TE Vwgh Erkenntnis 1995/9/27 95/21/0135

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Veröffentlicht am 27.09.1995
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Index

24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
90/01 Straßenverkehrsordnung;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

FrG 1993 §21;
KFG 1967 §64 Abs1;
StGB §127;
StVO 1960 §4 Abs5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des M in H, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 21. März 1994, Zl. III 26-1/94, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.620,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) wurde gegen den Beschwerdeführer, einen bosnischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 2 sowie den §§ 19, 20 und 21 FrG ein mit 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Nach der Begründung sei der Beschwerdeführer im Sommer 1992 mit seinen Eltern in das Bundesgebiet eingereist, wo er im Rahmen der Flüchtlingshilfe für Bosnien betreut werde. Seine Lebensgefährtin (ebenfalls eine Staatsbürgerin der ehemaligen jugoslawischen Föderation) arbeite in O im Hotel "X" als Zimmermädchen. Der Beschwerdeführer selbst stehe in keinem Beschäftigungsverhältnis.

Der Beschwerdeführer sei ungeachtet seines noch kurzen Aufenthaltes im Bundesgebiet bereits mehrfach bestraft worden. Am 6. April 1993 sei er von der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel wegen eines Verkehrsunfalles mit Sachschaden und "Fahrerflucht" nach § 4 Abs. 5 StVO sowie wegen Übertretung des § 64 Abs. 1 KFG, mit Bescheid derselben Behörde vom 12. Juli 1993 neuerlich wegen Übertretung nach § 64 Abs. 1 KFG und am 17. Dezember 1993 mit Urteil des Bezirksgerichtes H wegen Vergehens nach § 127 StGB (Diebstahl einer Hose in einem Bekleidungsgeschäft in H) bestraft worden.

Die rechtskräftigen Bestrafungen wegen Übertretung nach § 64 Abs. 1 KFG erfüllten den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG und seien als bestimmte Tatsache im Sinn des § 18 Abs. 1 leg. cit. anzusehen, die die dort umschriebene Annahme begründe.

Aufgrund des Aufenthaltes des Beschwerdeführers seit Sommer 1992 im Bundesgebiet und seiner Bindungen an die ebenfalls hier lebenden Eltern und seine Lebensgefährtin werde durch das Aufenthaltsverbot in sein Privat- und Familienleben eingegriffen. Angesichts der mehrmaligen Bestrafungen, insbesondere wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne Lenkerberechtigung - bei dieser Übertretung handle es sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes um eine schwerwiegende Verwaltungsübertretung - und der daraus abzuleitenden ablehnenden Haltung des Beschwerdeführers gegenüber rechtlich geschützten Werten wie Vermögen und körperliche Unversehrtheit anderer Personen sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele (Schutz der öffentlichen Ordnung sowie zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen) die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes dringend geboten (§ 19 FrG).

Bei der Abwägung nach § 20 Abs. 1 FrG sei zugunsten des Beschwerdeführers der (allerdings noch nicht sehr lange) Aufenthalt im Bundesgebiet seit Sommer 1992 und die familiären Bindungen an die ebenfalls seit diesem Zeitpunkt in Österreich lebenden Eltern und die hier als Zimmermädchen in einem Hotel in O beschäftigte Lebensgefährtin zu berücksichtigen. Dem stünde gegenüber, daß der Beschwerdeführer innerhalb seines relativ kurzen Aufenthalts mehrere Verwaltungsübertretungen und auch ein gerichtlich zu ahndendes Delikt begangen habe. Die dadurch bedingte Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die Allgemeinheit erfordere die Verhängung eines auf 10 Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes, weil seine Belassung im Bundesgebiet ein zu hohes Risiko darstelle. Während dieses Zeitraumes müsse der Beschwerdeführer im Ausland dokumentieren, daß er sich nachhaltig zu einem mit rechtlichen Werten verbundenen Menschen geändert habe. Es stünde seinen Angehörigen auch frei, das Bundesgebiet gemeinsam mit dem Beschwerdeführer zu verlassen. Das Berufungsvorbringen zur "kriegerischen" Situation in seiner Heimat sei im Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes bedeutungslos. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Berufungswerbers wögen "nicht schwerer" als die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen kostenpflichtig aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:

Wenn der Beschwerdeführer geltend macht, daß die gerichtliche Verurteilung wegen des Vergehens des Diebstahls deshalb "überhaupt kein Kriterium in Zusammenhang mit dem Aufenthaltsverbot" darstelle, weil diese nicht unter § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG zu subsumieren sei, so kann diese Auffassung vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt werden. Die belangte Behörde hat zwar zutreffend diesen Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. nicht zur Begründung des gegen den Beschwerdeführer erlassenen Aufenthaltsverbotes herangezogen, jedoch durfte sie die der Verurteilung zugrundeliegende, vom Beschwerdeführer begangene Straftat bei der im Grunde des § 18 Abs. 1 FrG gebotenen Beurteilung des Gesamt- (Fehl)verhaltens mitberücksichtigen. Dabei ist nicht nur der Diebstahl zur Verstärkung der Annahme einer Gefährdung der maßgeblichen öffentlichen Interessen geeignet, sondern auch die Bestrafung wegen des Vergehens nach § 4 Abs. 5 StVO (diese Übertretung wird in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ebenfalls als schwerwiegend angesehen; vgl. Erkenntnis vom 8. September 1994, Zl. 94/18/0456), woraus sich eine geringschätzige Einstellung des Beschwerdeführers zu den von der Rechtsordnung geschützten Werten erkennen läßt. Der Beschwerdeführer wendet ferner ein, daß zwar die zweimalige Übertretung einer schwerwiegenden Verwaltungsvorschrift den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG erfülle, es sich bei der Übertretung der Verwaltungsvorschrift des § 64 Abs. 1 KFG jedoch nicht um eine schwerwiegende Übertretung handle, zumal zu berücksichtigen sei, daß der Beschwerdeführer damals noch nicht 18 Jahre alt gewesen sei, und diese Übertretungen lediglich "aus Leidenschaft zum Fahren" begangen habe. Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer auf die ständige hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 1994, Zl. 93/18/0587) zu verweisen, wonach Übertretungen des § 64 Abs. 1 KFG jedenfalls schwerwiegende Verwaltungsübertretungen im Sinne des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG darstellen und durchaus geeignet sind, eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 18 Abs. 1 FrG zu begründen; zum anderen ist ihm zu entgegnen, daß er trotz der am 12. Juli 1993 erfolgten Bestrafung durch die Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel das gleichgelagerte Delikt begangen hat, somit sein Verhalten die Wertung als einmaliger jugendlicher "Ausrutscher" nicht mehr gerechtfertigt erscheinen läßt. Die in der Beschwerde dazu noch angestellten Überlegungen, wonach "bekanntlich Burschen in diesem Alter" fähig seien, ein Kraftfahrzeug zu lenken und es bei derartigen "Schwarzfahrern" nur sehr selten zu Unfällen komme, erweisen sich als reine Spekulationen, die dem Unrechtsgehalt der Übertretung dieser kraftfahrrechtlichen Norm nicht ausreichend Rechnung tragen. Gerade der Beschwerdeführer hat durch seinen Verkehrsunfall, in welchem Zusammenhang er wegen Übertretung nach § 4 Abs. 5 StVO bestraft worden ist, Gegenteiliges dokumentiert. Wenn die belangte Behörde aufgrund des bei der Beurteilung nach § 18 Abs. 1 FrG zu berücksichtigenden Gesamt- (Fehl)verhaltens des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Vielzahl der ihm seit seinem erst ca. eineinhalbjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet zur Last fallenden Rechtsbrüche die in der genannten Bestimmung umschriebene Annahme als gerechtfertigt angesehen hat, kann ihr nicht mit Erfolg entgegengetreten werden.

Angesichts der sich im Verhalten des Beschwerdeführers manifestierenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit begegnet es auch keinen Bedenken, wenn die belangte Behörde die Verhängung des Aufenthaltsverbotes trotz des damit verbundenen Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinne des § 19 FrG zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele für dringend geboten erachtet hat. Daran vermag auch der Hinweis des Beschwerdeführers, daß er nunmehr reifer geworden sei und erkannt habe, daß nur ein völlig gesetzeskonformes Leben seinen Verbleib in Österreich garantieren könne und ihm die bisherigen Übertretungen der österreichischen Gesetzesvorschriften leid täten, nichts zu ändern, vermochten doch schon bisher erfolgte Bestrafungen den Beschwerdeführer nicht von weiteren Verfehlungen abzuhalten.

Die von der belangten Behörde im Grunde des § 20 Abs. 1 FrG vorgenommene Interessenabwägung ist gleichfalls nicht als rechtswidrig zu erkennen. Die belangte Behörde berücksichtigte dabei die Bindungen des Beschwerdeführers an seine ebenfalls seit Sommer 1992 in Österreich aufhältigen Eltern als auch zu seiner Lebensgefährtin. Von einer tiefgehenden Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet kann angesichts seines noch nicht zweijährigen Aufenthaltes und der innerhalb dieses erst kurzen Zeitraumes begangenen Delikte nicht gesprochen werden. Wenn die belangte Behörde dabei zum Ergebnis gelangte, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf den Beschwerdeführer und seine Familie aufgrund der von ihm für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehenden Gefahr die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht überwögen, so kann dies nicht als rechtswidrig erkannt werden. Es wurde schon ausgeführt, daß ein Aufenthalt einer Person seit Sommer 1992 in Österreich regelmäßig keinen hohen Grad an Integration bewirken kann. Warum dies im vorliegenden Fall anders gelagert sein soll, kann der Beschwerde nicht entnommen werden. Der in der Beschwerde angeführte Umstand, daß der Beschwerdeführer nunmehr verheiratet sei, ist schon deshalb rechtlich unbeachtlich, weil die belangte Behörde dies zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung nicht berücksichtigen konnte und der Bescheid unter Heranziehung der Sach- und Rechtslage in diesem Zeitpunkt zu überprüfen ist. Den sehr weitwendigen Ausführungen in der Beschwerde, daß der Beschwerdeführer aus Bosnien geflüchtet und dorthin nicht mehr zurückkehren könne, mangelt im gegebenen Zusammenhang die rechtliche Relevanz. Mit dem Aufenthaltsverbot wird nicht eine Abschiebung des Fremden in ein bestimmtes Land angeordnet, sondern ausschließlich das Verbot, sich weiter in Österreich aufzuhalten, ausgesprochen.

Der Beschwerdeführer bekämpft aber mit Recht die Dauer des ausgesprochenen Aufenthaltsverbotes. Die im Gesetz vorgesehene Abstufung nach der Dauer des Aufenthaltsverbotes erfordert notwendigerweise eine Gewichtung der jeweils im Einzelfall herangezogenen Umstände nach ihrem Unrechtsgehalt. Im hier zur Beurteilung anstehenden Fall vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen, warum unter Bedachtnahme auf die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände (§ 21 Abs. 2 FrG) der Wegfall des Grundes für diese Maßnahme unter der Voraussetzung künftigen Wohlverhaltens des Beschwerdeführers erst nach Ablauf der gesetzlichen Höchstdauer von zehn Jahren angenommen werden könne. Die dazu gegebene Begründung der belangten Behörde, die die Geltungsdauer aus der "Gefährlichkeit" des Beschwerdeführers für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ableiten will, ist bei (Gesamt-)Betrachtung und einer an dem Unrechtsgehalt der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Delikte orientierten Wertung nicht überzeugend. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995210135.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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