TE Vwgh Erkenntnis 2005/4/21 2004/20/0435

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Veröffentlicht am 21.04.2005
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §13 Abs4;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2004/20/0436

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des C in R im A (geboren 1962), vertreten durch Dr. Max Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates 1) vom 8. September 2004, Zl. 230.957/11-XIV/16/04 (hg. Zl. 2004/20/0436), und 2) vom 9. September 2004, Zl. 230.957/12- XIV/16/04 (hg. Zl. 2004/20/0435), betreffend 1) Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und 2) Zurückweisung eines Antrages gemäß § 13 Abs. 4 AVG in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1982,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, gelangte am 27. April 2002 in das Bundesgebiet und stellte am 29. April 2002 einen Asylantrag. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. August 2002 (zugestellt am 20. August 2002) gemäß § 7 AsylG abgewiesen und es wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt.

Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer fristgerecht eine an das Bundesasylamt - Außenstelle Innsbruck adressierte, mit 3. September 2002 datierte Berufung ein, die jedoch von ihm nicht unterschrieben war. Das Bundesasylamt legte diesen Berufungsschriftsatz der belangten Behörde vor. Von dieser wurde der Beschwerdeführer in der Folge mit Schreiben vom 20. September 2002 "im Sinne des § 13 Abs. 4 AVG aufgefordert, binnen einer Woche ab Zustellung dieses Schreibens Ihre Berufung durch eigenhändige und urschriftliche Unterschrift zu bestätigen und die Berufung sodann wieder an den unabhängigen Bundesasylsenat zu retournieren." Die belangte Behörde wies darauf hin, dass für den Fall, dass diesem Auftrag nicht fristgerecht nachgekommen werde, die Berufung nicht mehr behandelt werde (§ 13 Abs. 4 AVG). Diesem Schreiben war der (nicht unterfertigte) Berufungsschriftsatz vom 3. September 2002 im Original angeschlossen. Dem Beschwerdeführer wurde diese Aufforderung am 25. September 2002 zugestellt.

Am 26. September 2002 langte beim Bundesasylamt - Außenstelle Innsbruck das - vom Beschwerdeführer nunmehr unterfertigte - Original seiner Berufung ein und wurde dort vorerst nicht weiter behandelt.

Mit Aktenvermerk vom 26. Juni 2003 hielt die belangte Behörde fest, dass "die aufgetragene Unterschrift binnen gesetzter Frist nicht vorgelegt wurde" und daher "das schriftliche Anbringen, nämlich die Berufung vom 3.9.2002, gemäß § 13 Abs. 4 AVG nicht mehr behandelt" werde; das anhängige Berufungsverfahren werde daher eingestellt.

Am 9. September 2003 wurde dem Beschwerdeführer durch die Bezirkshauptmannschaft Kufstein mitgeteilt, dass laut einem Telefonat mit dem unabhängigen Bundesasylsenat das Verfahren "auf Grund unbekannten Aufenthaltsortes" eingestellt worden sei. Der Beschwerdeführer gab der Bezirkshauptmannschaft seinen Aufenthaltsort bekannt und ersuchte, das Asylverfahren weiterzuführen.

Am 19. September 2003 brachte der Beschwerdeführer einen neuerlichen Asylantrag ein. Bei seiner Einvernahme zu diesem Asylantrag am 22. Oktober 2003 wurde ihm die zuvor erwähnte Verfahrenseinstellung noch einmal zur Kenntnis gebracht. Dazu gab der Beschwerdeführer nunmehr an:

"... da muss ein Missverständnis vorliegen. Ich habe die Berufung zum Unterschreiben wieder zurückbekommen, das stimmt schon, aber ich habe die Berufung dann unterschrieben. Ich bin ... zur Caritas gegangen, und zwar zur Frau Katharina R, und habe dort das Schreiben unterschrieben. Ich habe dann das Schreiben selbst an das Bundesasylamt in Innsbruck geschickt und war der Meinung, dass ich alles richtig gemacht habe. Ich wusste nicht, dass ich etwas falsch gemacht habe. Ich war deshalb erstaunt darüber, dass man mir meine Aufenthaltsberechtigungskarte abgenommen hat und ich gehört habe, dass mein Verfahren abgeschlossen ist. Da ich mir keines Verschuldens bewusst bin, ersuche ich, dass man mein Berufungsverfahren wieder aufnimmt."

Das Bundesasylamt legte nunmehr die bei ihm am 26. September 2002 eingelangte (vom Beschwerdeführer unterfertigte) Berufung der belangten Behörde vor.

Mit einem am 5. November 2003 zur Post gegebenen Schriftsatz stellte der Beschwerdeführer mit der Begründung, er habe dem Auftrag zur Unterfertigung seiner Berufung entsprochen und die unterschriebene Berufung sei dem Bundesasylamt "innerhalb der einwöchigen Frist zugekommen, von diesem aber rechtswidrigerweise nicht weitergeleitet worden", sowohl einen "Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens" als auch (in eventu) einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Den Wiedereinsetzungsantrag begründete er u.a. damit, dass er der Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom 20. September 2002 sofort nachkommen habe wollen, indem er den Berufungsschriftsatz unterfertigte und diesen an das Bundesasylamt in Innsbruck sandte. Er verfüge "über wenig Deutschkenntnisse" und habe keine Erfahrungen im Umgang mit Behörden. Er habe schon die zunächst nicht unterfertigte Berufung an das Bundesasylamt gesendet, und es sei ihm daher nicht bewusst gewesen sei, dass er die von ihm dann unterfertigte Berufung an den unabhängigen Bundesasylsenat in Wien hätte senden müssen. Es sei ihm nur ein minderer Grad des Versehens zur Last zu legen. Dass er die seinerzeitige Verfahrensanordnung nicht rechtzeitig erfüllt habe, sei ihm erst am 22. Oktober 2003 mitgeteilt worden, sodass er den Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig gestellt habe.

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ab (Bescheid vom 8. September 2004) und den Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 13 Abs. 4 AVG als unzulässig zurück (Bescheid vom 9. September 2004).

Über die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 158/1998 ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einer Partei auf Antrag zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Die belangte Behörde hat den Wiedereinsetzungsantrag im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, mangelnde Kenntnisse der deutschen Sprache stellten keinen Wiedereinsetzungsgrund dar und auch ein Rechtsirrtum bzw. eine darauf beruhende Unkenntnis der richtigen Einbringungsstelle seien grundsätzlich nicht als Wiedereinsetzungsgründe geeignet, "zumal in der Verfahrensanordnung vom 20.09.2002 der unabhängige Bundesasylsenat ausdrücklich als die zuständige Behörde bezeichnet war, bei der die geforderte Bestätigung anzubringen" gewesen sei.

Damit hat die belangte Behörde, die sich nur auf ältere, zum Teil nicht zur geltenden Rechtslage ergangene Rechtsprechung stützte, die Rechtslage verkannt. Unter "Ereignis" im Sinne der zitierten Vorschrift ist - wie der Verwaltungsgerichtshof etwa im Erkenntnis vom 18. April 2002, Zl. 2001/01/0559, (mit weiteren Nachweisen) dargelegt hat - jegliches Geschehen, ohne Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt, zu verstehen, wobei auch ein "Rechtsirrtum" oder ein Irrtum über die richtige Einbringungsstelle ein maßgebliches "Ereignis" darstellen kann. Auch dass ein solches Ereignis mit einer bei einem Asylwerber gegebenen mangelnden Sprachkundigkeit im Zusammenhang steht, schließt die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung jedenfalls nicht von vornherein aus (vgl. das Erkenntnis vom 7. Juni 2000, Zl. 99/01/0337, und das schon zitierte Erkenntnis vom 18. April 2002).

Daraus, dass die belangte Behörde die unzutreffende Rechtsansicht vertreten hat, dass die genannten Umstände im vorliegenden Fall als Wiedereinsetzungsgründe schon von vornherein nicht in Betracht kämen, wäre für den Beschwerdeführer aber nichts gewonnen, wenn ihm die Einbringung der von ihm - innerhalb der ihm gesetzten Frist abgesandten - unterfertigten Berufung beim Bundesasylamt statt bei der belangten Behörde als grob schuldhaft zur Last zu legen wäre.

Die Wiedereinsetzung ist der Partei nicht zu bewilligen, wenn sie an der Fristversäumnis ein den "minderen Grad des Versehens" im Sinne des § 71 Abs. 1 AVG übersteigendes Verschulden trifft. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit zu verstehen. Leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben (vgl. zur Abgrenzung zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit die Nachweise in dem Erkenntnis vom heutigen Tage, Zl. 2005/20/0080).

Im vorliegenden Fall wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 4 AVG vom unabhängigen Bundesasylsenat aufgetragen, die von ihm zunächst fristgerecht beim Bundesasylamt eingebrachte Berufung zu unterschreiben und sie dem unabhängigen Bundesasylsenat vorzulegen. In seinem Wiedereinsetzungsantrag hat der Beschwerdeführer vorgebracht, er habe dieser Verfahrensanordnung sofort nachkommen wollen, indem er den Berufungsschriftsatz unterfertigte und diesen an das - auf der zurückgestellten Berufung als Adressat angeführte - Bundesasylamt in Innsbruck sandte. Er habe schon die (zunächst nicht unterfertigte) Berufung an das Bundesasylamt gesendet, und es sei ihm nicht bewusst gewesen, dass er die von ihm dann unterfertigte Berufung an den unabhängigen Bundesasylsenat in Wien hätte senden müssen. Im vorliegenden Fall hat sich der Beschwerdeführer im Wiedereinsetzungsantrag auf geringe Sprachkenntnisse und fehlende Erfahrungen im Umgang mit Behörden sowie den Umstand, dass die von ihm zu unterfertigende Berufung selbst (richtigerweise) an das Bundesasylamt adressiert gewesen und von ihm auch ursprünglich dort eingebracht worden ist, berufen. Ausgehend davon kann der Verwaltungsgerichtshof nicht finden, dass der unterlaufene Irrtum bezüglich der - gegenüber der Einbringung der ursprünglichen Berufung geänderten - Einbringungsstelle ein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden begründen würde, zumal der Beschwerdeführer der ihn als "ordentliche Prozesspartei" treffenden Sorgfaltspflicht (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8 Rz 618) auch insofern nachgekommen ist, als er vor der neuerlichen Absendung der Berufung offenbar Rechtsberatung durch die Caritas in Anspruch genommen hat.

Im Hinblick darauf, dass dem Beschwerdeführer der Grund für die unterbliebene Weiterführung des Berufungsverfahrens zunächst unrichtig mit einer Verfahrenseinstellung wegen "unbekannten Aufenthaltsortes" mitgeteilt worden ist, geht aus den vorgelegten Verwaltungsakten auch keine Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist nach § 71 Abs. 2 AVG hervor. Die belangte Behörde hat daher dem Wiedereinsetzungsantrag zu Unrecht keine Folge gegeben.

Bei diesem Ergebnis kann auch die von der belangten Behörde mit dem Bescheid vom 9. September 2004 vorgenommene Zurückweisung des Antrages auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens keinen Bestand haben. Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 52 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 21. April 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004200435.X00

Im RIS seit

31.05.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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