TE Vwgh Beschluss 2022/1/20 Ra 2021/19/0302

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Veröffentlicht am 20.01.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §68
BFA-VG 2014 §21 Abs3
BFA-VG 2014 §21 Abs6a
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §33 Abs1
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des J M N in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juli 2021, W172 2134239-3/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

I. Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde bezüglich der Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache wendet, als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 829,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 23. November 2015 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 16. August 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 4. Juli 2019 als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

2        Mit rechtskräftigem Bescheid vom 28. August 2019 erließ das BFA gegen den Revisionswerber neuerlich eine Rückkehrentscheidung, mit der es ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot verband, das durch die Beschwerdevorentscheidung vom 15. Oktober 2019 auf sechs Jahre verkürzt wurde. Ansonsten wurde die dagegen erhobene Beschwerde abgewiesen. Ein Vorlageantrag wurde nicht gestellt.

3        Am 20. Februar 2020 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, dass er im Iran geboren und aufgewachsen sei, Tätowierungen habe und daher nicht nach Afghanistan zurück könne.

4        Mit Bescheid vom 10. Juni 2021 wies das BFA den Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück.

5        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. Begründend führte das BVwG aus, der Revisionswerber habe keinen neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt vorgebracht. Auch würden sich aus den Länderfeststellungen zu Afghanistan keine Gründe für die Annahme ergeben, dass jeder zurückkehrende Staatsangehörige der realen Gefahr einer Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, weshalb von einem Rückführungshindernis im Lichte der Art. 2 und 3 EMRK nicht auszugehen sei. Angesichts der aktuellen Länderberichte sei auch davon auszugehen, dass sich die Lage im Herkunftsstaat seit der Entscheidung im ersten Asylverfahren nicht entscheidungswesentlich verändert habe.

6        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und die gegenständliche außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

7        Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 5. Oktober 2021, E 2996/2021-12, das Erkenntnis des BVwG insoweit, als damit die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 68 Abs. 1 AVG abgewiesen wurde, wegen Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander auf. Im Übrigen lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab.

Zu Spruchpunkt I.

8        Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, die Revision nach dessen Anhörung mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

9        Ein solcher Fall der formellen Klaglosstellung liegt (u.a.) dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung - wie hier - durch den Verfassungsgerichtshof aus dem Rechtsbestand beseitigt wurde. Dem trat der Vertreter des Revisionswerbers auf Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes nicht entgegen.

10       Die Revision war daher - soweit sie sich gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wendet - als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

11       Gemäß § 55 VwGG ist die Frage des Anspruches auf Aufwandersatz dann, wenn der Revisionswerber hinsichtlich einzelner oder aller Revisionspunkte klaglos gestellt wurde, so zu beurteilen, wie wenn er obsiegende Partei im Sinn des § 47 Abs. 2 Z 1 VwGG gewesen wäre. Für jene Fälle, in denen die Klaglosstellung hinsichtlich aller Revisionspunkte innerhalb der vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 4 VwGG oder vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 36 Abs. 1 VwGG gesetzten Frist erfolgte, ist jedoch der Pauschalbetrag für den Ersatz des Schriftsatzaufwandes in der Verordnung gemäß § 49 Abs. 1 VwGG um ein Viertel niedriger festzusetzen als der allein auf Grund dieser Bestimmung für den Ersatz des Schriftsatzaufwandes festzustellende Pauschalbetrag.

12       Im gegenständlichen Fall wurde der Revisionswerber schon vor Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof klaglos gestellt. Dies ist dem in § 55 VwGG geregelten Fall (Klaglosstellung innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 36 Abs. 1 gesetzten Frist) gleichzuhalten (vgl. VwGH 3.9.2020, Ra 2020/19/0135, mwN).

13       Der Aufwandersatz war daher nach dem analog anzuwendenden zweiten Satz des § 55 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 nur im Ausmaß der reduzierten Pauschalsumme zuzuerkennen.

Zu Spruchpunkt II.

14       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

15       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

16       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

17       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit der Sache nach das Fehlen einschlägiger Berichte zu Afghanistan sowie ferner vor, dass im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten das Amtswegigkeitsprinzip gelte und das Verwaltungsgericht verpflichtet gewesen wäre, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen. Das BVwG hätte recherchieren müssen, inwiefern sich die Sicherheitslage verändert habe und welche Konsequenzen dem Revisionswerber bei einer Rückkehr aufgrund seiner Verwestlichung, seiner Tätowierung und seiner Straffälligkeit drohen würden. Darüber hinaus sei nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Das BVwG hätte sich im Rahmen einer mündlichen Verhandlung persönlich einen Eindruck vom Revisionswerber und seinen Tätowierungen verschaffen müssen.

18       Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. VwGH 9.12.2020, Ra 2020/19/0295, mwN). Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 25.3.2021, Ra 2021/20/0062, mwN). Diesen Anforderungen wird die Revision mit ihrem Vorbringen, dass das BVwG durch die Befassung mit einschlägigen Berichten zum Schluss hätte gelangen müssen, dass die Machtübernahme der Taliban in ganz Afghanistan abzusehen gewesen wäre und dem Revisionswerber bei einer Rückkehr aufgrund seiner Tätowierung nunmehr jedenfalls asylrelevante Verfolgung drohen würde, nicht gerecht.

19       Soweit sich die Revision gegen das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung wendet, ist darauf hinzuweisen, dass die Verhandlungspflicht im Zulassungsverfahren - wozu auch Beschwerden gegen eine vor Zulassung des Verfahrens ausgesprochene Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 AVG zählen - besonderen Verfahrensvorschriften, nämlich § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-VG, folgt (vgl. VwGH 18.12.2019, Ra 2019/14/0542, mwN). Dass das BVwG von den dazu in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht im Zulassungsverfahren abgewichen wäre, zeigt die Revision mit ihrem Vorbringen nicht auf. Abgesehen davon hat das BVwG begründet, warum es von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-G ausgegangen ist und deshalb von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat.

20       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher insoweit gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 20. Jänner 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021190302.L00

Im RIS seit

09.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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