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L34009 Abgabenordnung Wien;Norm
BAO §212a Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Puck, Dr. Gruber und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Raunig, über die Beschwerde der A in W, vertreten durch den zur Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt Dr. L in W, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom 30. September 1992, Zl. MD-VfR - K 41/92, betreffend Aussetzung der Einhebung i.A. Getränkesteuer, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Haftungsbescheid des Magistrates der Bundeshauptstadt Wien vom 10. Oktober 1991 wurde die Beschwerdeführerin als Haftpflichtige zur Zahlung der für die Zeit von Jänner 1989 bis Oktober 1989 im Betrieb in W, H-Gasse, entstandenen Getränkesteuerschuld der ehemaligen Pächterin, der N-GesmbH., im Betrag von S 56.905,-- (einschließlich Nebenansprüchen) herangezogen.
In der dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, sie sei in einem Pensionistenheim untergebracht und habe hiefür einen Betrag von S 8.248,-- (monatlich) zu bezahlen. Von ihrem Einkommen von insgesamt S 10.310,-- netto verblieben ihr sohin lediglich S 2.062,--. Sollte ihrer Berufung die "aufschiebende Wirkung" nicht gewährt werden, drohe ihr die Existenzvernichtung bzw. tatsächliche Verelendung. Sohin stelle sie den Antrag, es möge die "aufschiebende Wirkung bis zur rechtskräftigen Entscheidung" gewährt werden. Gleichzeitig wiederholte sie den (bereits früher gestellten) Antrag, "es möge mit Bescheid festgestellt werden, daß von der Einhebung der begehrten Getränkesteuer abgesehen wird."
Mit Bescheid vom 6. März 1992 wies der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 4/7, den zuletzt genannten, als Antrag auf Entlassung aus der Gesamtschuld gewerteten Antrag ab. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom 30. September 1992, Zl. MD-VfR - K 22/92, als unbegründet abgewiesen.
Mit dem nunmehr verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 11. März 1992 hatte der Magistrat der Stadt Wien,
MA 6 - Rechnungsamt, Stadtkasse 16., 17. Bezirk, auch den oben wiedergegebenen, als Antrag auf Aussetzung der Einhebung gewerteten Antrag auf "Gewährung der aufschiebenden Wirkung" als unbegründet abgewiesen, weil die Haft- und Zahlungspflicht der Beschwerdeführerin nach der Aktenlage erwiesen sei und die Berufung wenig erfolgversprechend erscheine.
Auch dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung und brachte darin im wesentlichen vor, es sei ihrem Antrag auf "Absehung von der Einhebung" der begehrten Getränkesteuer mit der Begründung nicht stattgegeben worden, daß sie nicht ihre Vermögenssituation dargestellt habe, sondern lediglich ihre Einkommenssituation. Ob ihrer Berufung gegen diesen abschlägigen Bescheid stattgegeben werde oder nicht, sei derzeit noch nicht abzusehen. Sollte ihren Rechtsmitteln die "aufschiebende Wirkung" nicht gewährt werden, drohe der Beschwerdeführerin die Existenzvernichtung bzw. tatsächliche Verelendung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien auch diese Berufung als unbegründet ab. Im Hinblick auf die abweisende Entscheidung der Abgabenberufungskommission in ihrer Sitzung am 24. Juni 1992 betreffend die Berufung gegen den Haftungsbescheid vom 10. Oktober 1991 sei die Beurteilung der Abgabenbehörde erster Instanz, daß die Berufung wenig erfolgversprechend erscheine, zutreffend, zumal die Berufungsausführungen den Haftungstatbestand nicht hätten in Frage stellen können. Abgesehen davon, daß der Antrag auf Aussetzung sich nur auf das Haftungsverfahren habe beziehen können, da hinsichtlich des Verfahrens auf Entlassung aus der Gesamtschuld keine Berufung anhängig gewesen sei, seien hinsichtlich eines solchen Verfahrens die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Einhebung grundsätzlich nicht gegeben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Nach ihrem Vorbringen erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Aussetzung der Einhebung der Abgabenschuld verletzt. Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes "bzw. allenfalls wegen jedes anderen erdenklichen Rechtsgrundes" aufzuheben.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die im Beschwerdefall wesentlichen Bestimmungen der WAO i. d.F. der Novelle LGBl. Nr. 21/1988 lauten:
"§ 160a. (1) Die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Berufung abhängt, ist auf Antrag des Abgabepflichtigen insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt, zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Berufungserledigung ergebenden Herabsetzung der Abgabenschuld. Dies gilt sinngemäß, wenn mit einer Berufung die Inanspruchnahme für eine Abgabe angefochten wird.
(2) Die Aussetzung der Einhebung ist nicht zu bewilligen,
a) insoweit die Berufung nach Lage des Falles wenig erfolgversprechend erscheint, ...
(3) Anträge auf Aussetzung der Einhebung können bis zur Entscheidung über die Berufung (Abs. 1) gestellt werden ...
(4) Die Wirkung einer Aussetzung der Einhebung besteht in einem Zahlungsaufschub. Dieser endet mit Ablauf der Aussetzung oder ihrem Widerruf (§ 228). Der Ablauf der Aussetzung tritt nach Eintritt der Rechtskraft einer über die Berufung (Abs. 1) ergehenden
a)
Berufungsvorentscheidung oder
b)
Berufungsentscheidung oder
c)
anderen, das Berufungsverfahren abschließenden Erledigung
ein ...
(5) Für die Entrichtung einer Abgabe, deren Einhebung ausgesetzt wurde, steht dem Abgabepflichtigen eine Frist von 4 Wochen nach Ablauf der Aussetzung (Abs. 4) oder der Bekanntgabe eines die Aussetzung betreffenden Bescheides gemäß § 228 zu.
...
§ 164. (1) Wird eine Abgabe nicht spätestens am Fälligkeitstag entrichtet, so tritt mit Ablauf dieses Tages die Verpflichtung zur Entrichtung eines Säumniszuschlages ein, soweit der Eintritt dieser Verpflichtung nicht gemäß Abs. 2 bis 7 hinausgeschoben wird ...
...
(8) Wird auf Grund eines vor Ablauf der für die Entrichtung einer Abgabe zur Verfügung stehenden Frist eingebrachten Antrages die Aussetzung der Einhebung einer Abgabe (§ 160a Abs. 1) bewilligt, so tritt die Verpflichtung zur Entrichtung eines Säumniszuschlages für den von der Bewilligung betroffenen Teil der Abgabe erst mit ungenütztem Ablauf der Frist des § 160a Abs. 5 ein."
In ihrer Gegenschrift bezweifelt die belangte Behörde, ob nach Erlassung des Berufungsbescheides vom 24. Juni 1992, mit dem über die Berufung gegen den Haftungsbescheid (abschlägig) entschieden worden sei, überhaupt eine materielle Beschwer durch den hier angefochtenen Bescheid vorliegen könne. Die Beschwerdeführerin habe den Antrag auf Aussetzung der Einhebung im Zusammenhang mit ihrer Berufung gegen den Haftungsbescheid vom 10. Oktober 1991 gestellt. Da gemäß § 160a Abs. 4 WAO der Zahlungsaufschub mit Ablauf der Aussetzung ende, die jedenfalls mit Rechtskraft der Berufungsentscheidung eintrete, hätte die Rechtsposition der Beschwerdeführerin auch durch eine Stattgebung ihres Antrages durch die belangte Behörde nicht verbessert werden können, weil zu diesem Zeitpunkt
(30. September 1992) im Hinblick auf die Berufungsentscheidung betreffend den Haftungsbescheid ein Zahlungsaufschub nicht mehr habe Platz greifen können.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag sich dieser Auffassung nicht anzuschließen. Zwar ist nach einem Teil seiner Rechtsprechung zu dem mit § 160a WAO nahezu inhaltsgleichen § 212a BAO (vgl. die Beschlüsse vom 10. April 1991, Zl. 91/15/0011, und vom 30. März 1992, Zl. 90/15/0039) ein rechtliches Interesse des Beschwerdeführers an der Beseitigung eines Bescheides, mit dem die Aussetzung der Einhebung einer Abgabe gemäß § 212a BAO verweigert wurde, zu verneinen, sobald im Verfahren betreffend die Festsetzung der strittigen Abgabe die Berufungsentscheidung erlassen worden sei, weil im Hinblick auf die bereits ergangene Berufungsentscheidung kein Bescheid erlassen werden dürfte, mit dem die Einhebung der Abgabe ausgesetzt werde. In beiden Fällen war der Antrag gleichzeitig mit der Erhebung der Berufung gestellt worden. Der Gerichtshof hat aus diesem Grunde im erstgenannten Fall die Beschwerde gegen die Verweigerung der Aussetzung zurückgewiesen, im zweitgenannten Fall die Beschwerde als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt.
Hingegen hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem gleichfalls zu § 212a BAO ergangenen Erkenntnis vom 10. Dezember 1991, Zl. 91/14/0164, bei gleichartigem Sachverhalt die Rechtsverletzungsmöglichkeit bejaht, weil der Antragsteller durch eine rechtswidrige Abweisung des Aussetzungsantrages nicht nur um den Zahlungsaufschub und dessen Wirkungen, sondern auch um die Erstreckung der Entrichtungsfrist gemäß § 212a Abs. 7 (entspricht § 160a Abs. 5 WAO) und die damit verbundenen Auswirkungen auf den Säumniszuschlag gemäß § 218 Abs. 4 BAO (§ 164 Abs. 8 WAO) gebracht würde. Des näheren wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die ausführlichen Entscheidungsgründe des zuletzt zitierten Erkenntnisses verwiesen.
Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich für den Bereich der entsprechenden Bestimmungen der WAO der zuletzt genannten Auffassung an. Dies bedeutet, daß die Beschwerdeführerin ungeachtet des Umstandes, daß ihre Berufung gegen den Haftungsbescheid mittlerweile abgewiesen wurde, dennoch durch die Verweigerung der Aussetzung der Einhebung in ihren Rechten verletzt worden sein konnte.
Dies trifft auch tatsächlich zu. Zwar geht der Hinweis in der Beschwerde, es sei hinsichtlich des Verfahrens auf Entlassung aus der Gesamtschuld eine Berufung anhängig gewesen, schon deshalb fehl, weil sich der - zutreffend als Antrag auf Aussetzung der Einhebung gewertete - Antrag, der Berufung gegen den Haftungsbescheid "aufschiebende Wirkung" zu gewähren, tatsächlich nur auf eben diese Berufung beziehen konnte.
Auch muß die Frage, ob eine Berufung im Sinne des § 160a WAO (§ 212a BAO) wenig erfolgversprechend ist, nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Entscheidung über den Aussetzungsantrag geprüft werden; daß die Berufung - im nachhinein betrachtet - tatsächlich Erfolg hatte, kann für diese Beurteilung nicht ausschlaggebend sein. Bei dieser Beurteilung wird insbesondere auch auf die jeweils herrschende (insbesondere publizierte) Rechtsprechung Bedacht zu nehmen sein.
Nun hat aber die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung gegen den Haftungsbescheid vom 10. Oktober 1991 Umstände ins Treffen geführt, die im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach bei der zu treffenden Ermessensentscheidung insbesondere auch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Haftungspflichtigen in Betracht zu ziehen sind (vgl. hiezu das Erkenntnis vom 29. April 1988, Zl. 87/17/0313, und die dort angeführte weitere Rechtsprechung), die Berufung keineswegs als "wenig erfolgversprechend" erscheinen ließen.
Da die belangte Behörde die Rechtslage im aufgezeigten Sinn verkannte, war ihr Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren auf Ersatz von Umsatzsteuer war abzuweisen, weil dieser Aufwand bereits im Schriftsatzaufwandpauschale berücksichtigt ist.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993170055.X00Im RIS seit
20.11.2000