TE Vwgh Erkenntnis 2022/3/23 Ra 2020/06/0156

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Veröffentlicht am 23.03.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
40/01 Verwaltungsverfahren
96/02 Sonstige Angelegenheiten des Straßenbaus

Norm

BStMG 2002 §10
BStMG 2002 §10 Abs1
BStMG 2002 §11
BStMG 2002 §11 Abs1
BStMG 2002 §11 Abs6
BStMG 2002 §14
BStMG 2002 §16
BStMG 2002 §16b
BStMG 2002 §20 Abs1
BStMG 2002 §20 Abs2
BStMG 2002 §20 Abs3
BStMG 2002 §8
BStMG 2002 §8 Abs2
B-VG Art18 Abs2
MautO Vignette Autobahnen Schnellstraßen 2019
MautO Vignette Autobahnen Schnellstraßen 2019 Pkt1 Pkt7
VStG §22
VStG §22 Abs2
VStG §5 Abs1
VwRallg

Beachte


Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ra 2020/06/0319 E 20.04.2022
Ra 2020/06/0330 E 28.04.2022
Ra 2021/06/0238 E 28.04.2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma, die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Rehak, den Hofrat Mag. Haunold sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 21. April 2020, 1. LVwG-400435/2/Gf/RoK, 2. LVwG-400436/2/Gf/RoK und 3. LVwG-400437/2/Gf/RoK, betreffend Übertretung des Bundesstraßen-Mautgesetzes 2002 (mitbeteiligte Partei: E Z in H, vertreten durch Dr. Edmund Kitzler und Mag. Martin Wabra, Rechtsanwälte in 3950 Gmünd, Stadtplatz 43), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit drei Straferkenntnissen der Bezirkshauptmannschaft L-L (Amtsrevisionswerberin) je vom 11. Februar 2020 wurde der Mitbeteiligte jeweils einer Übertretung der §§ 10 Abs. 1 und 11 Abs. 1 in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 (BStMG) schuldig erkannt und über ihn gemäß § 20 Abs. 1 leg. cit. jeweils eine Geldstrafe in der Höhe von € 300,- (Ersatzfreiheitsstrafe je ein Tag und neun Stunden) verhängt. Dem Mitbeteiligten wurde zur Last gelegt, er habe am 2. Mai 2019, am 7. Mai 2019 und am 15. Mai 2019 jeweils ein näher bezeichnetes Kraftfahrzeug mit einem Gesamtgewicht von nicht mehr als 3,5 Tonnen auf dem mautpflichtigen Straßennetz gelenkt, ohne zuvor die zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG) den gegen diese Straferkenntnisse erhobenen Beschwerden des Mitbeteiligten insofern Folge, als es die beiden Straferkenntnisse, die die Tatzeitpunkte 2. Mai 2019 und 7. Mai 2019 betrafen, ersatzlos aufhob und den Spruch jenes Straferkenntnisses, das den Tatzeitpunkt 15. Mai 2019 betraf, dahingehend abänderte, dass er neben der Nutzung des mautpflichtigen Straßennetzes ohne ordnungsgemäße Entrichtung der zeitabhängigen Maut am 15. Mai 2019 auch jene am 2. Mai 2019 und am 7. Mai 2019 zu enthalten habe (I.). Zudem setzte das LVwG die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens mit EUR 30,- fest und sprach aus, dass der Mitbeteiligte gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG keinen Beitrag zu den Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu leisten habe (II.); eine ordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig (III.).

3        Begründend führte das LVwG zusammengefasst aus, der Mitbeteiligte habe am 2., 7. und 15. Mai 2019 jeweils das mautpflichtige Straßennetz genutzt, ohne eine gültige Klebevignette angebracht oder eine digitale Vignette registriert zu haben. Der Mitbeteiligte habe nicht nachweisen können, eine digitale Vignette für sein Fahrzeug erworben zu haben, zumal die Vorlage einer Quittung, aus der nicht klar hervorgehe, für welches Fahrzeug die elektronische Vignette registriert worden sei, für einen derartigen Nachweis ungeeignet sei. Der Mitbeteiligte habe in näher angeführten Zeiträumen zwischen Jänner 2019 und Juni 2019 wiederholt sowohl Zehntages- als auch Zweimonatsvignetten erworben. Da der Mitbeteiligte das mautpflichtige Straßennetz offenbar regelmäßig genutzt, die geschuldete Maut jedoch nicht im Ganzen entrichtet habe, sei er zu besonderer Aufmerksamkeit verpflichtet gewesen, ob die elektronische Registrierung seines Kennzeichens auch für den Zeitraum von 12. April bis 11. Juni 2019 ordnungsgemäß erfolgt sei, zumal die Registrierung in einer Tabaktrafik erfolgt sei. Da sich der Mitbeteiligte nicht von der Ordnungsgemäßheit des Erwerbsvorganges vergewissert habe, habe er objektiv sorgfaltswidrig und schuldhaft gehandelt; seine Strafbarkeit sei daher gegeben.

4        Die Nutzung der mautpflichtigen Autobahnen ohne gültige Vignette an drei Tagen im Mai 2019 stelle eine Reihe rechtswidriger Einzelhandlungen dar, die aufgrund der Gleichartigkeit der Begehungsform und der Ähnlichkeit der äußeren Begleitumstände im Rahmen eines noch erkennbaren zeitlichen Zusammenhangs sowie einer gesamtheitlichen Sorgfaltswidrigkeit des Täters zu einer Einheit zusammentreten würden. Der Mitbeteiligte habe die zeitabhängige Maut durch Aufkleben einer Vignette oder durch eine digitale Registrierung seines Kennzeichens geschuldet, weshalb, anders als bei einem LKW-Lenker, keine spezielle Verpflichtung bestanden habe, sich vor, während und nach der Fahrt hinsichtlich der Funktionsfähigkeit elektronischer Mautabbuchungsgeräte zu vergewissern. Es liege somit ein fahrlässig begangenes fortgesetztes Delikt vor.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, in welcher eine Entscheidung in der Sache selbst, in eventu die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes begehrt wird.

6        Der Mitbeteiligte erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung, in der er die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8        In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird zusammengefasst ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob es sich bei einer mehrmaligen Nutzung des mautpflichtigen Straßennetzes ohne ordnungsgemäße Entrichtung der zeitabhängigen Maut um ein fortgesetztes Delikt handle, gerügt (Verweis auf VwGH 29.5.2019, Ra 2017/06/0190 und 25.1.2018, Ra 2016/06/0025).

9        Die Revision ist im Sinne ihres Zulässigkeitsvorbringens zulässig und auch begründet.

10       Das BStMG, BGBl. I Nr. 109/2002 idF BGBl. I Nr. 82/2007 (§ 8, § 10 und § 16), BGBl. I Nr. 99/2013 (§ 20), BGBl. I Nr. 65/2017 (§ 11 und § 16b) und BGBl. I Nr. 37/2018 (§ 14) lautet (auszugsweise):

Pflichten der Fahrzeuglenker und Arbeitgeber

§ 8. (1) Soweit Lenker nicht von anderen in der Mautordnung vorgesehenen Formen der Mautentrichtung Gebrauch machen, haben sie vor der Benützung von Mautstrecken ihr Fahrzeug mit Geräten zur elektronischen Entrichtung der Maut auszustatten.

(2) Sie haben sich bei Verwendung von Geräten zur elektronischen Entrichtung der Maut vor, während und nach jeder Fahrt auf Mautstrecken der Funktionsfähigkeit dieser Geräte zu vergewissern und Funktionsstörungen unverzüglich zu melden, die Anzahl der Achsen ihres Fahrzeuges und - mit Ausnahme des Falles gemäß § 9 Abs. 3 letzter Satz - des von diesem gezogenen Anhängers auf dem Gerät zur elektronischen Entrichtung der Maut einzustellen und Nachweise mitzuführen, die eine Zuordnung des Fahrzeuges zu einer Tarifgruppe gemäß § 9 Abs. 5 und 6 ermöglichen.

(3) Die näheren Bestimmungen über die Pflichten der Fahrzeuglenker sind in der Mautordnung zu treffen.

(4) Arbeitgeber haben die von ihnen beschäftigten Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnliche Personen, sofern sie diese zu Fahrten auf Mautstrecken veranlassen, über den ordnungsgemäßen Einsatz des Gerätes zur elektronischen Entrichtung der Maut zu informieren. Arbeitnehmerähnlich sind Personen, die, ohne in einem Arbeitsverhältnis zu stehen, im Auftrag und für Rechnung bestimmter Personen Arbeit leisten und wirtschaftlich unselbständig sind.“

3. Teil

Zeitabhängige Maut

Mautpflicht

§ 10. (1) Die Benützung von Mautstrecken mit einspurigen Kraftfahrzeugen und mit mehrspurigen Kraftfahrzeugen, deren höchstes zulässiges Gesamtgewicht nicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt, unterliegt der zeitabhängigen Maut.

[...]“

Mautentrichtung

§ 11. (1) Die zeitabhängige Maut ist vor der Benützung von Mautstrecken durch Anbringen einer Klebevignette am Fahrzeug oder durch Registrierung des Kennzeichens des Fahrzeugs im Mautsystem der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (digitale Vignette) zu entrichten.

(2) Die Jahresvignette hat eine Gültigkeit von einem Kalenderjahr und berechtigt zur Benützung aller Mautstrecken auch im Dezember des Vorjahres und im Jänner des Folgejahres. Die Zweimonatsvignette berechtigt zur Benützung aller Mautstrecken im Zeitraum von zwei Monaten. Die Gültigkeit endet mit Ablauf jenes Tages, der durch sein Tagesdatum dem ersten Gültigkeitstag entspricht. Fehlt dieser Tag im zweiten Monat, so endet die Gültigkeit mit Ablauf des letzten Tages dieses Monats. Die Zehntagesvignette berechtigt zur Benützung aller Mautstrecken während zehn aufeinanderfolgender Kalendertage.

[...]

(4) Wird eine am Fahrzeug angebrachte Klebe-Jahresvignette infolge Scheibenbruchs, Zerstörung des Fahrzeuges oder aus vergleichbaren Gründen unbrauchbar, so ist der Zulassungsbesitzer zum Bezug einer Ersatzklebevignette oder zur Registrierung des Kennzeichens des Fahrzeuges im Mautsystem (digitale Jahresvignette) berechtigt. Die Ersatzklebevignette ist vor der nächsten Benützung von Mautstrecken auf dem Fahrzeug anzubringen. Die Registrierung muss vor der nächsten Benützung von Mautstrecken erfolgt sein.

(5) Wird eine digitale Jahresvignette infolge Diebstahls des Fahrzeuges, Verlegung des dauernden Standorts in den örtlichen Wirkungsbereich einer anderen Behörde oder aus vergleichbaren Gründen unbrauchbar, so ist der Zulassungsbesitzer berechtigt, die Umregistrierung der digitalen Jahresvignette auf das ihm neu zugewiesene Kennzeichen zu beantragen. Die Umregistrierung muss vor der nächsten Benützung von Mautstrecken erfolgt sein.

(6) Die näheren Bestimmungen über die Beschaffenheit der Klebevignetten, über ihre Anbringung an den Fahrzeugen, über das Mitführen der Klebevignetten an Stelle der Anbringung, über Ersatzklebevignetten, über die Registrierung des Kennzeichens des Fahrzeugs im Mautsystem und über die Umregistrierung digitaler Jahresvignetten sind in der Mautordnung zu treffen. [...]

[...]“

4. Teil

Mautordnung und Datenverarbeitung

Erlassung

§ 14. (1) Die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft hat Bestimmungen über die Benützung der Mautstrecken festzulegen (Mautordnung).

(2) Die Mautordnung bedarf der Genehmigung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die Mautordnung den gesetzlichen Vorschriften entspricht und wenn sie den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit nicht zuwiderläuft.“

Verlautbarung

§ 16. (1) Die Mautordnung ist von der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft im Internet unter der Adresse www.asfinag.at zu verlautbaren und muss frei von Sondergebühren jederzeit ohne Identitätsnachweis zugänglich sein.

(2) Die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft hat die Mautordnung auf Verlangen jedermann gegen angemessenen Kostenersatz zuzusenden.“

Vignettenevidenz

§ 16b. (1) Jedermann kann durch Eingabe eines Kennzeichens in die von der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft zu führende Vignettenevidenz im Internet kostenlos abfragen, ob ein Fahrzeug über eine digitale Vignette oder über eine digitale Streckenmautberechtigung verfügt und für welche Zeiträume sie gelten.

[...]“

6. Teil

Strafbestimmungen

Mautprellerei

§ 20. (1) Kraftfahrzeuglenker, die Mautstrecken benützen, ohne die nach § 10 geschuldete zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben, begehen eine Verwaltungsübertretung und sind mit Geldstrafe von 300 € bis zu 3000 € zu bestrafen.

(2) Kraftfahrzeuglenker, die Mautstrecken benützen, ohne die nach § 6 geschuldete fahrleistungsabhängige Maut ordnungsgemäß zu entrichten, begehen eine Verwaltungsübertretung und sind mit Geldstrafe von 300 € bis zu 3000 € zu bestrafen.

(3) Zulassungsbesitzer, die den Nachweis über die Zuordnung des Fahrzeuges zur erklärten EURO-Emissionsklasse nicht fristgerecht nachholen und dadurch die nicht ordnungsgemäße Entrichtung fahrleistungsabhängiger Maut für die Benützung von Mautstrecken verursachen, begehen eine Verwaltungsübertretung und sind mit Geldstrafe von 300 € bis 3 000 € zu bestrafen.

[...]“

11       Die auf Grundlage der §§ 14ff BStMG erlassene Mautordnung (Version 54, gültig ab 1. Jänner 2019), Zl. 325.009/1-I/K2-2003 in der Fassung 323.540/0081-I/K2/2018, führt zu den Mitwirkungspflichten (Pkt. 1.7) Folgendes aus:

„Vor dem Befahren des mautpflichtigen Straßennetzes hat sich der Lenker eines mautpflichtigen Kraftfahrzeugs zu vergewissern, dass die zeitabhängige Maut für den Zeitraum der beabsichtigen Nutzung des mautpflichtigen Straßennetzes (vorab) ordnungsgemäß entrichtet wurde. Dies beinhaltet jedenfalls die Überprüfung, ob die Maut mit der dem Kraftfahrzeug entsprechende Vignettenart ordnungsgemäß entrichtet wurde.

Bei Verwendung der Klebevignette hat überdies eine Sichtprüfung insbesondere hinsichtlich Art und Ort der Anbringung der Klebevignette [...], hinsichtlich ihrer „Unversehrtheit“ sowie hinsichtlich ihrer Sicht- und Kontrollierbarkeit zu erfolgen.

Bei Verwendung der Digitalen Vignette hat jedenfalls eine Abfrage des Kraftfahrzeugkennzeichens in der Vignettenevidenz [...] unmittelbar vor Nutzung des mautpflichtigen Straßennetzes zu erfolgen, welche Aufschluss darüber gibt, ob ein Kraftfahrzeug über eine gültige Digitale Vignette verfügt und für welchen Zeitraum diese gilt (bzw. gelten, sofern das Kraftfahrzeug über mehrere Digitale Vignetten verfügt).

Darüber hinaus hat jeder Kraftfahrzeuglenker gemäß § 102 Abs 2 KFG sicherzustellen, dass während der Fahrt das behördliche Kennzeichen des mautpflichtigen Kraftfahrzeugs dauerhaft und vollständig sichtbar und nicht durch Verschmutzung, Schneebelag, Beschädigung oder Verformung unlesbar ist.

Sollte die zeitabhängige Maut nicht ordnungsgemäß vorab entrichtet worden sein, hat der Kraftfahrzeuglenker von seiner Absicht, das mautpflichtige Straßennetz zu befahren, Abstand zu nehmen. Andernfalls wird der Tatbestand der Mautprellerei [...] verwirklicht.“

12       Für das Verwaltungsstrafverfahren gilt beim Zusammentreffen mehrerer Verwaltungsübertretungen, anders als im gerichtlichen Strafverfahren, nach § 22 Abs. 2 erster Satz VStG das Kumulationsprinzip. Demnach ist grundsätzlich jede gesetzwidrige Einzelhandlung, durch die der Tatbestand verwirklicht wird, als Verwaltungsübertretung zu bestrafen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nach der ständigen hg. Rechtsprechung unter anderem beim sogenannten fortgesetzten Delikt (vgl. aus vielen etwa VwGH 21.4.2021, Ra 2020/02/0252, mwN). Ein fortgesetztes Delikt liegt vor, wenn eine Reihe von Einzelhandlungen von einem einheitlichen Willensentschluss umfasst war und wegen der Gleichartigkeit ihrer Begehungsform sowie der äußeren Begleitumstände im Rahmen eines erkennbaren zeitlichen Zusammenhangs zu einer Einheit zusammentraten (vgl. nochmals VwGH 21.4.2021, Ra 2020/02/0252, oder auch VwGH 14.9.2020, Ra 2020/02/0103 und 0104, jeweils mwN).

13       Hinsichtlich der dem Mitbeteiligten im Revisionsfall angelasteten fahrlässigen Begehung der verfahrensgegenständlichen Verwaltungsübertretungen ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach ein fortgesetztes Delikt grundsätzlich auch im Bereich der Fahrlässigkeitsdelinquenz gegeben sein kann (vgl. dazu grundlegend VwGH 3.5.2017, Ra 2016/03/0108, sowie 25.1.2018, Ra 2016/06/0025).

14       Im zuletzt genannten Erkenntnis vom 25. Jänner 2018, Ra 2016/06/0025, hat sich der Verwaltungsgerichtshof ausführlich mit der Frage, ob hinsichtlich der nicht ordnungsgemäßen Entrichtung der fahrleistungsabhängigen Maut gemäß § 20 Abs. 2 BStMG von einem fortgesetzten Delikt auszugehen ist, auseinandergesetzt und zusammengefasst ausgeführt, dass fallbezogen vom Vorliegen mehrerer Verwaltungsübertretungen auszugehen sei, die nicht zu einem fortgesetzten Delikt zusammenzufassen seien. Auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

15       Das LVwG hält dieser Rechtsprechung im angefochtenen Erkenntnis entgegen, sie sei auf eine Übertretung des § 20 Abs. 1 BStMG (wie hier gegenständlich), der die nicht ordnungsgemäße Entrichtung der zeitabhängigen Maut unter Strafe stelle, nicht übertragbar. Es bestünde in diesem Bereich nämlich keine mit den Pflichten eines Lenkers eines Kraftfahrzeuges mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen vergleichbare spezielle Kontrollverpflichtung.

16       Diese Rechtsansicht vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu teilen:

17       Wenngleich das BStMG selbst in seinem die zeitabhängige Maut regelnden 3. Teil (§§ 10ff) keine mit § 8 Abs. 2 leg. cit. (vgl. dazu erneut VwGH 25.1.2018, Ra 2016/06/0025, Rz 13) vergleichbare Bestimmung enthält, die den Lenker zur Kontrolle der elektronischen Mautgeräte „vor, während und nach jeder Fahrt“ verpflichtet, kann dennoch nicht gesagt werden, dass - fallbezogen relevant - den Lenker eines mehrspurigen Kraftfahrzeuges mit einem Gesamtgewicht von nicht mehr als 3,5 Tonnen keine Verpflichtung treffen würde, sich über die ordnungsgemäße Entrichtung der zeitabhängigen Maut vor Antritt jeder Fahrt, im Zuge derer eine mautpflichtige Straße benützt wird, zu vergewissern.

18       Die Gesetzesmaterialien zu § 8 BStMG (ErläutRV 1139 BlgNR 21. GP, 17) führen zur fahrleistungsabhängigen Maut ua. Folgendes aus: „Der Entwurf schlägt vor, die Verhaltenspflichten nicht zur Gänze der Mautordnung vorzubehalten, sondern die wichtigsten Verpflichtungen bereits ins Gesetz aufzunehmen. Zu ihnen zählt für den Fall der Entrichtung der Maut auf elektronischem Wege die Ausrüstung des Fahrzeugs mit einem zugelassenen Gerät, die Pflicht zur Kontrolle seiner Funktionsfähigkeit und die Pflicht zur Meldung von Störungen. Die näheren Bestimmungen sind wiederum der Mautordnung vorbehalten. [...]“.

19       Für den Bereich der fahrleistungsabhängigen Maut hat der Gesetzgeber damit die Pflichten der Fahrzeuglenker von mehrspurigen Kraftfahrzeugen, deren höchstes zulässiges Gesamtgewicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt, zum Teil direkt im BStMG geregelt, zum Teil der Mautordnung vorbehalten.

20       Im Bereich der hier in Rede stehenden zeitabhängigen Maut ergeben sich die verfahrensrelevanten Verpflichtungen des Lenkers eines mehrspurigen Kraftfahrzeuges mit einem Gesamtgewicht von nicht mehr als 3,5 Tonnen aus der nach § 14 ff leg. cit. zu erlassenden Mautordnung (vgl. oben Rz 10).

21       Nach § 11 Abs. 6 BStMG sind auch die näheren Bestimmungen unter anderem über die Anbringung der Klebevignette an den Fahrzeugen oder die Registrierung des Kennzeichens des Fahrzeugs im Mautsystem in der Mautordnung zu treffen.

22       Zur Rechtsnatur der auf Grundlage des Bundesstraßenfinanzierungsgesetzes erlassenen Mautordnung hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass diese als Durchführungsverordnung im Sinne des Art. 18 Abs. 2 B-VG zu qualifizieren ist (VwGH 20.9.2001, 2001/06/0096 oder auch 18.6.2003, 2001/06/0173). Diese Rechtsprechung ist auf die nunmehrige auf Grundlage des BStMG erlassene Mautordnung übertragbar; auch die auf Grundlage des BStMG erlassene Mautordnung (in ihrer jeweiligen Fassung) trifft für den allgemein bestimmten Adressatenkreis der Benützer von mautpflichtigen Straßen unmittelbar verbindliche Regelungen; die Tatsache, dass nach der nunmehrigen Rechtslage die Mautordnung im Internet auf der Homepage der ASFINAG kundzumachen (sowie jedermann auf Verlangen gegen angemessenen Kostenersatz zuzusenden) ist (vgl. § 16 BStMG), schadet dabei nicht, da sie auch dadurch ein solches Maß an Publizität erlangt, dass sie damit in die Rechtsordnung Eingang findet (vgl. in diesem Sinne etwa VfGH 5.10.2016, V 77/2015, VfSlg. 20080/2016, Pkt. 1.2.2.1.; zur hinreichenden Determinierung der Mautprellerei durch die Mautordnung vgl. VfSlg. 19.626/2012).

23       Die Mautordnung in der vorliegend anwendbaren Fassung (Version 54) legt, wie dargestellt, unter Punkt „1.7 Mitwirkungspflichten“ ausdrücklich fest, dass sich der Lenker eines mautpflichtigen Kraftfahrzeugs vor dem Befahren des mautpflichtigen Straßennetzes zu vergewissern hat, dass die zeitabhängige Maut für den Zeitraum der beabsichtigen Nutzung des mautpflichtigen Straßennetzes (vorab) ordnungsgemäß entrichtet wurde. Im Zusammenhang mit der Verwendung einer - wie hier - digitalen Vignette hat dabei jedenfalls eine Abfrage des Kraftfahrzeugkennzeichens in der Vignettenevidenz (die Aufschluss darüber gibt, ob ein Kraftfahrzeug über eine gültige digitale Vignette verfügt und für welchen Zeitraum diese gilt) unmittelbar vor Nutzung des mautpflichtigen Straßennetzes zu erfolgen.

24       Betreffend die angesprochene „Vignettenevidenz“ wird in den Materialien (ErläutRV 1587 25. GP, 5) zu § 16b BStMG Folgendes festgehalten:

„Der vorgeschlagene § 16b erlaubt jedermann die Abfrage in einem öffentlich einsehbaren Register, ob für ein bestimmtes Kennzeichen eine digitale Vignette (bzw. eine Berechtigung zur Benützung einer Strecke, auf der Streckenmaut erhoben wird) gelöst wurde oder eine bedingte Umregistrierung einer digitalen Jahresvignette erfolgte und für welche (auch in der Zukunft liegende) Zeiträume sie gegebenenfalls gelten. Ohne diese Einsichtsmöglichkeit könnten Lenker nicht überprüfen, ob sie mit ihrem Fahrzeug Bundesstraßen verwenden dürfen. [...]“.

25       Aus dem Gesagten ergibt sich, dass sich der Lenker eines mautpflichtigen Kraftfahrzeuges für den jeweils beabsichtigten Nutzungszeitraum von der ordnungsgemäßen Entrichtung der zeitabhängigen Maut, im Falle der Nutzung einer digitalen Vignette durch eine Abfrage des Kennzeichens in der Vignettenevidenz, unmittelbar vor der Benützung des mautpflichtigen Straßennetzes zu vergewissern hat. Entgegen der Rechtsansicht des LVwG besteht eine „Kontrollpflicht“ somit nicht bloß im Zusammenhang mit der fahrleistungsabhängigen (vgl. dazu erneut VwGH 25.1.2018, Ra 2016/06/0025), sondern auch hinsichtlich der zeitabhängigen Maut.

26       Vor diesem Hintergrund begeht ein Lenker bei jeder Nutzung des mautpflichtigen Straßennetzes ohne ordnungsgemäße Entrichtung der zeitabhängigen Maut eine neuerliche Übertretung des BStMG, da er sich jeweils unmittelbar vor jeder Nutzung des mautpflichtigen Straßennetzes aufs Neue von der ordnungsgemäßen Entrichtung der Maut zu überzeugen hätte. Es kann daher auch im vorliegenden Zusammenhang nicht davon gesprochen werden, die einzelnen Tathandlungen würden zu einer gesamtheitlichen Sorgfaltswidrigkeit zusammentreten.

27       Die im hg. Erkenntnis vom 25. Jänner 2018, Ra 2016/06/0025, zu § 20 Abs. 2 BStMG vertretene Rechtsansicht, es sei bei den nach mehreren Fahrtantritten entstandenen Mautverkürzungen vom Vorliegen mehrerer Verwaltungsübertretungen auszugehen, die nicht zu einem fortgesetzten Delikt zusammenzufassen sind, ist daher auch auf den hier anzuwendenden § 20 Abs. 1 BStMG übertragbar (vgl. in diesem Sinne bereits VwGH 29.5.2019, Ra 2017/06/0190).

28       Deckung findet diese Sichtweise im Übrigen auch in den Gesetzesmaterialien zur Novelle zum BStMG BGBl. I Nr. 99/2013, die auszugsweise zu dem mit der genannten Novelle eingeführten Straftatbestand des § 20 Abs. 3 BStMG Folgendes ausführen (vgl. ErläutRV 2298 BlgNR 24. GP 5):

Im Unterschied zu § 20 Abs. 1 und 2, wo für mehrere Fahrten ohne ordnungsgemäße Mautentrichtung mehrere Verwaltungsstrafen nebeneinander zu verhängen sind, macht sich der Zulassungsbesitzer nach § 20 Abs. 3 selbst dann, wenn mit seinem Fahrzeug innerhalb der Nachweisfrist mehrfach Mautstrecken zu günstigeren Tarifen befahren wurden, wegen Unterlassung des Nachweises nur einmal strafbar“ (Hervorhebung durch den Verwaltungsgerichtshof).“

29       Aus den genannten Gründen geht auch die vom LVwG vertretene Rechtsansicht, eine wiederholte Bestrafung des Mitbeteiligten verstoße gegen das Doppelbestrafungsverbot, ins Leere (vgl. in diesem Sinne etwa VwGH 5.7.2007, 2006/06/0284).

30       Da das LVwG daher in Verkennung der Rechtslage davon ausgegangen ist, es sei hinsichtlich der in Rede stehenden Verwaltungsübertretungen nach den §§ 10 Abs. 1 und 11 Abs. 1 in Verbindung mit § 20 Abs. 1 BStMG von einem fortgesetzten Delikt auszugehen, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 1 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 23. März 2022

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020060156.L00

Im RIS seit

12.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

15.07.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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