TE Vwgh Erkenntnis 1992/12/1 92/11/0147

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Veröffentlicht am 01.12.1992
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

KDV 1967 §34 Abs1 litd idF 1985/101;
KFG 1967 §34 Abs1 litd;
KFG 1967 §69 Abs1 litb;
KFG 1967 §73 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 27. März 1992, Zl. MA 64-8/444/91, betreffend Befristung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 27. März 1992 wurde die Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und F gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 bis 23. August 1993 befristet (das sind zwei Jahre ab der Erstellung des Gutachtens des Amtsarztes der Bundespolizeidirektion Wien vom 23. August 1991).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt. Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides beruht die Befristung der Lenkerberechtigung auf dem Gutachten eines ärztlichen Amtssachverständigen der Bundespolizeidirektion Wien vom 23. August 1991, in welchem dieser festgestellt habe, daß der Beschwerdeführer wegen Verdachtes des Alkoholabusus zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und F "befristet auf zwei Jahre (bedingt) geeignet" sei. Aus dem vom Amtsarzt geäußerten Verdacht ergebe sich im Hinblick auf § 34 Abs. 1 lit. d KDV 1967, wonach Alkoholabhängigkeit oder chronischer Alkoholismus als Ausschließungsgrund für die Lenkerberechtigung gelte, die Annahme der Eignung des Beschwerdeführers nur für eine bestimmte Zeit und damit die Notwendigkeit der Befristung seiner Lenkerberechtigung. Dem ärztlichen Gutachten liege der Befund einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 22. Juli 1991 zugrunde, laut dem sich bei der klinischen Untersuchung des Beschwerdeführers Hinweise auf chronischen Alkoholkonsum ergeben hätten. In der Stellungnahme vom 10. Februar 1992 habe diese Fachärztin ergänzend ausgeführt, aus der von ihr eingesehenen Krankengeschichte über den Vorfall vom 25. Februar 1991 (Einweisung des Beschwerdeführers in ein Krankenhaus auf Grund eines pathologischen Rauschzustandes; auf Grund dieses Vorfalles kam es zu dem dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Verfahren) ergebe sich, daß der Beschwerdeführer vor einigen Jahren chronisch Alkohol konsumiert habe. Der Beschwerdeführer habe selbst angegeben, er wisse, daß er Alkohol schon in geringen Mengen nicht vertrage, er aber dessen ungeachtet weiterhin Alkohol konsumiere. Dieser Umstand stütze die Annahme des ärztlichen Amtssachverständigen, die Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen könne nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden bzw. es sei eine Nachuntersuchung erforderlich. Dies ergebe sich auch daraus, daß der Beschwerdeführer früher chronisch Alkohol konsumiert habe.

Der Beschwerdeführer wendet ein, der vom Amtsarzt geäußerte "Verdacht auf Alkoholabusus" sei als bloße Vermutung keine ausreichende Diagnose auf einen Alkoholmißbrauch, der die ausgesprochene Befristung der Lenkerberechtigung rechtfertigen könnte. Davon abgesehen entbehrten die Annahmen des chronischen Alkoholkonsums und die Unverträglichkeit auch schon geringer Alkoholmengen einer hinreichenden Grundlage. Er habe im Verwaltungsverfahren immer wieder darauf hingewiesen, daß alle Befundaufnahmen und die Gutachten auf einem offenbar falschen Protokoll bzw. einer inhaltlich falschen Krankengeschichte betreffend den Vorfall vom 25. Februar 1991 beruhten. Er habe auch durchgehend bestritten, chronisch Alkohol konsumiert zu haben bzw. zu konsumieren.

Gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 ist eine Lenkerberechtigung unter anderem dann durch Befristung einzuschränken, wenn beim Besitzer der Lenkerberechtigung die geistige und körperliche Eignung nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und Nachuntersuchungen erforderlich sind. Diese Voraussetzung liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter anderem dann vor, wenn nach dem ärztlichen Gutachten bei einer Person ein auf Alkoholmißbrauch zurückzuführender Zustand vorliegt, der zwar noch nicht (nicht mehr) ihre Nichteignung wegen "Alkoholabhängigkeit oder chronischen Alkoholismus" (§ 34 Abs. 1 lit. d KDV 1967) bewirkt, bei dem aber in Verbindung mit der Neigung der betreffenden Person zum Alkoholmißbrauch die Möglichkeit der Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes und des Wegfalles der körperlichen oder geistigen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. das Erkenntnis vom 22. Mai 1990, Zl. 89/11/0215, mit weiteren Judikaturhinweisen). Wie der Gerichtshof in diesem Erkenntnis weiters ausgesprochen hat, berechtigt der Hinweis auf einen früheren Alkoholmißbrauch einer Person noch nicht zur Befristung der Lenkerberechtigung. Selbst eine aus einem solchen erschließbare diesbezügliche "Neigung" lasse nur unter der weiteren Voraussetzung des Vorliegens eines objektiv nachweisbaren Zustandes nach Alkoholmißbrauch die Schlußfolgerung zu, die Eignung des Betreffenden könne nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden und es seien Nachuntersuchungen erforderlich. Unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des im gegebenen Zusammenhang maßgeblichen letzten Halbsatzes des § 73 Abs. 1 KFG 1967 hielt der Verwaltungsgerichtshof ferner fest, daß jedenfalls objektive Anzeichen für das Bestehen einer "Krankheit" vorliegen müssen, um unter Hinweis auf ihre "Natur" die Notwendigkeit einer Nachuntersuchung begründen zu können. Sei aber nach dem ärztlichen Gutachten eine "Krankheit" nicht (mehr) objektivierbar, könne schon begrifflich nicht mehr von der Gefahr einer relevanten Verschlechterung derselben die Rede sein.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage bilden die vorliegenden Ermittlungsergebnisse keine ausreichende Grundlage für die Befristung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers. Die Begründung des Gutachtens des ärztlichen Amtssachverständigen vom 23. August 1991 erschöpft sich in der Bemerkung "Verd. Alkoholabusus". Der diesem Gutachten zugrundeliegende Befund einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 22. Juli 1991 bezeichnet in der Zusammenfassung den Beschwerdeführer als "gut geeignet für den Führerschein der Gruppen A und F", erwähnt sodann, daß sich in der klinischen Untersuchung "Hinweise auf chronischen Alkoholkonsum" ergeben hätten, und empfiehlt abschließend eine Befristung auf ein Jahr "auf Grund der weitgehend unauffälligen Vorgeschichte" "bei regelmäßigem Nachweis der Alkoholabstinenz". Über Ersuchen der belangten Behörde um nähere Erläuterung, woraus sich die "Hinweise auf chronischen Alkoholkonsum" ergäben, erklärte die Fachärztin in ihrer Stellungnahme vom 10. Februar 1992, sie stütze sich dabei auf die ihr vorliegenden Krankengeschichten des Kaiserin-Elisabeth-Spitals und des Kaiser-Franz-Josef-Spitals vom 25. Februar 1991 sowie "auf die ho. durchgeführte Untersuchung". Aus der Krankengeschichte des Kaiserin-Elisabeth-Spitals ergebe sich insbesondere, daß der Beschwerdeführer vor einigen Jahren chronisch Alkohol konsumiert habe und daß er laut Außenanamnese keinen Alkohol vertrage. Am 25. Februar 1991 habe der Beschwerdeführer in seiner Firma beim Abfüllen von Magenbitter Alkohol konsumiert, in der Folge sei es zum Zustandsbild eines pathologischen Rausches mit Aggressivität und eingeschränktem Bewußtsein gekommen. Der Beschwerdeführer sei anschließend gemäß § 8 Unterbringungsgesetz in die psychiatrische Abteilung des Kaiser-Franz-Josef-Krankenhauses aufgenommen worden. Laut Krankengeschichte seien auch von dort außenanamestische Erhebungen durchgeführt worden, wonach der Beschwerdeführer bereits öfters auf Einnahme relativ geringer Mengen von Alkohol aggressiv und überschießend reagiert habe. Er habe bei der Exploration der Fachärztin gegenüber angegeben, er wisse, daß er Alkohol schon in geringen Mengen nicht vertrage, und gleichzeitig bestätigt, daß er gelegentlich Alkohol in geringen Mengen konsumiere. Die Entlassungsdiagnose der psychiatrischen Abteilung des Kaiser-Franz-Josef-Krankenhauses laute: "St. p. pathologischer Rausch". Dies sei als akute psychotische Episode, hervorgerufen durch relativ geringe Alkoholmengen zu werten. Diese Psychose setze abrupt ein, sei gekennzeichnet durch psychomotorische Erregung, ausgeprägte Verhaltensänderung und beinhalte die Möglichkeit der Gefährdung für sich selbst und andere. Auf Grund der Außenanamnesen des "Sofienspitals" (richtig offenbar: Kaiserin-Elisabeth-Spital) und des Kaiser-Franz-Josef-Spitals, der "ho. Exploration" und vor allem auch der eigenen Angaben des Beschwerdeführers sei anzunehmen, daß es bei ihm mehrmals zu einer diesem Zustandsbild entsprechenden Symptomatik gekommen sei und der Beschwerdeführer über diese Problematik auch Bescheid wisse. Er konsumiere jedoch nach seinen Angaben weiterhin Alkohol. Die einzige Therapie dieser pathologischen Alkoholreaktion bestehe in absoluter Alkoholabstinenz.

Diese Stellungnahme vom 10. Februar 1992 erschöpft sich im wesentlichen in Ausführungen zum Vorfall vom 25. Februar 1991 sowie (im Sinne der gestellten Anfrage) darüber, was die Fachärztin zu der Bemerkung veranlaßte, es hätten sich bei der klinischen Untersuchung Hinweise auf chronischen Alkoholkonsum ergeben. Dieser Stellungnahme ist jedoch nicht zu entnehmen, daß beim Beschwerdeführer ein seine Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen noch nicht ausschließender krankhafter Zustand nach Alkoholmißbrauch vorliegt, wovon die belangte Behörde aber offenbar ausgegangen ist. Die Frage, ob ein derartiger krankhafter Zustand vorliegt sowie ob und welche objektiven Anzeichen darauf hinweisen, wird in dieser Stellungnahme (und auch sonst) gar nicht erörtert. Insbesondere kommt nicht zum Ausdruck, daß die von der Fachärztin angesprochene geringe Alkoholtoleranz des Beschwerdeführers ein Indiz für das Vorliegen eines solchen Zustandes bilde oder daß sonstige Untersuchungsergebnisse dafür sprächen. Dies hätte die belangte Behörde veranlassen müssen, die Fachärztin dazu aufzufordern, ihren Befund vom 22. Juli 1991 jedenfalls auch durch konkrete Ausführungen in der aufgezeigten Richtung zu ergänzen. Bemerkt sei, daß chronischer AlkoholKONSUM nicht mit chronischem AlkoholMIßBRAUCH gleichzusetzen ist. Im Hinblick auf das Fehlen ausreichender Ermittlungsergebnisse bedarf der maßgebende Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt der Ergänzung.

Aus diesem Grund ist der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992110147.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

10.06.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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