TE Vwgh Erkenntnis 2022/9/15 Ra 2022/21/0057

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Veröffentlicht am 15.09.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des H K, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 6/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. Jänner 2022, W154 2248310-1/9E, betreffend Festnahme und Anhaltung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Mandatsbescheid vom 24. März 2021 wurde über den Revisionswerber, einen Staatsangehörigen Tunesiens, zur Sicherung des Überstellungsverfahrens nach Rumänien, wo er unter einer Alias-Identität die Gewährung von Asyl beantragt hatte, gemäß Art. 28 der Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 2 Z 3 FPG die Schubhaft angeordnet.

2        Am 26. März 2021 beantragte der Revisionswerber im Stande der Schubhaft nunmehr auch in Österreich die Gewährung von internationalem Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 21. April 2021, bestätigt mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 13. Mai 2022, wurde dieser Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen, festgestellt, dass für die Prüfung dieses Antrags gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d der Dublin III-VO Rumänien zuständig sei, die Außerlandesbringung des Revisionswerbers gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG (nach Rumänien) angeordnet und festgestellt, dass seine Abschiebung dorthin gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei. Eine diesbezüglich erhobene außerordentliche Revision wurde mit dem Beschluss VwGH 4.7.2022, Ra 2022/01/0182, zurückgewiesen.

3        Die Vollstreckung der eben erwähnten, mangels Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im Beschwerdeverfahren durch das BVwG durchführbaren Anordnung zur Außerlandesbringung nach Rumänien vereitelte der Revisionswerber zweimal, nämlich am 18. Juni 2021 und am 16. Juli 2021. Noch am 16. Juli 2021 entließ das BFA den Revisionswerber wegen Wegfalls des Schubhaftgrundes aus der Schubhaft.

4        Der Revisionswerber kam dem ihm zugleich erteilten Auftrag, sich in einer näher bezeichneten, ihm bekanntgegebenen Betreuungsstelle einzufinden bzw. seiner Meldepflicht nach dem Meldegesetz zu entsprechen, nicht nach. Offenbar deshalb verständigte das BFA die Behörden Rumäniens am 26. Juli 2021 davon, dass der Revisionswerber „flüchtig“ sei, und machte hierauf gestützt eine Verlängerung der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 der Dublin III-VO auf 18 Monate geltend. Ebenfalls am 26. Juli 2021 erging gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 BFA-VG unter Hinweis auf den nicht rechtmäßigen Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet ein Festnahmeauftrag.

5        Mit Eingabe vom 26. August 2021 ersuchte ein Mitarbeiter des Vereins S für den Revisionswerber beim BFA „um einen Termin zwecks Ausstellung einer Verfahrenskarte oder eines Screenshots für Anmeldung“. Nachdem der Revisionswerber einen vom BFA als Reaktion hierauf für den 22. September 2021 angesetzten Termin nicht wahrnehmen konnte, wurde zu demselben Zweck ein weiterer Termin für den 16. November 2021 an einer dem Revisionswerber bekannt gegebenen Anschrift des BFA in 1030 Wien vereinbart.

6        Zu diesem Termin erschien der Revisionswerber in Begleitung seiner österreichischen Lebensgefährtin (nunmehr Ehefrau), die dem Revisionswerber (laut einer aktenkundigen, mit 16. November 2021 datierten Bestätigung) auch schriftlich ein Wohnrecht in ihrer Eigentumswohnung eingeräumt hatte.

7        Dessen ungeachtet wurde der Revisionswerber im Gebäude des BFA in 1030 Wien nach einer von zuvor verständigten Sicherheitsorganen der LPD Wien vorgenommenen Identitätsfeststellung aufgrund des erwähnten Festnahmeauftrages gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG um 9:30 Uhr festgenommen und über Auftrag des kontaktierten Journalreferenten des BFA in das polizeiliche Anhaltezentrum in 1080 Wien überstellt. Dort wurde er dann von Organen des BFA um 16:00 Uhr niederschriftlich befragt. Nachdem seine im Zuge dieser Einvernahme getätigten Angaben insbesondere zur aktuellen Wohnmöglichkeit bei seiner österreichischen Lebensgefährtin (durch telefonische Rückfrage bei ihr) verifiziert worden waren, wurde der Revisionswerber noch am 16. November 2021 um 19:00 Uhr aus der polizeilichen Anhaltung entlassen. Unter einem wurde über ihn gemäß § 77 FPG das gelindere Mittel einer näher umschriebenen Meldeverpflichtung bei einer Polizeistation angeordnet.

8        Mit Schriftsatz vom 16. November 2021 erhob der anwaltlich vertretene Revisionswerber eine Maßnahmenbeschwerde mit dem Antrag, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Festnahme vom selben Tag und die darauffolgende Anhaltung für rechtswidrig zu erklären.

9        In der Beschwerde machte der Revisionswerber geltend, dass er seit der erwähnten Entlassung aus der Schubhaft (am 16. Juli 2021) versucht habe, „einen Meldezettel zu machen“. Beim Meldeamt sei er jedoch „abgewiesen“ worden, weil er keinen Ausweis habe. Weiters verwies er auf seine Lebensgefährtin, eine österreichische Staatsbürgerin, mit der er zusammenwohne und die „freizügigkeitsberechtigt“ sei, weil sie im Zeitraum von 2010 bis 2012 in Rumänien sowie in den Jahren 2018 und 2019 in England beruflich tätig gewesen sei.

Mit seiner Lebensgefährtin habe er „den Hilfsverein S“ aufgesucht, wo ihm - um für die Behörden „greifbar“ zu sein - eine polizeiliche Meldung nahegelegt und mitgeteilt worden sei, dass er „dies mit einem Screenshot vom BFA machen könnte“. Aufgrund dessen sei es zu den dargestellten Terminvereinbarungen mit dem BFA gekommen. Beim zweiten Termin am 16. November 2021 sei der Revisionswerber umgehend festgenommen worden, obwohl seine Lebensgefährtin für ihn interveniert und seine Absicht, „gerade eben einen Meldezettel zu machen“, damit er „jederzeit greifbar“ sei, deutlich kundgetan habe. Sie habe auch die (gemeinsame) Adresse bekanntgegeben, an der er sich aufhalten würde. Dies alles sei jedoch vergebens gewesen, er sei dennoch von den Polizisten abgeführt worden.

Tatsächlich sei die bekämpfte Maßnahme nicht nötig gewesen, weil er sich gerade mit seinem Wohnsitz habe anmelden wollen. Überdies komme ihm aufgrund seiner Lebensgemeinschaft mit einer freizügigkeitsberechtigten österreichischen Staatsbürgerin ein Aufenthaltsrecht zu; jedenfalls hätte ihm die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, einen Antrag zur Legalisierung seines Aufenthalts zu stellen.

10       Mit dem angefochtenen - ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung ergangenen - Erkenntnis vom 27. Jänner 2022 wies das BVwG die Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 iVm § 34 Abs. 1 Z 2 und § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG ab und traf diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenaussprüche. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

11       Das BVwG verwies in seiner rechtlichen Beurteilung zunächst darauf, dass der Revisionswerber bei seinen niederschriftlichen Einvernahmen am 24. und 26. März 2021 ausdrücklich angegeben habe, im Bundesgebiet keine Familienangehörigen und keine Personen zu haben, zu denen eine besonders enge Beziehung bestehe; es gebe nur Freunde. Nach der Entlassung aus der Schubhaft am 16. Juli 2021 sei der Revisionswerber seinen Meldeverpflichtungen nicht nachgekommen, habe keinerlei Kontakte im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht mit dem BFA gesucht und er sei bis 16. November 2021 für die Behörde nicht greifbar gewesen. Eine Anmeldung bei der Meldebehörde sei nicht erfolgt, sodass das BFA zu Recht zunächst von der Gefahr des Untertauchens und der Notwendigkeit einer Anhaltung bis zur „Klärung der geänderten Umstände“ habe ausgehen können, zumal sich der Revisionswerber im Vorfeld äußerst unkooperativ verhalten habe. Diesbezüglich führte das BVwG das ursprüngliche Auftreten unter einer Alias-Identität und die zweimalige Vereitelung seiner Überstellung nach Rumänien ins Treffen. Das BVwG verkenne nicht, dass sich eine „Meldung im ZMR“ - so wurde eingeräumt - ohne entsprechende Personaldokumente „schwierig gestalten kann“, es sei aber doch der Ansicht des BFA in der Stellungnahme zur Beschwerde zu folgen, dass der Revisionswerber zumindest verpflichtet gewesen wäre, die geänderten Umstände (Unterkunftnahme bei seiner Lebensgefährtin) dem BFA umgehend bekannt zu geben und deshalb Kontakt mit dem BFA aufzunehmen. Noch am Tag seiner Festnahme am 16. November 2021 sei der Revisionswerber vom BFA zwecks allfälliger Schubhaftverhängung niederschriftlich einvernommen und - nachdem telefonisch habe verifiziert werden können, dass er tatsächlich mittlerweile über eine Unterkunft bei seiner österreichischen Lebensgefährtin verfüge - nach Verhängung des gelinderen Mittels ohnehin um 19:00 Uhr entlassen worden. Es sei nicht ersichtlich, dass es dabei zu Verzögerungen gekommen sei. Die Dauer der Anhaltung begegne daher auch keinen Bedenken.

12       Die beantragte mündliche Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben können, weil der Sachverhalt bereits aufgrund der Aktenlage und des Inhalts der Beschwerde geklärt gewesen sei und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf maßgebliche Sachverhaltselemente nicht vorgelegen seien.

13       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

14       Die Revision erweist sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt, weil das BVwG - wie in der Zulässigkeitsbegründung der Revision aufgezeigt wird - von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, indem es von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen hat.

15       Nach dem Akteninhalt hat das BFA am 16. Juli 2021 gegen den Revisionswerber wegen dessen nicht rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 BFA-VG einen Festnahmeauftrag erlassen, weil es ihn offenbar mangels Bestehens einer aufrechten gemeldeten Adresse als „flüchtig“ angesehen hat. Beginnend mit 26. August 2021 hat der Revisionswerber jedoch nach der Aktenlage und entgegen der Annahme des BVwG - wie oben in Rn. 5 dargestellt - von sich aus Kontakt mit dem BFA zum Zweck der Veranlassung seiner polizeilichen Meldung aufgenommen. Vor seiner Festnahme hat er überdies auf seine österreichische Lebensgefährtin und auf die Wohnmöglichkeit bei ihr verwiesen. Bei Zutreffen dieses Vorbringens in der Beschwerde wäre daher vom Wegfall des Festnahmegrundes auszugehen gewesen. Bei dieser Ausgangslage hätte aber auch nicht ohne Weiteres angenommen werden können, der Revisionswerber hätte freiwillig nicht auch eine andere Dienststelle des BFA (in 1080 Wien) aufgesucht, zu der er dann nach der Festnahme von zu diesem Zweck herbeigeholten Sicherheitsorganen iSd § 40 Abs. 1 BFA-VG überstellt wurde. Ebenso ist nach dem Inhalt der vorgelegten Akten kein Grund ersichtlich, weshalb die später vorgenommene Verifizierung des Wohnortes des Revisionswerbers bei der ihn begleitenden Lebensgefährtin nicht unverzüglich und noch vor der Festnahme möglich gewesen wäre.

16       Unbeschadet der Ergebnisse einer näheren Prüfung des vom Revisionswerber erstatteten Vorbringens ist somit auf Basis der derzeitigen Aktenlage, entgegen der der angefochtenen Entscheidung offenbar zugrundeliegenden Ansicht des BVwG, nicht ersichtlich, dass mit gutem Grund die Annahme berechtigt gewesen wäre, die Festnahme und Anhaltung des freiwillig vorsprechenden Revisionswerbers zum Zweck der Vorführung vor eine andere Dienststelle des BFA wäre notwendig und verhältnismäßig gewesen (vgl. zu diesen Gesichtspunkten näher VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0290, Rn. 37 iVm Rn. 40, unter Hinweis auf VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0063).

17       Der Verwaltungsgerichtshof verkennt nicht das vom BVwG als auch maßgeblich erachtete unkooperative Verhalten des zunächst unter einer Alias-Identität auftretenden und seine Abschiebung nach Rumänien zweimal vereitelnden Revisionswerbers. Diese bereits einige Zeit zurückliegenden Umstände bieten aber angesichts der danach erfolgten Beendigung der Schubhaft durch das BFA und vor allem unter Berücksichtigung der zuletzt gezeigten Kooperationsbereitschaft durch die zweimalige Terminvereinbarung und die aus Eigenem unter Begleitung seiner österreichischen Lebensgefährtin erfolgte Vorsprache beim BFA (in der Dienststelle in 1030 Wien) keinen tauglichen Grund dafür, Sicherheitswachebeamte herbeizurufen, um ihn gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG zum Zweck der Vorführung vor das BFA festzunehmen und an eine andere Dienststelle dieser Behörde (in 1080 Wien) zu überstellen. Angesichts des zuletzt vom Revisionswerber gezeigten Verhaltens wäre in diesem Fall vielmehr der im Regelfall gebotene Weg nahegelegen, den Revisionswerber zur Vorsprache an dem vom BFA gewünschten Ort aufzufordern (vgl. in diesem Sinn VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0063, Rn. 15).

18       Nach dem Gesagten hätte insgesamt jedenfalls nicht von einem nicht weiter klärungsbedürftigen, also gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG zum Absehen von der beantragten mündlichen Verhandlung berechtigenden Fall ausgegangen werden dürfen. Das angefochtene Erkenntnis ist daher mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

19       Von der Durchführung der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.

20       Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, wobei vom Vorliegen lediglich eines mit Beschwerde bekämpften Verwaltungsaktes auszugehen war (vgl. dazu aus der ständigen Judikatur etwa VwGH 25.6.2020, Ra 2020/14/0178, Rn. 12, mwN).

Wien, am 15. September 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022210057.L00

Im RIS seit

12.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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