TE OGH 1985/6/4 11Os43/85

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Veröffentlicht am 04.06.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Juni 1985 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Lachner und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Mader als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Wilhelm A wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach dem § 87 Abs 1 und 2, zweiter Fall, StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengerichtes vom 14.Dezember 1984, GZ 27 Vr 1528/84-44, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Stöger, und des Verteidigers Dr. Moringer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird (in dem der Erledigung im Gerichtstag vorbehaltenen Umfang) verworfen.

Der Berufung wird Folge gegeben und die verhängte Freiheitsstrafe auf 5 (fünf) Jahre herabgesetzt.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 24. Mai 1949 geborene beschäftigungslose Maler und Anstreicher Wilhelm A des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung mit Todesfolge nach dem § 87 Abs 1 und 2, zweiter Fall, StGB (1), des Vergehens der Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1 StGB (2) und des Vergehens der Sachbeschädigung nach dem § 125 StGB (3) schuldig erkannt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil ergriff der Angeklagte die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung. Soweit sich die Nichtigkeitsbeschwerde auf die formalen Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 3, 4 und 5 StPO stützte, wurde sie vom Obersten Gerichtshof bereits mit dem in nichtöffentlicher Sitzung gefaßten Beschluß vom 21.Mai 1985, 11 Os 43/85-9, zurückgewiesen. Dieser Entscheidung kann auch der nähere, dem angefochtenen Urteil zugrundeliegende Sachverhalt entnommen werden.

Gegenstand des Gerichtstages bildete sohin nur mehr jener Teil der Nichtigkeitsbeschwerde, der ausdrücklich oder inhaltlich materiellrechtliche Nichtigkeitsgründe im Sinn der Z 9 lit a und b, sowie 10 des § 281 Abs 1 StPO geltendmacht, sowie die vom Angeklagten gegen den Strafausspruch erhobene Berufung. Die ziffernmäßig auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützte, inhaltlich aber den Nichtigkeitsgrund der Z 10 zur Ausführung bringende Rechtsrüge baut auf dem in den Urteilsfeststellungen zwar nicht ausdrücklich angeführten, sich daraus aber ergebenden Umstand auf, daß beim ersten chirurgischen Eingriff unmittelbar nach der Tat ein Darmstich nicht richtig versorgt worden war und nekrotisch wurde, was eine zweite Operation (des Tatopfers) und weitere Komplikationen zur Folge hatte (S 310 in Verbindung mit S 293), und meint, daß der Todeserfolg atypisch und dem Angeklagten gemäß dem § 7 Abs 2 StGB nicht anzulasten sei, womit die Rechtsfrage der subjektiven und objektiven Erfolgszurechnung aufgeworfen wird. Aus der vom Beschwerdeführer richtig zitierten Norm des § 7 Abs 2 StGB, wonach eine schwerere Tatfolge den Täter dann trifft, wenn er sie wenigstens fahrlässig herbeigeführt hat, ergibt sich, daß dem Angeklagten die Todesfolge seiner dem Janos B mit Absicht auf schwere Körperbeschädigung zugefügten Verletzungen nur dann zuzurechnen ist, wenn zwischen seinem sorgfaltswidrigen Verhalten (hier: zweimaliges Zustechen mit dem Messer gegen den Bauch eines Menschen) und den hiedurch verursachten Gesamtfolgen ein Bedingungs- und Risikozusammenhang besteht und der Angeklagte auf Grund seiner individuellen geistigen Fähigkeiten diese objektiven Zusammenhänge auch subjektiv vorhersehen konnte. Da auf Grund der Feststellungen des Gerichts eine besondere geistige Beeinträchtigung des Angeklagten zufolge eines Schädelhirntraumas nicht angenommen wurde - ein etwa alkoholisierungsbedingter Mangel im emotionellen Bereich hat bei der Beurteilung der individuellen Täterfähigkeiten außer Betracht zu bleiben (LSK 1979/321) - und der Risikozusammenhang bei dieser Tathandlung nicht zu bestreiten ist (vgl. hiezu Burgstaller im WK RN 64 ff, 94 zu § 6 StGB und RN 21, 22 zu § 7 StGB), bedarf angesichts der gegebenen Fallkonstellation nur der Bedingungs-(Adäquanz-)Zusammenhang einer Erörterung. Diese Voraussetzung für die objektive Erfolgszurechnung ist aber immer dann gegeben, wenn der tatsächliche Kausalverlauf innerhalb der gewöhnlichen menschlichen Erfahrung vor sich geht: Ein außerhalb jeder Lebenserfahrung liegender, geradezu atypischer Kausalverlauf würde die Zurechnung des Erfolgs allerdings ausschließen (LSK 1976/39, EvBl 1976/201; LSK 1984/170, 13 Os 150/83 u.v.a.). Von diesen Grundsätzen ausgehend unterlief dem Schöffengericht kein Rechtsirrtum, wenn es die bei Janos B nach 39 Tagen eingetretene Todesfolge dem Angeklagten strafrechtlich anlastete, weil es keinesfalls außerhalb der Erfahrung liegt, daß als Folge der unter Zeitdruck stehenden Versorgung von schweren Stichverletzungen der Eingeweide weitere chirurgische Eingriffe notwendig werden, die im Zusammenwirken mit anlage- oder krankheitsbedingten Vorschädigungen zu nicht mehr beherrschbaren gesundheitlichen Schäden und letztlich zum Tode führen.

Wenn aber unter Heranziehung des Nichtigkeitsgrundes nach dem § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO unterstellt wird, der Angeklagte habe die Tat in einem, den Voraussetzungen des § 11 StGB entsprechenden Dämmerzustand ausgeführt, entfernt sich die Rechtsrüge von der (Urteils-)Feststellung, daß der Angeklagte zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig war (S 312 in Verbindung mit S 316), und entbehrt daher einer dem Gesetz entsprechenden Ausführung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war somit zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte Wilhelm A nach dem

zweiten Strafsatz des § 87 Abs 2 StGB unter Bedachtnahme auf § 28 StGB zu einer achtjährigen Freiheitsstrafe und wertete bei der Strafzumessung das Zusammentreffen des Verbrechens mit zwei Vergehen und die elf einschlägigen Vorstrafen als erschwerend, während als mildernd die eigene Verletzung (durch den Schlag mit der Krücke) und ein Teilgeständnis berücksichtigt wurde. Dem Berufungsbegehren auf Heabsetzung der Strafe kommt Berechtigung zu.

Mit dem Hinweis auf die Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt vermag der Rechtsmittelwerber allerdings keinen Milderungsumstand aufzuzeigen, weil die von ihm in seinem bisherigen, durch zahlreiche meist im alkoholisierten Zustand verübte Gewalttaten gekennzeichneten Leben gemachten Erfahrungen einen rechtstreuen Menschen veranlassen hätten müssen, seine Lebensweise auf die ihm bekannten Wirkungen übermäßigen Alkoholgenusses einzustellen. Die alkoholisierungsbedingte Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit (Hemmschwelle) ist ihm daher vorzuwerfen (§ 35 StGB). Ebensowenig kann der in gerechter Nothilfe gesetzte Angriff des Opfers an sich mildernd im Sinn des § 34 Z 11 StGB sein. Doch fällt bei Durchsicht der - vom Obersten Gerichtshof zur Gänze beigeschafften - einschlägigen Vorstrafakten auf, daß Wilhelm A im Umgang mit seinen Mitmenschen zwar zu Aggressionen neigt, daß es aber bisher nicht zu seinen Gewohnheiten gehörte, sich lebensgefährlicher Mittel (wie Messer oder anderer Waffen) zu bedienen. Es kann daher davon ausgegangen werden, daß die in diesem Fall eingetretene, in ein absichtliches Messerattentat mündende Eskalation der Auseinandersetzung in den unmittelbar vorangegangenen Ereignissen seine psychologische Wurzel hatte. So gesehen wird aber die vom Erstgericht zugezählte, sich der Strafobergrenze des höchsten Strafsatzes des § 87 StGB nähernde Sanktion den spezifischen Gegebenheiten dieses Straffalles nicht gerecht. Bei lebensnaher und situationsgerechter Abwägung der Milderungs- und Erschwerungsumstände (§ 32 Abs 2 StGB) erscheint daher unter besonderer Berücksichtigung der auch im Erfolgseintritt liegenden Besonderheiten des Falles die aus dem Spruch ersichtliche Strafe noch angemessen, in welchem Ausmaß der Berufung stattzugeben war. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Anmerkung

E06189

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0110OS00043.85.0604.000

Dokumentnummer

JJT_19850604_OGH0002_0110OS00043_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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