TE OGH 2009/7/1 7Ob56/09z

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Veröffentlicht am 01.07.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Raimund B*****, vertreten durch Mag. Nicole Neugebauer, Rechtsanwältin in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 11. November 2008, GZ 44 R 468/08m, 44 R 469/08h-83, womit der Rekurs des Betroffenen gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 18. Juli 2008, GZ 3 P 9/07t-59, zurückgewiesen und der Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 29. Juli 2008, GZ 3 P 9/07t-63, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen, soweit er sich gegen die Bestätigung des Beschlusses des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 29. Juli 2008, GZ 3 P 9/07t-63, richtet (44 R 468/08m).

II. Dem Revisionsrekurs wird hingegen Folge gegeben, soweit er sich gegen die Zurückweisung des Rekurses gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 18. Juli 2008, GZ 3 P 9/07t-59, richtet (44 R 469/08h).

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung:

Mit rechtskräftigem Beschluss vom 2. August 2007, ON 23, wurde für den Betroffenen eine Rechtsanwältin mit dem Wirkungskreis Vertretung vor Gerichten zur Sachwalterin bestellt. Diese regte die Prüfung der Frage der Erweiterung des Umfangs der Sachwalterschaft an, worauf das Erstgericht einen Sachverständigen mit einem Gutachten darüber beauftragte, ob der Betroffene seine finanziellen Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu erledigen imstande sei. Auf Wunsch der Sachwalterin und des Betroffenen erfolgte eine Umbestellung auf einen anderen Rechtsanwalt als Sachwalter mit vorläufig unverändertem Aufgabenkreis. Nach Zustellung des psychiatrischen Sachverständigengutachtens (aber vor Zustellung der Ladung zur Tagsatzung zur Gutachtenserörterung am 17. Juli 2008) beantragte der Betroffene unter Bezugnahme auf das Gutachten, ihm die Verfahrenshilfe zu gewähren (ON 55). Das Erstgericht erteilte dazu am 8. Juli 2008 den Verbesserungsauftrag, binnen 14 Tagen ein Vermögensbekenntnis vorzulegen und bekanntzugeben, wofür Verfahrenshilfe beantragt werde (ON 56). Die Tagsatzung zur Gutachtenserörterung wurde ungeachtet dessen am 17. Juli 2008 in Anwesenheit des Sachverständigen, des Betroffenen und seines Sachwalters abgehalten, wobei der Betroffene Fragen an den Sachverständigen stellte. Mit Beschluss vom 18. Juli 2008, ON 59, erweiterte das Erstgericht den Wirkungskreis des Sachwalters um finanzielle Angelegenheiten und Vermögensverwaltung (ausgenommen die Verwaltung des Existenzminimums) sowie Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen. Dieser Beschluss wurde dem Betroffenen am 24. Juli 2008 zugestellt. Am 22. Juli 2008 langte beim Erstgericht ein Telefax des Betroffenen ein, mit dem er innerhalb offener Frist „das Vermögensbekenntnis zur Erlangung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang" vorlegte, in dem als Rechtssache „Sachwalterschaft f. finanzielle Angelegenheiten" bezeichnet ist (ON 60). Den Verfahrenshilfeantrag wies das Erstgericht mit Beschluss vom 29. Juli 2008, ON 63, dem Betroffenen zugestellt am 4. August 2008, mit der Begründung ab, er habe nicht ausgeführt, wofür ihm Verfahrenshilfe gewährt werden möge; ihre Gewährung sei auch wegen der gegebenen Kostentragungspflicht des Bundes nicht erforderlich. Mit jeweils gesonderten Schreiben vom 11. August 2008, die am selben Tag dem Erstgericht per Telefax übermittelt wurden, erklärte der Betroffene, „Einspruch, Rekurs, usw" zu erheben, und zwar gegen den Beschluss über die Ausdehnung der Sachwalterschaft (ON 67) und jenen in der Sache Ablehnung der Verfahrenshilfe (ON 68). Beide Eingaben wurden kurz begründet, enthielten erneut Verfahrenshilfeanträge und den Schlusssatz: „Weitere Gründe meines Einspruchs, Rekurses, usw, werden von dem vom Gericht zu bestimmenden Verfahrenshelfer nachgebracht." Dem Verbesserungsauftrag des Erstgerichts, die beiden Schriftsätze im Original mit Unterschrift vorzulegen, kam der Betroffene fristgerecht nach (ON 73 und 74).

Das Rekursgericht erachtete den Rekurs ON 67 für verspätet, weil die Rekursfrist bereits am 7. August 2008 geendet habe, und wies ihn - gemeinsam mit einem Nachtrag des Betroffenen vom 25. Oktober 2008 - zurück. Der ordentliche Revisionsrekurs wurde für unzulässig erklärt, weil eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung nicht vorliege. Dem Rekurs ON 68 gab das Rekursgericht nicht Folge und sprach aus, der Revisionsrekurs sei nach § 62 Abs 2 Z 2 AußStrG jedenfalls unzulässig. Der Betroffene habe zwar hinreichend zum Ausdruck gebracht, im Verfahren „Sachwalterschaft für finanzielle Angelegenheiten" durch einen Verfahrenshelfer vertreten sein zu wollen; im Hinblick auf § 129 zweiter Satz AußStrG sei aber das Auflaufen weiterer Kosten nicht zu erwarten. Wegen der Betrauung des Sachwalters mit der Vertretung vor Gerichten sei der Betroffene ohnehin anwaltlich vertreten gewesen, sodass die Beigebung eines Verfahrenshilfeanwalts nicht erforderlich gewesen sei. Gegen die beiden Rekursentscheidungen erhob der Betroffene „Einspruch, Rekurs etc", dessen Begründungen ein noch vom Gericht zu bestimmender Verfahrenshelfer nachreichen müsse. Gleichzeitig wurde der Antrag auf Verfahrenshilfe in vollem Umfang gestellt (ON 86), den das Erstgericht (nach aufgetragener Vorlage eines Vermögensbekenntnisses) einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwalts für das „Revisionsverfahren" bewilligte (ON 94). Die Zustellung des Bescheids des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien an die Verfahrenshelferin erfolgte am 19. Februar 2009; die Zustellung der zu bekämpfenden Rekursentscheidung ON 83 an sie ist aus dem Akt nicht ersichtlich.

Der am 6. März 2009 zur Post gegebene Revisionsrekurs gegen beide Rekursentscheidungen enthält die Behauptung, der anzufechtende Beschluss sei der Verfahrenshelferin am 23. Februar 2009 zugestellt worden. Als erhebliche Rechtsfrage wird unter anderem geltend gemacht, wann die Rechtsmittelfrist gemäß § 7 AußStrG für die Verfahrenshilfe beantragende Partei beginnt, wenn der Antrag auf Verfahrenshilfe während des Verfahrens gestellt wird, das Gericht aber erst nach der Entscheidung in der Sache über den Verfahrenshilfeantrag (abweisend) erkennt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist rechtzeitig:

Die Bescheidzustellung fiel zwar auf den 19. Februar 2009 (was ein Ende der Frist am 5. März 2009 bedeuten würde), die Behauptung der Verfahrenshelferin, die zu bekämpfende, fristauslösende Rekursentscheidung (vgl § 7 Abs 2 AußStrG) sei ihr erst am 23. Februar 2009 zugestellt worden, ist aber nach der Aktenlage nicht widerlegbar (RIS-Justiz RS0006965).

Hinsichtlich der Zulässigkeit ist zu unterscheiden:

I. Soweit sich der Revisionsrekurs gegen die Bestätigung des die Gewährung der Verfahrenshilfe abweisenden Beschlusses richtet, steht der Zulässigkeit § 62 Abs 2 Z 2 AußStrG entgegen, wonach der Revisionsrekurs über die Verfahrenshilfe jedenfalls unzulässig ist. Das muss zur Zurückweisung in diesem Umfang führen.

II. Der gegen den Zurückweisungsbeschluss des Rekursgerichts gerichtete Revisionsrekurs ist hingegen zulässig. Die unberechtigte Zurückweisung eines Rechtsmittels wegen Verspätung wirft nämlich eine erhebliche Rechtsfrage auf, weil damit ein tragender Grundsatz des Verfahrensrechts verletzt wird (RIS-Justiz RS0041365 [T4]). Insoweit ist der Revisionsrekurs im Sinn des - erkennbar - gestellten Begehrens auf Aufhebung auch der Rekursentscheidung berechtigt:

II.1. Nach § 7 Abs 1 AußStrG 2005 sind die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über die Verfahrenshilfe und die Prozessbegleitung sinngemäß anzuwenden. Abs 2 leg cit sieht vor:

„Beantragt eine Partei innerhalb einer verfahrensrechtlichen Notfrist oder einer für eine solche eingeräumten Verbesserungsfrist die Beigebung eines Rechtsanwalts im Wege der Verfahrenshilfe, so beginnt für sie die Frist mit der Zustellung des Bescheids über die Bestellung des Rechtsanwalts und, wenn ein Schriftstück fristauslösend war, mit Zustellung auch dieses an den bestellten Rechtsanwalt neu zu laufen; der Bescheid ist durch das Gericht zuzustellen. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts abgewiesen, so beginnt die Frist mit dem Eintritt der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses."

Es entspricht der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs sowohl für das streitige als auch für das außerstreitige Verfahren, dass die Unterbrechung der Rechtsmittelfrist auch dann eintritt, wenn der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (auch) durch Beigebung eines Rechtsanwalts bereits vor Beginn der Rechtsmittelfrist für die Entscheidung in der Sache in erster Instanz gestellt wird, jedoch erst nach der Sachentscheidung in erster Instanz rechtskräftig abgewiesen wird (RIS-Justiz RS0120072, RS0111923). In diesen Fällen beginnt die Rechtsmittelfrist für die Sachentscheidung daher erst mit Eintritt der Rechtskraft der abweisenden Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag zu laufen. Das gilt auch in Rechtsmittelverfahren, für die keine Anwaltspflicht besteht (6 Ob 311/98y).

II.2. Der Antrag des Betroffenen auf Gewährung der Verfahrenshilfe (ON 55) wurde vom Rekursgericht zutreffend dahin beurteilt, dass der Betroffene damit im weiteren Verfahren zur Ausweitung der Sachwalterschaft auch für finanzielle Angelegenheiten durch einen (gemeint: Rechtsanwalt als) Verfahrenshelfer vertreten sein wollte. Der abweisende Beschluss des Erstgerichts vom 29. Juli 2008 erwuchs erst mit Zustellung der Rekursentscheidung vom 11. November 2008, mit der die Abweisung des Verfahrenshilfeantrags bestätigt wurde, in Rechtskraft. Im Revisionsrekurs wird zutreffend darauf hingewiesen, dass bei Einbringung des (später fristgerecht verbesserten und vom Rekursgericht als Rekurs qualifizierten) Schriftsatzes des Betroffenen vom 11. August 2008, ON 67, der sich gegen die Sachentscheidung richtete, die Frist zur Rekurserhebung gegen diese noch nicht abgelaufen war (richtig: noch gar nicht zu laufen begonnen hatte). Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, der Rekurs des Betroffenen gegen den Beschluss auf Ausweitung der Sachwalterschaft sei verspätet erhoben worden, ist daher verfehlt. Der den Rekurs zurückweisende Beschluss des Rekursgerichts war daher zu beheben.

Anmerkung

E914007Ob56.09z

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0070OB00056.09Z.0701.000

Zuletzt aktualisiert am

26.08.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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