TE Dsk BescheidBeschwerde 2015/3/10 DSB-D122.211/0002-DSB/2015

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Veröffentlicht am 10.03.2015
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Norm

DSG 2000 §1 Abs1
DSG 2000 §1 Abs2
DSG 2000 §7 Abs1
DSG 2000 §31 Abs2
DSG 2000 §31 Abs7
SPG §16 Abs2 Z1
SPG §16 Abs3
SPG §65
SPG §90

Text

GZ: DSB-D122.211/0002-DSB/2015 vom 10. 3. 2015

[Anmerkung Bearbeiter: Namen und Firmen, Rechtsformen und Produktbezeichnungen, Adressen (inkl. URLs, IP- und E-Mail-Adressen), Aktenzahlen (und dergleichen), etc., sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Pseudonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.]

BESCHEID

SPRUCH

Die Datenschutzbehörde entscheidet über die Datenschutzbeschwerde des Gerhard Z**** (Beschwerdeführer), vertreten durch Mag. Norbert F****, Rechtanwalt in ****, vom 23. Juni 2014 gegen die Bezirkshauptmannschaft Kufstein (Beschwerdegegnerin) wegen Verletzung im Recht auf Geheimhaltung wie folgt:

         - Der Beschwerde wird stattgegeben und festgestellt, dass die Beschwerdegegnerin den Beschwerdeführer dadurch in seinem Recht auf Geheimhaltung verletzt hat, indem ihre Organe dem Beschwerdeführer am 11. Mai 2014 im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Behandlung wegen des Verdachts einer Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB Fingerabdrücke abgenommen und Lichtbilder von ihm angefertigt haben.

Rechtsgrundlagen: §§ 1 Abs. 1 und 2, 7 Abs. 1, 31 Abs. 2 und 7 des Datenschutzgesetzes 2000 – DSG 2000, BGBl  I Nr. 165/1999 idgF; §§ 16 Abs. 2 Z 1, 65 des Sicherheitspolizeigesetz – SPG, BGBl. Nr. 566/1991 idF BGBl. I Nr. 13/2012 und § 90 des Sicherheitspolizeigesetz – SPG, BGBl. Nr. 566/1991 idgF.

BEGRÜNDUNG

A. Vorbringen der Parteien

1. Der Beschwerdeführer behauptet in seiner am 14. August 2014 eingelangten (vom Landesverwaltungsgericht Tirol an die Datenschutzbehörde weitergeleiteten und mit Schreiben vom 16. September 2014 auftragsgemäß verbesserten) Beschwerde eine Verletzung im Recht auf Geheimhaltung durch die Beschwerdegegnerin. Am 11. Mai 2014 seien ihm von einem Polizeibeamten auf der Polizeiinspektion T*** wegen des Verdachts einer Körperverletzung Fingerabdrücke abgenommen und Lichtbilder von ihm angefertigt worden. Der Beschwerdeführer bestreite die Tat. Bei richtiger Würdigung der im Zeitpunkt der erkennungsdienstlichen Behandlung vorliegenden Ergebnisse gegen den Beschwerdeführer hätte die Beschwerdegegnerin als Sicherheitsbehörde nicht davon ausgehen dürfen, dass der Beschwerdeführer eines gefährlichen Angriffs im sicherheitspolizeilichen Sinne verdächtigt gewesen sei. Die Strafregisterbescheinigung des Beschwerdeführers weise keine Verurteilungen auf. Aus dem Jahr 2012 liege eine Verwaltungsstrafe wegen § 81 Abs. 1 SPG i.V.m. § 13 LPG vor. Nicht jede gerichtlich strafbare Handlung rechtfertige eine erkennungsdienstliche Behandlung, sondern nur eine gerichtlich strafbare Vorsatztat. Diese liege nicht vor. Der Beschwerdeführer sei mündlich aufgefordert worden, sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen, welche er anfangs verweigert habe. Auf Druck des Polizeibeamten, ohne die Verpflichtung die Durchführung einer erkennungsdienstlichen Behandlung gemäß § 77 Abs. 3 SPG bescheidmäßig aufzuerlegen, sei diese anschließend durchgeführt worden. Dadurch, dass kein gefährlicher Angriff vorgelegen sei und der die Vernehmung durchführende Beamte den Beschwerdeführer trotz dessen Weigerung einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen habe, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen seien, habe die Beschwerdegegnerin den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Geheimhaltung verletzt.

2. In ihrer Stellungnahme vom 9. Oktober 2015 bringt die Beschwerdegegnerin vor, der Beschwerdeführer sei auf Grund seiner Angaben sowie der Aussagen zweier Zeuginnen dringend verdächtig, das Vergehen der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB begangen zu haben. Da im gegenständlichen Fall der Verdacht einer Vorsatztat nach dem StGB vorgelegen sei, sei dadurch der Tatbestand eines „gefährlichen Angriffs“ im Sinne des § 16 Abs. 2 StGB erfüllt worden. Unter Zugrundelegung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. April 2010, 2010/17/0065, und des Wortlautes der §§ 16, 22 Abs. 2 und 65 Abs. 1 SPG folge daraus, dass aus dem Verdacht der Körperverletzung ein Präventionsbedarf hinsichtlich weiterer gefährlicher Angriffe abgeleitet werden könne. Dieses Delikt sei kraft gesetzlicher Definition ein gefährlicher Angriff, dem weitere folgen könnten. Daher habe auch im Zeitpunkt der erkennungsdienstlichen Behandlung die Prognoseentscheidung gestützt werden können, der Beschwerdeführer müsse durch seine erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 65 Abs. 1 von weiteren gefährlichen Angriffen abgehalten werden. Der Beschwerdeführer sei formlos aufgefordert worden, sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen. Er sei über die erkennungsdienstliche Behandlung bei der Vernehmung am 10. Mai 2014 von Bezirksinspektor L**** und erneut vor der Durchführung von Bezirksinspektor C**** auf der Polizeiinspektion T*** belehrt und darauf hingewiesen worden, dass er sich freiwillig auf der Polizeiinspektion T*** befinde und er nicht festgenommen oder zwangsweise vorgeführt worden sei. Es sei ihm auch vor der Durchführung der erkennungsdienstlichen Maßnahme das vorgesehene Informationsblatt ausgefolgt worden. Auf die Belehrung hinsichtlich der Möglichkeit, die erkennungsdienstliche Behandlung könne unter Umständen von der Sicherheitsbehörde bescheidmäßig vorgeschrieben werden, habe sich der Beschwerdeführer freiwillig für die Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung entschieden.

3. Dazu führt der Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs aus, die abstrakte Form der Wahrscheinlichkeit, die an einer etwaig verwirklichten Tat anknüpfe, welche für die Annahme ausreiche, die erkennungsdienstliche Behandlung sei zu Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich, liege nicht vor. Eine derartige Annahme lasse sich im Beschwerdefall plausibel nicht entnehmen und lägen die Voraussetzungen für den zweiten Fall des § 65 Abs. 1 SPG nicht vor. Das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer sei nicht beendet und könne vor allem auf Grund der Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers nicht von einem rücksichtlosen Vorgehen ausgegangen werden. Es lasse sich keinesfalls seitens des Beschwerdeführers bei dem Vorgehen auf eine Persönlichkeitsstruktur schließen, die jedenfalls eine abstrakte Form von Wahrscheinlichkeit für eine solche Annahme indiziere. Vorsatz des Beschwerdeführers liege nicht vor.

B. Beschwerdegegenstand

Auf Grund des Vorbringens des Beschwerdeführers ergibt sich, dass Beschwerdegegenstand die Frage ist, ob die Beschwerdegegnerin den Beschwerdeführer dadurch in seinem Recht auf Geheimhaltung verletzt hat, indem ihre Organe dem Beschwerdeführer am 11. Mai 2014 im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Behandlung wegen des Verdachts einer Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB Fingerabdrücke abgenommen und Lichtbilder von ihm angefertigt haben.

C. Sachverhaltsfeststellungen

Ausgehend vom Beschwerdegegenstand wird der folgende Sachverhalt festgestellt:

Am 11. Mai 2014 wurden dem Beschwerdeführer wegen des Verdachts einer Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB von einem Polizeibeamten auf der Polizeiinspektion T*** Fingerabdrücke abgenommen und Lichtbilder von ihm angefertigt.

Die Strafregisterbescheinigung des Beschwerdeführers vom 2. Juni 2014 weist keine Verurteilungen auf.

Beweiswürdigung: Diese Feststellungen beruhen auf dem unbestrittenen Vorbringen der Verfahrensparteien und den vorgelegten Unterlagen.

D. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

1. Zur Zuständigkeit der Datenschutzbehörde

Die Zuständigkeit der Datenschutzbehörde gründet sich auf § 90 SPG und wurde im Übrigen von keiner Partei in Frage gestellt.

2. In der Sache

1. Gemäß § 65 SPG sind die Sicherheitsbehörden ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe erforderlich scheint.

Danach ist die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung - zusätzlich zu dem Verdacht einer mit Strafe bedrohten Handlung - an zumindest eine weiter hinzukommende Voraussetzung geknüpft: Der Betroffene muss entweder im Rahmen einer „kriminellen Verbindung“ tätig geworden sein oder die erkennungsdienstliche Behandlung muss sonst auf Grund der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich erscheinen (siehe dazu u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Mai 2012, Zl. 2011/01/0276 sowie zuletzt das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Juni 2014, Zl. 2013/01/0134). Damit wird klargestellt, dass § 65 SPG neben einem begründeten Verdacht – ausgenommen für den Fall der hier nicht vorliegenden Ausübung im Rahmen einer „kriminellen Verbindung“ – zusätzlich fordert, dass eine – aufgrund der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen – wahrscheinliche Rückfallgefährdung vorliegt und gerade dieser durch die erkennungsdienstliche Maßnahme geeignet entgegengewirkt werden kann (vgl. dazu Thanner/Vogl, Sicherheitspolizeigesetz [2. Auflage], 671).

Im vorliegenden Fall führte die Beschwerdegegnerin aus, das Delikt der Körperverletzung sei kraft gesetzlicher Definition ein gefährlicher Angriff, dem weitere folgen könnten. Daher habe auch im Zeitpunkt der erkennungsdienstlichen Behandlung die Prognoseentscheidung gestützt werden können, der Beschwerdeführer müsse durch seine erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 65 Abs. 1 SPG von weiteren gefährlichen Angriffen abgehalten werden.

2. Allein das Argument, es handle sich bei einer Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB um einen gefährlichen Angriff, vermag die Annahme einer deliktspezifischen Rückfallgefährdung aber noch nicht zu begründen. Vielmehr hätte sich die Beschwerdegegnerin für die Begründung einer derartigen Rückfallgefährdung hinreichender mit der vorgeworfenen Tat und der Persönlichkeit des Beschwerdeführers auseinandersetzen müssen. Auch kann aus der einschlägigen Rechtsprechung zu § 65 SPG der Schluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber im Falle von „leichten“ Delikten (wie eben auch der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB) keine deliktspezifische Rückfallgefahr vor Augen hatte (vgl. dazu u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Juli 2009, Zl. 2009/17/0070, wonach der Verdacht nach § 201 StGB (Vergewaltigung) aufgrund der Art eine erkennungsdienstliche Behandlung rechtfertigte; den Bescheid der Datenschutzkommission vom 11. März 2011, GZ K121.653/0004-DSK/2011, wonach der Verdacht des Verbrechens nach § 28a SMG (Suchtgifthandel) aufgrund der Art eine erkennungsdienstliche Behandlung rechtfertigte). Eine andere Sichtweise hätte im Übrigen auch zur Folge, dass jedes Delikt abstrakt betrachtet eine Rückfallgefährdung wahrscheinlich scheinen lässt, und damit eine einzelfallbezogene Beurteilung – wie vom Gesetzgeber alternativ aufgestellt – im Vorhinein hinfällig wäre (vgl. dazu auch den Bescheid der Datenschutzbehörde vom 9. Februar 2015, DSB-D122.244/0001-DSB/2015).

3. Dass die erkennungsdienstlichen Maßnahmen im vorliegenden Fall aufgrund einer einzelfallbezogenen Prognose, d.h. aufgrund der Persönlichkeit des (zum Zeitpunkt der erkennungsdienstlichen Behandlung unbescholtenen) Beschwerdeführers oder aufgrund der Ausführung der Tat, eine Rückfallgefährdung wahrscheinlich machten, hat die Beschwerdegegnerin nicht dargetan. Ebenso wenig hat die Beschwerdegegnerin begründet, inwiefern allfälligen gefährlichen Angriffen durch die konkrete erkennungsdienstliche Behandlung vorgebeugt werden könnte.

Der Beschwerde war daher spruchgemäß stattzugeben.

Schlagworte

Geheimhaltung, erkennungsdienstliche Daten, Sicherheitspolizei, Kriminalpolizei, Prognoseentscheidung, Eigentumsdelikt, abstrakte Form der Wahrscheinlichkeit weiterer gefährlicher Angriffe, deliktspezifische Rückfallgefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:DSB:2015:DSB.D122.211.0002.DSB.2015

Zuletzt aktualisiert am

19.06.2015
Quelle: Datenschutzbehörde Dsb, https://www.dsb.gv.at
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