TE OGH 2010/12/22 9ObA42/10g

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Veröffentlicht am 22.12.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** A*****, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Post AG, Erzherzog Karl-Straße 131, 1220 Wien, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Februar 2010, GZ 8 Ra 134/09y-13, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 25. Juni 2009, GZ 27 Cga 56/09s-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Arbeitsrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der am 25. 12. 1947 geborene Kläger ist seit 3. 7. 1995 als Sortierer im Verteilerzentrum bei der Post- und Telegrafenverwaltung beschäftigt. Mit Inkrafttreten des PTSG wurde er Arbeitnehmer der Post und Telekom Austria AG. Mit 1. 1. 1999 wurde die Beklagte gegründet und mit 1. 7. 1999 von der Post- und Telekom Austria AG abgespalten. Das Dienstverhältnis des Klägers ging auf die Beklagte über.

Der Kläger gehört aufgrund des Bescheids des Bundessozialamts vom 12. 11. 2003 seit 8. 5. 2003 dem Kreis der begünstigten Behinderten iSd BEinStG an, der Grad der Behinderung beträgt 50 %.

Die Beklagte stellte mit Schreiben vom 17. 1. 2007 beim Behindertenausschuss den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung des Klägers, weil dieser arbeitsunfähig sei. Mit Bescheid vom 7. 7. 2008 wurde vom Behindertenausschuss beim Bundessozialamt die Zustimmung zur Kündigung des Klägers nicht erteilt. Die Berufungskommission gab mit Bescheid vom 12. 2. 2009 der Berufung der Beklagten Folge und änderte den angefochtenen Bescheid dahin ab, dass die Zustimmung zur Kündigung des Klägers erteilt wurde. Mit Schreiben vom 25. 2. 2009 kündigte daher die Beklagte das Dienstverhältnis mit dem Kläger zum 30. 6. 2009 mit der Begründung auf, dass dieser für eine entsprechende Verwendung im Postdienst körperlich nicht mehr geeignet sei. Nach Zugang der Kündigung, nämlich am 30. 3. 2009, erhob der Kläger gegen den Bescheid der Berufungskommission Beschwerde gemäß Art 131 Abs 1 Z 1 B-VG beim Verwaltungsgerichtshof und verband mit dieser einen Antrag auf aufschiebende Wirkung gemäß § 30 Abs 2 VwGG.

Am 6. 5. 2009 gab der Verwaltungsgerichtshof dem Antrag des Klägers auf aufschiebende Wirkung mit der Begründung statt, dass mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit dem angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Kläger ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden sei. In der Sache selbst hat der VwGH bislang noch nicht entschieden.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten über den 30. 6. 2009 hinaus aufrecht ist. Aufgrund der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sei die Vollstreckung des Zustimmungsbescheids gehemmt. Darüber hinaus sei gemäß § 19 Abs 4 PTSG die als Kollektivvertrag geltende Dienstordnung weiter anwendbar. Nach § 48 der Dienstordnung habe der Kläger Kündigungsschutz, der Kündigungsgrund des § 48 Abs 2 lit b DO, wonach der Kläger sich für eine entsprechende Verwendung als geistig und körperlich ungeeignet erwiesen habe, liege nicht vor. Insbesondere könne er auf einem anderen Arbeitsplatz im Hilfsdienst eingesetzt werden.

Soweit im Revisionsverfahren noch relevant, wendete die Beklagte ein, dass die Entscheidung der Berufungskommission die Beklagte ermächtigt habe, die Kündigung auszusprechen, was diese auch getan habe. Dieser auf einen rechtskräftigen Verwaltungsakt gestützte Rechtsgestaltungsakt der Beklagten könne durch die aufschiebende Wirkung, welche der Beschwerde verliehen worden sei, nicht rückgängig gemacht werden. Tatsächlich sei auch der Kündigungsgrund der Arbeitsunfähigkeit gegeben. Darauf komme es aber letztlich nicht an, weil dem Gericht eine neuerliche Überprüfung verwehrt sei: Die Berufungskommission habe, gestützt auf § 8 Abs 4 BEinStG, ihre Zustimmung zur Kündigung erteilt, damit stehe auch fest, dass die Kündigung zulässig sei, ohne dass es einer Überprüfung der Gründe des § 48 DO bedürfe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass der beim Verwaltungsgerichtshof angefochtene Bescheid der Berufungskommission infolge der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung keine Rechtswirkung habe hervorrufen können. Nicht nur die belangte Behörde, sondern alle Behörden, somit auch die Gerichte, haben den vorläufigen Nichteintritt der mit dem Bescheid verbundenen Rechtswirkungen zu beachten. Da im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung noch die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof offen gestanden sei, sei der Zustimmungsbescheid der Berufungskommission noch nicht in Rechtskraft erwachsen gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Urteil dahin ab, dass es das Feststellungsbegehren des Klägers abwies.

Gemäß § 8 Abs 2 BEinStG dürfe die Kündigung eines begünstigten Behinderten von einem Dienstgeber erst dann ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuss dem zugestimmt habe; eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung sei rechtsunwirksam, wenn dieser nicht in besonderen Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteilt werde. Voraussetzung für die Wirksamkeit der Kündigung sei daher das Vorliegen eines rechtskräftigen Zustimmungsbescheids (4 Ob 103/93). Die formelle Rechtskraft eines Bescheids liege dann vor, wenn dieser durch ordentliche Rechtsmittel nicht mehr bekämpft werden könne. Eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof ändere auch bei Zuerkennung von aufschiebender Wirkung grundsätzlich nichts an der Rechtskraft eines Bescheids. Durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung könnten jedoch bereits gesetzte Vollzugshandlungen nicht rückgängig gemacht werden. Zum Zeitpunkt, als die Beklagte von dem ihr durch den positiven Bescheid eingeräumten Gestaltungsrecht, nämlich dem der Kündigung, Gebrauch gemacht habe, sei dem Bescheid noch nicht aufschiebende Wirkung zuerkannt gewesen, er habe daher noch volle Rechtswirkungen entfaltet. Die Wirksamkeit der Kündigungserklärung sei im Zugangszeitpunkt eingetreten, dieser sei vor Eintritt der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gelegen. Die aufschiebende Wirkung könne sich nicht mehr auf die bereits in Gang gesetzte Kündigungsfrist erstrecken.

Infolge des zustimmenden Bescheids sei den ordentlichen Gerichten die materielle Prüfung, ob der von der Beklagten geltend gemachte Kündigungsgrund vorliege, entzogen: Das Berufungsgericht schloss sich dabei der Meinung von Schrank (Der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses als Schutzobjekt der Rechtsordnung 225 f) an, wonach die Prüfung durch den Behindertenausschuss (früher: Invalidenausschuss) vorgehe. Der Behindertenausschuss habe im Rahmen seiner Prüfung auch das Vorliegen durch andere Bestimmungen festgesetzter Kündigungsbeschränkungen zu prüfen. Komme er daher zum Ergebnis, dass eine Kündigung zulässig sei, sei den ordentlichen Gerichten eine eigene Überprüfung des Vorliegens von Kündigungsgründen entzogen. Es bedürfe daher auch keiner weiteren Feststellungen, die ordentlichen Gerichte haben den Zustimmungsbescheid des Behindertenauschusses (bzw hier: der Berufungskommission) ungeprüft zugrunde zu legen. Das Klagebegehren sei daher im Sinne einer Abweisung entscheidungsreif.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung dazu fehle, wie sich die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof auf eine bereits ausgesprochene Kündigung auswirke und wie das Verhältnis zwischen Kündigungsschutz nach dem BEinStG und anderen Bestandschutzvorschriften zu werten sei.

Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig; sie ist im Rahmen des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Ausgehend von den in 4 Ob 103/83 = SZ 57/158 zu § 8 Invalideneinstellungsgesetz aufgestellten Grundsätzen, die auch noch für § 8 BEinStG Gültigkeit haben, ist vorweg Folgendes festzuhalten:

Mit der Zustimmung des Behindertenausschusses bzw (im vorliegenden Fall) der Berufungskommission wird das im § 8 Abs 2 BEinStG normierte Kündigungsverbot aufgehoben. Der Arbeitgeber erhält damit konstitutiv die nach den Bestimmungen des Privatrechts zustehende Befugnis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses zurück. Der Bescheid hat also keinen unmittelbaren Einfluss auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, er ist aber insoweit konstitutiver Natur, als dem Arbeitgeber die Erlaubnis zur Ausübung seines Kündigungsrechts gegeben und so eine neue Rechtslage begründet wird.

Zunächst ist der Ansicht des Erstgerichts entgegenzutreten, dass die Möglichkeit zur Erhebung einer Bescheidbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof den Eintritt der Rechtskraft verhindere. Die „formelle Rechtskraft“, die regelmäßig mit der materiellen Rechtskraft des Bescheids (Unwiderrufbarkeit) zusammenfällt (Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts8 Rz 461) bedeutet, dass der Bescheid durch ordentliche Rechtsmittel nicht mehr bekämpft werden kann. Die Möglichkeit, eine Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu erheben, hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft (= Unanfechtbarkeit) nicht (Walter/Mayer aaO Rz 454; Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 581 mit jeweils weiteren Zitaten aus Schrifttum und Judikatur). Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass die Zustellung des Bescheids der Berufungskommission vor dem Ausspruch der Kündigung durch die Beklagte erfolgt ist, sodass bei Ausspruch und Zugang der Kündigung ein rechtskräftiger Bescheid vorlag.

Zu der vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 30 Abs 2 VwGG zuerkannten aufschiebenden Wirkung kann im Wesentlichen auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen in der Revision entgegenzuhalten:

Beschwerden vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts kommt kraft Gesetzes eine aufschiebende Wirkung nicht zu (Puck, Die aufschiebende Wirkung bei Beschwerden vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts in ZfV 1982/4, 359). Im Rahmen einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof kann daher die aufschiebende Wirkung nur dadurch erzielt werden, dass der Verwaltungsgerichtshof einem darauf gerichteten Antrag gemäß § 30 Abs 2 VwGG stattgibt. Wird der Beschwerde eines Dritten die aufschiebende Wirkung gegen eine Berechtigung zuerkannt, so darf der Inhaber der Berechtigung davon keinen Gebrauch mehr machen (Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit 125; Puck aaO 365). Eine bereits ausgeübte Berechtigung ist allerdings einem Aufschub nicht zugänglich (Puck aaO 464 mw Judikaturnachweisen; 9 ObA 88/05i). Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bedeutet nur die Pflicht, mit dem Vollzug oder der Berechtigungsausübung nicht zu beginnen bzw darin innezuhalten. Insofern ist der Aufschiebungsumfang durch den im Verwaltungsverfahren jeweils eingetretenen Stand der Umsetzung des Verwaltungsakts in die Wirklichkeit begrenzt (Puck aaO 365). So hat der Verfassungsgerichtshof (B 952/04 ua) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu § 30 Abs 2 VwGG ausgesprochen, dass mit Hilfe der aufschiebenden Wirkung im Sinne dieser Bestimmung bereits gesetzte Vollzugshandlungen nicht rückgängig gemacht werden können. So hat auch der Verwaltungsgerichtshof (AW 2004/11/0023) einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eine Absage erteilt, wenn der Dienstgeber von der ihm vom Behindertenausschuss eingeräumten Kündigungsmöglichkeit bereits Gebrauch gemacht hat; ein bereits gekündigtes Dienstverhältnis sei einer Gestaltung nicht mehr zugänglich.

Diese Erwägungen müssen auch im vorliegenden Fall gelten. Im Zeitpunkt des Ausspruchs der aufschiebenden Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof war die Kündigung bereits zugegangen und daher wirksam geworden (RIS-Justiz RS0013923). Darauf, dass die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen war, kann es indes nicht ankommen, weil seitens der berechtigten Arbeitgeberin keine Schritte mehr für die Beendigung des Dienstverhältnisses zu setzen waren, sondern dieses von selbst mit dem Ende der Kündigungsfrist auslief. Insoweit ist daher die Begründung des angefochtenen Urteils zutreffend und der Revision nicht zu folgen. Sollte die Zustimmung nachträglich beseitigt werden, könnte dies nur einen Grund zur Wiederaufnahme des Verfahrens geben (RIS-Justiz RS0044621 [T1]).

Zu prüfen bleibt daher, ob die Zustimmung des Behindertenausschusses bzw der Berufungskommission zur Kündigung den ordentlichen Gerichten die materielle Prüfung dort verwehrt, wo schon unabhängig von der Behinderteneigenschaft eines Arbeitnehmers durch Gesetz, Kollektivvertrag oder Einzelvertrag ein besonderer Bestandschutz gewährt wird.

Im vorliegenden Fall genießt der Kläger gemäß § 18 Abs 2 iVm § 19 Abs 4 PTSG 1996 den Kündigungsschutz des § 48 des Kollektivvertrags Post AG (Dienstordnung). Sinngleich mit § 32 Abs 2 Z 2 VBG bestimmt § 48 Abs 2 lit b der Dienstordnung, dass ein Grund, der den Dienstgeber zur Kündigung berechtigt, insbesondere vorliegt, wenn der Bedienstete sich für eine entsprechende Verwendung als geistig und körperlich ungeeignet erweist. Im vorliegenden Fall hat die Berufungskommission ihre Zustimmung zur Kündigung des Klägers auch auf dessen Unfähigkeit für die im Dienstvertrag vereinbarte Arbeit gegründet, sodass der Arbeitgeberin eine Weiterverwendung gemäß § 8 Abs 4 lit b BEinStG nicht zumutbar sei.

Das Berufungsgericht vertritt im Anschluss an Schrank (Der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses als Schutzobjekt der Rechtsordnung) die Auffassung, dass nach der positiven Entscheidung durch den Behindertenausschuss (Berufungskommission) eine neuerliche materielle Überprüfung durch das Arbeits- und Sozialgericht nicht mehr zulässig sei. Zusammengefasst meint Schrank (aaO) 232 f, dass dann, wenn Kündigungsgründe verschiedener Gesetze konkurrieren, der jeweils schutzintensivere Grund den schwächeren verdränge. Im Vergleich zwischen dem Invalideneinstellungsgesetz - also der Vorgängerbestimmung des Behinderteneinstellungsgesetzes - und dem VBG meint Schrank (aaO 234), dass, wenn auch der Kündigungsschutz des VBG durch die weitergehende für den Vertragsbediensteten sehr günstige Determinierung (§ 32 Abs 2 VBG) jenem des Invalideneinstellungsgesetzes überlegen sei, die Verfahrensbindung des Invalideneinstellungsgesetzes mangels einzelfunktionellen Gegenstücks dennoch aufrechtbleibe, das heißt, dass die Entscheidung des Invalidenausschusses der des Gerichts vorgehe. Allerdings habe der Invalidenausschuss den durch § 32 Abs 2 VBG gewährten Inhaltsschutz bei seiner Entscheidung wahrzunehmen. Schrank muss in seinem Résumé jedoch selbst zugestehen, dass im Einzelfall schwierige Wertungen hinsichtlich der Stärke oder Kongruenz des Schutzes nicht erspart bleiben und erhebliche Unsicherheitsfaktoren zurückbleiben. An diese Lehrmeinung schließt Schrammel (in Tomandl/Schrammel, Arbeitsrecht 26, 36 4d) an: Der Gesetzgeber habe regelmäßig Doppelgleisigkeiten vermeiden wollen und nur den jeweils stärkeren Kündigungsschutz wirksam werden lassen wollen. Die jeweils stärkere Kündigungsschutzbestimmung (zB der enger formulierte Kündigungsgrund) verdränge die funktionsgleiche schwächere; seien die verschiedenen Kündigungsschutzbestimmungen jedoch nicht funktionsgleich (zB die eine sieht die behördliche Zustimmung, die andere Schriftlichkeit der Kündigungserklärung vor), seien sie kumulativ anzuwenden.

Der Oberste Gerichtshof vertrat zu 8 ObA 99/97k die Auffassung, dass nach Zustimmung des Behindertenausschusses zu einer Kündigung nicht neuerlich vom Gericht zu prüfen sei, ob ein wegen Dienstunfähigkeit gekündigter Landesvertragsbediensteter die im § 35 Abs 2 lit b und c des Steiermärkischen Gemeindevertragsbedienstetengesetzes genannten Kündigungsgründe erfüllt habe.

Ernst/Haller (BEinstG6, 303) sowie K. Mayr (ZellKomm § 8 BEinstG Rz 2 mw Literaturnachweisen) haben an dieser von Schrank begründeten Meinung Bedenken angemeldet und führen als Beispiel an, dass im Falle des Zusammentreffens des besonderen Kündigungsschutzes des BEinstG mit dem des MSchG eine doppelte Prüfung zu erfolgen habe und daher beide Verfahren einzuhalten seien.

§ 8 Abs 5 BEinstG sieht vor, dass gesetzliche Bestimmungen, die die Beendigung des Dienstverhältnisses an zusätzliche Voraussetzungen knüpfen, unberührt bleiben. Ob dies bedeutet, dass den Arbeits- und Sozialgerichten eine neuerliche materielle Prüfung schon vom Behindertenausschuss geprüfter Kündigungsgründe versagt ist und nur die Einhaltung zusätzlich erforderliche Schritte des Kündigungsvorgangs, wie zum Beispiel besondere Formerfordernisse, vom Gericht geprüft werden dürfen, bedarf aber hier keiner abschließenden Klärung. § 8 Abs 5 BEinstG bezieht sich nämlich ausdrücklich nur auf gesetzliche Bestimmungen. Vorliegend ergibt sich der besondere neben dem BEinstG bestehende Kündigungsschutz aus einem Kollektivvertrag. Dem Gesetzgeber kann aber nicht unterstellt werden, mit der vorerwähnten Regelung auch Bestandschutzregelungen in Kollektivverträgen erfassen zu wollen oder auf solche „vergessen“ zu haben. Somit besteht auch keine Gesetzeslücke, die zu schließen wäre.

Daraus folgt, dass zumindest dann, wenn sich der Kündigungsschutz des Dienstnehmers auf die Bestimmung eines Kollektivvertrags (hier: Kollektivvertrag Post AG) gründet, das Gericht die Kündigungsgründe selbständig zu prüfen hat, selbst wenn im Verfahren nach § 8 BEinstG ein gleichartiger Kündigungsgrund bereits von der Verwaltungsbehörde bejaht und der Zustimmung zur Kündigung zu Grunde gelegt wurde.

Die Beklagte kann sich aber nicht auf eine allgemeine Bindung des Gerichts an die Entscheidung der Verwaltungsbehörde in dem Sinn berufen, dass die von dieser im Zustimmungsbescheid angenommenen Kündigungsgründe jedenfalls vorliegen:

Nach Lehre (Schragel in Fasching/KonecnyII/2 § 190 ZPO Rz 14; Fucik in Rechberger3 § 190 Rz 5) und ständiger Rechtsprechung (SSV-NF 5/49; MietSlg 47.626; RIS-Justiz RS0037051 ua) ist für die Gerichte nur der Spruch über den Bescheidgegenstand bindend, nicht jedoch dessen Begründung bzw rechtliche Beurteilung. Der Spruch der Berufungskommission umfasst nur „die Zustimmung zur Kündigung des Antragsgegners“, nicht aber etwa die Feststellung, dass bestimmte Kündigungsgründe vorliegen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind daher im vorliegenden Fall Feststellungen des Gerichts zum behaupteten Kündigungsgrund nicht nur zulässig, sondern auch erforderlich. Da das Erstgericht - ausgehend von seiner durch den Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsauffassung - keine Feststellungen zum Kündigungsgrund der Arbeitsunfähigkeit getroffen hat, erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Schlagworte

11 Arbeitsrechtssachen,

Textnummer

E96093

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:009OBA00042.10G.1222.000

Im RIS seit

27.01.2011

Zuletzt aktualisiert am

22.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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