TE OGH 2000/4/11 11Os2/00

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Veröffentlicht am 11.04.2000
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. April 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Graf als Schriftführer, in der Strafsache gegen Peter S***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 4. November 1999, GZ 7 Vr 663/98-40, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiss, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Strobach zu Recht erkannt:Der Oberste Gerichtshof hat am 11. April 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Graf als Schriftführer, in der Strafsache gegen Peter S***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach Paragraph 206, Absatz eins, StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 4. November 1999, GZ 7 römisch fünf r 663/98-40, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiss, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Strobach zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Peter S***** (im zweiten Rechtsgang) von der wider ihn wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB sowie der Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten vorgeworfen, zwischen 1988 und 1994 in E***** seine beiden damals noch unmündigen Töchter Manuela S*****, geboren am 21. Mai 1978, und Romana S*****, geboren am 29. März 1981, wiederholt sexuell missbraucht zu haben, wobei er Romana S***** jeweils unter Anwendung von Gewalt zu geschlechtlichen Handlungen, in drei Fällen sogar zur Duldung des Beischlafes genötigt haben soll.Mit dem angefochtenen Urteil wurde Peter S***** (im zweiten Rechtsgang) von der wider ihn wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach Paragraph 206, Absatz eins, StGB, der Unzucht mit Unmündigen nach Paragraph 207, Absatz eins, StGB und der Vergewaltigung nach Paragraph 201, Absatz 2, StGB sowie der Vergehen der Blutschande nach Paragraph 211, Absatz eins, StGB und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach Paragraph 212, Absatz eins, StGB erhobenen Anklage gemäß Paragraph 259, Ziffer 3, StPO freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten vorgeworfen, zwischen 1988 und 1994 in E***** seine beiden damals noch unmündigen Töchter Manuela S*****, geboren am 21. Mai 1978, und Romana S*****, geboren am 29. März 1981, wiederholt sexuell missbraucht zu haben, wobei er Romana S***** jeweils unter Anwendung von Gewalt zu geschlechtlichen Handlungen, in drei Fällen sogar zur Duldung des Beischlafes genötigt haben soll.

Das Erstgericht begründete den Freispruch damit, dass die einzigen Tatzeugen Manuela und Romana S***** sich in der Hauptverhandlung "gemäß §§ 152 Abs 1 Z 2 bzw 152 Abs 1 Z 2a StPO der Aussage entschlagen haben" (US 3) und deren in der Beweistagsatzung vom 17. Dezember 1998 kontradiktorisch erfolgten Zeugenver- nehmungen mangels Belehrung über das ihnen als Angehörige (§ 72 StGB) des Angeklagten zukommende Recht auf Zeugnisentschlagung (§ 152 Abs 1 Z 2 StPO) und wegen Fehlens eines ausdrücklichen Verzichts auf dieses Recht gemäß § 152 Abs 5 StPO nichtig seien. Aus dem in der Hauptverhandlung vorgeführten (S 308) Videoband über die kontradiktorische Vernehmung sei ersichtlich, dass entgegen dem (in der Hauptverhandlung verlesenen, S 310) Protokoll der Beweistagsatzung vom 17. Dezember 1998 (ON 9) und entgegen der Zeugenaussage des Untersuchungsrichters Dr. M***** (S 303) die beiden Zeuginnen unmittelbar vor der kontradiktorischen Vernehmung - anders als bei früheren, durch Gendarmeriebeamte und den Untersuchungsrichter unternommenen Befragungsversuchen - über ihr Entschlagungsrecht gemäß § 152 Abs 1 Z 2 StPO nicht belehrt worden seien. Aus diesem Grund fehle auch (sowohl im Beweistagsatzungsprotokoll ON 9 wie auch in der korrespondierenden Videoaufzeichnung) der bei sonstiger Nichtigkeit der Aussagen erforderliche ausdrückliche Verzicht der Zeuginnen auf ihr Entschlagungsrecht. Obgleich das Protokoll ON 9 und auch die auf Videofilm festgehaltenen Aussagen in der Hauptverhandlung in das Beweisverfahren eingeführt worden seien, seien sie als absolut nichtige Beweismittel nicht verwertbar. Die sonstigen Beweisergebnisse reichen nach Ansicht des Erstgerichtes aber für einen Schuldspruch nicht aus.Das Erstgericht begründete den Freispruch damit, dass die einzigen Tatzeugen Manuela und Romana S***** sich in der Hauptverhandlung "gemäß Paragraphen 152, Absatz eins, Ziffer 2, bzw 152 Absatz eins, Ziffer 2 a, StPO der Aussage entschlagen haben" (US 3) und deren in der Beweistagsatzung vom 17. Dezember 1998 kontradiktorisch erfolgten Zeugenver- nehmungen mangels Belehrung über das ihnen als Angehörige (Paragraph 72, StGB) des Angeklagten zukommende Recht auf Zeugnisentschlagung (Paragraph 152, Absatz eins, Ziffer 2, StPO) und wegen Fehlens eines ausdrücklichen Verzichts auf dieses Recht gemäß Paragraph 152, Absatz 5, StPO nichtig seien. Aus dem in der Hauptverhandlung vorgeführten (S 308) Videoband über die kontradiktorische Vernehmung sei ersichtlich, dass entgegen dem (in der Hauptverhandlung verlesenen, S 310) Protokoll der Beweistagsatzung vom 17. Dezember 1998 (ON 9) und entgegen der Zeugenaussage des Untersuchungsrichters Dr. M***** (S 303) die beiden Zeuginnen unmittelbar vor der kontradiktorischen Vernehmung - anders als bei früheren, durch Gendarmeriebeamte und den Untersuchungsrichter unternommenen Befragungsversuchen - über ihr Entschlagungsrecht gemäß Paragraph 152, Absatz eins, Ziffer 2, StPO nicht belehrt worden seien. Aus diesem Grund fehle auch (sowohl im Beweistagsatzungsprotokoll ON 9 wie auch in der korrespondierenden Videoaufzeichnung) der bei sonstiger Nichtigkeit der Aussagen erforderliche ausdrückliche Verzicht der Zeuginnen auf ihr Entschlagungsrecht. Obgleich das Protokoll ON 9 und auch die auf Videofilm festgehaltenen Aussagen in der Hauptverhandlung in das Beweisverfahren eingeführt worden seien, seien sie als absolut nichtige Beweismittel nicht verwertbar. Die sonstigen Beweisergebnisse reichen nach Ansicht des Erstgerichtes aber für einen Schuldspruch nicht aus.

Gegen diesen Freispruch richtet sich die auf die Z 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft; sie macht geltend, das Schöffengericht habe bei seiner Annahme der Nichtigkeit jener vor dem Untersuchungsrichter am 17. Dezember 1998 abgelegten Aussagen der beiden Zeuginnen Romana und Manuela S***** entgegenstehende Verfahrensergebnisse mit Stillschweigen übergangen; sie behauptet somit eine Unvollständigkeit des Ausspruches über entscheidende Tatsachen, nämlich die zu Unrecht unterlassene Verwertung dieser Aussagen der alleinigen Tatzeuginnen.Gegen diesen Freispruch richtet sich die auf die Ziffer 5, des Paragraph 281, Absatz eins, StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft; sie macht geltend, das Schöffengericht habe bei seiner Annahme der Nichtigkeit jener vor dem Untersuchungsrichter am 17. Dezember 1998 abgelegten Aussagen der beiden Zeuginnen Romana und Manuela S***** entgegenstehende Verfahrensergebnisse mit Stillschweigen übergangen; sie behauptet somit eine Unvollständigkeit des Ausspruches über entscheidende Tatsachen, nämlich die zu Unrecht unterlassene Verwertung dieser Aussagen der alleinigen Tatzeuginnen.

Rechtliche Beurteilung

Die Mängelrüge ist berechtigt.

Entgegen der Urteilsbegründung hat sich nämlich nur Romana S***** in der Hauptverhandlung gänzlich ihrer Zeugenaussage entschlagen (S 294). Manuela S***** gab hingegen nach Belehrung über die Bestimmung des § 152 Abs 1 Z 2 StPO an, aussagen zu wollen, und führte sodann aus, dass ihr "die gleiche Belehrung schon bei der kontradiktorischen Vernehmung gemacht" worden sei. Sie sei (ebenso wie ihre Schwester) "ganz am Anfang gefragt worden, ob sie aussagen wolle oder nicht". Erst nach diesen Angaben und der ergänzenden Bemerkung, dass sie nur eine Entschuldigung ihres Vaters erreichen, nicht aber diesen großen Verfahrensaufwand wollte, entschlug sie sich "im Hinblick auf § 152 Abs 1 Z 2a StPO" der (weiteren) Aussage (S 293f).Entgegen der Urteilsbegründung hat sich nämlich nur Romana S***** in der Hauptverhandlung gänzlich ihrer Zeugenaussage entschlagen (S 294). Manuela S***** gab hingegen nach Belehrung über die Bestimmung des Paragraph 152, Absatz eins, Ziffer 2, StPO an, aussagen zu wollen, und führte sodann aus, dass ihr "die gleiche Belehrung schon bei der kontradiktorischen Vernehmung gemacht" worden sei. Sie sei (ebenso wie ihre Schwester) "ganz am Anfang gefragt worden, ob sie aussagen wolle oder nicht". Erst nach diesen Angaben und der ergänzenden Bemerkung, dass sie nur eine Entschuldigung ihres Vaters erreichen, nicht aber diesen großen Verfahrensaufwand wollte, entschlug sie sich "im Hinblick auf Paragraph 152, Absatz eins, Ziffer 2 a, StPO" der (weiteren) Aussage (S 293f).

Manuela S***** hat sich daher nur zum eigentlichen Tatgeschehen als Person, die durch die dem Angeklagten zur Last gelegte strafbare Handlung in ihrer Geschlechtssphäre verletzt worden sein könnte und die bereits hierüber unter Beteiligungsmöglichkeit der Parteien gerichtlich vernommen worden war (§ 152 Abs 1 Z 2a StPO), der Aussage entschlagen (sich aber auch nur insoweit entschlagen können), nicht aber über die vom Erstgericht zu klärende, für die Frage der Verwertbarkeit der Zeugenaussagen vom 17. Dezember 1998 fallbezogen entscheidende Vorfrage der richterlichen Belehrung der Zeuginnen über ihr Entschlagungsrecht.Manuela S***** hat sich daher nur zum eigentlichen Tatgeschehen als Person, die durch die dem Angeklagten zur Last gelegte strafbare Handlung in ihrer Geschlechtssphäre verletzt worden sein könnte und die bereits hierüber unter Beteiligungsmöglichkeit der Parteien gerichtlich vernommen worden war (Paragraph 152, Absatz eins, Ziffer 2 a, StPO), der Aussage entschlagen (sich aber auch nur insoweit entschlagen können), nicht aber über die vom Erstgericht zu klärende, für die Frage der Verwertbarkeit der Zeugenaussagen vom 17. Dezember 1998 fallbezogen entscheidende Vorfrage der richterlichen Belehrung der Zeuginnen über ihr Entschlagungsrecht.

Hätte das Erstgericht diese von ihrer anschließenden Entschlagung nach § 152 Abs 1 Z 2a StPO nicht umfasste Aussage der Zeugin Manuela S***** in der Hauptverhandlung in den Kreis seiner Überlegungen einbezogen, so erscheint eine von der vorliegenden Beurteilung abweichende erstgerichtliche Annahme dahingehend, beide Tatzeuginnen seien vor ihrer kontradiktorischen Vernehmung vom Untersuchungsrichter sehr wohl über ihr Entschlagungsrecht gemäß § 152 Abs 1 Z 2 StPO belehrt worden und seien daher diese Aussagen verwertbar, durchaus möglich.Hätte das Erstgericht diese von ihrer anschließenden Entschlagung nach Paragraph 152, Absatz eins, Ziffer 2 a, StPO nicht umfasste Aussage der Zeugin Manuela S***** in der Hauptverhandlung in den Kreis seiner Überlegungen einbezogen, so erscheint eine von der vorliegenden Beurteilung abweichende erstgerichtliche Annahme dahingehend, beide Tatzeuginnen seien vor ihrer kontradiktorischen Vernehmung vom Untersuchungsrichter sehr wohl über ihr Entschlagungsrecht gemäß Paragraph 152, Absatz eins, Ziffer 2, StPO belehrt worden und seien daher diese Aussagen verwertbar, durchaus möglich.

Die Nichtbeachtung der einen entscheidungswesentlichen Umstand betreffenden Angaben der Zeugin Manuela S***** bewirkt die Mangelhaftigkeit der Urteilsbegründung im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes.

Darüber hinaus stellen, wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt, die Ausführungen des Schöffengerichtes, bei der Aussage des Untersuchungsrichters, er habe beide Zeuginnen belehrt, "dürfte es sich um einen Irrtum handeln, offensichtlich war der Untersuchungsrichter der Meinung, dass aufgrund der bisherigen Erklärungen der beiden Zeuginnen der im Gesetz vorgesehenen Belehrungspflicht Genüge getan worden sei" (US 5), lediglich eine Scheinbegründung dar, weil keine Gründe angegeben wurden, die diese Annahme rechtfertigen könnten.

Im Hinblick auf diese formellen Begründungsmängel war der Freispruch aufzuheben.

Im erneuerten Verfahren wird das Erstgericht als Vorfrage zum Problem der Verwertbarkeit der Aussagen der Zeuginnen Manuela und Romana S***** anlässlich ihrer kontradiktorischen Vernehmung unter Einbeziehung aller Beweismittel zu prüfen haben, ob diese Zeuginnen über ihr Entschlagungsrecht belehrt wurden und sodann auf dieses auch (zumindest konkludent) verzichtet haben (zu letzterem siehe Vorentscheidung 11 Os 77/99).

Anmerkung

E57603 11d00020

Schlagworte

Kennung XPUBL Diese Entscheidung wurde veröffentlicht in Jus-Extra OGH-St 2874 = EvBl 2000/183 S 774 - EvBl 2000,774 = SSt 63/88 XPUBLEND

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2000:0110OS00002..0411.000

Zuletzt aktualisiert am

10.07.2008
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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