Entscheidungsdatum
08.07.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W251 2204754-1/24E
W251 2204754-2/2E
W251 2204751-1/14E
W251 2204751-2/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin
1) über die Beschwerden von XXXX , geboren am XXXX und XXXX , geboren am XXXX , beide StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Rainer MAURITZ, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 04.05.2018, Zl. 1100652602 - 152083070 und Zl. 1100652700 - 152083088, sowie
2) über die Beschwerden von XXXX , geboren am XXXX und XXXX , geboren am XXXX , beide StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Rainer MAURITZ, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 29.08.2018, Zl. 1100652602 - 152083070 und Zl. 1100652700-152083088,
nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung:
A)
Die Beschwerden werden als unzulässig zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Die Erstbeschwerdeführerin stellte am 30.12.2015 für sich und ihren minderjährigen Sohn, den Zweitbeschwerdeführer, einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheiden des Bundesamts vom 04.05.2018 wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen, den Beschwerdeführern jedoch der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Diese Bescheide wurden der Erstbeschwerdeführerin am 08.05.2018 zugestellt.
3. Am 13.06.2018 erhoben die Beschwerdeführer Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht und stellten Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefristen.
4. Das Bundesamt wies die Anträge auf Wiedereinsetzung mit Bescheiden vom 29.08.2019 ab. Auch gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht.
5. In der mündlichen Verhandlung am 19.02.2020 brachte die Beschwerdeführervertretung vor, dass sich im Zuge eines Vorbereitungsgespräches die Vermutung ergeben habe, dass der Erstbeschwerdeführerin die Besorgung ihrer Angelegenheiten nicht ohne der Gefahr, sich selbst zu schaden, möglich sei und dies insbesondere ihre Vertretung im Gerichts- und Verwaltungsverfahren betreffe. Die Erstbeschwerdeführerin benötige einen Erwachsenenvertreter, da diese nicht prozessfähig sei.
Die Verhandlung wurde daher auf unbestimmte Zeit zur Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Abklärung der Prozessfähigkeit der Erstbeschwerdeführerin, insbesondere zum Zeitpunkt der Zustellung der bekämpften Bescheide, vertagt.
6. Aus dem eingeholten Sachverständigengutachten vom 20.04.2020 sowie dem Ergänzungsgutachten vom 07.05.2020 ergibt sich, dass die Erstbeschwerdeführerin nicht in der Lage war, Anforderungen zur Selbstfürsorge als auch bezüglich Planungs- und Umsetzungsvermögens zu erfüllen. Die Erstbeschwerdeführerin sei nicht ausreichend geschäfts- und prozessfähig. Die Etablierung einer Erwachsenenvertretung sei für die Erstbeschwerdeführerin für die Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten aber auch für Geschäfte, die über das tägliche Leben hinausgehen, erforderlich.
7. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 09.06.2020 wurde für die Erstbeschwerdeführerin ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter für die Vertretung vor Behörden und Gerichten bestellt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die leibliche Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers und für diesen obsorgeberechtigt. Diese stellte für sich und den Zweitbeschwerdeführer am 30.12.2015 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Das Bundesamt wies mit Bescheiden vom 04.05.2018 die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab, erkannte ihnen jedoch den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu. Die Bescheide wurden der Erstbeschwerdeführerin am 07.05.2018 durch Hinterlegung zugestellt. Die Erstbeschwerdeführerin beauftragte und bevollmächtigte am 11.06.2018 die ARGE Rechtsberatung sie und den Zweitbeschwerdeführer im Asylverfahren und im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zu vertreten.
3. Am 12.06.2018 erhoben die Beschwerdeführer Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht und stellten Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
4. Das Bundesamt wies die Anträge auf Wiedereinsetzung mit Bescheid vom 29.08.2019 ab. Die Bescheide wurden der Beschwerdeführervertretung am 29.08.2019 zugestellt.
5. Am 12.09.2018 erhoben die Beschwerdeführer Beschwerden gegen die Bescheide vom 29.08.2018.
6. Die Erstbeschwerdeführerin leidet an einer psychischen Erkrankung in Form einer Anpassungsstörung. Aufgrund ihrer individuellen Vulnerabilität hinsichtlich ihrer Persönlichkeit, ihrer intellektuellen Möglichkeiten und dem Erlernen von Copingstrategien, zeigt sich ein Krankheitsbild, das dazu führt, dass sie nicht in der Lage ist, Anforderungen zur Selbstfürsorge als auch bezüglich Planungs- und Umsetzungsvermögen zu erfüllen.
Sie ist nicht dazu in der Lage, sich mit Prozesshandlungen auseinanderzusetzen und die Inhalte von Gerichtsverhandlungen ausreichend nachvollziehen zu können.
Das gegenwärtige Krankheitsbild bestand bereits am 07.05.2018 sowie Ende August bzw. Anfang September 2018. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hätte die Erstbeschwerdeführerin, um die Tragweite des Verwaltungsverfahrens und die Bescheidzustellung verstehen und die nötigen Schritte setzen zu können, einen Erwachsenenvertreter benötigt.
2. Beweiswürdigung
2.1. Die Feststellungen zu den erlassenen Bescheiden, den Zustellungen und den eingebrachten Beschwerden gründen sich auf den unbestrittenen Akteninhalt.
2.2. Die Feststellungen zur Handlungs- und Prozessfähigkeit sowie zum Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin stützen sich auf das im Verfahren eingeholte Gutachten vom 20.04.2020 sowie auf das Ergänzungshutachten vom 07.05.2020. Das Gutachten ist in sich schlüssig und nachvollziehbar. Die Verfahrensparteien haben zum Gutachten keine Stellungnahme abgegeben, sodass das Gutachten unbestritten blieb. Es haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das Gutachten unrichtig sei.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu A)
1. Ein der Entscheidung in der Sache selbst entgegenstehendes Hindernis liegt dann vor, wenn sich ein Rechtsmittel gegen einen nicht rechtswirksam erlassenen Bescheid richtet. In diesem Fall fehlt es an einer Zuständigkeit der Rechtsmittelbehörde zu einem meritorischen Abspruch über das Rechtsmittel, da in derartigen Fällen die Zuständigkeit nur so weit reicht, das Rechtsmittel wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen (vgl. VwGH vom 18.06.2008, Zl. 2005/11/0171).
Die Zustellung an eine prozessunfähige Person entfaltet keinerlei rechtliche Wirkungen, da ihr gegenüber keine Verfahrenshandlungen gesetzt werden können (Hengstschläger/Leeb, Rz 197; VwSlg 8057 A/1971, E 25. Juni 1999, 97/02/0186). Die Heilung eines Zustellmangels nach § 7 Abs. 1 ZustG setzt voraus, dass das Schriftstück in die Verfügungsgewalt des "Empfängers", welcher aus dem Grunde des § 2 Z 1 ZustG die in der Zustellverfügung bezeichnete Person ist, gelangt. War bereits eine unzutreffende Person in der Zustellverfügung als Empfänger bezeichnet, so liegt kein Fall des § 7 Abs. 1 ZustG vor (vgl. VwGH vom 26.02.2014, Zl. 2013/04/0015; VwGH vom 18.06.2008, Zl. 2005/11/0171; VwGH vom 07.09. 2005, Zl. 2004/12/0212).
2. Zu prüfen ist, ob eine wirksame Zustellung der Bescheide vom 04.05.2018 und vom 29.08.2019 betreffend die Erstbeschwerdeführerin stattgefunden hat.
2.1. Personen, die rechts- und somit parteifähig, aber nicht prozessfähig sind, nehmen am Verfahren durch ihren gesetzlichen Vertreter teil. Gemäß § 9 AVG ist die Rechts- und Handlungsfähigkeit von Verfahrensbeteiligten primär nach den Verwaltungsvorschriften und subsidiär nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen (Hengstschläger/Leeb (2014) Rz 3 und 4; VwSlg 19.310 A/2016). Diesfalls ist entscheidend, ob die Partei im Zeitpunkt der betreffenden Verfahrensabschnitte dazu in der Lage war, die Bedeutung und Tragweite des Verfahrens sowie die sich im Verfahren ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich dementsprechend zu verhalten (VwGH 20.12.2016, Ra 2015/01/0162).
Das Fehlen der Prozessfähigkeit gemäß § 9 AVG ist in jeder Lage des Verfahrens als Vorfrage und von Amts wegen wahrzunehmen. Bei Zweifeln an der Prozessfähigkeit einer Partei ist diese in der Regel durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen zu prüfen. Die Behörde hat gemäß § 11 AVG vorzugehen und einen Erwachsenenvertreter beim zuständigen Pflegschaftsgericht zu bestellen, falls sich diese Zweifel bestätigen (VwGH 28. April 2016, Ra 2014/20/0139; VwGH 6. Juli 2015, Ra 2014/02/0095; Hengstschläger/Leeb AVG2 (2014) § 9 Rz 2, § 11 Rz 3).
2.2. Ist der materielle Empfänger eine natürliche Person, so ist diese von der Behörde als Empfänger zu bezeichnen. Ist diese Person nicht prozessfähig, so kann an sie nicht wirksam zugestellt werden. Der gesetzliche Vertreter ist von der Behörde in der Zustellverfügung als Empfänger zu bezeichnen. Eine Zustellung an eine prozessunfähige Person entfaltet keinerlei rechtliche Wirkungen, da ihr gegenüber keine Verfahrenshandlungen gesetzt werden können (Hengstschläger/Leeb, Rz 197; VwSlg 8057 A/1971, E 25. Juni 1999, 97/02/0186). Für die Frage der Wirksamkeit der Zustellung kommt es darauf an, ob der Zustellempfänger handlungsfähig war und nicht darauf, ob für ihn bereits ein Sachwalter bestellt worden ist (Ra 06.07.2015, 2014/02/0095; E 19. September 2000, 2000/05/0012).
2.3. Mangelt es einem Adressaten einer Verfahrenshandlung (insbesondere auch eines Bescheides) in Bezug auf den Verfahrensgegenstand an der Prozessfähigkeit, so geht die Verfahrenshandlung insofern ins Leere, als sie diesem Adressaten gegenüber keinerlei Rechtswirkungen entfaltet. Die Behörde kann diesfalls Verfahrenshandlungen rechtswirksam nur gegenüber dem gesetzlichen Vertreter setzen (siehe VwGH 25.02.2016, Ra 2016/19/0007). Mangelnde Prozessfähigkeit führt somit zur Unwirksamkeit verfahrensrechtlicher Akte der Behörde (z.B. von Zustellungen), auch kann die prozessunfähige Person keine wirksamen Verfahrenshandlungen setzen.
Die - nur an die Erstbeschwerdeführerin als Zustellungsempfänger verfügte und erfolgte - Zustellung des angefochtenen Bescheides wäre daher nur dann rechtswirksam - und der angefochtene Bescheid damit erlassen (rechtlich existent) -, wenn die Erstbeschwerdeführerin im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides prozessfähig gewesen wäre. Auch die Zustellung an ihre Rechtsvertretung ist - angesichts der Tatsache, dass sie diese nicht rechtswirksam bevollmächtigen konnte - nicht als wirksame Zustellung anzusehen.
2.4. Nach den getroffenen Feststellungen war die Erstbeschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Zustellung der Bescheide vom 04.05.2018 und 29.08.2018 nicht geschäfts- und nicht prozessfähig und hätte bereits zu diesem Zeitpunkt eine Erwachsenenvertretung für die Vertretung vor Behörden und Gerichten benötigt. Da die Bescheide an die Erstbeschwerdeführerin bzw. an die von ihr nicht wirksam bevollmächtigte Rechtsvertretung zugestellt wurden, liegt keine wirksame Zustellung vor.
Der Bescheid wurde nicht rechtswirksam erlassen. Wird ein Bescheid nicht rechtswirksam erlassen, so liegt kein tauglicher Anfechtungsgegenstand für eine Beschwerde vor, weswegen eine Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen ist (VwGH 27.4.2011, 2008/23/1027; VwGH 15.03.2018, Ra 2017/21/0254).
2.5. Die Beschwerden waren daher mangels eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes als unzulässig zurückzuweisen.
3. Zusätzlich ist zu prüfen, ob eine wirksame Zustellung der Bescheide vom 04.05.2018 und vom 29.08.2019 betreffend den Zweitbeschwerdeführer stattgefunden hat.
Der Zweitbeschwerdeführer ist minderjährig. Dass die Erstbeschwerdeführerin mit seiner Obsorge und seiner gesetzlichen Vertretung betraut ist, ergibt sich insbesondere aus § 158 Abs. 1 ABGB. Da die Erstbeschwerdeführerin eines Erwachsenenvertreters bedarf, hätten auch die Bescheide des Zweitbeschwerdeführers an diesen zugestellt werden müssen und wurden diese somit ebenfalls nicht rechtswirksam erlassen.
4. Das Bundesamt hat daher (erneut) für beide Beschwerdeführer Bescheide betreffend ihre Anträge auf internationalen Schutz zu erlassen und diese an den nun bestellten Erwachsenenvertreter zuzustellen.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen sowohl auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als auch auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Bescheiderlassung Minderjährigkeit Rechtswidrigkeit WiedereinsetzungsantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:2204751.2.00Im RIS seit
27.11.2020Zuletzt aktualisiert am
27.11.2020