Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***
U***, Landesstelle Salzburg, 5010 Salzburg, Dr. Franz-Rehrl-Platz 5, vertreten durch Dr. Ludwig Hoffmann, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Jakob U***, Bauunternehmer, 6250 Breitenbach am Inn Nr. 34, vertreten durch Dr. Franz Schumacher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Zahlung von 641.374,68 S sA und Feststellung (Gesamtstreitwert 741.374,68 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 12. Februar 1988, GZ 4 R 303/87-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 2. Juli 1987, GZ 6 Cg 131/87-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei die mit 16.493,40 S (darin keine Barauslagen und 1.499,40 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte ist zu 3/4 Miteigentümer der Gramai-Alpe im Gemeindegebiet Eben. Der restliche Viertelanteil gehört dem Landwirt Friedrich S*** aus Kramsach. Mit Bescheid vom 27. April 1964 wurde dem Beklagten die Bewilligung zum Bau und Betrieb eines landwirtschaftlichen Seilweges vom Niederleger der Gramai-Alpe auf deren Hochleger erteilt. In der Folge wurde die Materialseilbahn errichtet. Mit Bescheid vom 28. März 1968 wurde dem Beklagten im Rahmen eines Kollaudierungsberichtes mit Übernahmserklärung der Seilweg unter folgenden Auflagen übergeben:
"Jede Personenbeförderung und der Zutritt von Unbefugten ist verboten. Der Seilweg und die angebrachten Verbots- und Warnungsschilder sind dauernd in einem einwandfreien Zustand zu erhalten." Der Beklagte hat ferner die Betriebs- und Erhaltungsvorschriften zur Kenntnis genommen.
Am 11. Juli 1982 fuhr der bei der Klägerin pflichtversicherte Martin E*** mit drei weiteren Personen mit der Materialseilbahn vom Hochleger talwärts. Dabei kam es zum Absturz der vier Personen, wobei Martin E*** tödliche Verletzungen erlitt. Martin E*** war Dienstnehmer des Beklagten. Beim Unfall handelte es sich um einen Arbeitsunfall. Die Klägerin mußte und muß auch weiterhin an die Witwe und die drei Waisen des Martin E*** Rentenleistungen erbringen.
Mit der am 21. August 1985 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte die Klägerin vom Beklagten die Zahlung von 461.374,68 S sA sowie die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für alle künftigen Pflichtleistungen der Klägerin, die diese aus Anlaß des Unfalles an die Witwe und die Waisen zu erbringen habe. Sie brachte dazu vor, sie habe bis zum 31. Juli 1985 an Witwen- und Waisenrente sowie Bestattungskostenbeitrag insgesamt 641.374,68 S ausbezahlt und habe auch in Zukunft Rentenleistungen in nicht bestimmbarer Höhe zu erbringen. Sie sei berechtigt, alle diese Leistungen gemäß § 334 ASVG vom Beklagten ersetzt zu erhalten, da dieser den Arbeitsunfall grob fahrlässig verursacht habe. Der Beklagte habe die Materialseilbahn nicht ordnungsgemäß gewartet. Der Unfall sei auf die mangelhafte Schmierung des Seiles zurückzuführen. Außerdem habe der Beklagte jahrelang gewußt, daß seine Dienstnehmer unzulässigerweise die Materialseilbahn zur Personenbeförderung benutzten, und habe dies geduldet. Er habe keine geeigneten Maßnahmen getroffen, um die gesetzwidrige Personenbeförderung zu unterbinden. Als Halter und Eigentümer der Materialseilbahn wäre er dazu, und zwar allenfalls sogar zum Auswechseln des Bedienungspersonals, verpflichtet gewesen. Mit dem im 77. Lebensjahr stehenden Michael K*** habe sich der Beklagte einer habituell unfähigen Person, die zur Einhaltung der Vorschriften nicht in der Lage gewesen sei, für die Bedienung der Seilbahn bedient. Schließlich habe der Beklagte, obwohl er die Unfallsfahrt vom Hochleger aus selbst beobachtet habe, nichts unternommen, um die unzulässige Personenbeförderung zu unterbinden und damit den Unfall noch zu verhindern.
Der Beklagte hat Klagsabweisung beantragt und eingewendet, daß ihn am Unfall kein Verschulden treffe. Er habe sowohl an der Berg- als auch an der Talstation Schilder mit dem Hinweis "Personenbeförderung verboten" anbringen lassen und sowohl Michael K*** als auch die anderen bei ihm beschäftigten Personen mehrfach und eingehend auf das Verbot der Personenbeförderung und die damit verbundenen Gefahren hingewiesen. Er selbst habe bei seinen seltenen Besuchen auf der Alm die Seilbahn nie benützt, sondern den Weg zur Hochalm trotz seines Herzleidens immer zu Fuß zurückgelegt und damit seinen Leuten ein gutes Beispiel gegeben. Von der unfallsgegenständlichen Personenbeförderung habe er erst Kenntnis erhalten, als eine Verhinderung der Fahrt nicht mehr möglich gewesen sei. Michael K*** sei auf Grund seiner langjährigen Erfahrung auch mit technischen Belangen der Anlage bestens vertraut gewesen und es habe mit ihm nie irgendwelche Anstände gegeben. Die vorgeschriebenen Wartungs- und Servicearbeiten habe der Beklagte jeweils durch einen erfahrenen Seilbahnmonteur des Amtes der Tiroler Landesregierung durchführen lassen. Die letzte Überprüfung habe ca. zwei Wochen vor dem Unfall stattgefunden. Der Beklagte habe keinen Anlaß gehabt, der Bestätigung des Seilbahnmonteurs zu mißtrauen, daß der erteilte Auftrag von ihm ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Das Erstgericht wies auch im zweiten Rechtsgang das Klagebegehren ab, wobei es außer den eingangs wiedergegebenen im wesentlichen von folgenden weiteren Feststellungen ausging:
Die Bedienung der Materialseilbahn erfolgt von der Talstation aus, welche mit der Bergstation in Telefonverbindung steht. Das Telefonkabel verläuft in der "Tragseilseele". Bei laufender Seilbahn erfolgt durch den rollenden Seilbahnwagen eine derartige Störung, daß Gespräche unverständlich sind. Das Telefon befindet sich an der Bergstation im Erdgeschoß des Wohngebäudes. Es wird durch Betätigen einer Kurbel bedient, worauf es in der anderen Station läutet. In der anderen Station ist dann wiederum eine Kurbel zu betätigen, wodurch dann die Verbindung hergestellt wird. Zwischen Wohn- und Wirtschaftsgebäude an der Bergstation besteht eine Entfernung von 10
m. Die Beladestelle an der Bergstation befindet sich hinter dem Wirtschaftsgebäude. Am Wohngebäude befindet sich im ersten Stock ein Balkon. Von diesem muß man zunächst ca. 10 m durch das obere Stockwerk des Wohngebäudes gehen, um sodann über die Stiege hinunter in das Erdgeschoß des Wohngebäudes zu gelangen, wo sich der Telefonapparat befindet. Die Materialseilbahn hat eine Gesamtlänge von ca. 2.000 m. Von der Bergstation aus gesehen verläuft das Tragseil zunächst auf einer Strecke von 200 m ca. 4 bis 5 m über dem Boden. Nach ca. 200 m fällt das Gelände steil ab und das Tragseil verläuft in der Folge ca. 100 m über dem Erdboden. Die gesamte Fahrtdauer von der Talstation zur Bergstation und umgekehrt beträgt ca. 15 Minuten. Die Fahrtstrecke der ersten 200 m ab der Bergstation wird in etwa einer Minute zurückgelegt. Bedient wurde die Materialseilbahn seit ihrem Bestehen laufend von Michael K***, der auf der Niederalm das Vieh betreute und schon über 50 Jahre lang beim Beklagten und zuvor bei dessen Vater beschäftigt war. Er war eine äußerst verläßliche Arbeitskraft, mit dem es nie "Anstände" gab. Er wußte auch, daß mit der Seilbahn keine Personen befördert werden durften. Dennoch bediente Michael K*** die Seilbahn auch dann, wenn Personen mitfuhren. Er machte diese wohl auf das Verbot der Personenbeförderung aufmerksam und sagte zu ihnen, daß sie selber schuld seien, wenn sie herunterfielen. Der Beklagte wies sowohl Michael K*** als auch seine anderen Dienstnehmer immer wieder auf das Verbot der Personenbeförderung hin. Diesbezüglich waren auch sowohl an der Talstation als auch an der Bergstation entsprechende Verbotsschilder angebracht. Dennoch wurde die Materialseilbahn regelmäßig von den Dienstnehmern des Beklagten auch zur Personenbeförderung benützt. Der Beklagte und seine Familienangehörigen fuhren nie mit der Materialseilbahn, sondern gingen immer zu Fuß zum Hochleger und wieder zurück, um ein gutes Beispiel zu geben. Die Materialseilbahn war in den Jahren 1964/65 errichtet worden. In der Folge wurden an der Bergstation der Materialseilbahn Wirtschafts- und Wohngebäude gebaut. Während der Bauarbeiten wurde die Materialseilbahn ständig benützt. Auch in der Folge ist es immer wieder vorgekommen, daß trotz des Verbots der Personenbeförderung Personen mit der Materialseilbahn befördert wurden. Der Beklagte hat diesbezüglich auch immer wieder Hinweise erhalten, die sich zum Teil als unrichtig und zum Teil als richtig herausgestellt hatten. Der Beklagte stellte daher K*** immer wieder wegen der unzulässigen Personenbeförderung zur Rede und drohte ihm auch an, ihn abzuziehen, wenn er das Verbot nicht einhalten würde. K*** wies den Beklagten immer wieder darauf hin, daß der durchführende Inspektionsbeamte jeweils erklärt habe, daß die Seilbahn in Ordnung sei und daher ohnehin nichts passieren könne. Der Beklagte wies K*** jedoch darauf hin, daß ein Verbot der Personenbeförderung bestehe und er sich daran zu halten habe. Obwohl der Beklagte immer wieder erfahren mußte, daß K*** seinen Anordnungen nicht folgte, zog er ihn dennoch nicht von der Bedienung der Seilbahn ab. Die Wartungs- und Reparaturarbeiten ließ der Beklagte jährlich vor der Inbetriebnahme vom Amt der Tiroler Landesregierung, Abteilung III b 1, durchführen. Diese Behörde entsandte jeweils den bei ihr beschäftigten Monteur Andreas P***, der die auf Grund seiner Sachkenntnis erforderlichen Arbeiten durchführte. Danach erkundigte sich der Beklagte jeweils bei Andreas P***, ob alles in Ordnung sei. Dies wurde von P*** jeweils bejaht. In der Folge wurde dann die Seilbahn wieder in Betrieb genommen. Ein Schmieren des Tragseils erfolgte bis zum gegenständlichen Unfall nie. Lediglich im Bereich der Seilschuhe nahm Andreas P*** eine Besprühung mittels Spraydose vor, die jedoch unzulänglich war. Durch die mangelhafte Schmierung des Tragseils im Bereich des Seilschuhs entstand eine viermal größere Schubreibung. Andreas P*** hat eine Schmierung deshalb nicht vorgenommen, weil er der Meinung war, daß sich das Tragseil im Seilschuh bei Einhaltung des zulässigen Ladegewichts von 500 kg nicht bewegt und daher die Schmierung bis zur Auslastung von 500 kg unerheblich sei. Am 11. Juli 1982 um ca. 10,30 Uhr wurde mit der Materialseilbahn die erste Fracht Milch zu Tal befördert. Obwohl die Beförderung mit 500 kg beschränkt ist, wurde eine Menge von etwa 730 kg zu Tal gebracht. Vermutlich deshalb, weil die Seilschuhe der sogenannten Portalstütze nicht geschmiert waren, verklemmte sich das Tragseil dort und es wurden dadurch die talseitigen Verankerungen der Stütze samt den Fundamenten aus dem Boden gerissen. Dennoch gelangte diese Fracht ohne Schwierigkeiten zu Tal. Um ca. 11 Uhr belud Michael K*** den Seilbahnwagen mit leeren Milchkannen. Auf diese band er eine Kiste, in der das Mittagessen verwahrt war. Als diese Fracht in der Bergstation ankam, war der Großteil des Mittagessens verschüttet. Außerdem fehlten zwei leere Milchkannen.
Dennoch machten sich die Leute an der Berg- und Talstation darüber keine besonderen Gedanken. Um ca. 12,15 Uhr bestiegen Martin E*** und dessen gleichnamiger Sohn sowie Ernst M*** und Markus S*** den Materialwagen und fuhren damit zu Tal. Der Beklagte, der das Einsteigen dieser Personen nicht gesehen hatte, stand zu diesem Zeitpunkt am Balkon des Gramai-Hochlegers und sah die Seilbahn mit den vier Personen zu Tal fahren. Ernst M***, der als Hilfskraft während des Sommers beim Beklagten auf der Gramai-Alm beschäftigt war, winkte dem Beklagten mit dem Hut zu. Der Beklagte unternahm daraufhin nichts, um die Talfahrt der vier Personen zu unterbinden. Dem Beklagten wäre es nicht möglich gewesen, von der Bergstation in die Talstation zu telefonieren und die Talfahrt auf diese Weise zu stoppen, zumal während der Fahrt der Seilbahn eine Verständigung mit dem Telefon nicht möglich ist und außerdem ein Telefonat insgesamt so lange Zeit benötigt hätte, daß der Wagen sich schon in einer Seilhöhe von 100 m befunden hätte und ein Stoppen des Fahrzeuges in dieser Situation äußerst gefährlich gewesen wäre.
Michael K*** war bei Durchführung des Unfallstransportes bekannt, daß Personen befördert wurden. Er hat sogar telefonisch angeordnet, daß diese Leute bei der Stütze schauen sollten, was los sei. Die Klägerin hat aus Anlaß des Unfalles bis zum 31. Juli 1985 für die Witwe und die drei Waisen Rentenleistungen von insgesamt 641.474,68 S erbracht und hat auch in Zukunft noch weitere Rentenleistungen zu erbringen, deren Höhe veränderlich ist und daher derzeit noch nicht insgesamt beurteilt werden kann. Daß es der Beklagte selbst übernommen hätte, die Schmierung des Tragseils vorzunehmen, konnte nicht als erwiesen angenommen werden. Auf Grund der Beweisergebnisse steht fest, daß der Beklagte die Personenbeförderung duldete.
In der rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht im wesentlichen aus, daß dem Beklagten eine grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der Erfüllung der Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten an der Seilbahn nicht angelastet werden könne. Aber auch darin, daß der Beklagte, als er am Unfallstag die Personenbeförderung wahrgenommen hatte, nicht versucht habe, die Fahrt zu stoppen, könne eine grobe Fahrlässigkeit nicht erblickt werden, weil die Bedienung nur von der Talstation aus erfolgt sei und ein Telefonieren von der Bergstation zur Talstation aus technischen und zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen wäre. Es bleibe daher lediglich zu prüfen, ob, seit wann und in welchem Umfang der Beklagte von Verstößen gegen das Beförderungsverbot durch seine Dienstnehmer Kenntnis gehabt habe und was er im Hinblick auf die erlangte Kenntnis - abgesehen von wiederholten Hinweisen auf das Verbot - konkret unternommen habe, um eine weitere Personenbeförderung zu unterbinden bzw. ob und wodurch er die verbotene Personenbeförderung zumindest stillschweigend geduldet und hingenommen habe. Nach den Beweisergebnissen sei der Beklagte wohl immer wieder auf die unzulässige Personenbeförderung hingewiesen worden, wenn dies in den letzten Jahren auch nicht mehr so häufig der Fall gewesen sei als zum Zeitpunkt der Errichtung des Hochlegers. Es stehe aber auch fest, daß der Beklagte immer wieder, wenn er von unbefugter Personenbeförderung der Seilbahn erfahren hatte, Michael K*** zur Rede gestellt und auf die strikte Einhaltung des Verbots hingewiesen habe. Der Beklagte habe Michael K*** auch des öfteren angedroht, ihn von der Bedienung der Seilbahn abzuziehen, wenn er seine Anordnungen nicht befolge. Allerdings habe er daraus keine Konsequenzen gezogen und Michael K*** tatsächlich nie von dieser Stelle abgezogen. Es sei aber auch nicht gesagt, daß im Falle des Abzuges des Michael K*** ein Erfolg beschieden gewesen wäre. Gerade der Umstand, daß durch die Benützung der Materialseilbahn ein langer Fußmarsch vom Niederleger zum Hochleger vermieden werden habe können, habe für die Dienstnehmer des Beklagten die Benützung der Seilbahn trotz der damit verbundenen Gefahren "attraktiv" gemacht. Es sei daher anzunehmen, daß auch im Falle der Auswechslung des Michael K***
die Seilbahn weiterhin verbotenerweise zur Personenbeförderung benützt worden wäre. Dazu komme noch, daß Michael K*** seit über 50 Jahren beim Beklagten sonst zur vollsten Zufriedenheit beschäftigt gewesen sei und es daher für den Beklagten sehr schwer wäre, Michael K*** tatsächlich dort abzuziehen. Aus dem Umstand, daß der Beklagte trotz Kenntnis, daß die Seilbahn immer wieder von Personen benützt wurde, Michael K*** nicht von seinem Posten abgezogen habe, sei daher eine grobe Fahrlässigkeit nicht abzuleiten.
Infolge Berufung der Klägerin änderte das Gericht zweiter Instanz das Urteil des Erstgerichtes im Sinne der Klagsstattgebung ab. Das Berufungsgericht erachtete das erstgerichtliche Verfahren als mängelfrei, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich, gelangte jedoch zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung.
Nach § 71 n des Landarbeitsgesetzes, BGBl. Nr. 140/1948 idFd Landarbeitsgesetznovelle 1980, BGBl. Nr. 449/1980, und § 74 n der Tiroler Landarbeitsordnung 1973, LGBl. Nr. 83/1973 idF LGBl. Nr. 17/1982, habe der Dienstgeber auf seine Kosten dafür zu sorgen, daß der Betrieb so eingerichtet sei und so unterhalten sowie geführt werde, daß die notwendige Vorsorge für den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Dienstnehmer nach den in Betracht kommenden Vorschriften sowie den von der Behörde vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen gegeben sei. Darüber hinaus habe sich der Dienstgeber so zu verhalten, daß eine Gefährdung des Lebens und der Gesundheit der Dienstnehmer soweit als möglich vermieden werde. Ein den genannten Vorschriften, Bedingungen und Auflagen widersprechendes Verhalten der Dienstnehmer dürfe der Dienstgeber nach den zitierten Dienstnehmerschutzbestimmungen nicht dulden. Da nach den von der Behörde vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen jede Personenbeförderung mit der Materialseilbahn verboten gewesen sei, hätte der Beklagte somit ein gegen dieses Verbot verstoßendes Verhalten seiner Dienstnehmer nicht dulden dürfen, sondern alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen müssen, um eine verbotene Personenbeförderung zu unterbinden. Die Anbringung der von der Behörde vorgeschriebenen Verbotsschilder sowie die Belehrung der Dienstnehmer über das Verbot der Personenbeförderung möge dafür zwar ausreichen, solange dem Beklagten kein oder allenfalls nur ein vereinzelter Verstoß gegen das Personenbeförderungsverbot zur Kenntnis gekommen sei. Nach den vom Erstgericht im zweiten Rechtsgang ergänzend getroffenen Feststellungen sei aber die Materialseilbahn nicht nur nach der Errichtung des Baues des Wirtschafts- und Wohngebäudes auf dem Hochleger für Personenbeförderungen ständig benützt worden, sondern es seien solche unzulässige Personenbeförderungen auch in der Folge immer wieder vorgekommen und dies auch dem Beklagten immer wieder zur Kenntnis gebracht worden. Der Beklagte habe zwar Michael K*** deshalb immer wieder zur Rede gestellt, ihn auf dieses Verbot hingewiesen und ihn angewiesen, sich daran zu halten. Der Beklagte habe aber auch immer wieder erfahren müssen, daß seine diesbezüglichen Anordnungen von K*** nicht befolgt wurden. Michael K*** habe sich im Gegenteil sogar bei den Ermahnungen äußerst uneinsichtig gezeigt, indem er den Beklagten immer wieder darauf hingewiesen habe, daß die Seilbahn nach den Erklärungen des Inspektionsbeamten in Ordnung sei und daher ohnehin nichts passieren könne. Auf Grund dieser von Michael K*** offen gezeigten Einstellung habe der Beklagte von vornherein eine Einhaltung des Verbots der Personenbeförderung durch K*** nicht erwarten dürfen und er habe überdies auch immer wieder erfahren, daß seinen Anordnungen von Michael K*** nicht Folge geleistet wurde. Bei dieser Sachlage habe sich der Beklagte aber nicht mehr darauf beschränken dürfen, seine Dienstnehmer lediglich auf das Verbot der Personenbeförderung hinzuweisen, sondern er hätte mit der Bedienung der Seilbahn eine verläßlichere Person, von der die Einhaltung und Durchsetzung des Personenbeförderungsverbotes zu erwarten war, betrauen müssen. Für den Beklagten sei nach den Feststellungen des Erstgerichtes offenkundig gewesen, daß der zur Unfallszeit fast 77-jährige Michael K*** weder gewillt noch in der Lage war, das Verbot der Personenbeförderung einzuhalten und gegenüber den anderen Dienstnehmern des Beklagten durchzusetzen. Der Beklagte habe aber außer wiederholten Ermahnungen und Drohungen nichts unternommen, um die Einhaltung des Verbotes zu erreichen. Es könne auch nicht übersehen werden, daß der Beklagte seinen Ermahnungen gegenüber den Dienstnehmern offensichtlich nur wenig Nachdruck verliehen habe. Die von Siegmund B*** bekundete Äußerung des Beklagten, wenn trotz des Verbots gefahren würde, so nur auf eigene Verantwortung, habe im Zusammenhang mit der Unterlassung von Sanktionen bei Verstößen gegen das Verbot bei den Dienstnehmern den Eindruck erwecken müssen, daß der Beklagte lediglich pro forma und zu seiner eigenen Entlastung auf das Verbot der Personenbeförderung hingewiesen, ein Zuwiderhandeln durch seine Dienstnehmer aber stillschweigend geduldet habe. So sei es auch zu verstehen, daß die Dienstnehmer des Beklagten auch am Unfallstag während der Anwesenheit des Beklagten keine Skrupel hatten, vor dessen Augen eine Fahrt mit der Seilbahn zu unternehmen. Daß der Unfall auch dann nicht zu verhindern gewesen wäre, wenn der Beklagte gegenüber seinen Dienstnehmern eine konsequentere Haltung zur Durchsetzung des Personenbeförderungsverbotes eingehalten und einen verläßlicheren Dienstnehmer mit der Bedienung der Seilbahn betraut hätte, sei nicht erwiesen. Der Beklagte habe durch die Duldung der Personenbeförderung gegen die oben zitierten Dienstnehmervorschriften und damit gegen ein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB verstoßen, weshalb ihm der Beweis obliege, daß der Schaden auch im Falle vorschriftsmäßigen Verhaltens eingetreten wäre. Die festgestellte stillschweigende Duldung der Personenbeförderung mit der Materialseilbahn sowie die Unterlassung von wirksamen Maßnahmen zur Durchsetzung dieses Verbotes, müsse dem Beklagten als grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 334 Abs 1 ASVG angelastet werden.
Das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften und Dienstnehmerschutzvorschriften reiche für sich allein zur Annahme einer groben Fahrlässigkeit nicht aus. Wohl aber sei nach der Rechtsprechung grobe Fahrlässigkeit etwa dann anzunehmen, wenn eine Unfallsverhütungsvorschrift trotz wiederholter Beanstandungen durch das Arbeitsinspektorat oder den Unfallverhütungsdienst der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt dauernd nicht beachtet werde. Im vorliegenden Fall sei zu berücksichtigen, daß die Materialseilbahn des Beklagten schon seit vielen Jahren immer wieder von Dienstnehmern des Beklagten unzulässigerweise zur Personenbeförderung verwendet wurde, daß dem Beklagten dies auch immer wieder zur Kenntnis gekommen sei und daß er trotzdem keine zielführenden, konsequenten Maßnahmen zur Durchsetzung des Personenbeförderungsverbotes, insbesondere durch Austausch des diesbezüglich äußerst unzuverlässigen und uneinsichtigen Michael K*** gegen eine verläßlichere Bedienungsperson, getroffen habe. Wenn man berücksichtige, daß diese Materialseilbahn stellenweise mehr als 100 m über dem Boden verlaufe, sei die Gefährlichkeit von Personentransporten mit dieser dafür nicht gebauten und nicht zugelassenen Materialseilbahn evident. Die angeführten Unterlassungen müßten dem Beklagten daher als grobe Fahrlässigkeit angelastet werden.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Beklagten aus den Anfechtungsgründen nach § 503 Abs 1 Z 2, 3 und 4 ZPO mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Revisionsgründe nach § 503 Abs 1 Z 2 und 3 ZPO liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
In der Rechtsrüge führt der Beklagte aus, ihm könne keine grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden. Er habe jährlich eine Überprüfung der Materialseilbahn durch einen Monteur des Amtes der Tiroler Landesregierung durchführen lassen, habe mit der Bedienung der Seilbahn Michael K*** betraut, der sich im Betrieb seit mehr als 50 Jahren bestens bewährt und eine äußerst zuverlässige Arbeitskraft dargestellt habe, habe alle Dienstnehmer, insbesondere Michael K***, oftmals nachhaltig auf das Verbot der Personenbeförderung hingewiesen und dem Letzteren wiederholt angedroht, ihn bei weiterem Zuwiderhandeln "nach Hause zu schicken".
Er selbst sei ebenso wie seine Familienmitglieder niemals mit der Seilbahn gefahren. Die Entlassung des Michael K*** wäre mit Rücksicht auf dessen jahrelange verdienstvolle Tätigkeit im Betrieb des Beklagten kaum zumutbar gewesen. Da es seit dem Bestehen der Seilbahn keinerlei Anstände oder Schäden gegeben habe, sei der Eintritt eines Schadens für den Beklagten nicht als wahrscheinlich voraussehbar gewesen. Dem Beklagten könne auch keine Übertretung eines Schutzgesetzes im Sinne des § 1311 ABGB angelastet werden. Zusammenfassend könne ihm daher keine grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.
Der Begriff der groben Fahrlässigkeit als Voraussetzung der Ersatzpflicht gemäß § 334 Abs 1 ASVG ist im Sinne der herrschenden Lehre und Rechtsprechung mit einer ungewÄhnlichen und auffallenden Sorgfaltsvernachlässigung zu definieren, die den Eintritt eines Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich voraussehen läßt. Der Begriff der groben Fahrlässigkeit erfordert, daß ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (vgl. SZ 51/128, ZVR 1984/326 ua). Nach herrschender Rechtsprechung reicht das Zuwiderhandeln gegen Unfallsverhütungsvorschriften für sich allein zur Annahme einer groben Fahrlässigkeit nicht aus (SZ 40/55, ZVR 1970/55 u.a.), wohl aber die Nichtbeachtung von Unfallverhütungsvorschriften trotz wiederholter Beanstandung (vgl. EvBl. 1963/209) oder völlige Sorglosigkeit der für den Betrieb verantwortlichen Personen hinsichtlich der Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften (vgl. EvBl. 1963/278). Entscheidendes Kriterium für die Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrades ist die Schwere des Sorgfaltsverstoßes und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes, wobei diese Beurteilung stets nur nach den Umständen des Einzelfalles vorgenommen werden kann. Im wesentlichen wird dabei zu prüfen sein, ob der Betreffende ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat (vgl. ZVR 1984/326 u.a.). Die Beförderung einer Person in einem Materialaufzug kann als grobe Fahrlässigkeit gewertet werden (vgl. SZ 41/120).
Gemäß § 71 n Abs 1 Landarbeitsgesetz in der zum Unfallszeitpunkt geltenden Fassung, BGBl. 1980/449 bzw. § 44 n Abs 1 der Tiroler Landarbeitsordnung 1972 idF LGBl. 1982/17, hat der Dienstgeber auf seine Kosten dafür zu sorgen, daß der Betrieb so eingerichtet ist und so unterhalten sowie geführt wird, daß die notwendige Vorsorge für den Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit der Dienstnehmer nach den in Betracht kommenden Vorschriften sowie den von der Behörde vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen gegeben ist. Darüber hinaus hat sich der Dienstgeber so zu verhalten, daß eine Gefährdung des Lebens und der Gesundheit der Dienstnehmer soweit als möglich vermieden wird. Gemäß Abs 2 sind von den Vorschriften und den von der Behörde vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen abweichende Anordnungen in Fällen unmittelbar drohender oder eingetretener Gefährdung des Lebens und der Gesundheit der Dienstnehmer soweit zulässig, als dies im Interesse des Schutzes derselben geboten erscheint, um die Gefährdung abzuwenden oder zu beseitigen. Gemäß Abs 3 darf der Dienstgeber ein den im Abs 1 angeführten Vorschriften, Bedingungen und Auflagen widersprechendes Verhalten der Dienstnehmer nicht dulden, es sei denn, es handelt sich um eine Anordnung im Sinne des Abs 2.
Werden diese Vorschriften und die oben dargelegten Grundsätze auf den im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt angewendet, ist in der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß dem Beklagten grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, keine unrichtige rechtliche Beurteilung zu erblicken. Der Beklagte hätte nämlich, da gemäß den von der Behörde vorgeschriebenen Auflagen jede Personenbeförderung mit der Materialseilbahn verboten war, ein gegen dieses Verbot verstoßendes Verhalten seiner Dienstnehmer nicht dulden dürfen, sondern alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen müssen, um eine verbotene Personenbeförderung zu unterbinden. Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes wurde aber die Materialseilbahn nicht nur nach ihrer Errichtung während des Baues des Wirtschafts- und Wohngebäudes auf dem Hochleger für Personenbeförderungen ständig benützt, sondern es kam auch in der Folge immer wieder zu derartigen unzulässigen Personenbeförderungen, wovon der Beklagte auch Kenntnis erhielt. Trotz wiederholter Hinweise des Beklagten gegenüber Michael K***, sich an das Verbot der Personenbeförderung zu halten, erhielt er immer wieder davon Kentnnis, daß seine diesbezüglichen Anordnungen von K*** nicht befolgt würden. Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß sich der Beklagte bei dieser Sachlage nicht nur darauf hätte beschränken dürfen, seine Dienstnehmer und insbesondere auch Michael K*** auf das Verbot der Personenbeförderung hinzuweisen, sondern er hätte mit der Bedienung der Seilbahn eine verläßlichere Person, von der die Einhaltung und Durchsetzung des Personenbeförderungsverbotes zu erwarten war, betrauen müssen, zumal es für den Beklagten zweifelsfrei erkennbar sein mußte, daß der zur Unfallszeit fast 77-jährige Michael K*** weder gewillt noch in der Lage war, das Verbot der Personenbeförderung einzuhalten und gegenüber Dienstnehmern des Beklagten durchzusetzen. Daß das Verhalten des Beklagten als schwerwiegender Verstoß gegen die angeführten Dienstnehmerschutzvorschriften, die Schutznormen im Sinn des § 1311 ABGB darstellen, zu werten ist, hat das Berufungsgericht entgegen der Auffassung der Revision ebenfalls zutreffend erkannt. Die Voraussetzungen des § 71 n Abs 2 Landarbeitsgesetz bzw. des § 74 n Abs 2 Tiroler Landarbeitsordnung für eine ausnahmsweise Abweichung vom Verbot der Personenbeförderung lagen im vorliegenden Fall in keiner Weise vor. Dadurch, daß der Beklagte aber angesichts des Umstandes, daß die Materialseilbahn stellenweise in einer Höhe von mehr als 100 m über dem Boden verläuft und daher Personentransporte mit dieser dafür weder konstruierten noch für diesen Zweck zugelassene Seilbahn jedenfalls als besonders gefährlich angesehen werden mußten, dennoch über einen Zeitraum von vielen Jahren hinweg wirksame Maßnahmen zur Verhinderung der verbotswidrigen Beförderung von Personen unterließ, hat er sich dem berechtigten Vorwurf ausgesetzt, daß er einfache und naheliegende Überlegungen, die nach den besonderen Verhältnissen von ihm erwartet werden mußten, nicht angestellt und seine Sorgfaltspflicht in so außergewÄhnlicher und auffallender Weise vernachlässigt hat, daß der Eintritt eines Schadens geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen war. Ohne Rechtsirrtum hat daher das Berufungsgericht das Verhalten des Beklagten als grobe Fahrlässigkeit beurteilt.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E14993European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00055.88.0712.000Dokumentnummer
JJT_19880712_OGH0002_0020OB00055_8800000_000