TE Vfgh Erkenntnis 2020/10/6 G166/2020 ua (G166-168/2020, V340/2020)

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Veröffentlicht am 06.10.2020
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Index

L0060 Volksabstimmung, Volksbefragung, Volksbegehren

Norm

B-VG Art43
B-VG Art117 Abs8
B-VG Art118 Abs5
B-VG Art 141 Abs1 lith
Vlbg Landesverfassung Art76
Vlbg GdG 1985 §22 Abs1
Vlbg Landes-VolksabstimmungsG §58, §59, §60, §61, §62, §63, §64 Abs1 litc, §69 Abs3
V des Bürgermeisters der Gemeinde Ludesch vom 26.08.2019 über die Anordnung der Volksabstimmung "Widmung von Flächen in Neugut"
VfGG §7 Abs1, §68 Abs1

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen des Vlbg GemeindeG und der Landes-VolksabstimmungsG betreffend die Verbindlichkeit einer Gemeindevolksabstimmung gegen den Willen des Gemeinderats in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs und Gesetzwidrigkeit der Verordnung einer Volksabstimmung in der Gemeinde Ludesch; Unzulässigkeit des Eingriffs in das repräsentativ-demokratische System der Gemeindeselbstverwaltung durch Bindung des Gemeinderats als oberstes Organ der Selbstverwaltung an eine Gemeindevolksabstimmung; keine Aufhebung einer Bestimmung der Vlbg Landesverfassung betreffend eine – der Willensbildung des Gemeinderates zugrunde liegenden – Volksabstimmung; Aufhebung der Anordnung der Volksabstimmung betreffend die Widmung von Flächen wegen Wegfalls der gesetzlichen Grundlagen

Spruch

I. 1. Die Wortfolge "oder es mindestens von einer Zahl an Stimmberechtigten der Gemeinde (§20) verlangt wird, die wie folgt zu ermitteln ist: a) für die ersten bis zu 1.500 Stimmberechtigten: 20 % davon; zuzüglich b) für die nächsten bis zu 1.500 Stimmberechtigten: 15 % davon; zuzüglich c) für die darüber hinausgehende Zahl von Stimmberechtigten: 10 % davon" in §22 Abs1 Vbg Gesetz über die Organisation der Gemeindeverwaltung (Gemeindegesetz - GG.), Vbg LGBl Nr 40/1985 idF Vbg LGBl Nr 4/2012, sowie die §§58 bis 63 und §64 Abs1 litc Vbg Gesetz über das Verfahren bei Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen (Landes-Volksabstimmungsgesetz), Vbg LGBl Nr 60/1987 idF Vbg LGBl Nr 34/2018, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2021 in Kraft.

3. Der Landeshauptmann von Vorarlberg ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Vorarlberger Landesgesetzblatt verpflichtet.

II. Die Wortfolge "entschieden oder verfügt (Volksabstimmung) und" in Art76 Vbg Verfassungsgesetz über die Verfassung des Landes Vorarlberg (Landesverfassung – L.V.), Vbg LGBl Nr 9/1999 idF Vbg LGBl Nr 2/2012, der erste Satz des §22 Abs1 Vbg Gesetz über die Organisation der Gemeindeverwaltung (Gemeindegesetz – GG.), Vbg LGBl Nr 40/1985 idF Vbg LGBl Nr 4/2012, sowie §69 Abs3 Vbg Gesetz über das Verfahren bei Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen (Landes-Volksabstimmungsgesetz), Vbg LGBl Nr 60/1987 idF Vbg LGBl Nr 21/2014, werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

III. 1. Die Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Ludesch vom 26. August 2019 über die Anordnung der Volksabstimmung "Widmung von Flächen im Neugut", kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde Ludesch vom 26. August 2019 bis 10. November 2019, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

2. Die Vorarlberger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Vorarlberger Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl WIII2/2019 eine auf Art141 Abs1 lith B-VG gestützte Anfechtung anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Am 23. April 2019 wurde in der Gemeinde Ludesch gemäß §58 Vbg Landes-Volksabstimmungsgesetz bei der Gemeindewahlbehörde die Durchführung einer Volksabstimmung über die "Widmung von Flächen im Neugut" beantragt. Die dieser Volksabstimmung zugrunde zu legende Frage wurde im Antrag wie folgt formuliert:

"Sollen die im Ludescher Neugut liegenden Grundstücke GST-NRN 1645, 2320, 2321, 2322, 2323, 2313, 2312, 2311/2, 2311/1 und 2310, GB Ludesch, Freihalteflächen-Landwirtschaft (FL) bleiben?"

Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Gemeindewahlbehörde der Gemeinde Ludesch vom 17. Mai 2019 gemäß §60 Abs1 leg.cit. für zulässig erklärt. Nach Einbringung von Unterstützungserklärungen durch die Antragsteller wurde mit Bescheid der Gemeindewahlbehörde vom 20. August 2019 gemäß §62 leg.cit. die Durchführung der beantragten Volksabstimmung beschlossen. Mit der am 26. August 2019 an der Amtstafel der Gemeinde kundgemachten "Verordnung des Bürgermeisters über die Anordnung der Volksabstimmung 'Widmung von Flächen im Neugut'" wurde die Durchführung der beantragten Volksabstimmung für Sonntag, den 10. November 2019 angeordnet.

Nach der Durchführung der Volksabstimmung wurde deren Ergebnis durch die Gemeindewahlbehörde am 10. November 2019 an der Amtstafel der Gemeinde kundgemacht. Das Ergebnis lautete demnach wie folgt: Von den 1.745 gültigen Stimmen entfielen 982 auf "JA" und 763 auf "NEIN".

Mit ihrer auf Art141 Abs1 lith B-VG gestützten Anfechtung dieses Ergebnisses begehren 15 Stimmberechtigte, die Volksabstimmung aufzuheben und das Volksabstimmungsverfahren sowie das Ergebnis der Volksabstimmung für nichtig zu erklären.

2. Bei der Behandlung dieser Anfechtung sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken einerseits ob der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "entschieden oder verfügt (Volksabstimmung) und" in Art76 Vbg Landesverfassung (im Folgenden: LV), des §22 Abs1 erster Satz und zweiter Satz dritter Fall Vbg Gemeindegesetz (im Folgenden: GG) sowie der §§58 bis 63, §64 Abs1 litc und §69 Abs3 Vbg Landes-Volksabstimmungsgesetz (im Folgenden: LVAG) und anderseits ob der Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Ludesch vom 26. August 2019 über die Anordnung der Volksabstimmung "Widmung von Flächen im Neugut" entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 27. Februar 2020 beschlossen, von Amts wegen die genannten Gesetzesbestimmungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit und die genannte Verordnung auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"4.1. Nach Art76 LV kann der Landesgesetzgeber vorsehen, dass Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde aus dem Bereich der Landesvollziehung durch Abstimmung der Stimmberechtigten der Gemeinde 'entschieden oder verfügt' werden.

Nach §22 Abs1 letzter Fall GG kann auf Initiative einer bestimmten Zahl an Stimmberechtigten der Gemeinde durch eine Volksabstimmung in einer Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches 'entschieden oder verfügt werden'. Ausgenommen hievon sind nach §22 Abs3 GG lediglich Verwaltungsakte, die sich an bestimmte Personen richten. Nach §69 Abs3 LVAG tritt die Entscheidung, die den Gegenstand der Volksabstimmung bildet, an die Stelle der Entscheidung des sonst zuständigen Gemeindeorgans. Sofern darüber hinaus weitere Entscheidungen notwendig sind, sind diese vom zuständigen Gemeindeorgan zu treffen. Im Gegensatz zur Volksbefragung nach §23 GG, mit der lediglich 'die Meinung der Stimmberechtigten der Gemeinde […] erfragt werden kann', und zum Volksbegehren nach §21 GG, mit dem grundsätzlich nur 'verlangt werden [kann], dass Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde in bestimmter Weise erledigt werden', dürfte daher mit der Volksabstimmung nach §22 Abs1 GG verbindlich entschieden werden können. Auch die Verknüpfung eines qualifizierten Volksbegehrens nach §21 Abs4 GG mit der Volksabstimmung nach §21 Abs1 GG dürfte dies insofern nahelegen, als eine Bindungswirkung für Gemeindeorgane, einer bestimmten Entscheidung zu entsprechen, letztlich der Volksabstimmung vorbehalten bleiben dürfte. Dies dürfte auch durch die folgenden Erläuterungen zu §69 Abs3 LVAG (Selbständiger Antrag Blg. Vbg LT 3/2014, 24. GP, 11) bestätigt werden:

'Mit der vorgesehenen Änderung wird ausdrücklich klargestellt, dass das Ergebnis einer Volksabstimmung auf Gemeindeebene bindend sein soll; im Fall einer entsprechenden Fragestellung entscheiden die Stimmberechtigten anstelle der sonst zuständigen Gemeindeorgane. Anders als auf Landesebene ist dies verfassungsrechtlich zulässig (s 446 BlgNR 16. GP 7 zu Art117 Abs7 B-VG). Soweit weitere Entscheidungen notwendig sind, sind diese vom zuständigen Gemeinde-organ zu treffen. So hat etwa im Falle einer obligatorischen Volksabstimmung nach §21 Abs4 des Gemeindegesetzes das zuständige Gemeindeorgan dem Volksbegehren Rechnung zu tragen.'

Es dürfte also möglich sein, dass das Gemeindevolk im Wege einer Volksabstimmung nach §22 Abs1 GG in sämtlichen Angelegenheiten der Landes- und Bundesvollziehung, die in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallen und keinen Verwaltungsakt betreffen, der an eine bestimmte Person gerichtet ist – daher grundsätzlich sowohl in Angelegenheiten der Hoheits- als auch der Privatwirtschaftsverwaltung; im Einzelnen somit etwa auch im Bereich der Haushaltsführung und der Abgabenausschreibung sowie in Landesvollzugsangelegenheiten, bei denen der Gesetzgeber Anhörungsrechte und dergleichen vorgesehen hat –, aus eigener Initiative unmittelbar selbst Entscheidungen trifft, ohne dass das sonst zuständige Gemeindeorgan damit befasst wird oder zumindest an der Willensbildung beteiligt ist. Ebenso dürften alle Gemeindeorgane an das Ergebnis der Volksabstimmung gebunden sein. Auf Grund dieser Bindungswirkung der Volksabstimmung dürfte es dem sonst zuständigen Gemeindeorgan grundsätzlich untersagt sein, ohne Durchführung einer neuerlichen Volksabstimmung in derselben Angelegenheit eine Entscheidung zu treffen, die dem Ergebnis jener Volksabstimmung inhaltlich entgegensteht […], bzw dürfte die Pflicht bestehen, allenfalls bereits gefasste Beschlüsse, die dem Ergebnis der Volksabstimmung entgegenstehen, abzuändern oder aufzuheben (vgl §69 Abs3 LVAG).

4.2. Die eben dargelegten Bestimmungen dürften, soweit sie sich auf Angelegenheiten beziehen, die in die Zuständigkeit des Gemeinderates fallen, nicht von Art117 Abs8 iVm Art118 Abs5 B-VG gedeckt sein:

Die Bundesverfassung sieht für die Organisation der Gemeindeselbstverwaltung ein 'demokratisch-parlamentarisches System' vor (VfSlg 13.500/1993; vgl auch VfSlg 15.302/1998), in dessen Zentrum der Gemeinderat steht, der nach Art117 Abs2 B-VG vom Gemeindevolk gewählt wird und dem nach Art118 Abs5 B-VG alle anderen Gemeindeorgane bei der Erfüllung ihrer dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zugehörigen Aufgaben verantwortlich sind.

Nach Art117 Abs8 B-VG ist die Landesgesetzgebung ermächtigt, in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches eine unmittelbare Teilnahme und Mitwirkung der zum Gemeinderat Wahlberechtigten vorzusehen. Durch die Einführung dieser Bestimmung mit BGBl 490/1984 sollte eine verfassungsgesetzliche Grundlage für direkt-demokratische Instrumente auch auf Gemeindeebene geschaffen werden. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (446 BlgNR 16. GP, 7) halten dazu Folgendes fest:

'Ziel dieser Bestimmung ist es, mögliche Einrichtungen und zum Teil derzeit bereits praktizierte Formen direkter Demokratie auf Gemeindeebene bundesverfassungsgesetzlich abzusichern.

Dabei soll die unmittelbare Teilnahme der zum Gemeinderat Wahlberechtigten darin bestehen, daß ihnen – wie dies etwa bei einer Volksabstimmung der Fall ist – in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde die Entscheidung anstelle der an sich zuständigen Gemeindeorgane überlassen wird. Dagegen erfaßt der Begriff der Mitwirkung andere Formen direkter Demokratie, wie zB Volksbegehren, oder Volksbefragungen.

[…]' (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

Aus diesen Erläuterungen dürfte jedoch nicht geschlossen werden können, dass sämtliche Modelle direkt-demokratischer Instrumente, die bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art117 Abs7 (nunmehr Abs8) B-VG landes(verfassungs)gesetzlich vorgesehen waren, schlechthin verfassungskonform sind.

Zunächst dürfte die Aussage in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage, dass Art117 Abs8 B-VG auch eine 'Entscheidung [des Volkes] anstelle der an sich zuständigen Gemeindeorgane' ermögliche, nicht so verstanden werden können, dass damit eine Volksabstimmung durchgeführt werden darf, die den Gemeinderat als oberstes Organ der Gemeindeselbstverwaltung iSd Art118 Abs5 B-VG inhaltlich auch dann bindet, wenn dieser in der Angelegenheit, auf die sich die Volksabstimmung bezieht, oder über die Durchführung der Volksabstimmung selbst keinen Beschluss gefasst hat. Diese Annahme dürfte Art117 Abs8 B-VG nicht entsprechen. Die darin verwendeten Begriffe der 'Teilnahme' und 'Mit-wirkung' der Wahlberechtigten dürften dies ausschließen, weil sie eine zwingende Beteiligung des Gemeinderates an der Willensbildung implizieren dürften. Dafür dürfte auch die Ausgestaltung der Gemeindeselbstverwaltung als 'demokratisch-parlamentarisches System' (VfSlg 13.500/1993) sprechen, an der sich auf Grund des unverändert gebliebenen Wortlautes des Art118 Abs5 B-VG – und der sich daraus ergebenden Stellung des Gemeinderates – auch nach der Einführung des Art117 Abs8 B-VG grundsätzlich nichts geändert haben dürfte. Davon dürfte auch der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 13.500/1993 ausgegangen sein:

'Diese Ermächtigung erfolgte im Hinblick auf das verfassungspolitische Anliegen der Einführung direkt-demokratischer Mitwirkungsrechte des Gemeindevolkes; ihre Existenz bestätigt das eben skizzierte Grundkonzept einer repräsentativ-demokratischen Verfassung mit jeweils ausdrücklich formulierten direkt-demokratischen Elementen.'

Schließlich dürfte dafür auch ein Vergleich zur Regelung der 'Volksgesetzgebung' sprechen, die der Verfassungsgerichtshof auf Landesebene im Hinblick auf das repräsentativ-demokratische Grundprinzip bereits für verfassungswidrig erklärt hat (vgl VfSlg 16.241/2001). Im Sinn des Homogenitätsprinzips der Bundesverfassung dürfte der in dieser Entscheidung zum Ausdruck kommende Ausnahmecharakter direkt-demokratischer Elemente in der Bundesverfassung auch eine restriktive Auslegung entsprechender Bestimmungen für die Gemeindeebene, insbesondere betreffend den Gemeinderat als direkt-demokratisch legitimiertes oberstes Organ, nahelegen.

Vor diesem Hintergrund hätte eine bundesverfassungsgesetzliche Ermächtigung, Entscheidungen des Gemeindevolkes anstelle des Gemeinderates vorzusehen, eine deutlichere Entsprechung im Wortlaut des Art117 Abs8 B-VG erfordern dürfen. Diese Bestimmung scheint demnach zwar eine verfassungsgesetzliche Klarstellung dahingehend bewirkt zu haben, dass auf Gemeindeebene direkt-demokratische Instrumente überhaupt zulässig sind. Sie dürfte jedoch keine Grundlage dafür geschaffen haben, dass in einer Angelegenheit, die in die Zuständigkeit des Gemeinderates fällt, eine verbindliche Entscheidung im Wege einer Volksabstimmung allein vom Volk unter gänzlichem Ausschluss einer Willensbildung auch des Gemeinderates getroffen wird.

Diese Gedanken dürften jedoch im Hinblick darauf, dass im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gemäß Art118 Abs5 B-VG letztlich alle Gemeindeorgane dem Gemeinderat verantwortlich, diesem gegenüber also weisungsgebunden sind, generell für Entscheidungen des Volkes anstelle von Gemeindeorganen in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches gelten. Die Verbindlichkeit einer Volksabstimmung für das jeweils zuständige Gemeindeorgan dürfte mit der Weisungsbindung dieses Organs an den Gemeinderat gemäß Art118 Abs5 B-VG konkurrieren. Art117 Abs8 B-VG dürfte daher auch keine Grundlage dafür geschaffen haben, dass Rechtsakte, die in die Zuständigkeit eines dem Gemeinderat gegenüber weisungsgebundenen Gemeindeorgans fallen, auch gegen den Willen dieses Organs bzw des Gemeinderates einer bindenden Volks-abstimmung unterzogen werden können.

Die in Prüfung gezogenen landesverfassungsgesetzlichen und landesgesetzlichen Bestimmungen dürften – bei dem zuvor dargelegten, ihnen vorläufig zugrunde gelegten Verständnis – den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art117 Abs8 iVm Art118 Abs5 B-VG somit nicht entsprechen. Sie dürften es nämlich ermöglichen, dass in sämtlichen Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches – mit Ausnahme von an bestimmte Personen gerichteten Verwaltungsakten –, verbindliche Entscheidungen auch unter Ausschluss einer eigenen Willensbildung des sonst zuständigen Gemeindeorgans getroffen werden können. Darüber hinaus dürfte auch die Verbindlichkeit einer Volksabstimmung, die eine gegenläufige Entscheidung des sonst zuständigen Gemeindeorgans ohne neuerliche Volksabstimmung auszuschließen scheint, nicht von diesen Bestimmungen gedeckt sein, da sie dem betroffenen Gemeindeorgan, sofern eine Volksabstimmung erfolgt ist, die Zuständigkeit in der jeweiligen Angelegenheit grundsätzlich entzieht.

Der Verfassungsgerichtshof geht daher vorläufig davon aus, dass Bestimmungen wie die in Prüfung gezogenen bereits aus diesen Gründen nicht von Art117 Abs8 iVm Art118 Abs5 B-VG gedeckt und damit verfassungswidrig sind […].

4.3. Darüber hinaus dürfte Art117 Abs8 B-VG den Landesgesetzgeber bei der Wahrnehmung seiner Ermächtigung zur Ausgestaltung direkt-demokratischer Elemente nicht von anderen bundesverfassungsgesetzlichen Schranken, insbesondere dem Gleichheitssatz befreien (zur Maßgeblichkeit sonstiger verfassungs-rechtlicher Schranken bei Inanspruchnahme einer verfassungsgesetzlichen Ermächtigung durch den einfachen Gesetzgeber vgl VfSlg 20.088/2016 mwN).

4.3.1. Nach dem dargelegten vorläufigen Verständnis von §22 Abs1 GG dürfte im Wege einer Volksabstimmung insbesondere auch über die Erlassung von Rechtsakten entschieden werden können, die ansonsten vom zuständigen Gemeindeorgan in einem Verordnungsverfahren zu beschließen wären. Es dürften jedoch keine Bestimmungen vorliegen, aus denen sich ergäbe, wie in einem solchen Fall allfälligen besonderen gesetzlichen Vorschriften für das Verordnungsverfahren entsprochen werden soll, die zB Anhörungsrechte, Mitteilungspflichten etc. vorsehen. Eine Erfüllung solcher Bestimmungen durch das sonst zuständige Gemeindeorgan, etwa im Rahmen eines vor oder nach der Volksabstimmung erfolgten Verfahrens, dürfte dabei schon insofern irrelevant bzw ungeeignet sein, als das Ergebnis eines solchen Verfahrens bereits durch die Bindung an die Volksabstimmung vorgegeben sein dürfte. Die Einhaltung bzw die Erfüllung des Zwecks der genannten Verfahrensbestimmungen dürfte damit im Ergebnis nicht gewährleistet sein. Eine solche Umgehung von Verfahrensvorschriften für die Erlassung von Verordnungen dürfte unsachlich sein. Es dürfte kein Grund dafür ersichtlich sein, weshalb die Einhaltung von Verfahrensvorschriften, die zur Wahrung der Rechte Betroffener und zur Garantie einer inhaltlich richtigen Entscheidung vorgesehen sind, im Fall einer Entscheidung durch das Volk nicht zur Anwendung gelangen sollen. Dies dürfte insbesondere im Hinblick auf die Einhaltung solcher Verfahrensbestimmungen anzunehmen sein, die (wie etwa im Bereich der finalen Determinierung im Raumordnungsrecht) verfassungsrechtlich geboten sind. Der Verfassungsgerichtshof geht daher vorläufig davon aus, dass die in Prüfung gezogenen Bestimmungen aus diesem Grund verfassungswidrig sind.

4.3.2. Im Hinblick auf die Kompetenzverteilung und das Berücksichtigungsgebot dürfte der Landesgesetzgeber bei der Wahrnehmung seiner Ermächtigung gemäß Art117 Abs8 B-VG auch dazu verpflichtet sein, zu ermöglichen, dass in einem Volksabstimmungsverfahren, das auf die Erlassung eines Rechtsaktes auf Grund eines Bundesgesetzes gerichtet ist, sämtliche Vorschriften eingehalten werden, die dieses Bundesgesetz für die Erlassung des jeweiligen Rechtsaktes vorsieht.

Auf Grund der zuvor beschriebenen Umgehung von Verfahrensvorschriften im Wege eines Volksabstimmungsverfahrens […] dürften die in Prüfung gezogenen Bestimmungen im Hinblick auf jene Fälle, in denen die Erlassung einer Verordnung auf Grund von Bundesgesetzen (wie etwa in einer Angelegenheit des Art11 Abs1 B-VG) den Gegenstand einer Volksabstimmung bildet, in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes eingreifen. Der Verfassungsgerichtshof geht daher vorläufig davon aus, dass die in Prüfung gezogenen Bestimmungen aus diesem Grund verfassungswidrig sind.

4.4. Schließlich dürfte §22 Abs1 GG auch in Widerspruch zu Art76 LV stehen. Auf Grund der Bezugnahme dieser Bestimmung lediglich auf Angelegenheiten 'aus dem Bereich der Landesvollziehung' dürfte sie die in Art117 Abs8 B-VG vorgesehene Ermächtigung, im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde, also sowohl im Bereich der Landes- als auch der Bundesvollziehung, direkt-demokratische Elemente vorzusehen, auf den Bereich der Landesvollziehung beschränken. Damit dürfte es dem einfachen Landesgesetzgeber verwehrt sein, eine Regelung vorzusehen, nach der im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde auch in Angelegenheiten der Bundesvollziehung 'entschieden oder verfügt' wird. Dieser Vorgabe dürfte §22 Abs1 GG jedoch nicht entsprechen, weil die darin vorgesehene Volksabstimmung – mangels einer entsprechenden ausdrücklichen Einschränkung – in allen Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches, somit auch in jenen aus dem Bereich der Bundesvollziehung, zulässig sein dürfte (vgl Häusler/Müller, Das Vorarlberger Gemeindegesetz5, 2015, 67). Der Verfassungsgerichtshof geht daher auch aus diesem Grund vorläufig von der Verfassungswidrigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmungen des GG und des LVAG aus.

5. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 17.341/2004, 17.967/2006, 18.556/2008, 19.270/2010, 19.448/2011, 20.000/2015) hat die Verfassungswidrigkeit jener Gesetzesbestimmungen, die die Verordnung tragen, zur Folge, dass die Verordnung damit der erforderlichen gesetzlichen Deckung entbehrt. Im Fall der Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen des GG und des LVAG dürfte die vorläufig als Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Ludesch qualifizierte Kundmachung vom 26. August 2019 somit keine gesetzliche Grundlage haben. Der Verfassungsgerichtshof geht daher vorläufig davon aus, dass die in Prüfung gezogene Verordnung gesetzwidrig ist."

4. Die Vorarlberger Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:

"II. Zur Präjudizialität und zum Prüfungs- bzw allfälligen Aufhebungsumfang

1. Zur Präjudizialität des Art76 der Landesverfassung

[…] Da die Gemeindewahlbehörde in dem der Anfechtung zugrunde liegenden Verfahren über die Durchführung der Volksabstimmung Art76 der Landesverfassung nicht angewendet hat und zu dessen Anwendung auch nicht verpflichtet gewesen wäre, ist Art76 der Landesverfassung nicht präjudiziell.

Maßstab für die Ausgestaltung von Volksabstimmungen auf Gemeindeebene ist nicht Art76 der Landesverfassung, sondern Art117 Abs8 B-VG. Gemäß Art117 Abs8 B-VG kann die Landesgesetzgebung in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde die unmittelbare Teilnahme und Mitwirkung der zum Gemeinderat Wahlberechtigten vorsehen. Art117 Abs8 B-VG enthält somit die verfassungsrechtliche Ermächtigung, durch einfaches Landesgesetz im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde direktdemokratische Instrumente einzurichten (Gamper, RFG 2011/16, 66), wobei deren Ausgestaltung nur innerhalb des von der Bundesverfassung gesetzten Rahmens erfolgen darf (Pernthaler/Gstir, ZfV 2004, 751 f). Bei den einfachgesetzlichen Bestimmungen zur direkten Demokratie in den verschiedenen Gemeindeordnungen handelt es sich demnach um Konkretisierungen des Art117 Abs8 B-VG (Giese, in: FS 50 Jahre Gemeindeverfassungsnovelle, 135).

Die bundesverfassungsgesetzliche Ermächtigung in Art117 Abs8 B-VG stellt jedenfalls eine ausreichende Grundlage dar, um einfachgesetzlich auf Gemeindeebene die Möglichkeit einer Volksabstimmung vorzusehen. Die Bestimmung des Art76 der Landesverfassung ist dafür nicht notwendig und somit – im Gegensatz zu Art117 Abs8 B-VG – auch nicht die den verbindlichen Rahmen bildende Grundlage für die einfachgesetzliche Regelung der Volksabstimmung in §22 Gemeindegesetz.

Dies zeigt sich auch darin, dass Art76 der Landesverfassung erst nach der bereits erfolgten Verankerung der Volksabstimmung im Gemeindegesetz (vgl §20 der Stammfassung des Gemeindegesetzes, LGBl.Nr 45/1965) erlassen worden ist, und zwar um die Volksabstimmung 'in Gemeindeangelegenheiten auf dem Gebiet der Landesvollziehung ihrer Bedeutung entsprechend in der L.V. zu verankern' (vgl den Motivenbericht 1969, Beilage Nr 39/1968 des XX. Vorarlberger Landtages). Dass Art76 der Landesverfassung nur deklaratorischen Charakter hat, wird auch dadurch deutlich, dass in ihm das durch die Novelle des Gemeindegesetzes LGBl.Nr 35/1985 eingeführte Volksbegehren (§21 Gemeindegesetz) nicht erwähnt wird (Pernthaler/Lukasser, Das Verfassungsrecht der Österreichischen Bundesländer, Vorarlberg (1995) 277). Die direktdemokratischen Instrumente auf Gemeindeebene (Volkabstimmung, Volksbegehren, Volksbefragung) hat das Land als einfacher Gesetzgeber im Rahmen seiner Verfassungsautonomie unmittelbar gestützt auf Art115 Abs2 B-VG geregelt und sind 'lediglich' unmittelbar an den bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere am Maßstab des Art117 Abs8 B-VG zu messen.

Daraus ergibt sich, dass Art76 der Landesverfassung nur deklaratorischen Charakter hat und – im Gegensatz zu Art117 Abs8 B-VG – nicht inhaltlicher Maßstab für die Ausgestaltung der Volksabstimmung auf Gemeindeebene und daher auch nicht präjudiziell ist. Ergänzend ist zu bedenken, dass die Bestimmung auf die einfachgesetzliche Rechtslage Bezug nimmt, die – ohne diesbezüglichen Vorgriff durch die Landesverfassung – Volksabstimmungen vorsehen kann, die mit Willen der Gemeindevertretung oder gegen deren Willen zustande kommen können.

2. Zum Prüfungsumfang bzw allfälligen Aufhebungsumfang

[…]

Sollte der Verfassungsgerichtshof – entgegen der Auffassung der Vorarlberger Landesregierung (siehe unten Punkt III.) – zum Ergebnis kommen, dass verbindliche Willensbildungen durch Volksabstimmung gegen den (Mehrheits-)Willen der Gemeindevertretung nicht zulässig sind, genügt es, entweder die Regelungen über die Initiierung der Volksabstimmung durch die Gemeindebürger und die dann durchzuführende Volksabstimmung (§22 Abs1 zweiter Satz dritter Fall Gemeindegesetz, §§58 bis 63 sowie 64 Abs1 litc Landes-Volksabstimmungsgesetz) aufzuheben oder aber die Regelungen über die Rechtswirkungen der Volksabstimmung (§22 Abs1 erster Satz Gemeindegesetz sowie §69 Abs3 Landes-Volksabstimmungsgesetz). Von den Stimmberechtigten (entgegen dem Willen der Gemeindevertretung) initiierte Volksabstimmungen ohne Bindungswirkung wären verfassungsrechtlich jedenfalls zulässig (vgl Giese, in: FS 50 Jahre Gemeindeverfassungsnovelle, 124 (FN 133), wenngleich dann freilich die Unterschiede zum Volksbegehren verwischt werden. Da §22 Abs1 erster Satz Gemeindegesetz und §69 Abs3 Landes-Volksabstimmungsgesetz auch Relevanz für Volksabstimmungen haben, die nicht gegen den Willen der Gemeindevertretung initiiert werden, spricht vieles dafür, dass jedenfalls diese Regelungen (so wie auch die in Prüfung gezogene Bestimmung der Landesverfassung, siehe oben unter Punkt 1.) nicht aufgehoben werden.

III. In der Sache

1. Zu den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes die mangelnde Vereinbarkeit mit Art117 Abs8 iVm Art118 Abs5 B-VG betreffend

1.1 […]

1.1.1 Zunächst wird nicht in Zweifel gezogen, dass die Bundesverfassung grundsätzlich ein 'demokratisch-parlamentarisches System' der Gemeindeselbstverwaltung konstituiert, indem sie zum einen dem Gemeinderat organisatorisch und funktionell die zentrale Stellung in der Gemeindeselbstverwaltung zuweist und zum anderen in Art118 Abs5 B-VG für die anderen Gemeindeorgane eine Verantwortlichkeit gegenüber dem Gemeinderat festlegt (vgl VfSlg 13.500/1993 betreffend die Bürgermeisterdirektwahl). In diesem Erkenntnis ging der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass das demokratische Baugesetz als repräsentativ-demokratisches Grundprinzip mit ausnahmehaft vom Verfassungsgesetzgeber ausdrücklich vorgesehenen direktdemokratischen Elementen zu verstehen sei, das heißt, dass dort, wo von diesem Grundkonzept abgewichen werde, es einer ausdrücklichen bundesverfassungsgesetzlichen Ermächtigung bedürfe. Dies, so der Verfassungsgerichtshof im genannten Erkenntnis weiter, werde für die Gemeinden auch durch eine Bedachtnahme auf die Bestimmung des Art117 Abs8 (damals Abs7) B-VG und seine Entstehungsgeschichte bestätigt, da diese Ermächtigung im Hinblick auf das verfassungspolitische Anliegen der Einführung direktdemokratischer Mitwirkungsrechte des Gemeindevolkes erfolgte; ihre Existenz würde das eben skizzierte Grundkonzept einer repräsentativ-demokratischen Verfassung mit jeweils ausdrücklich formulierten direktdemokratischen Elementen bestätigen. Art117 Abs8 (damals Abs7) B-VG sei eine bundesverfassungsgesetzliche Ermächtigung zur Abweichung von diesem Grundkonzept.

1.1.2 Dieses 'demokratisch-parlamentarische System' auf Gemeindeebene ist demnach – auch nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes – durch den Bundesverfassungsgesetzgeber jedenfalls modifizierbar, was neben der Ermöglichung direktdemokratischer Instrumente durch Art117 Abs8 B-VG auch gerade dadurch deutlich wird, dass der Bundesverfassungsgesetzgeber im Gefolge von VfSlg 13.500/1993 die Bestimmung des heutigen Art117 Abs6 B-VG über die Möglichkeit der Bürgermeisterdirektwahl eingeführt hat.

Diesen durch die Einführung des Art117 Abs6 B-VG verursachten und vom Verfassungsgerichtshof ausdrücklich so bezeichneten 'Systemwechsel' hat dieser in VfSlg 15.302/1998 nicht etwa im Hinblick auf einen Widerspruch zum – in Art118 Abs5 B-VG seinen Ausdruck findenden – demokratischen Prinzip beanstandet, sondern die vom Salzburger Landesverfassungsgesetzgeber getroffene Einschaltung des Gemeindevolkes auch in das Verfahren der Abberufung eines Bürgermeisters als mit Art99 B-VG vereinbar betrachtet. Der Verfassungsgerichtshof vertrat im genannten Erkenntnis die Auffassung, dass durch die Regelung des Art117 Abs6 B-VG das System des Art118 Abs5 B-VG insoweit modifiziert worden sei, dass nun auch die Abwahl des Bürgermeisters durch das Gemeindevolk zulässig sei (Giese, in: FS 50 Jahre Gemeindeverfassungsnovelle, 124).

Überträgt man diesen vom Verfassungsgerichtshof gefassten Gedanken des 'Systemwechsels' auf die Ermöglichung direktdemokratischer Instrumente durch Art117 Abs8 B-VG (damals [Abs.] 7), ist auch in diesem Fall davon auszugehen, dass das demokratische Prinzip des Art118 Abs5 B-VG durch Art117 Abs8 B-VG (damals [Abs.] 7) insofern einen 'Systemwechsel' erfahren hat, als direkte Demokratie zulässig wurde, die vorher aufgrund des aus Art118 Abs5 B-VG abgeleiteten Prinzips (jedenfalls zum Teil) nicht zulässig war. Dies umso mehr, als im Gegensatz zur (verfassungsrechtlich zulässigen) Abberufung des Bürgermeisters unter Einschaltung des Gemeindevolkes direktdemokratische Instrumente im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde (wie vom Verfassungsgerichtshof in VfSlg 13.500/1993 verlangt) sogar explizit im B-VG als mögliche Ausnahme vom Grundkonzept verankert wurden. Wenn Art117 Abs6 B-VG nach der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes eine die Stellung des Gemeinderates als oberstes Gemeindeorgan nach Art118 Abs5 B-VG modifizierende Wirkung zukommt, ist kein Grund ersichtlich, wieso nicht auch Art117 Abs8 (damals Abs7) B-VG eine solche modifizierende Wirkung zukommen soll, die direktdemokratische Instrumente auch ohne zwingende Beteiligung des Gemeindesrates ermöglicht.

Wie oben unter Punkt 1.1.1 ausgeführt, hat der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg 13.500/1993 gerade den Art117 Abs8 (damals Abs7) B-VG unter Bezug auf die Materialien dazu und dessen Entstehungsgeschichte als ausdrückliche, bundesverfassungsrechtlich legitimierte Abweichung vom Grundkonzept des 'demokratisch-parlamentarischen Systems' auf Gemeindeebene (und nicht als dessen Teil) verstanden und anerkannt ('… Dort, wo das B-VG von diesem Grundkonzept abweicht, ist dies ausdrücklich festgelegt. … Das wird für die Gemeinden auch durch eine Bedachtnahme auf die Bestimmung des Art117 Abs7 B-VG und seine Entstehungsgeschichte bestätigt. …'). Würde Art117 Abs8 (damals Abs7) B-VG – im Sinne der vorläufigen Annahme des Verfassungsgerichtshofs – nur Formen direkter Demokratie zulassen, die vollumfänglich mit dem Konzept des Art118 Abs5 B-VG vereinbar sind (Volksbefragungen, Volksbegehren, Volksabstimmungen mit Willen des Gemeinderates), hätte es dieser Verfassungsbestimmung gar nicht bedurft. Als lex specialis lässt Art117 Abs8 B-VG daher – bei sonstiger Überflüssigkeit der Regelung – jedenfalls auch Formen direkter Demokratie zu, die vorher nicht zulässig waren. Wie aus der Entstehungsgeschichte und den für den historischen Willen des Verfassungsgesetzgebers maßgeblichen Erläuterungen hervorgeht (siehe unten unter Punkt 1.1.3), sind dies verbindliche Volksabstimmungen auch gegen den Willen des Gemeinderates.

1.1.3 Für die Ausgestaltung des Grundkonzepts des 'demokratisch-parlamentarischen Systems' und dessen Ausnahmen und damit auch für die Frage des Verhältnisses zwischen repräsentativen und plebiszitären Elementen auf Gemeindeebene sind ausschließlich die Bestimmungen des B-VG über die Gemeindeselbstverwaltung (Art115 ff) maßgebend. Die Gemeinde, als dritte Ebene der Gebietskörperschaften, hat aufgrund der Bundesverfassung ein eigenes Demokratiesystem, das im Art117 B-VG näher geregelt ist (vgl Pernthaler/Gstir, ZfV 2004, 749). Das 'demokratisch-parlamentarische System' auf Gemeindeebene ist nicht vergleichbar mit dem Gesetzgebungssystem auf Bundes- und Länderebene (siehe dazu im Detail unten unter Punkt 1.2).

Das 'demokratisch-parlamentarische System' auf Gemeindeebene wurde durch Art117 Abs8 B-VG modifiziert, was vom Verfassungsgerichtshof – wie bereits ausgeführt – in VfSlg 13.500/1993 unter Bezugnahme auf die Materialien ausdrücklich anerkannt wurde. Art117 Abs8 (damals Abs7) B-VG zielt den Materialien zu BGBl Nr 490/1984 zufolge darauf ab, 'mögliche Einrichtungen und zum Teil derzeit bereits praktizierte Formen direkter Demokratie auf Gemeindeebene bundesverfassungsgesetzlich abzusichern' (ErlRV 446 BlgNR XVI. GP, 7). Zum damaligen Zeitpunkt existierten bereits eine ganze Reihe direktdemokratischer Einrichtungen bzw Instrumente auf Gemeindeebene (ErlRV 446 BlgNR XVI. GP, 5 u. 7; siehe auch Poier, Landesverfassung und direkte Demokratie aus rechts- und politikwissenschaftlicher Perspektive, in: Salzburger Landtag/Weiser (Hrsg.), Demokratische Zukunft der (Salzburger) Landesgesetzgebung – FS 100 Jahre erste Republik (2018) 88), darunter auch das in Prüfung gezogene Vorarlberger Modell der Volksabstimmung auf Gemeindeebene. Die Material[i]en führen weiter aus, dass die unmittelbare Teilnahme der zum Gemeinderat Wahlberechtigten darin bestehen soll, 'dass ihnen – wie dies etwa bei einer Volksabstimmung der Fall ist – in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde die Entscheidung anstelle der an sich zuständigen Gemeindeorgane überlassen wird. Dagegen erfasst der Begriff der Mitwirkung andere Formen direkter Demokratie, wie zB Volksbegehren oder Volksbefragungen' (ErlRV 446 BlgNR XVI. GP, 7; Hervorhebung im Original enthalten).

Aus der ausdrücklichen bundesverfassungsgesetzlichen Ermächtigung in Art117 Abs8 (damals Abs7) B-VG und den diesbezüglich zitierten Materialien ergibt sich eindeutig, dass auf Gemeindeebene eine stärkere Teilhabe der Bevölkerung an der demokratischen Willensbildung indiziert und intendiert ist, als dies für die Bundes- und Landesebene gilt (siehe auch Bußjäger, Demokratische Innovation und Verfassungsreform, in: ders/Gamper (Hrsg.), Demokratische Innovation und Partizipation in der Europaregion (2015) 9 (FN 32). Aus der stärkeren Teilhabe der Bevölkerung an der demokratischen Willensbildung in der Form, dass ihr wie in den Materialien ausgeführt die Entscheidung anstelle der an sich zuständigen Gemeindeorgane überlassen werden kann, ergibt sich zwangsläufig eine Modifikation der Stellung des Gemeinderates nach Art118 Abs5 B-VG, weshalb anzunehmen ist, dass auch der Bundesverfassungsgesetzgeber von einer solchen ausgegangen ist.

Hätte der Bundesverfassungsgesetzgeber Art117 Abs8 B-VG so wie vom Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss interpretiert verstanden, hätte er die Bestimmung jedenfalls restriktiver formulieren und dies insbesondere auch in den Materialien zum Ausdruck bringen müssen. Auch die verfassungsrechtliche Möglichkeit der Direktwahl des Bürgermeisters sowie dessen Abberufung auf Grundlage eines Gemeindevolksentscheids sind letztlich Ausdruck und Anerkenntnis dieser besonderen Stellung der Gemeindeebene, welche dieser in direktdemokratischer Hinsicht zu Teil wird. Dies hat im Übrigen auch der Verfassungsgerichtshof bestätigt (VfSlg 15.302/1998).

Bereits §20 Abs1 des Vorarlberger Gemeindegesetzes 1965 bestimmte, dass in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches eine Volksabstimmung vom Bürgermeister unter anderem dann anzuordnen war, wenn es ein Viertel der Bürger der Gemeinde verlangte. Das Modell einer solcherart von Stimmberechtigten initiierten Volksabstimmung ohne Mitwirkung des Gemeinderates existierte im Falle Vorarlbergs somit bereits nahezu 20 Jahre vor der B-VG-Novelle BGBl Nr 490/1984 (dazu schon Ponhold, Mehr unmittelbare Demokratie in den Gemeinden, ÖGZ1966, 14 f).

Dass Art117 Abs8 B-VG die Verfassungskonformität solcher Formen der direkten Demokratie absichern wollte, ist nach den Materialien zur B-VG-Novelle BGBl Nr 490/1984 unzweifelhaft. In diesem Sinne vertritt Stolzlechner (Art117 B-VG, in: Kneihs/Lienbacher (Hrsg.), Rz 30) die Auffassung, dass 'die 'unmittelbare Teilnahme' der zum Gemeinderat Wahlberechtigten darin besteht, dass ihnen – wie dies zB bei einer Volksabstimmung der Fall ist – in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches die Entscheidung anstelle der an sich zuständigen Gemeindeorgane überlassen wird.' Und weiter: 'Wesentlich ist, dass jedwede Form direkt-demokratischer Beteiligung erfasst ist […]'[.] Noch deutlicher Müllner (Art117 B-VG, in: Korinek/Holoubek et al (Hrsg.), Rz 76), der davon spricht, eine einschränkende Interpretation des Art117 Abs8 B-VG verkehre den Willen des Verfassungsgesetzgebers in sein Gegenteil und es sei nicht ersichtlich, weshalb diese Bestimmung das Demokratieprinzip wesentlich beeinträchtigen könne. Für Pernthaler/Gstir (ZfV 2004, 749 f) ist auf Gemeindeebene anders als im Bundes- und Landesbereich nicht nur die Verknüpfung von Akten der Repräsentanten mit plebiszitären Rechten möglich, sondern vereinzelt auch direkte Demokratie in der Form, dass Volksentscheidungen an die Stelle der entsprechenden Akte der Repräsentanten treten; aus der Formulierung des Art117 Abs8 B-VG könne weder eine Einschränkung auf eine nachträgliche Genehmigung von Entscheidungen der Gemeindeorgane entnommen werden, noch aufgrund der Sonderstellung der Gemeinde – infolge der Gesetzesbindung und Staatsaufsicht – ein Widerspruch zum repräsentativ-demokratischen Prinzip gesehen werden.

Sofern unter dem Gesichtspunkt des repräsentativ-demokratischen Prinzips Bedenken gegen solche von Art117 Abs8 B-VG offenkundig zugelassenen Regelungen wie die im Prüfungsbeschluss genannten Bestimmungen bestehen, wäre vom Verfassungsgerichtshof daher gerade ihre bundesverfassungsgesetzliche Grundlage selbst in Prüfung zu ziehen gewesen.

1.1.4 Was das Verhältnis von Art117 Abs8 B-VG und Art118 Abs5 B-VG anbelangt, ist anzumerken, dass diese Bestimmungen im Stufenbau der Rechtsordnung gleichrangig sind. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb von einem Vorrang des Art118 Abs5 B-VG auszugehen sein sollte (so auch Müllner, Art117 B-VG, in: Korinek/Holoubek et al, Rz 76). Durch Art117 Abs8 B-VG wird im Sinne einer lex specialis ein Regel-Ausnahme-Prinzip statuiert bzw zugelassen, wodurch sich an der Ausgestaltung des 'demokratisch-parlamentarischen Systems' auf Gemeindeebene zwar Änderungen ergeben, aber nicht grundlegender Art. Die Grenze des Zulässigen im Hinblick auf die zentrale Stellung des Gemeinderates nach Art118 Abs5 B-VG wäre wohl überschritten, wenn die direktdemokratischen Instrumente auf Landesebene so ausgestaltet werden würden, dass direktdemokratische Entscheidungen innerhalb der Gemeinde zum Regelfall würden und damit der Gemeinderat ausgeschaltet würde (Pernthaler/Gstir, ZfV 2004, 750). Dadurch würde das 'demokratisch-parlamentarische System' wohl grundsätzlich geändert.

Dies trifft auf die in Prüfung gezogenen landesverfassungsrechtlichen und einfachen landesgesetzlichen Vorschriften jedoch nicht zu, da diese zahlreiche Einschränkungen und Hürden für die Durchführung einer Volksabstimmung enthalten, wodurch dem Regel-Ausnahme-Prinzip Rechnung getragen wird und die zentrale Stellung des Gemeinderates grundsätzlich nicht berührt wird.

Zu den rechtlichen Einschränkungen und Hürden, die verhindern, dass direktdemokratische Entscheidungen innerhalb der Gemeinde zum Regelfall werden, zählen zunächst die in §22 Abs1 Gemeindegesetz enthaltenen Quoren, deren Erreichen Voraussetzung für die Durchführung einer vom Gemeindevolk initiierten Volksabstimmung ist. Weitere Einschränkungen sind, dass Volksabstimmungen nur in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches durchgeführt werden können und nur dann zulässig sind, wenn der begehrte Akt übergeordnetem Recht nicht offensichtlich widerspricht (vgl §60 Abs1 Landes-Volksabstimmungsgesetz). Darüber hinaus können auch Verwaltungsakte, die sich an bestimmte Personen richten, nicht Gegenstand einer Volksabstimmung sein (vgl §22 Abs3 Gemeindegesetz), wodurch ein wesentlicher Bereich der Gemeindeselbstverwaltung von vornherein ausgeschlossen ist (eine vergleichbare Einschränkung für die vom Verfassungsgerichtshof mit VfSlg 16.241/2001 aufgehobene 'Volksgesetzgebung' auf Landesebene fand sich dort nicht). Lediglich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass gleichzeitig mit der Überreichung des Antrages auf Durchführung einer Volksabstimmung ein Betrag von 360 Euro zu hinterlegen ist (§59 Abs1 Landes-Volksabstimmungsgesetz). Schließlich – und dies erscheint wesentlich, weil damit eine die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes offensichtlich tragende Prämisse in Frage gestellt wird – hat das Ergebnis der Volksabstimmung zwar Verbindlichkeit in dem Sinne, dass die Entscheidung des Volkes Wirksamkeit hat bzw zu erlangen hat, es kommt dieser Entscheidung jedoch keine erhöhte Bestandkraft zu, so dass – ganz im Sinne der gewahrten zentralen Stellung des Gemeinderates dieser von einer solchen Entscheidung – bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen – auch wieder abgehen kann (siehe unten unter Punkt 1.4).

Ein Blick auf die Praxis zeigt, dass in den letzten Jahren Volksabstimmungen auf Gemeindeebene in Vorarlberg ganz klar die Ausnahme waren: So wurden seit dem Jahr 2008 in den 96 Vorarlberger Gemeinden 17 Volksabstimmungen […] durchgeführt, von denen 14 von Gemeindebürgern initiiert wurden (die restlichen drei Volksabstimmungen wurden von der Gemeindevertretung initiiert). Im Ergebnis findet daher in ganz Vorarlberg pro Jahr ca. 1 Volksabstimmung auf Initiative von Gemeindebürgern statt.

Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass das Grundkonzept des 'demokratisch-parlamentarischen Systems' auf Gemeindeebene, in dessen Zentrum gemäß Art118 Abs5 B-VG der Gemeinderat steht, vom Bundesverfassungsgesetzgeber durch die Einführung des Art117 Abs8 B-VG jedenfalls insoweit modifiziert wurde, als dass aufgrund des Wortlautes dieser Bestimmung und den zitierten Materialien eine zwingende Beteiligung des Gemeinderates an den direktdemokratischen Instrumenten nicht geboten ist (Pernthaler, Bundesstaatsrecht, 91) und die in Prüfung gezogenen Bestimmungen daher mit Art117 Abs8 iVm Art118 Abs5 B-VG vereinbar sind.

1.2 Der Verfassungsgerichtshof hat die 'Volksgesetzgebung' im Hinblick auf das repräsentativ-demokratische Grundprinzip bereits auf Landesebene für verfassungswidrig erklärt (vgl VfSlg 16.241/2001); im Sinne des Homogenitätsprinzips der Bundesverfassung dürfte dies nach der vorläufigen Auffassung des Verfassungsgerichtshofes im Prüfungsbeschluss auch für eine restriktive Auslegung entsprechender Bestimmungen auf Gemeindeebene gelten.

Diesen Bedenken hält die Vorarlberger Landesregierung folgende Argumente entgegen:

1.2.1 Der Verfassungsgerichtshof erstreckt das von ihm aus dem repräsentativ-demokratischen Konzept des demokratischen Prinzips gefolgerte Verbot der 'Volksgesetzgebung' für den Bundes- und Landesgesetzgeber auch auf die Rechtsetzung in der Gemeindeverwaltung. Dabei werden jedoch nach Auffassung der Vorarlberger Landesregierung wesentliche Unterschiede zwischen der Vollzugsebene der Gemeinde und den Gesetzgebungsebenen von Bund und Ländern nicht berücksichtigt (vgl Madlsperger, Instrumente der direkten Demokratie auf Gemeindeebene, RFG 2014/28, 3; Gamper, Parlamentarische Rechtsetzung und direkte Demokratie: Verfassungsrechtliche Grenzen, in: Lienbacher/Pürgy, Parlamentarische Rechtsetzung in der Krise (2014) 117 f). Das betrifft sowohl die spezifischen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Anwendung direktdemokratischer Instrumente auf Gemeindeebene (siehe dazu oben unter Punkt 1.1), als auch die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen, aufgrund derer davon auszugehen ist, dass das insbesondere aus den verfassungsrechtlichen Regelungen über die Bundesgesetzgebung (über Volksabstimmungen im Gesetzgebungsverfahren, Art43 B-VG) abgeleitete Bauprinzip einer repräsentativ-demokratischen parlamentarischen Gesetzgebung (vgl VfSlg 16.241/2001) nicht auch für einen anderen Bereich als jenen der Gesetzgebung auf Bundes- und Länderebene, nämlich für jenen der Selbstverwaltung der Gemeinde, maßgeblich ist.

1.2.2 Zunächst sei darauf hingewiesen, dass die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes in VfSlg 16.241/2001 in der Literatur durchaus kritisch kommentiert wurde (vgl Rill/Schäffer, Art1 B-VG, in: Kneihs/Lienbacher, Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 1. Lfg. (2001) Rz 27 ff; Öhlinger, Grenzen der direkten Demokratie aus österreichischer Sicht, in: Balthasar/Bußjäger/Poier (Hrsg.), Herausforderung Demokratie (2014) 51; Bußjäger, Plebiszitäre Demokratie im Mehrebenensystem?, in: FS Pernthaler (2005) 106 ff; Gamper, Direkte Demokratie und bundesstaatliches Homogenitätsprinzip, ÖJZ2003, 441 ff; Marko, Direkte Demokratie zwischen Parlamentarismus und Verfassungsautonomie, in: FS Mantl (2004) 335 ff; Storr, Die Maßgaben der österreichischen Bundesverfassung für sachunmittelbare Demokratie in Bund und Ländern, in: Neumann/Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009 (2010) 96; Poier, Instrumente und Praxis direkter Demokratie in Österreich auf Länder- und Gemeindeebene, in: Bußjäger/Balthasar/Sonntag (Hrsg.), Direkte Demokratie im Diskurs (2014) 146; ders, Sachunmittelbare Demokratie in Österreichs Ländern und Gemeinden: Rechtslage und empirische Erfahrungen im Überblick, in: Neumann/Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009 (2010) 50).

1.2.3 Eine 'Übertragung' des Verbots der 'Volksgesetzgebung' auf die Ebene der Gemeindeselbstverwaltung würde jedenfalls wesentliche Unterschiede zu den Gesetzgebungsebenen von Bund und Ländern verkennen. Die Gemeinde, als dritte Ebene der Gebietskörperschaften, hat aufgrund der Bundesverfassung ein eigenes Demokratiesystem, das im Art117 B-VG näher geregelt ist (vgl Pernthaler/Gstir, ZfV 2004, 749). Das 'demokratisch-parlamentarische System' auf Gemeindeebene ist nicht vergleichbar mit dem Gesetzgebungssystem auf Bundes- und Länderebene:

Die Rechtsetzung auch im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde ist weder Gesetzgebung im materiellen noch im formellen Sinne. Materiell auch deshalb nicht, weil die Verordnungserlassung durch die Gemeinde in aller Regel durch die Gesetze determiniert wird und im Falle der inhaltlich und quantitativ weniger bedeutsamen ortspolizeilichen Verordnungen immerhin durch die Gesetze und Verordnungen des Bundes und der Länder begrenzt wird (Art118 Abs6 B-VG; in diesem Sinne auch Poier, Instrumente, 146; Pernthaler/Gstir, ZfV 2004, 748 ff; Müllner, Art117 B-VG, in: Korinek/Holoubek et al, Rz 76). Dieser Unterschied zeigt sich auch darin, dass eine allfällige Änderung des Flächenwidmungsplanes (die im anlassgebenden Fall nicht Ergebnis der Volksabstimmung war und daher auch nicht stattgefunden hat) einer aufsichtsbehördlichen Genehmigung der Landesregierung bedurft hätte (vgl dazu ausführlich unten unter Punkt 2.2.3).

Der Möglichkeit, im Wege einer Volksabstimmung verbindliche Entscheidungen auf Gemeindeebene zu treffen, sind durch das die gesamte staatliche Verwaltung bindende Legalitätsprinzip und die Staatsaufsicht über die Gemeinden Grenzen gesetzt. Das schafft von vornherein eine ganz andere Situation als jene auf Gesetzgebungsebene, da damit der direkten Demokratie von vornherein zusätzliche, vom Vorarlberger Gesetzgeber auch beachtete Schranken gesetzt sind. Zur Sicherstellung der Rechtmäßigkeit von Rechtsakten, die Gegenstand einer Volksabstimmung auf Gemeindeebene sind, dienen – vor der Durchführung der Volksabstimmung – die Prüfpflicht durch die Gemeindewahlbehörde, ob der begehrte Akt offensichtlich übergeordnetem Recht widerspricht und – nach der Durchführung der Volksabstimmung – die Möglichkeit der Überprüfung durch die Aufsichtsbehörde (siehe dazu eingehend unten unter Punkt 2.2).

Wenn etwa Oberndorfer (Art1 B-VG, in: Korinek/Holoubek et al, Rz 15) davon spricht, dass keine Gesamtänderung vorliegt, wenn unter bestimmten, verfassungsrechtlich limitierten Voraussetzungen ein Gesetzesbeschluss ohne Befassung oder gegen den Willen des Nationalrats durch Volksabstimmung zustande kommt, muss dies erst recht für die Gemeindeebene gelten. Auch für Rill/Schäffer (Art1 B-VG, in: Kneihs/Lienbacher, Rz 27) geht es bei der Gesamtänderung um die Preisgabe oder doch die weitgehende Aufgabe von Elementen eines Grundprinzips, so dass nicht schon jede Ausnahme – hier vom repräsentativ-demokratischen System – eine Gesamtänderung darstellt. Die bundesverfassungsrechtliche Norm, die solche Ausnahmen vom Grundkonzept des repräsentativ-demokratischen Systems auf Gemeindeebene nach ihrer Entstehungsgeschichte ausdrücklich legitimieren sollte, ist Art117 Abs8 B-VG (siehe dazu oben unter Punkt 1.1.3 sowie – was den Ausnahmecharakter direktdemokratischer Instrumente auf Gemeindeebene anbelangt – oben unter Punkt 1.1.4).

1.2.4 Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg 16.241/2001 aus dem repräsentativ-demokratischen Konzept des demokratischen Prinzips ein Verbot der 'Volksgesetzgebung' (lediglich) für den Bundes- und Landesgesetzgeber abgeleitet:

Der Verfassungsgerichtshof kam aufgrund der Beratungen im Unterausschuss des Verfassungsausschusses der Konstituierenden Nationalversammlung und der Kommentierung des Art43 B-VG in Kelsen/Froehlich/Merkl (Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920, Fünfter Teil, 1922, 121) zum Schluss, dass der historische Verfassungsgesetzgeber das Instrument der Volksabstimmung im Gesetzgebungsverfahren nur in einem eingeschränkten Umfang zulassen wollte. Die damals in Prüfung gezogene Bestimmung (Art33 Abs6 der Landesverfassung) sah nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes vor, dass eine von der Mehrheit der Stimmberechtigten unterstützte Gesetzesinitiative auch gegen den Willen (der Mehrheit) des Landtages 'zum Gesetz wird'; sie würde also eine Gesetzeserzeugung sogar gegen den (Mehrheits-)Willen des Parlaments ermöglichen, was vom Verfassungsgerichtshof als 'Volksgesetzgebung' bezeichnet wurde, welche mit dem Grundgedanken der repräsentativen Demokratie mit bloß ausnahmehaft vom Verfassungsgesetzgeber ausdrücklich vorgesehenen direktdemokratischen Elementen nicht zu vereinbaren sei. Im Wege dieser 'Volksgesetzgebung' könnte jedes beliebige Gesetz erlassen werden, wodurch ein Konkurrenzmodell zum parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren konstituiert werden würde, was mit dem repräsentativ-demokratischen Grundprinzip der Bundesverfassung nicht mehr vereinbar sei.

Der Verfassungsgerichtshof stützte sich also auf die Regelungen zur Bundesgesetzgebung und deren Entstehungsgeschichte, nämlich die Art24 iVm 41 ff B-VG, wonach eine fakultative Volksabstimmung im Rahmen der Bundesgesetzgebung ausschließlich über Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates zulässig ist, wenn der Nationalrat es beschließt oder die Mehrheit seiner Mitglieder es verlangt. Insbesondere aus diesen Bestimmungen gehe das der Bundesverfassung insgesamt zugrundeliegende 'Prinzip der mittelbaren (parlamentarischen) Demokratie' hervor, das auch der Landesgesetzgeber im Rahmen des Art95 Abs1 B-VG, der bestimmt, dass die Gesetzgebung der Länder von den Landtagen ausgeübt wird, für die Gesetzgebung der Länder zu beachten habe.

Daraus wird deutlich, dass sich das genannte Erkenntnis ausschließlich auf das Instrument der Volksabstimmung im Gesetzgebungsverfahren bezieht. Nur für das Gesetzgebungsverfahren auf Bundes- und Länderebene gelangte der Verfassungsgerichtshof zum Ergebnis, dass eine Gesetzeserzeugung gegen den (Mehrheits-)Willen des Parlaments gegen das 'bundesverfassungsgesetzlich vorgezeichnete repräsentativ-demokratische Gesetzgebungsverfahren' bzw den 'Grundsatz der mittelbaren (parlamentarischen) Demokratie' verstoße.

Das vom Verfassungsgerichtshof – unter Bezug auf die Materialien zum die fakultative Volksabstimmung über Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates regelnden Art43 B-VG – herausgearbeitete Prinzip des repräsentativ-demokratischen parlamentarischen Grundprinzips bezieht sich ausschließlich auf die Gesetzesebene und ist daher nur insofern, nämlich betreffend Volksabstimmungen im Gesetzgebungsverfahren des Landes, vom Landesgesetzgeber im Rahmen des Art95 B-VG zu beachten.

Es ist jedoch in keiner Weise ersichtlich, warum aus einer die Bundesgesetzgebung betreffenden Bestimmung (über Volksabstimmungen im Gesetzgebungsverfahren) und dem insbesondere daraus (auch für die Gesetzgebung auf Landesebene) abgeleiteten Prinzip einer repräsentativ-demokratischen parlamentarischen Gesetzgebung eine zwingende verfassungsrechtliche Vorgabe für einen anderen Bereich als jenen der Gesetzgebung, nämlich für die Gemeindeselbstverwaltung, abgeleitet werden kann.

1.2.5 Da die für das Gesetzgebungsverfahren des Bundes und der Länder abgeleitete Ausprägung des repräsentativ-demokratischen (parlamentarischen) Prinzips auf die Gemeindeselbstverwaltung nicht übertragen werden darf, richtet sich die Ausgestaltung des 'demokratisch-parlamentarischen Systems' auf Gemeindeebene ausschließlich nach den Art115 ff B-VG, die für die Gemeinden als dritte Ebene der Gebietskörperschaften ein eigenes Demokratiesystem mit ausdrücklich vorgesehenen direktdemokratischen Instrumenten vorsehen (Pernthaler/Gstir, ZfV 2004, 749; zu dessen k

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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