TE Vwgh Erkenntnis 2008/5/28 2004/03/0026

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Veröffentlicht am 28.05.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §56;
AVG §8;
VStG §51 Abs7;
VStG §51d;
VStG §51e Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde des 1. GH p.A. I GmbH, 2. I Ges.m.b.H., beide in W, beide vertreten durch Dr. Werner Loos, Rechtsanwalt in 1150 Wien, Mariahilfer Straße 196, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 15. Dezember 2003, Zl. Senat-SW-02-3026, betreffend Übertretungen des Gefahrgutbeförderungsgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Erstbeschwerdeführer u.a. schuldig erkannt, er habe als verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlicher am 18. Juli 2002 mit einer näher bezeichneten Beförderungseinheit (leer und ungereinigt) letztes Ladegut UN 1300, Terpentinölersatz, Klasse 3, Ziffer 3b ADR als Beförderer befördert und es hiebei unterlassen,

1. entgegen § 13 Abs. 1a Z. 2 GGBG sich zu vergewissern, dass vom Lenker die vorgeschriebenen Unterlagen in der Beförderungseinheit ordnungsgemäß mitgeführt worden seien, da das Beförderungspapier nicht den Vorschriften nach Rn 2002 Abs. 3 lit. a ADR entsprochen habe, weil in den mitgeführten Papieren die Angaben über die Bezeichnung des Gutes und des letzten Ladegutes gefehlt hätten und die Ziffer nicht richtig eingetragen gewesen sei;

2. entgegen § 13 Abs. 1a Z. 6 sich zu vergewissern, dass die für die Fahrzeuge vorgeschriebenen Kennzeichnungen angebracht gewesen seien, da die am Tankfahrzeug angebrachten Gefahrzettel nach Muster Nr. 3 auf Grund von Verschmutzungen, Abrieb und Beschädigungen nicht mehr deutlich sichtbar gewesen seien;

3. entgegen § 13 Abs. 1a Z. 3 GGBG sich durch eine Sichtprüfung zu vergewissern, dass das Fahrzeug keine offensichtlichen Mängel aufgewiesen habe, da am Tankfahrzeug selbst oder auf einer Tafel der Name des Fahrzeughalters oder Betreibers nicht angegeben gewesen sei und

4. entgegen § 13 Abs. 1a Z. 3 GGBG iVm § 6 Z 1 GGBG sich durch eine Sichtprüfung zu vergewissern, dass die Fahrzeuge keine offensichtlichen Mängel aufgewiesen hätten, da beim Sattelzugfahrzeug die Sicht vom Lenkerplatz aus stark beeinträchtigt gewesen sei, weil im Bereich der Windschutzscheibe zahlreiche Fähnchen und eine Fernsehkonsole die Sicht behindert hätten.

Dadurch habe er vier Verwaltungsübertretungen nach § 27 Abs. 1 Z. 1 GGBG begangen; über ihn wurden vier Geldstrafen in der Höhe von je EUR 730,--(Ersatzfreiheitsstrafe je 20 Stunden) verhängt.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird ausgeführt, der Erstbeschwerdeführer sei als bestellter verantwortlicher Beauftragter der Firma I Gesellschaft m.b.H. dafür zur Verantwortung gezogen worden, als Beförderer nicht dafür gesorgt zu haben, dass die näher bezeichneten Vorschriften des ADR eingehalten worden seien. Unbestritten sei, dass der Erstbeschwerdeführer zum Tatzeitpunkt Verantwortlicher der Firma I. Gesellschaft m.b.H. gewesen sei, welche die angeführten gefährlichen Güter als Beförderer befördert habe. Außer Streit stehe auch, dass die unter Punkt 1. angeführten Mängel hinsichtlich des Beförderungspapiers vorgelegen seien.

Das Vorbringen zum Punkt 2, wonach es sich bei der beanstandeten Verschmutzung der Gefahrzettel um eine reine Geschmacksfrage handle, könne den Vorwurf, dass der Rechtsmittelwerber unterlassen habe, sich über die Anbringung und den aktuellen Zustand der vorgeschriebenen Kennzeichnungen zu vergewissern, nicht entkräften, zumal er nicht einmal behaupte, dass eine entsprechende Kontrolle durchgeführt worden sei. Dazu komme, dass nicht allein die Verschmutzung beanstandet worden sei, sondern der Umstand, dass die am Tankfahrzeug angebrachten Gefahrzettel u.a. auch durch Abrieb und Beschädigungen nicht mehr deutlich sichtbar gewesen seien.

Die mangelnde Angabe des Namens des Halters (Punkt 3) sowie die starke Beeinträchtigung der Sicht im Bereich der Windschutzscheibe durch zahlreiche Fähnchen und eine Fernsehkonsole (Punkt 4) seien bei einer entsprechenden Kontrolle augenscheinlich festzustellen. Der Hinweis des Rechtsmittelwerbers auf eine Überprüfung drei Wochen vor der Anhaltung sei daher keinesfalls geeignet, die nach den gesetzlichen Bestimmungen erforderliche Sichtprüfung nachzuweisen.

Der Erstbeschwerdeführer mache in der Berufung geltend, dass alle Kraftfahrer den ADR-Führerschein hätten, sein Betrieb ISOzertifiziert sei und ein Unternehmer nicht mehr tun könne. Auf einen Lenker, der auswärts bei der Ladestelle die Papiere trotzdem falsch ausfülle, habe er keinen unmittelbaren Einfluss, sodass der Lenker hiefür zur Verantwortung zu ziehen sei.

Dieses Vorbringen des Erstbeschwerdeführers sei nicht geeignet, glaubhaft zu machen, dass er solche Maßnahmen getroffen habe, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften mit gutem Grund erwarten ließen. Der Erstbeschwerdeführer habe kein Vorbringen dazu erstattet, ob es ein wirksames Kontrollsystem gebe bzw. wie das bestehende Kontrollsystem funktioniere. Der bloße Hinweis auf die spezielle und ohnehin vorgeschriebene Ausbildung der Lenker und die ISO-Zertifizierung seiner Firma sei nicht geeignet, ihn von seiner Verantwortung hinsichtlich der Verpflichtungen eines Beförderers zu entlasten; dem Erstbeschwerdeführer seien daher die vorliegenden Verwaltungsübertretungen auch subjektiv anzulasten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsstrafverfahrens und der Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die Zweitbeschwerdeführerin bringt zunächst vor, es sei ihr als haftungspflichtigem Unternehmen kein Bescheid, der alle nötigen Bescheidmerkmale aufgewiesen habe, zugestellt worden, sondern lediglich eine Kopie des gegen den Erstbeschwerdeführer erlassenen Bescheides, die jedoch nicht (original)unterschrieben sei. Bei der Unterschrift handle es sich lediglich um die Fotokopie der Unterschrift des Bescheides, der gegen den Erstbeschwerdeführer erlassen worden sei. Auf Grund dieses formellen Mangels sei der gegen die Zweitbeschwerdeführerin erlassene Bescheid rechtswidrig und aufzuheben.

Nach § 18 Abs. 4 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat jede schriftliche Erledigung die Bezeichnung der Behörde, das Datum und den Namen des Genehmigenden zu enthalten. Werden schriftliche Erledigungen vervielfältigt, so bedarf nur das Original der Unterschrift oder der Beglaubigung. Schriftliche Erledigungen, die mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung erstellt worden sind oder die telegrafisch, fernschriftlich, mit Telefax, im Wege automationsunterstützter Datenübertragung oder in jeder anderen technisch möglichen Weise übermittelt werden, bedürfen weder einer Unterschrift noch einer Beglaubigung.

Das im Akt einliegende Amtsstück des angefochtenen Bescheides trägt die Unterschrift des Genehmigenden. Dass der Zweitbeschwerdeführerin eine kopierte (vervielfältigte) Erledigung zugestellt wurde, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen. Auf Grund des Vorliegens einer Vervielfältigung, deren Original die Unterschrift des Genehmigenden enthält, entspricht der genannte Bescheid entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer den Erfordernissen des § 18 Abs. 4 AVG (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. November 2002, Zl. 2002/05/0062).

Die Beschwerde rügt sodann, die belangte Behörde habe die ihr vom Gesetz auferlegte Entscheidungsfrist überschritten. Die Berufung des Erstbeschwerdeführers datiere mit 4. Oktober 2002, weshalb die belangte Behörde einen Berufungsbescheid spätestens mit 4. Jänner 2004 erlassen und sowohl dem Erstbeschwerdeführer als auch der Zweitbeschwerdeführerin zustellen hätte müssen. Die angefochtenen Bescheide seien den Beschwerdeführern jedoch erst am 23. Jänner 2004 und somit erst nach Ablauf der 15-monatigen Entscheidungsfrist zugestellt worden, weshalb der gegen die Beschwerdeführer erlassene Bescheid als rechtswidrig aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen sei.

Die belangte Behörde wies in der erstatteten Gegenschrift in Übereinstimmung mit den vorgelegten Verwaltungsakten darauf hin, dass die Berufung zwar mit 4. Oktober 2002 datiert, bei der Behörde erster Instanz jedoch am 7. Oktober 2002 eingelangt sei. Der angefochtene Bescheid sei der Erstbehörde am 22. Dezember 2003 zugestellt worden, weshalb die Frist des § 51 Abs. 7 VStG eingehalten worden sei.

Nach der ständigen hg. Rechtsprechung ist mit der Zustellung des angefochtenen Bescheides an die Erstbehörde als eine Partei des Verfahrens vor dem unabhängigen Verwaltungssenat innerhalb der Frist des § 51 Abs. 7 VStG dieser Bescheid als erlassen anzusehen und es wird damit die mit der Versäumung der genannten Frist verbundene Rechtsfolge der Aufhebung des erstbehördlichen Bescheides mit anschließender Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens vermieden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. März 2007, Zl. 2006/02/0086, mwN).

Da im vorliegenden Beschwerdefall die Zustellung des angefochtenen Bescheides an die Erstbehörde innerhalb der Frist des § 51 Abs. 7 VStG erfolgte, ist es somit rechtlich unerheblich, ob dessen Zustellung (im Wege der Erstbehörde) an die Beschwerdeführer nach dieser Frist erfolgte (vgl. neuerlich das zitierte hg. Erkenntnis vom 30. März 2007). Die in diesem Zusammenhang gerügte Rechtswidrigkeit liegt daher nicht vor.

Die Beschwerdeführer machen schließlich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, die belangte Behörde habe es entgegen § 51e VStG unterlassen, eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen.

§ 51e VStG, BGBl. Nr. 52/1991, in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 65/2002, lautet (auszugsweise):

"Öffentliche mündliche Verhandlung (Verhandlung)

§ 51e (1) Der unabhängige Verwaltungssenat hat eine

öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung entfällt, wenn

1. der Antrag der Partei oder die Berufung zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist;

2. der Devolutionsantrag zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

(3) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von einer Berufungsverhandlung absehen, wenn

1. in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder

2.

sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe richtet oder

3.

im angefochtenen Bescheid eine 500 EUR nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder

              4.              sich die Berufung gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet

und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Berufungswerber hat die Durchführung einer Verhandlung in der Berufung zu beantragen. Etwaigen Berufungsgegnern ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Der unabhängige Verwaltungssenat kann ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn er einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erlassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt, und dem nicht Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entgegensteht.

(5) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

..."

Die Erstbehörde hat sich in der Begründung des Straferkenntnisses auf die Angaben der Meldungslager in der Anzeige gestützt. Dem gegenüber hat der Erstbeschwerdeführer nicht bloß die ihm vorgehaltenen Ermittlungsergebnisse für unrichtig erklärt, sondern in der Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis mit näherer Begründung ausgeführt, dass ihn an der Verletzung der vorliegenden Verwaltungsvorschriften kein Verschulden treffe. Bei diesem Sachverhalt wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, eine öffentliche mündliche Verhandlung (§ 51e VStG) durchzuführen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. April 2003, Zl. 2001/03/0081). Nach der Aktenlage liegen daher die Voraussetzungen für das Absehen von einer mündlichen Verhandlung (vgl. § 51e Abs. 4 VStG) nicht vor; insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass der (im Verwaltungsstrafverfahren anwaltlich nicht vertretene) Erstbeschwerdeführer nicht auf die Durchführung einer Verhandlung verzichtet hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2005, Zl. 2001/03/0234).

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Unterlassung dieses Verfahrensfehlers zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des geltend gemachten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verwaltungsgerichtshof-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 28. Mai 2008

Schlagworte

Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der RechtswirkungenParteibegriff Parteistellung strittige Rechtsnachfolger Zustellung"zu einem anderen Bescheid"

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2004030026.X00

Im RIS seit

25.06.2008

Zuletzt aktualisiert am

01.01.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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