TE Vwgh Erkenntnis 1994/3/16 92/03/0106

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Veröffentlicht am 16.03.1994
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art18 Abs2;
StVO 1960 §55 Abs8;
StVO 1960 §9 Abs4;
VStG §1 Abs2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Sauberer und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Eigelsberger, über die Beschwerde des Dr. F, Rechtsanwalt in Z, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 9. Juli 1991, Zl. IIb2-V-8945/1-91, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer ist schuldig, dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Schwaz vom 23. Jänner 1991 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 19. Mai 1990 um 22.10 Uhr einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw in Wattens, auf der Bahnhofstraße, in Richtung Süden gelenkt und dabei trotz des dort befindlichen Vorschriftszeichens "Halt" beim Einfahren in die B 171 nicht vor der Kreuzung angehalten. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 52 Z. 24 StVO 1960 begangen, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 eine Geldstrafe von S 400,-- (und eine Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde. Mit dem nun angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 9. Juli 1991 wurde die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung als unbegründet abgewiesen und der Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses dahin berichtigt, daß der Beschwerdeführer schuldig erkannt werde, am 19. Mai 1990 um 22.10 Uhr einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw auf der Bahnhofstraße in Wattens in Richtung Süden gelenkt und an der Kreuzung mit der B 171 sein Fahrzeug trotz des Vorschriftszeichens nach § 52 Z. 24 StVO 1960 nicht an der dort angebrachten Haltelinie angehalten zu haben. Der Beschuldigte habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 9 Abs. 4 StVO 1960 begangen. Die belangte Behörde sprach aus, daß im übrigen der Spruch unverändert bleibe.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher ihre Behandlung mit Beschluß vom 2. März 1992, B 882/91, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

In seiner Beschwerdeergänzung an den Verwaltungsgerichtshof beantragt der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsstrafakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt im wesentlichen vor, daß für die gegenständliche Haltelinie eine Verordnung nicht erlassen worden sei. Im Hinblick auf die Aufhebung der Bestimmung des § 55 Abs. 8 StVO 1960 mit Wirksamkeit zu einem Zeitpunkt, als das erstinstanzliche Straferkenntnis noch nicht erlassen worden war, sei die danach für den Beschwerdeführer günstigere Gesetzeslage anzuwenden, sodaß die Bestrafung rechtswidrig sei.

Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid, mit dem sie den Beschwerdeführer wegen Verwaltungsübertretung nach § 9 Abs. 4 StVO 1960 bestrafte, davon aus, daß der Beschwerdeführer vor der Kreuzung anhielt (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Jänner 1992, Zl. 92/02/0019). Dies entsprach auch der Verantwortung des Beschwerdeführers, der - worauf die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides Bedacht nahm - ausführte, daß er an einer Stelle angehalten habe, von der aus eine gute Übersicht in die einzufahrende Kreuzung bestehe. Die vom Beschwerdeführer vertretene Auffassung, daß eine Verpflichtung zum Anhalten AN DER HALTELINIE für ihn nicht bestanden habe, weil diese Haltelinie nicht verordnet worden sei, hielt die belangte Behörde jedoch für unrichtig, weil trotz Aufhebung des § 55 Abs. 8 StVO 1960 durch den Verfassungsgerichtshof und unter Bedachtnahme auf § 1 Abs. 2 VStG das strafrechtliche Unwerturteil über die Nichtbefolgung der in Betracht kommenden Verpflichtung unverändert aufrecht geblieben sei. Damit war sie im Recht:

Unbestritten ist, daß es eine wesentliche Tatbestandsvoraussetzung des § 9 Abs. 4 StVO 1960 ist, daß an einer Kreuzung auf der Fahrbahn eine Haltelinie angebracht ist, an der der Lenker eines Fahrzeuges nicht angehalten hat, und daß dort das Vorschriftszeichen "Halt" angebracht ist. Nur das gemeinsame Vorliegen dieser Voraussetzungen läßt eine Subsumtion der Tat unter die von der belangten Behörde herangezogene Bestimmung des § 9 Abs. 4 StVO 1960 zu (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. April 1985, Zl. 85/02/0039). Dies hat die belangte Behörde zutreffend beachtet und in der Modifizierung des Spruches, ausgehend von den von der Erstbehörde getroffenen Feststellungen, zum Ausdruck gebracht. In der bis 30. September 1990 in Kraft gewesenen Bestimmung des § 55 Abs. 8 StVO 1960 galten Bodenmarkierungen als straßenbauliche Einrichtungen und waren gemäß § 98 Abs. 3 StVO 1960 anzubringen bzw. zu entfernen. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. September 1989, G 52-54/89, G 80/89, kundgemacht am 29. Dezember 1989, BGBl. Nr. 641/1989, wurde diese Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben, wobei ausgesprochen wurde, daß diese Aufhebung mit Ablauf des 30. September 1990 in Wirksamkeit trete. Daraus ergibt sich, daß seitdem Bodenmarkierungen, die ein Gebot oder Verbot bewirken, einer Verordnung bedürfen, um Rechtswirkungen entfalten zu können.

Nach § 1 Abs. 2 VStG richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, daß das zur Zeit der Fällung des Bescheides erster Instanz geltende Recht für den Täter günstiger wäre. Zeigt sohin die spätere Gesetzgebung, daß das Unwerturteil über das zur Zeit der Begehung strafbare Verhalten nachträglich milder oder ganz weggefallen ist, dann ist das günstigere Recht anzuwenden oder das Verhalten, das zur Tatzeit strafbar war, im Zeitpunkt der Fällung des Bescheides erster Instanz aber überhaupt nicht mehr strafbar ist, ungeachtet des Fehlens einer ausdrücklichen Regelung für diesen Fall nicht mehr zu bestrafen. Hat jedoch der Gesetzgeber das strafrechtliche Unwerturteil über die Nichtbefolgung der in Betracht kommenden Verpflichtung aufrechterhalten, so besteht trotz der aus § 1 Abs. 2 VStG hervorleuchtenden Grundsätze keine Handhabe, das zum Zeitpunkt der Tat strafbar gewesene Verhalten anders zu beurteilen, als es zu beurteilen gewesen wäre, wenn das Straferkenntnis erster Instanz noch vor Inkrafttreten der Änderung erlassen worden wäre (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Oktober 1988, Zl. 88/03/0083, mit weiterem Hinweis auf die Rechtsprechung). Für den Beschwerdeführer hätte somit allenfalls daraus in bezug auf die Beurteilung des strafrechtlichen Unwertes der Nichtbeachtung der Haltelinie nur dann etwas gewonnen werden können, wenn in der Folge schlechthin die Nichtbeachtung einer Haltelinie entweder unter eine mildere Strafsanktion als zuvor oder gänzlich straflos gestellt worden wäre. Dies trifft jedoch nicht zu.

Abgesehen davon, daß sich im übrigen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes § 1 Abs. 2 VStG nur auf die "die Strafe betreffenden Verwaltungsvorschriften" bezieht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. März 1979, Slg. Nr. 9794/A), worunter die Regelung, ob eine Bodenmarkierung einer Verordnung bedarf oder nicht, nicht zu zählen ist, war die vom Beschwerdeführer begangene Übertretung nicht Anlaßfall für die erwähnte Aufhebung des § 55 Abs. 8 StVO 1960 und es ist auch darauf Bedacht zu nehmen, daß der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis nicht ausgesprochen hat, daß die aufgehobene Bestimmung auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände - mit Ausnahme des Anlaßfalles - nicht weiterhin anzuwenden ist. Die in Rede stehende Haltelinie war daher im Hinblick auf die im Beschwerdefall angesichts des Tatzeitpunktes (noch) maßgebende Regelung des § 55 Abs. 8 StVO 1960 mit ihrer Anbringung wirksam und daher vom Beschwerdeführer zu beachten, ohne daß es zum Wirksamwerden derselben einer Verordnung bedurfte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. April 1991, Zl. 91/18/0014).

Die vorliegende Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Verordnungen Verhältnis Verordnung - Bescheid VwRallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1992030106.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

03.07.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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