TE OGH 1990/12/19 2Ob90/90

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Veröffentlicht am 19.12.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel, Dr.Melber, Dr.Kropfitsch und Dr.Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karl K***, Taxiunternehmer, Alte Landstraße 8, 6060 Hall in Tirol, vertreten durch Dr.Hans Mayr und Dr.Klaus Gürtler, Rechtsanwälte in Hall in Tirol, wider die beklagte Partei V*** DER

Ö*** B*** V***-AG, p.Adr.

Landesdirektion für Tirol, Bozener Platz 7, 6020 Innsbruck, vertreten durch Dr.Dieter Brandstätter, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 147.556,83 sA (Revisionsstreitwert S 23.969,16), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 11.Oktober 1990, GZ 2 R 218/90-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 10.Mai 1990, GZ 18 Cg 278/89-18, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das im übrigen als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleibt, wird in seinem klagsstattgebenden Teil und im Kostenpunkt ebenso wie die Entscheidung des Erstgerichtes im gleichen Umfang aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung:

Am 3.1.1989 ereignete sich gegen 11.55 Uhr auf der Fassergasse im Ortsgebiet von Hall in Tirol ein Verkehrsunfall, an dem Anna K*** als Lenkerin des PKW des Klägers mit dem Kennzeichen T 12.294 und Thomas R*** als Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Geländefahrzeuges mit dem Kennzeichen BH 63.861 beteiligt waren. Die beiden Fahrzeuge kollidierten im Begegnungsverkehr. Dabei wurde Anna K*** erheblich verletzt; beide Fahrzeuge wurden beschädigt.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall unter Anerkennung eines Mitverschuldens der Lenkerin seines PKW von 50 % die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von S 147.556,83 sA. Dem Grunde nach stützte er sein Begehren im wesentlichen darauf, daß den Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeuges ein mit 50 % zu bewertendes Verschulden treffe, weil er in einer Engstelle der Fassergasse sein Fahrzeug wegen parkender Fahrzeuge über die Fahrbahnmitte gelenkt habe, womit die entgegenkommende Lenkerin des PKW des Klägers nicht gerechnet habe und worüber sie so erschrocken sei, daß sie zu einem Ausweichmanöver nach rechts nicht mehr in der Lage gewesen sei. Das Leistungsbegehren des Klägers umfaßt einen Betrag von S 50.000,- an Schmerzengeld für die verletzte Lenkerin seines PKW, seine Ehegattin. Der Kläger brachte dazu vor, daß ihm seine Ehegattin ihren Schmerzengeldanspruch abgetreten habe.

Die Beklagte wendete dem Grunde nach im wesentlichen ein, daß die Lenkerin des PKW des Klägers das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe, weil sie grundlos plötzlich die Fahrbahnmitte überfahren habe; der Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeuges sei ordnungsgemäß rechts gefahren. Schließlich wendete die Beklagte eine ihr vom Eigentümer des bei ihr haftpflichtversicherten Fahrzeuges abgetretene Schadenersatzforderung aus diesem Verkehrsunfall von S 203.842,-

(Reparaturkosten) aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung ein. Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegen Nichtbestandes der Klagsforderung ab.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Bei der Fassergasse handelt es sich um eine Gemeindestraße. Die Unfallstelle liegt im Ortsgebiet; es besteht dort eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h. Die Fassergasse verläuft im Unfallsbereich geradlinig. In Fahrtrichtung des PKW des Klägers (Richtung Osten) ist die Fahrbahn vorerst 6 m breit; sie erweitert sich sodann auf 11,4 m bis zur Kreuzung mit der Amtsbachgasse. Nach dieser Kreuzung verringert sich die Breite der Fahrbahn der Fassergasse wieder auf 7,4 m. Im Unfallsbereich besteht Sicht auf über 100 m. Hinsichtlich der Unfallsörtlichkeit wird im übrigen auf die einen Bestandteil des Ersturteiles bildende Unfallsskizze verwiesen.

Zur Unfallszeit lenkte Anna K*** den PKW des Klägers auf der Fassergasse in Richtung Osten, wobei sie eine Geschwindigkeit von ca 40 km/h einhielt. Sie fuhr zunächst am rechten Fahrbahnrand. Als sie jene Stelle erreichte, an der sich die Fassergasse auf 11,4 m verbreitert, behielt sie ihre Fahrlinie bei und lenkte ihr Fahrzeug nicht nach rechts. Dies führte dazu, daß sie die gedachte Fahrbahnmitte wesentlich überfuhr.

Zur gleichen Zeit lenkte Thomas R*** das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug auf der Fassergasse in Richtung Westen, wobei er eine Geschwindigkeit zwischen 30 und 40 km/h einhielt. Am äußersten rechten Fahrbahnrand (in Fahrtrichtung des R*** gesehen) waren in jenem Bereich, in dem die Fahrbahn eine Breite von 11,4 m aufwies, drei bis vier Personenkraftwagen ordnungsgemäß abgestellt. An diesen Fahrzeugen fuhr R*** unter Einhaltung eines Sicherheitsabstandes von ca 70 bis 80 cm vorbei. Da die Lenkerin des PKW des Klägers im Unfallsbereich die gedachte Fahrbahnmitte, die bei 6,4 m lag, wesentlich überfahren hatte, kam es in der Folge zur Kollision zwischen den beiden Fahrzeugen in der sich aus der dem Urteil angeschlossenen Skizze ersichtlichen Position. R*** reagierte innerhalb einer Reaktionssekunde durch Bremsen auf den entgegenkommenden PKW des Klägers und verringerte dadurch seine Kollisionsgeschwindigkeit auf 30 km/h, während der PKW des Klägers mit einer Kollisionsgeschwindigkeit von 40 km/h aufprallte. R*** reagierte ca 1,2 Sekunden oder 11,5 m vor der Unfallstelle. Die Lenkerin des PKW des Klägers war 1,2 Sekunden vor der Kollision noch ca 13,3 m von der Unfallstelle entfernt. R*** reagierte sofort, als er erkennen konnte, daß der PKW des Klägers nach links abkommt. Dessen Lenkerin hätte mehr als 2 m rechts fahren können, wodurch der Unfall vermieden worden wäre. Sie hätte auch ausreichend früh die Fahrlinie des von R*** gelenkten Fahrzeuges erkennen können; die Fahrlinie dieses Fahrzeuges hätte für sie zumindest 2 Sekunden vor der Kollision auffällig sein müssen. Sie war 2 Sekunden vor der Kollision noch ca 22 m vor der späteren Unfallstelle und damit noch im Bereich der Fahrbahnbreite von 6 m. Das Erstgericht traf Feststellungen über die Höhe von Klagsforderung und Gegenforderung, deren Wiedergabe im einzelnen unterbleiben kann.

Es stellte ferner fest, daß Anna K*** ihre Schadenersatzansprüche aus diesem Verkehrsunfall am 6.6.1989 dem Kläger zedierte.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß den Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeuges kein Verschulden an dem Unfall treffe. Wohl aber habe die Lenkerin des PKW des Klägers ein schuldhaftes Fehlverhalten zu verantworten, weil sie im Bereich der Verbreiterung der Fassergasse ihre ursprüngliche Fahrlinie beibehalten habe und dadurch über die Fahrbahnmitte auf die linke Fahrbahnhälfte geraten sei.

Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil teilweise Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es die Klagsforderung mit S 125.890,16 und die eingewendete Gegenforderung mit S 101.921,- als zu Recht bestehend erkannte. Es verurteilte daher die Beklagte zur Zahlung von S 23.969,16 sA an den Kläger und wies dessen auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 123.587,67 sA gerichtetes Mehrbegehren ab. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes mit Ausnahme jener, daß die gedachte Fahrbahnmitte im Bereich der Unfallstelle bei 6,4 m liegt; die Hälfte der dort festgestellten Fahrbahnbreite von 11,4 m betrage rechnerisch richtig 5,7 m.

Rechtlich führte das Berufungsgericht im wesentlichen aus, ausgehend von der Feststellung, daß sich die Lenkerin des PKW des Klägers 2 Sekunden vor der Kollision noch im Bereich der nur 6 m breiten Fahrbahn (also noch vor der Fahrbahnverbreiterung) befunden habe, ergebe sich, daß R*** nicht mehr an den parkenden Fahrzeugen vorbeifahren hätte dürfen, weil er sich nicht darauf verlassen hätte dürfen, daß der entgegenkommende PKW in die Fahrbahnverbreiterung (Ausbuchtung) ausweichen werde. Gemäß § 17 Abs 1 StVO wäre für R*** das Vorbeifahren an den prakenden Fahrzeugen nicht zulässig gewesen, weil er nicht mit Sicherheit damit rechnen habe können, daß er den entgegenkommenden PKW nicht behindern werde. Es treffe ihn daher ein Verschulden an dem Zusammenstoß.

Die Lenkerin des PKW des Klägers wäre im Hinblick auf die örtlichen Verhältnisse gehalten gewesen. im Bereich der Ausbuchtung der Fahrbahn ihr Fahrzeug nach rechts zu lenken. Wenn auch ein Kraftfahrzeuglenker nicht verpflichtet sei, im Falle einer Verbreiterung der Fahrbahn sein Fahrzeug abrupt nach rechts zu lenken, sei er doch gehalten, seine Fahrlinie bei einer Fahrbahnverbreiterung ohne unnötigen Aufschub dieser anzupassen. Da der Lenkerin des PKW des Klägers auch noch ein Reaktionsverzug anzulasten sei (sie habe 2 Sekunden vor der Kollision die Fahrlinie des entgegenkommenden Fahrzeuges erkennen können und sei ungebremst auf dieses aufgefahren), sei eine Verschuldens- und Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 1 gerechtfertigt, zumal R*** die einleitende Fahrlässigkeit gesetzt habe.

Seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß keiner der im § 502 Abs 1 ZPO genannten Tatbestände in Frage komme.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten. Sie bekämpft sie insoweit, als die Klagsforderung als zu Recht bestehend erkannt und dem Klagebegehren stattgegeben wurde, aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Der Kläger, dem gemäß § 508a Abs 2 ZPO die Beantwortung der Revision freigestellt wurde, hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, die außerordentliche Revision der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen, allenfalls ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht, wie sich aus den folgenden Rechtsausführungen ergibt, von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist; sie ist auch sachlich im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages berechtigt. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO). Der Rechtsrüge der Beklagten kann aber im Ergebnis Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Gemäß § 17 Abs 1 StPO ist das Vorbeifahren nur gestattet, wenn dadurch andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, weder gefährdet noch behindert werden.

Im vorliegenden Fall könnte somit dem Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeuges nur dann ein Verschulden an dem hier zu beurteilenden Verkehrsunfall wegen Übertretung dieser Vorschrift angelastet werden, wenn er sein Vorbeifahrmanöver an den am rechten Fahrbahnrand abgestellten Fahrzeugen einleitete und fortsetzte, obwohl er erkennen konnte, daß er damit den entgegenkommenden PKW des Klägers in seiner Weiterfahrt behinderte.

Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß ein Kraftfahrer dann, wenn sich die Fahrbahn infolge Zurückspringens des rechten Fahrbahnrandes erweitert, nicht gehalten ist, auch unter den Bedingungen des § 7 Abs 2 StVO seine Fahrlinie unter Einhaltung des gleichen Abstandes zum rechten Fahrbahnrand sozusagen hakenförmig zu verändern, sondern daß er in einem solchen Fall in fließender Fahrweise, also ohne abrupte Richtungsänderung, aber auch ohne unnötigen Aufschub, dem rechten Fahrbahnrand unter Einhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstandes zu folgen hat (ZVR 1970/106; ZVR 1983/155; 2 Ob 33/83). Eine solche Fahrweise des entgegenkommenden PKW durfte R*** im vorliegenden Fall im Sinne des im § 3 StVO normierten Vertrauensgrundsatzes bis zur Wahrnehmung des Gegenteils voraussetzen.

Entscheidend dafür, ob das von R*** durchgeführte Vorbeifahrmanöver der Vorschrift des § 17 Abs 1 StVO widersprach, ist daher, ob er im Zuge dieses Fahrmanövers bei der von ihm eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit so in die von der Lenkerin des PKW des Klägers im Sinne obiger Ausführungen vorauszusetzende Fahrlinie eingedrungen wäre, daß er diese bei der von ihr tatsächlich eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit in ihrer Weiterfahrt behindert hätte. Sollte dies nicht zutreffen, könnte ein schuldhaftes Fehlverhalten des R*** höchstens nur darin erblickt werden, daß er nach Erkennbarkeit des Umstandes, daß die Lenkerin des PKW des Klägers nicht die von ihr im Bereich der Fahrbahnerweiterung im Sinne obiger Ausführungen vorauszusetzende Fahrlinie einhielt, verspätet reagiert hätte.

All dies läßt sich auf Grund der Feststellungen der Vorinstanzen nicht beurteilen; dazu ist vielmehr eine exakte Zeit-Weg-Rechnung erforderlich, aus der sich in tatsächlicher Richtung die erforderlichen Beurteilungsgrundlagen im Sinne obiger Rechtsausführungen ergeben. Da es dazu offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf (§ 510 Abs 1 ZPO), sind in Stattgebung der Revision der Beklagten im Umfang der Anfechtung die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und ist in diesem Umfang die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Vorbehalt der Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E22570

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00090.9.1219.000

Dokumentnummer

JJT_19901219_OGH0002_0020OB00090_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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