TE OGH 1986/2/20 13Os4/86

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Veröffentlicht am 20.02.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.Februar 1986 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Walenta, Dr. Schneider, Dr. Felzmann (Berichterstatter) und Dr. Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Huber als Schriftführers in der Strafsache gegen Matthias T*** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB. und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengerichts vom 14.Oktober 1985, GZ. 6 d Vr 7656/85-27, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwalts Dr. Strasser, und des Verteidigers Dr. Eichenseder, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 18.November 1958 geborene beschäftigungslose Matthias T*** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB. (1) und des Vergehens nach § 36 Abs. 1 lit. a WaffG. (2) schuldig erkannt.

Den Schuldspruch wegen der Körperverletzung (1) bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Er macht den Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 3 StGB.), allenfalls die irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts (= schuldausschließende Putativnotwehr; § 8 StGB.) geltend.

Nach dem hiezu wesentlichen Urteilssachverhalt hatte Matthias T*** Ende Juni, Anfang Juli 1985 den "Schutz" der Prostituierten "Conny" übernommen, welche wegen der von ihr verlangten, weit unter dem üblichen Schandlohn liegenden Preise in Konflikt mit anderen Prostituierten geriet, die unter dem "Schutz" der sogenannten "H***-A***" standen. Zwei Angehörige dieser Gruppe (die sich durch "rocker"-artiges Aussehen und Verhalten kennzeichnet), Erich N*** und Helmut S***, erwarteten am Abend des 3.Juli 1985 den Angeklagten im Cafe "S***" in Wien-Ottakring. S*** ist gegen zwei Meter groß und wiegt mehr als 100 Kilogramm; N***, der kleiner, aber gleichfalls "voluminös" ist, war "Rausschmeißer" in einem anderen Lokal.

Als T*** nach 23.00 Uhr das räumlich beengte Cafe betrat, in dem sich damals u.a. noch vier weitere Personen aus dem Freundeskreis T*** befanden, erkannte er S*** und N*** als Angehörige der "H***-A***"; nachdem T*** an einem Tisch Platz genommen hatte, kam es zum Streit mit den Genannten. Während S*** auf T***, der auf einem etwa 14 cm hohen Postament stand, zutrat, zog dieser seine Faustfeuerwaffe und fügte damit S*** durch mehrere Schläge gegen den Kopf eine Rißquetschwunde zu. S*** ließ sich jedoch dadurch nicht abhalten und packte T*** mit beiden Händen. Während der nun folgenden Balgerei, bei der Tische und Stühle umstürzten, feuerte T*** mit dem Revolver einen Schuß auf den Boden ab. Schließlich kamen T*** und S***, dem nun ein in der Scheide steckendes Messer aus dem Hosenbund fiel, auf dem Boden, und zwar in der Endposition S*** auf den Beinen des am Rücken liegenden Angeklagten zu liegen. T*** erhob sich jedoch schneller als S***. Als dieser den linken Fuß bereits aufgestellt hatte, mit dem rechten Bein jedoch noch kniete, schoß T*** aus einer Entfernung von mehr als 50 cm und in einem Neigungswinkel von ca. 37 Grad gegen S*** linkes Bein, wodurch Ober- und Unterschenkel unter Zerreissung der Hauptschlagader durchschossen wurden. Diesen Sachverhaltsfeststellungen zufolge ließ sich der Beschwerdeführer bewußt in einen - die Berechtigung zur Notwehr grundsätzlich ausschließenden (Leukauf-Steininger 2 , RN. 84 und Nowakowski im WK. Rz. 31 je zu § 3 StGB.; 13 Os 112/82) - Raufhandel mit wechselseitigen Angriffs- und Abwehrhandlungen ein, der keineswegs zu einer einseitigen Überlegenheit des einen der beiden Raufenden eskalierte oder auch nur - weder objektiv noch aus der Sicht des Angeklagten - auszuarten drohte. Im Raufhandel kann - wie nach allgemeiner Erfahrung so auch im vorliegenden Fall - an sich noch nicht von einer Überlegenheit gesprochen werden, wenn einer der Beteiligten den anderen an Körpergröße und -gewicht übertrifft. Es kommt vielmehr in erster Linie auf Wendigkeit, Geschicklichkeit, Ausdauer und auf die Fähigkeit an, im geeigneten Moment die entsprechende Körperkraft wider den Gegner einzusetzen. Daß es Helmut S*** gerade auf engem Raum nicht gelang, seine größere körperliche Reichweite und sein Körpergewicht zu entscheidender Wirkung zu bringen, zeigt, daß sich der Angeklagte im Raufhandel - bei dem er noch einen Warnschuß abgab und (im Gegensatz zu seinem Widerpart) im Besitz seiner Waffe blieb - durchaus behaupten konnte und seinem Gegner faktisch ebenbürtig war. Letztlich geht dies auch daraus hervor, daß der Angeklagte, nachdem er mit S*** zu Boden gegangen war und dieser, ohne ihn festhalten zu können, lediglich auf seinen Beinen lag, sich sofort zu befreien und ungleich schneller als sein Gegner aufzustehen vermochte. Bei einem solchen, dem Angeklagten bewußten Geschehnisablauf bestanden umso weniger Anhaltspunkte dafür, daß sich der Raufhandel in der Folge zum Nachteil des Angeklagten wenden würde, als dieser sich im Besitz seiner Schußwaffe erhielt, wogegen S*** nach dem Verlust seines Messers unbewaffnet war. Es waren daher Feststellungen darüber, ob der Angeklagte in bezug auf eine künftige, allenfalls zur Notwehr berechtigende Entwicklung des Raufhandels einem Irrtum unterlegen wäre (§ 8 StGB.), nicht indiziert. Dabei ist unerheblich, daß es sich bei S*** und seinem Begleiter um Angehörige einer Art "Rocker"-Gruppe handelte; stand doch dem bewaffneten Angeklagten ein waffenloser Gegner gegenüber; und dies zu einem Zeitpunkt, als sich noch weitere vier Personen aus dem Freundeskreis des Angeklagten am Ort des Geschehens aufhielten, dieser also mit seiner Gruppe auch zahlenmäßig überlegen war.

Da somit sowohl objektiv, als auch aus der Sicht des Angeklagten keine Situation bestand, die ihn berechtigt hätte, sich durch den Schuß in das Bein seines Gegners gegen eine gegenwärtige oder unmittelbar drohende, einseitige Eskalation des Raufhandels zu verteidigen, ist die strafrechtliche Zurechnung der durch den Schuß absichtlich herbeigeführten schweren körperlichen Beschädigung des Helmut S*** als Verbrechen nach dem § 87 Abs. 1 StGB. rechtlich einwandfrei.

Gleiches gilt für die schon zu Beginn des Raufhandels durch Schläge des Angeklagten mit dem Revolver seinem Gegner zugefügte leichte Verletzung. Da es sich um einen - zeit- und aktionsmäßig - einheitlichen (also nicht realkonkurrierenden) Tatvorgang handelt, haftet der Angeklagte für den Gesamterfolg (allein) nach § 87 Abs. 1 StGB.

Rechtliche Beurteilung

Seine Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen. Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach §§ 28, 87 Abs. 1 StGB. eine zweieinhalbjährige Freiheitsstrafe. Es wertete als erschwerend das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen und die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Vorstraftaten, als mildernd das volle Geständnis zum unerlaubten Waffenbesitz, ein teilweises Tatsachengeständnis (gemeint: den Beitrag zur Wahrheitsfindung) zur Körperverletzung und die Selbststellung des Angeklagten.

Mit seiner Berufung strebt dieser eine Strafherabsetzung im wesentlichen mit der Begründung an, daß er sich in einer bedrohlichen, allein von S*** provozierten Lage befunden habe. Dazu ist festzuhalten, daß die "Rocker" sicherlich ins Lokal kamen, um den Berufungswerber zur Rede zu stellen, jedoch der Streit, wie beide Widersacher angaben (S. 331 bzw. 347), erst dann zum Raufhandel eskalierte, als man sich gegenseitig beschimpfte. Damit zeigt sich aber, daß das für den Raufhandel letztlich auslösende Moment im Verhalten beider Kontrahenten zu suchen ist und sich der Berufungswerber im Bewußtsein seiner Bewaffnung in die tätliche Auseinandersetzung einließ, ohne die Situation als bedrohlich zu empfinden. Die Berufung vermag somit über die vom Erstgericht gewürdigten Milderungsumstände hinaus nichts vorzubringen, was zu einer Strafreduzierung führen könnte. Unter Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit des Angeklagten und der Gefährlichkeit seiner Tat erscheint daher eine Freiheitsstrafe im Ausmaß der Hälfte der Obergrenze des anzuwendenden Strafrahmens schuldangemessen, sodaß auch der Berufung der Erfolg zu versagen war.

Anmerkung

E07590

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0130OS00004.86.0220.000

Dokumentnummer

JJT_19860220_OGH0002_0130OS00004_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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