TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/24 I401 2245533-1

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Veröffentlicht am 24.08.2021
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Entscheidungsdatum

24.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art134 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch


I401 2245533-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch Dr. Gregor KLAMMER, Rechtsanwalt, Lerchenfelder Gürtel 45/11, 1160 Wien, und Mag. Josef Phillip BISCHOF und Mag. Andreas LEPSCHI, Rechtsanwälte, Währinger Straße 26, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , vom 20.07.2021, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 02.07.2009 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des (damals zuständigen) Bundesasylamtes vom 31.08.2009 wurde dieser Antrag, ohne in die Sache einzutreten, wegen der Zuständigkeit Maltas gemäß § 5 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen. Gegen den Beschwerdeführer wurde die Außerlandesbringung angeordnet und die Abschiebung nach Malta für zulässig erklärt. Der (damals zuständige) Asylgerichtshof wies die Beschwerde gegen diese Entscheidung mit rechtskräftigem Erkenntnis vom 22.09.2009, S5 408.823-1/2009/3E, ab.

Der Beschwerdeführer hat Österreich in der Folge nicht verlassen. Es erfolgte auch keine Außerlandesbringung des Beschwerdeführers nach Malta.

Gegen den Beschwerdeführer wurde wegen mehrerer strafgerichtlicher Verurteilungen ein (unbefristetes) Aufenthaltsverbot erlassen, welches - der neuen Rechtslage entsprechend - bis 13.05.2015 gültig war.

Der von ihm beantragte Aufenthaltstitel nach dem Niederlassung- und Aufenthaltsgesetz wurde nicht erteilt.

Nach niederschriftlicher Einvernahme und der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet) dem Beschwerdeführer mit dem bekämpften Bescheid vom 20.07.2021 keinen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) (Spruchpunkt II.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.), erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.), gewährte gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V.) und erließ gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm mit Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG (Spruchpunkt VI.).

Der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer begründete die erhobene Beschwerde vom 14.08.2021 damit, dass er sich noch immer im Asylverfahren befände und er daher nicht unrechtmäßig aufhältig sei. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sei daher zu Unrecht erfolgt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zunächst wird der oben dargestellte Verfahrensgang als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger, mit einer zum Aufenthalt in Österreich berechtigten nigerianischen Staatsbürgerin verheiratet und hat mit ihr zwei gemeinsame Kinder. Er ist außerdem Vater eines in der Slowakei lebenden Kindes und Stiefvater eines aus einer früheren Beziehung seiner Ehefrau stammenden Kindes.

Er hält sich zumindest seit der Antragstellung auf Zuerkennung internationalen Schutzes im Juli 2009 im Bundesgebiet auf, wobei er zu diesem Zeitpunkt ein jüngeres Geburtsdatum angab. Mittlerweile steht seine Identität fest.

Am 18.07.2009 stimmte die Republik Malta der Rückübernahme des Beschwerdeführers zu. Der Beschwerdeführer reiste jedoch nicht freiwillig aus; es erfolgte auch keine Überstellung nach Malta.

Der Beschwerdeführer befand sich in der Zeit vom 26.07.2009 bis 12.01.2010 (mit einer kurzen Unterbrechung) in verschiedenen Justizanstalten. Im Zeitraum von 13.01.2010 bis 24.10.2017 verfügte er im Bundesgebiet über keine aufrechte Wohnsitzmeldung. Sein genauer Aufenthalt in diesem Zeitraum war unbekannt.

Aktuell lebt er mit seiner Familie im gemeinsamen Haushalt in Wien. Er bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung, geht keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und wurde dreimal strafgerichtlich wegen Suchtgiftdelikten, des Widerstands gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung und Sachbeschädigung verurteilt, zuletzt im Jänner 2010.

2. Beweiswürdigung:

Der Sachverhalt ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Akt des Bundesamtes. Vom Beschwerdeführer wurden diese Feststellungen nicht bestritten und stimmen die Angaben mit den Auszügen aus dem Zentralen Fremdenregister (IZR), Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem (GVS) überein. Ebenso blieben die Feststellungen zum Familienleben, zu den strafgerichtlichen Verurteilungen und dem am 02.07.2009 in Österreich gestellten Asylantrag unbestritten. Auch die Feststellung der Zuständigkeit Maltas und die Ausweisung nach Malta werden vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt.

Aus den letztgenannten, vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszügen ergeben sich auch die Feststellungen zur Identität, wobei ein bis 25.11.2023 gültiger nigerianischer Reisepass im IZR und ZMR angeführt ist (s auch die Kopie des Reisepasses, AS 397), zu den Verfahren zur Erlangung von Aufenthaltstiteln nach dem NAG, zum Nichtbezug von staatlicher Grundversorgung und zu den Wohnsitzmeldungen.

Der Beschwerdeführer gab selbst an, Österreich für Besuche seines Kindes in der Slowakei mehrmals verlassen zu haben (AS 439), bestreitet aber, nach Nigeria oder Malta gereist zu sein (AS 797). Letzteres wurde auch vom Bundesamt festgestellt (AS 726). Die Zustimmung der Republik Maltas für eine Rückübernahme ist aktenkundig (AS 47).

Die strafgerichtlichen Verurteilungen ergeben sich aus den Urteilsausfertigungen im Verwaltungsakt (AS 681 ff und AS 770 ff) sowie aus dem Strafregisterauszug vom 20.08.2021.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

3.1. Rechtsgrundlagen:

§ 10 Abs. 2 AsylG 2005 (in der Fassung BGBl I Nr. 145/2017) lautet:

„Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.“

Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

3.2. Beide Bestimmungen setzen den unrechtmäßigen Aufenthalt des Fremden bzw. des Drittstaatsangehörigen voraus. Dies trifft auf den Beschwerdeführer aus folgenden Gründen jedoch nicht zu:

Der am 02.07.2009 vom Beschwerdeführer gestellte Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid vom 31.08.2009 als unzulässig zurückgewiesen. Es wurde festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages Malta gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 zuständig ist. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Diese Entscheidung wurde mit rechtskräftigem Erkenntnis des Asylgerichtshofs bestätigt. Die Republik Malta stimmte vorher einer Rückübernahme des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 18.07.2009 zu.

Bei der zuvor zitierten Verordnung handelt es sich um die seit März 2003 geltende „Dublin-II-VO“, die Vorgängerregelung der nunmehr seit 19.07.2013 geltenden „Dublin-III-VO“ (Verordnung (EU) Nr. 604/2013).

Aus Artikel 3 Abs. 1 der Dublin-II-VO ergibt sich der Anspruch des Beschwerdeführers auf meritorische Prüfung seines Asylantrages. Malta war zwar (zunächst) für die Prüfung des Asylantrags des Beschwerdeführers zuständig, weshalb dieser zu Recht nach Malta ausgewiesen wurde. Malta stimmte auch der Wiederaufnahme gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-II-VO zu. Für den Fall einer Wiederaufnahme sieht Art. 20 Abs. 2 der Dublin-II-VO Folgendes vor:

„Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, so geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung oder die Prüfung des Antrags aufgrund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist.“

Österreich hat diese normierten Fristen versäumt. Wie festgestellt, reiste der Beschwerdeführer weder freiwillig nach Malta aus, noch erfolgte seine Außerlandesbringung nach Malta. Die in Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO zum Ausdruck gebrachte unionsrechtliche Verpflichtung, „den Antrag“ zu prüfen, war somit nach Ablauf der Überstellungsfristen auf Österreich übergegangen. Damit hatten die österreichischen Behörden über den vom Beschwerdeführer im Juli 2009 gestellten Antrag auf internationalen Schutz meritorisch zu entscheiden (VwGH 16.05.2013, 2012/21/0218, mwN).

3.3. Weder aus dem Auszug aus dem IZR noch aus dem erstinstanzlichen Akt ergibt sich, dass das damals zuständige Bundesasylamt oder das nunmehr zuständige Bundesamt über den am 02.07.2009 gestellten Asylantrag des Beschwerdeführers nach Ablauf der in der Dublin-II-VO festgelegten Fristen entschieden hätte. Auch im bekämpften Bescheid fehlen diesbezügliche Feststellungen. Dafür, dass eine Einstellung des Verfahren nach § 24 AsylG 2005 erfolgte, gibt es keine Hinweise. Eine solche wäre angesichts des sehr langen unbekannten Aufenthalts des Beschwerdeführers von Jänner 2010 bis Oktober 2017 in Betracht gekommen.

Ein möglicher Verlust des Aufenthaltsrechts nach § 13 AsylG 2005 ist dem erstinstanzlichen Akt und dem IZR nicht zu entnehmen und wurde vom Bundesamts auch nicht behauptet. Das Bundesamt hielt ausdrücklich fest, dass ein früheres gegenüber dem Beschwerdeführer (unbefristet) ausgesprochenes Aufenthaltsverbot (nur) bis 13.05.2015 Gültigkeit hatte (AS 726).

Bei einer Gesamtbetrachtung ist der Schluss gerechtfertigt, dass sich der Beschwerdeführer nicht unrechtmäßig in Österreich aufhält. Durch die nach der Verfristung eingetretene Zuständigkeit Österreichs, über den im Juli 2009 gestellten (bis zum gegebenen Zeitpunkt noch nicht erledigten) Asylantrag meritorisch zu entscheiden, war der Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 1 AsylG 2005 zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt.

Die auf § 52 Abs. 1 Z 1 FPG gestützte Rückkehrentscheidung erweist sich daher als verfehlt.

3.4. Des Weiteren steht das offene Asylverfahren der Erlassung einer Rückkehrentscheidung entgegen. Dazu ist auf die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor dem Abspruch über den Antrag auf internationalen Schutz unzulässig ist (VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162). Nach § 10 Abs. 1 AsylG 2005 ist die Rückkehrentscheidung mit der negativen Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz „zu verbinden“. Nach § 52 Abs. 2 FPG 2005 hat sie „unter einem“ zu ergehen. Sie setzt also die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz voraus. Auch dann, wenn ein Rückkehrentscheidungsverfahren - unabhängig vom Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz - bereits anhängig ist, darf die Rückkehrentscheidung (unbeschadet eines allenfalls weiter bestehenden unrechtmäßigen Aufenthalts des Fremden) grundsätzlich nicht vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hält zur weiteren Vorgehensweise in einem solchen Fall explizit fest, dass „[…] ein anhängiges Rückkehrentscheidungsverfahren einzustellen, und eine bereits erlassene erstinstanzliche, mit Beschwerde bekämpfte Rückkehrentscheidung […] vom VwG ersatzlos zu beheben [ist].“

Dem entsprechend, war spruchgemäß zu entscheiden.

4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Im gegenständlichen Fall konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde und dem Folgeantrag geklärt erscheint. Zudem kann gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG eine Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung zur ersatzlosen Behebung von „Rückkehrentscheidungen“ für den Fall eines offenen Asylverfahrens, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

anhängiges Verwaltungsverfahren Asylantragstellung Asylverfahren Aufenthaltstitel aufschiebende Wirkung Behebung der Entscheidung Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Behebung Folgeantrag Fristablauf Gesamtbetrachtung Kassation Mittellosigkeit Rückkehrentscheidung behoben Überstellungsfrist Zeitpunkt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I401.2245533.1.00

Im RIS seit

21.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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