TE Vwgh Erkenntnis 1992/3/2 90/15/0143

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Veröffentlicht am 02.03.1992
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/04 Steuern vom Umsatz;
32/06 Verkehrsteuern;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

UStG 1972 §1 Abs1 Z1;
UStG 1972 §10;
UStG 1972 §6 Z9 litc;
VersStG 1953 §3;
VVG §39;
VwGG §13 Abs1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Karger, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Dr. Lebloch, über die Beschwerde der XY-Versicherung AG in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 26. Juli 1990, Zl. 6/2 - 2325/88-05, betreffend Umsatzsteuer 1985 und 1986, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.780,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin (ein Versicherungsunternehmen) erklärte in einer Beilage zur Umsatzsteuererklärung für 1985, sie habe abweichend von den Vorjahren die Mahnkostenersätze nicht in die steuerpflichtigen Umsätze aufgenommen, da es sich bei diesen Kostenersätzen um steuerfreie Entgelte handle.

Das Finanzamt unterzog auch die Mahnkostenersätze der Umsatzsteuer, wobei es die Auffassung vertrat, die für die Einbringung der ausstehenden Versicherungsprämien verlangten Mahnkostenersätze seien der Umsatzsteuer zu unterziehen, da gemäß § 6 Z. 9 lit. c UStG nur solche Entgelte befreit seien, die nach § 3 Versicherungssteuergesetz der Versicherungssteuer unterlägen.

Mit ihren gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1985 und 1986 erhobenen Berufungen wendete sich die Beschwerdeführerin dagegen, daß die von ihr verrechneten Mahnkostenersätze der Umsatzsteuer unterzogen würden. Sie machte (zusammengefaßt) geltend, die Mahnung sei keine Leistung oder zumindest keine selbständige Leistung, sondern erfolge ausschließlich im Interesse des Versicherungsunternehmens auf Hereinbringung des Entgeltes. Der Ersatz der Mahnkosten durch den Versicherungsnehmer könne nur Schadenersatz (und damit nicht umsatzsteuerbar) oder Teil des Entgeltes, das der Versicherungsnehmer für die Wagnisübernahme durch den Versicherer zu zahlen habe, sein. Im letzeren Fall sei die Befreiungsbestimmung des § 6 Z. 9 lit. c UStG 1972 anzuwenden. Dabei sei dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung folgend ein Entgeltzuschlag, der nicht Bestandteil des Versicherungsentgelts im Sinne des § 3 Versicherungssteuergesetz sei, von der Umsatzsteuer befreit, wenn ihm keine selbständige Leistung zugrunde liege.

Die belangte Behörde wies mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung als unbegründet ab. In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird nach Wiedergabe des Verfahrensganges und der Rechtslage unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. März 1962, Slg. 2612/F, dargelegt, daß der Aufwand, der vom Versicherer bei Durchführung einer Mahnung erbracht werde, eine Leistung darstelle, die der Versicherer erbringe und für die der Versicherungsnehmer ein Entgelt, nämlich den Ersatz dieser Kosten, zu leisten habe. Es liege ein echter Leistungsaustausch vor, da es der vorherrschende Zweck der Mahnung sei, den Versicherungsnehmer an seine Pflicht zur Leistung von Beiträgen zu erinnern, und nicht, den Versicherer von seinen Verpflichtungen zu entbinden. Dies ergebe sich schon aus der Natur des Versicherungsgeschäftes, bei dem - wie bei jedem Geschäft - die Absicht des Versicherers in erster Linie darauf gerichtet sei, vom Vertragspartner die vereinbarten Leistungen zu empfangen, nicht aber darauf, vom abgeschlossenen Vertrag zurückzutreten, ihn zu kündigen oder sich von einer vertraglichen Verpflichtung zu befreien, wenn es auch richtig sei, daß die Mahnung auch andere rechtlich bedeutsame Folgen mit sich bringen könne. Auch das Argument der Beschwerdeführerin, daß die Bezahlung eines Versicherungsentgeltes ein Tatbestandsmerkmal für die Steuerbefreiung darstelle und somit im Sinne des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Leistung das gesamte Entgelt für den Versicherungsumsatz betreffe, auch wenn die Bemessungsgrundlage für die Versicherungssteuer kleiner sei als die für die Umsatzsteuer, sei nicht schlüssig.

Die Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des

angefochtenen Bescheides geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 6 Z. 9 lit. c UStG befreit "Umsätze aus Versicherungsverhältnissen, soweit für diese Umsätze ein Versicherungsentgelt im Sinne des § 3 Versicherungssteuergesetz gezahlt wird," von der Umsatzsteuer. Befreit sind somit an sich umsatzsteuerbare Leistungen (insbesondere die Gewährung des Versicherungsschutzes durch den Versicherer) unter der Voraussetzung, daß das für die Leistung gezahlte Entgelt ein Versicherungsentgelt im Sinne des § 3 VersStG ist.

Nach § 3 VersStG ist Versicherungsentgelt im Sinne dieses Gesetzes jede Leistung, die für die Begründung und zur Durchführung des Versicherungsverhältnisses an den Versicherer zu bewirken ist (Beispiele: Prämien, Beiträge, Vorbeiträge, Vorschüsse, Nachschüsse, Umlagen, außerdem Eintrittsgelder, Kosten für die Ausfertigung des Versicherungsscheines und sonstige Nebenkosten). Zum Versicherungsentgelt gehört nicht die Feuerschutzsteuer, die der Versicherer dem Versicherungsnehmer gesondert in Rechnung stellt, ferner nicht dasjenige, was zur Abgeltung einer Sonderleistung des Versicherers oder aus einem sonstigen in der Person des einzelnen Versicherungsnehmers liegenden Grund gezahlt wird (Beispiele: Kosten für die Ausstellung einer Ersatzurkunde, Mahnkosten).

Was der Versicherer somit nicht als Versicherungsentgelt erhält, stellt bei ihm ein umsatzsteuerpflichtiges Entgelt dar, sofern damit eine selbständige Leistung des Versicherers beglichen wird (vgl. Kranich-Siegl-Waba, Kommentar zur Mehrwertsteuer, § 6 Anm. 185; zur gleichlautenden Vorschrift des § 4 Abs. 1 Z. 9 lit. b UStG 1959 Strack, Die Umsatzsteuer 127/490, und Bundy, Das Umsatzsteuergesetz, § 4 Anm. 39a).

Letzteres folgt aus dem Grundsatz, daß die wirtschaftliche Einheit mehrerer Leistungen im Umsatzsteuerrecht als eine Leistung zu behandeln ist, wobei sich Steuerpflicht und Steuersatz für die Nebenleistungen nach der Hauptleistung richten (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 17. September 1990, Zlen. 89/15/0048 und 89/15/0051 und die dort jeweils angeführte Lehre und Rechtsprechung).

Dies bedeutet für den Anwendungsbereich der Befreiungsvorschrift des § 6 Z. 9 lit. c UStG, daß die Steuerfreiheit von Umsätzen aus Versicherungsverhältnissen, für die Versicherungsentgelt gezahlt wird, dann und soweit eintritt, als es sich bei der zu beurteilenden Hauptleistung um einen Umsatz aus einem Versicherungsverhältnis, für den ein Versicherungsentgelt gezahlt wird (insbesondere die Gewährung von Versicherungsschutz), handelt. Die Steuerbefreiung erstreckt sich sodann - dem Grundsatz, daß sich die Befreiung nach den für die Hauptleistung geltenden Vorschriften zu richten hat, folgend - auf das gesamte vom Versicherungsnehmer entrichtete Entgelt (im umsatzsteuerrechtlichen Sinn), auch wenn dieses "Zuschläge" (Aufwandersätze) umfaßt bzw. beinhaltet, die nicht Versicherungsentgelt im Sinne des § 3 VersStG sind. Das für die Gewährung des Versicherungsschutzes bezahlte Entgelt kann nicht für Zwecke der Umsatzbesteuerung in einen befreiten und einen nicht befreiten Teil aufgespalten werden; soweit das Entgelt "Zuschläge" beinhaltet, folgt deren umsatzsteuerliche Behandlung aus den für die Hauptleistung geltenden Vorschriften.

Die Steuerbefreiung nach der zitierten Befreiungsvorschrift erstreckt sich hingegen nicht auf Entgelte für selbständige Leistungen, die nicht Versicherungsentgelt im Sinne des § 3 VersStG sind.

Im Beschwerdefall unterliegen die strittigen "Mahnkostenersätze" somit nicht der Umsatzsteuer, wenn sie umsatzsteuerlich Teil des für die Gewährung des Versicherungsschutzes gezahlten Entgeltes (der Prämie) sind bzw. überhaupt nicht Entgelt im umsatzsteuerlichen Sinn darstellen; sie unterlägen hingegen - im Hinblick auf § 6 Z. 9 lit. c UStG in Verbindung mit § 3 VersStG letzter Satz - der Umsatzsteuer, wenn es sich bei den "Mahnkostenersätzen" um Entgelte für selbständige Leistungen der Versicherer handelte. Die Entscheidung hängt im Beschwerdefall somit davon ab, ob die von den Versicherern vorgenommenen Mahnungen (und die hiefür nach § 39 Versicherungsvertragsgesetz - VVG - bzw. den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Versicherungsunternehmen in Rechnung gestellten Aufwandersätze) einen selbständigen, von der Gewährung von Versicherungsschutz losgelöst zu betrachtenden Leistungsaustausch darstellen oder nicht.

Die diese Frage bejahende, im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. März 1962, Slg. 2612/F, vertretene Auffassung kann jedoch nicht mehr aufrechterhalten werden. Ein Abgehen von dieser Auffassung ist auch ohne Befassung eines im Sinne des § 13 Abs. 1 Z. 1 VwGG verstärkten Senates zulässig, weil die genannte Entscheidung auf Grund eines anderen Gesetzes (des Umsatzsteuergesetzes 1959) ergangen war (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 2. Februar 1979, Slg. 5341/F, und vom 20. Jänner 1981, Slg. 10344/A).

Im oben erwähnten Erkenntnis war die Auffassung vertreten worden, der Aufwand, der vom Versicherer bei Durchführung der Mahnungen erbracht werde, stelle eine Leistung dar, die der Versicherer erbringe und für die der Versicherungsnehmer ein Entgelt, nämlich den Ersatz dieser Kosten, zu leisten habe. Es liege hier demnach ein echter Leistungsaustausch vor, der die Umsatzsteuerpflicht dieser Entgelte begründe.

Im Gegensatz zu dieser Auffassung, die die Mahnung fälliger Versicherungsprämien als Gegenstand eines (offenbar von der Gewährung des Versicherungsschutzes unabhängigen) Leistungsaustausches ansieht, wird im allgemeinen in Lehre und Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß Mahnkosten kein Entgelt für eine besondere Leistung des Gläubigers darstellen, sondern zum Entgelt für die Hauptleistung zählen und daher in die Bemessungsgrundlage für den "ursprünglichen Umsatz" (die Hauptleistung betreffend) fallen (vgl. Kranich-Siegl-Waba, aaO § 1 Anm. 157 mwN, § 4 Anm. 11, 51a, 82; Kolacny-Scheiner, Fallbeispiele zur Mehrwertsteuer § 4/01;

Rau-Dürrwächter-Flick-Koch, Umsatzsteuergesetz, § 1 Rz 332;

Plückebaum-Malitzky, Umsatzsteuergesetz10 § 10 Rz 26; BFH 15. Juni 1965, BStBl. III, 543).

Eine hievon abweichende Beurteilung ist auch im vorliegenden Zusammenhang nicht geboten. Ausschlaggebend für die dem hg. Erkenntnis vom 26. März 1962, Slg. 2612/F, zugrundeliegende Annahme eines "echten Leistungsaustausches" war offenbar der Gesichtspunkt, daß dem Versicherungsnehmer sehr daran gelegen sei, an die Fälligkeit der Prämie erinnert bzw. an rückständige Zahlungen gemahnt zu werden, zumal ihm § 39 Abs. 3 VVG die Möglichkeit gebe, auch noch innerhalb eines Monates nach der Kündigung bzw. nach Ablauf der in der Kündigung gesetzten Frist die versäumte Prämienzahlung mit der Wirkung nachzuholen, daß die Wirkungen der Kündigung fortfallen, soferne nicht der Versicherungsfall bereits eingetreten sei.

Diese Auffassung läßt außer acht, daß der Versicherungsschutz, solange nicht eine Mahnung im Sinne des § 39 VVG erfolgte, bis zum Ablauf der in der Mahnung gesetzten Zahlungsfrist auch ohne Zahlung der Prämie aufrecht bleibt. Auch aus dem Umstand, daß das Gesetz dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit einräumt, eingetretene Verzugsfolgen durch Nachholung der Prämienzahlung abzuwenden, kann kein (insbesondere kein vom Interesse an der Gewährung von Versicherungsschutz unabhängiges) wirtschaftliches Interesse des Versicherungsnehmers an der Mahnung abgeleitet werden, weil die Mahnung nicht Voraussetzung für den Wegfall der Verzugsfolgen, sondern ausschließlich Voraussetzung für die Kündigung durch den Versicherer bzw. dessen Leistungsfreiheit ist.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt daher die auch im Urteil des BFH vom 15. Juni 1965, BStBl. III 543, vertretene Auffassung, daß die den strittigen Mahnkostenersätzen zugrundeliegenden Handlungen nur im betrieblichen Interesse des Versicherers erfolgen, der damit keinen besonderen Leistungsaustausch mit dem Versicherten verbindet. Die Mahnkostenersätze sind daher nicht Entgelt für eine von der Gewährung des Versicherungsschutzes gesonderte Leistung des Versicherers; vielmehr gehören sie zu dem Entgelt, das für die Gewährung des Versicherungsschutzes bezahlt werden muß und teilen dessen umsatzsteuerliche Behandlung. Die Beschwerdeführerin kann daher für die strittigen Mahnkostenersätze die Umsatzsteuerfreiheit nach § 6 Z. 9 lit. c UStG in Anspruch nehmen.

Der von der gegenteiligen Auffassung ausgehende angefochtene Bescheid ist daher mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet; er war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1990150143.X00

Im RIS seit

17.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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