei den Besuchen in der Haftanstalt dabei gewesen wären. Für den erkennenden Richter stellen sich vielmehr die Ausführungen der Zeugin als realitätsentsprechend dar. Diese gab im Zuge ihrer Einvernahme glaubhaft zu Protokoll, den – zum damaligen Zeitpunkt zwei – Kindern nicht gesagt zu haben, dass sich der Vater im Gefängnis befinde. Vielmehr hätte sie den Kindern erzählt, dass der BF verreist sei und arbeite. Dabei legte sie auch in nachvollziehbarer Weise unter Schilderung ihrer dabei empfundenen Gefühle dar, dass die dadurch geschaffene Distanz gegen den Willen des BF erfolgt wäre. Im Zuge seines schriftlichen Parteiengehörs vermeinte der BF damals auch selbst noch, dass ihn seine Frau regelmäßig besuchen würde. Ein Besuch ohne Bewachung mit den Kindern bezog sich dabei auf ein zukünftiges Ereignis, nicht hingegen auf die damals aktuelle Besuchssituation (AS 67). Es war daher die Feststellung entsprechend den Ausführungen, nämlich, dass die Ehegattin, abgesehen von ein- bis zweimaligen Ausnahmen, den BF ausschließlich alleine in der Haftanstalt besucht hat (Protokoll vom 03.12.2020, S 12 f), zu treffen. Der Umstand, dass der BF für seine Kinder eine wichtige Bezugsperson darstellt, wird in den Ausführungen der Zeugin XXXX im Zuge ihrer Einvernahme deutlich. In deren Rahmen konnte diese glaubhaft und nachvollziehbar darlegen, dass sich der BF um die Kinder kümmert und auch gewissen väterlichen Pflichten nachkommt, wie folgender Auszug aus der Niederschrift belegt: „Er geht mit den Kindern raus, er holt sie von der Schule ab […]. Die Kinder haben ihren Vater gebraucht und dass wir zusammenleben. […] Sie haben eine starke Verbindung zu ihrem Vater. […] Die Kinder waren darüber [ob der Abwesenheit des Vaters] oft traurig und haben es nicht verstanden. Psychisch ging es ihnen deshalb nicht gut. […] Ich habe den Kindern angesehen, dass sie ihren Vater wollten. Vor allem, wenn es Feiern in dem Kindergarten gegeben hat, dann haben die anderen Kinder ihren Vater angeschaut und ich wusste, dass das meine Kinder auch wollen würden“ (Protokoll vom 03.12.2020, S 12).
Vor dem erkennenden Richter führte der BF glaubhaft aus, dass Verwandte von ihm in Österreich leben und er auch über einen Freundes- und Bekanntenkreis verfügt (Protokoll vom 03.12.2020, S 4), was sich in Anbetracht der Aufenthaltsdauer des BF im Bundesgebiet seit Juni 2013 und der Berufstätigkeit desselben als nachvollziehbar darstellt. Hinsichtlich seiner Deutschkenntnisse gilt es, auf die Ausführungen im Zuge des Schriftsatzvorbringens vom 01.12.2020 zu verweisen, in welchem die Sprachkenntnisse des BF auf dem Niveau A2 eingestuft wurden. Dieses Sprachniveau lässt sich auch mit der eigenen Einschätzung der Deutschkenntnisse des BF in Einklang bringen, der dazu befragt zu Protokoll gab, er würde gut Deutsch sprechen (Protokoll vom 03.12.2020, S 8). Der Umstand, dass der Vater des BF in Ägypten lebt, war (zuletzt) den glaubhaften Darlegungen des BF vor dem erkennenden Richter zu entnehmen (Protokoll vom 03.12.2020, S 4). Dass der BF mit diesem auch in Kontakt steht, ergibt sich aus den Ausführungen im Zuge der Beschwerde (AS 244).
Hinsichtlich des Gesundheitszustandes führte der BF vor dem erkennenden Richter aus, nicht an chronischen Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen zu leiden (Protokoll vom 03.12.2020, S 4). Zumal Gegenteiliges auch im gesamten Akteninhalt nicht ersichtlich wurde und in Ermangelung etwaiger medizinischer Unterlagen konnte die Feststellung getroffen werden, dass der BF gesund ist. Aufgrund des Gesundheitszustandes, des erwerbsfähigen Alters des BF und in Anbetracht dessen, dass er bereits seit mehreren Jahren einer Erwerbstätigkeit nachzugehen vermag, war die Feststellung zur Arbeitsfähigkeit des BF zu treffen. Hinsichtlich der Schulbildung gilt es, auf die Angaben des BF im Zuge des Verwaltungsverfahrens zu verweisen (AS 67). Die Feststellung in Zusammenhang mit dem Bachelorabschluss in sozialer Arbeit basiert auf den Ausführungen des BF im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung, aus welchen auch die Ferialtätigkeiten in einem Hotel in XXXX hervorgehen (Protokoll vom 03.12.2020, S 9). Die Erwerbstätigkeiten des BF im Bundesgebiet lassen sich dem Sozialversicherungsdatenauszug zur Person des BF entnehmen, ebenso der Bezug von Arbeitslosengeld, Notstands- bzw. Überbrückungshilfe und bedarfsorientierter Mindestsicherung. Befragt nach seinem Einkommen gab der BF zu Protokoll, monatlich bei Ableistung von Überstunden zwischen netto EUR 1.700,-- und EUR 1.800,-- ins Verdienen zu bringen (Protokoll vom 03.12.2020, S 9). Dazu legte der BF auch seine Lohn- bzw. Gehaltsabrechnung des Monats Oktober vor, welche mit den Angaben des BF in Einklang zu bringen ist, zumal der Lohn des BF aufgrund der monatlich unterschiedlich geleisteten Stunden zuzüglich Überstunden einer gewissen Schwankungsbreite unterliegt. Im Sozialversicherungsdatenauszug zur Person der Ehegattin des BF werden die Umstände zum derzeitigen pauschalen Kinderbetreuungsgeldbezug, der vorherigen Kinderbetreuungsgeldbezüge, dem Bezug von Arbeitslosengeld, Notstands- bzw. Überbrückungshilfe sowie zu ihrer letzten Erwerbstätigkeit ersichtlich. Die Feststellung zur Höhe des derzeitigen pauschalen Kinderbetreuungsgeldes basiert auf den Ausführungen der XXXX im Zuge ihrer Einvernahme (Protokoll vom 03.12.2020, S 13).
Die strafrechtlichen Verurteilungen des BF ergeben sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich. Hinsichtlich der Gründe der Verurteilung wird auf die gekürzte Urteilsausfertigung zu XXXX (AS 125 ff) des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX und auf das ausgefertigte Urteil des Landesgerichtes XXXX zu XXXX verwiesen, ebenso hinsichtlich der jeweiligen Milderungs- und Erschwerungsgründe. Die Feststellung zu den Zeiten seiner Anhaltung in Strafhaft ergibt sich aus der vorliegenden Vollzugsinformation und dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister zur Person des BF. In Zusammenhang mit der bedingten Entlassung des BF liegt dem erkennenden Richter der diesbezügliche Beschluss samt Probezeitbestimmung (184 BE 134/18y) vor.
2.5. Zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat basieren auf dem aktuellen "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Ägypten vom 24.07.2019, welches dem BF mit der Ladung übermittelt wurde. Der angefochtene Bescheid vom 13.12.2017 stützt sich auf ein Länderinformationsblatt älteren Datums, jedoch ergeben sich hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des BF gegenüber den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen.
Der Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen, wobei es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser, handelt es sich nach Ansicht des erkennenden Gerichts bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH, 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Aus diesen Länderfeststellungen ergibt sich zusammengefasst, dass in Ägypten keine solche extreme Gefährdungslage vorliegt, sodass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Weder im Zuge seines Beschwerdevorbringens noch im Laufe der mündlichen Beschwerdeverhandlung trat der BF dem substantiiert entgegen, vielmehr führte er (zuletzt) im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung nur allgemein aus, die Situation in Ägypten sei gerade instabil, es gebe Kriege, keine Gerechtigkeit und keine Beständigkeit. Sein Vorbringen, dass man nach einem längeren Aufenthalt im Ausland nicht mehr in Ägypten leben dürfe, findet keine Deckung in den Länderfeststellungen, zumal es entsprechend diesen kein von der Regierung auferlegtes Exil gibt und es die Verfassung der Regierung verbietet, Bürger auszuweisen oder Bürgern die Rückkehr ins Land zu verbieten. Dieses Vorbringen des BF geht damit ins Leere.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 2 Abs 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt. Gemäß § 2 Abs 4 Z 10 FPG gilt als Drittstaatsangehöriger ein Fremder, der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist.
Der BF als ägyptischer Staatsangehöriger ist folglich Drittstaatsangehöriger iSd. soeben angeführten Bestimmungen.
Zu Spruchpunkt A)
3.1. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
3.1.1. Rechtliche Grundlagen
Gemäß § 31 Abs 1 Z 2 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind.
Gemäß § 24 Abs 1 dritter Satz NAG ist der Antragsteller, unbeschadet der Bestimmungen nach dem FPG, nach Stellung eines Verlängerungsantrages bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.
Entsprechend § 52 Abs 4 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, zu erlassen, wenn nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre.
Gemäß § 11 Abs 2 Z 1 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Nach Abs 4 Z 1 leg.cit. ist dies unter anderem dann der Fall, wenn sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.
Gemäß § 11 Abs 3 NAG kann ein Aufenthaltstitel trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs 2 Z 1 bis 7 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK, BGBl. Nr. 210/1958) geboten ist.
Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).
3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall
Der BF verfügte bis zum 18.05.2019 über den Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“. Aufgrund seines rechtzeitig am 28.03.2019 gestellten Antrages auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels gestaltet sich der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet entsprechend § 24 Abs 1 dritter Satz NAG nach wie vor als rechtmäßig. Folglich stützte die belangte Behörde die Rückkehrentscheidung zu Recht auf die Bestimmung des § 52 Abs 4 FPG.
In Zusammenhang mit § 11 Abs 2 Z 1 NAG muss bei der Prüfung, ob die Annahme, dass der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde, gerechtfertigt ist, eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten (zu ergänzen: unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Straftat) eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (vgl. E 14. April 2011, 2008/21/0257) (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0062). Ein bloßes Auflisten von Verurteilungen gereicht nicht, um eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit annehmen zu können.
In diesem Zusammenhang gilt es festzuhalten, dass der Bekämpfung der Schlepperei aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 MRK) vor dem Hintergrund der Richtlinie 2002/90/EG des Rates und des Rahmenbeschlusses 2002/946/JI (jeweils) vom 28. November 2002 auch aus unionsrechtlicher Sicht ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. E 27. März 2007, 2007/18/0135; E 28. Juni 2007, 2007/21/0170; E 29. Februar 2012, 2009/21/0103) (vgl. VwGH 20.08.2013, 2013/22/0097).
Schlepperei stellt ein die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens besonders schwer beeinträchtigendes Fehlverhalten dar (VwGH 07.02.2008, 2006/21/0343).
Gegen dieses maßgebliche öffentliche Interesse hat der BF durch die ihm zur Last gelegte strafbare Handlung gravierend verstoßen, zumal er unstrittig wegen des Verbrechens der Schlepperei nach §§ 114 Abs 1 und Abs 3 Z 2 und Abs 4 erster Fall FPG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Höhe von 32 Monaten verurteilt wurde. Dabei ist gegenständlich besonders negativ zu bewerten, dass der BF diese Tat als Mitglied einer kriminellen Vereinigung beging und die Schlepperei mindestens drei geschleppte Fremde umfasste. Entsprechend dem Strafurteil wurde auch beim BF bei der Ausführung der Tat im Rahmen der kriminellen Vereinigung ein hohes Schuldmaß aufgezeigt.
In Zusammenhang mit dem Persönlichkeitsbild des BF gilt es dabei auszuführen, dass dieser im Zuge seiner schriftlichen Stellungnahme vom 08.05.2017 noch vermeint hat, seine Straftat sehr zu bereuen und sich nunmehr über das hohe Ausmaß des Unrechtes bewusst zu sein. Vor dem erkennenden Richter versuchte der BF jedoch – wie auch bereits im Zuge seines Strafverfahrens, was im diesbezüglichen Strafurteil ersichtlich wird – seine Straftat zu relativieren, wobei er die bereits im Strafurteil getroffenen Feststellungen samt Beweiswürdigung – insbesondere in Hinblick auf das Tatgeschehen und die Höhe des Geldes für den Transport – in Abrede stellte bzw. sogar abstritt, beim Transport selber dabei gewesen zu sein. Er habe nicht gewusst, dass „gegen Geld Menschen transportieren“ strafbar sei. Im weiteren Einvernahmeverlauf wiedersprach sich der BF schließlich auch vermehrt. So gab er zuvor an, er habe sich „einfach etwas dazuverdienen wollen“. Einige Fragen später gestalteten sich seine Angaben – relativierend bzw. altruistisch – derart, dass er „einfach habe mithelfen wollen“. Den vorher getätigten Ausführungen, nämlich, dass er sich einfach etwas dazuverdienen habe wollen bzw. später mithelfen habe wollen, steht wiederum die nochmals später getätigte Aussage entgegen, dass es sich beim Geldbetrag um einen Ersatz der Tankkosten gehandelt haben soll. Insgesamt rückt bei einer derart relativierenden bzw. negierenden Ansicht selbst der des im Zuge des Strafurteils berücksichtigte Milderungsgrund des Tatsachengeständnisses in den Hintergrund. Die Erschwernisgründe (Mehrfachqualifikation der Begehung in Bezug auf drei Personen sowie im Rahmen einer kriminellen Vereinigung und die Tatbegehung während offener Probezeit) dürfen dabei nicht außer Acht gelassen werden. Auch die Einvernahme der Zeugin XXXX lässt nur den Schluss auf eine stark relativierende Einstellung in Zusammenhang mit der Verurteilung ihres Ehegatten zu, wie ein Auszug aus ihrer Einvernahme darlegt: „Er hätte sich nicht einmischen sollen, aber er hat es gemacht. Natürlich gesehen ist das rechtlich nicht richtig, aber so war es. Er hat wirklich nichts mit der Sache zu tun gehabt, es hat ihn jemand um Hilfe gebeten, ich weiß, dass das hier nicht geht, aber er hat es nicht gewusst. […] Er hat das falsch verstanden, er hätte das gar nicht machen sollen. Er hätte mit dieser Person nicht sprechen sollen. Er hat das nicht gewusst, dass das ganze so groß wird. Diese Person hat gesagt, dass er mit ihm war, aber das war nicht so und es ist so, als ob ihn jemand gebeten hätte, ihn nach XXXX zu bringen. Und er wusste das einfach nicht.“
Das vom BF gesetzte Verhalten zeigt damit, dass er dem Unrecht seiner Tat wenig Bedeutung beimisst, was in der Folge darauf schließen lässt, dass auch der österreichischen Rechtsordnung wenig Bedeutung beigemessen wird. Dafür spricht zudem, dass der BF sein erstes, strafrechtlich relevantes Verhalten zu einem Zeitpunkt gesetzt hat, zu dem er sich erst seit knapp eineinhalb Jahren im Bundesgebiet aufgehalten hat. Auch gilt es diesbezügich nicht unberücksichtigt zu lassen, dass dieses Verhalten – ungeachtet dessen, dass die Gattin des BF ihm dieses Verhalten entsprechend den Ausführungen im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung verziehen hat – von einer niedrigen Hemmschwelle in Zusammenhang mit der Ausübung körperlicher Gewalt zeugt. Dafür spricht geradezu, dass der BF seinem Schwager mit einem Klappmesser eine 0,5 cm dicke Stichwunde am Bauch links, eine oberflächliche Schnittwunde an der linken Schulter, eine Schädelprellung und eine Rippenprellung zugefügt hat. Festzuhalten gilt, dass an der Verhinderung von Gewaltdelikten ebenfalls ein großes öffentliches Interesse besteht (vgl. VwGH 22.09.2011, 2008/18/0508).
Darüber hinaus hat der BF sein zweites strafrechtlich relevantes Verhalten zu einem Zeitpunkt gesetzt, während er sich noch in offener Probezeit seiner ersten strafgerichtlichen Verurteilung befunden hat, woran auch nichts zu ändern vermag, dass die bedingt ausgesprochene Strafe – wie im Beschwerdevorbringen ausgeführt – nicht wiederrufen wurde. Dabei kann auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen werden, welche derart lautet, dass das Fehlverhalten eines Fremden und die daraus abzuleitende Gefährlichkeit ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts, also unabhängig von gerichtlichen Erwägungen über bedingte Strafnachsichten oder eine bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug, zu beurteilen ist (vgl. VwGH 29.09.2020, Ra 2020/21/0305).
Weiters gilt es hinsichtlich des Gesinnungswandels eines Straftäters festzuhalten, dass ein solcher grundsätzlich erst – nach dem Vollzug einer Haftstrafe – daran gemessen werden kann, ob und wie lange er sich in Freiheit wohlverhalten hat. Dieser Zeitraum ist nach den Grundsätzen der Judikatur umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden – etwa in Hinblick auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten oder einen raschen Rückfall – manifestiert hat (vgl. zum Ganzen VwGH 26.4.2018, Ra 2018/21/0027, mwN) (vlg. VwGH 07.09.2020, Ra 2020/20/0184). Zwar wurde der BF mit 20.08.2018 aus seiner Haft vorzeitig bedingt entlassen, jedoch befindet er sich nach wie vor in seiner Probezeit. In Anbetracht des hohen Schuldmaßes und unter Berücksichtigung, dass der BF bereits während seiner letzten noch offenen Probezeit straffällig wurde, ist der Zeitraum von zweieinviertel Jahren gegenständlich jedenfalls als zu kurz anzusehen, um eine Gefährlichkeit des BF ausschließen bzw. einen Gesinnungswandel des BF – auch unter Miteinbeziehung der obigen Ausführungen – feststellen zu können.
Damit ist im weiteren Aufenthalt des BF jedenfalls eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im Sinne des § 11 Abs 2 Z 1 iVm Abs 4 Z 1 NAG zu erblicken. Es gilt nun im Sinne des § 9 BFA-VG abzuwägen, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Hinblick auf das Familien- und Privatleben des BF verhältnismäßig ist oder ob die Erlassung derselben einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art 8 EMRK geschützten Rechte darstellt.
Die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, insbesondere einer Rückkehrentscheidung, setzt nach § 9 Abs 1 BFA-VG 2014 unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Im Zuge dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. E 12. November 2015, Ra 2015/21/0101) (VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0362).
Der Begriff des Familienlebens in Art 8 EMRK umfasst jedenfalls die Beziehung von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten und schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13. 6. 1979, Marckx, EuGRZ 1979).
Laut ständiger Rechtsprechung sind die Auswirkungen der Entscheidung auf das Kindeswohl zu bedenken und muss dieser Umstand bei der Interessenabwägung nach Art 8 Abs 2 MRK bzw. § 9 BFA-VG 2014 hinreichend berücksichtigt werden (vgl. etwa VfGH 11.6.2018, E 343/2018, mwN; VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0235, 31.8.2017, Ro 2017/21/0012, 20.9.2017, Ra 2017/19/0163, 5.10.2017, Ra 2017/21/0119, 28.11.2019, Ra 2019/19/0359, u.a.) (VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0456), wobei ein Kind grundsätzlich Anspruch auf „verlässliche Kontakte“ zu beiden Elternteilen hat (vgl. VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0134). Eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, ist im Ergebnis nur dann gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer auf