Entscheidungsdatum
08.09.2021Index
41/02 Passrecht FremdenrechtNorm
FrPolG 2005 §120 Abs1bText
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Mag. Dr. Rieser über die Beschwerde des AA, geboren am xx.xx.xxxx, vertreten durch BB, Adresse 1, **** Z, gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol vom 10.09.2020, Zl ***, betreffend eine Verwaltungsübertretung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung,
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren nach dem FPG eingestellt.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Sachverhalt und rechtliche Erwägungen:
Dem Beschwerdeführer wurde von der Landespolizeidirektion Tirol als belangte Behörde im angefochtenen Straferkenntnis Folgendes angelastet:
„1. Datum/Zeit: 20.07.2020, 15:40 Uhr
Ort: **** X, Adresse 2, Ort der Amtshandlung
Sie (gemeint ist AA) sind als Fremder (§ 2 Abs. 4 Z 1 FPG) aus von Ihnen zu vertretenden Gründen nicht unverzüglich Ihrer Pflicht zur Ausreise aus dem Bundesgebiet nachgekommen, nachdem eine gegen Sie erlassene Rückkehrentscheidung (§ 52) rechtskräftig
und durchsetzbar geworden ist und Sie ein Rückkehrberatungsgespräch gern. § 52a Abs. 2 BFAVG in Anspruch genommen haben, und sich daher am 20.07.2020 um 15:40 Uhr in X, Adresse 2, unrechtmäßig aufgehalten haben. Das Rückkehrberatungsgespräch fand am 08.04.2019 statt, Sie sind nicht rückkehrwillig.
Gegen Sie sprach das BFA RD Tirol eine Rückkehrentscheidung (iVm Einreiseverbot) aus, rechtskräftig in 2. Instanz (Bestätigung der BVA-Entscheidung - § 28 Abs 2 VwGVG) seit 10.11.2017.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:
1. § 120 Abs. 1 b Fremdenpolizeigesetz i.V.m. §§ 52, 52a Abs. 2 BFA-VG
Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(n) verhängt:
Geldstrafe von
falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von
Freiheitsstrafe von
Gemäß
1. € 2.500,00
7 Tage(n) 0 Stunde(n)
0 Minute(n)
§ 120 Abs. 1b Fremdenpolizeigesetz
2005, BGBl. I Nr. 100/2005 i.d.g.F.
Weitere Verfügungen (zB Verfallsausspruch, Anrechnung von Vorhaft):
Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG zu zahlen:
€ 250,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe, jedoch mindestens € 10,00 für jedes Delikt (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich € 100,00 angerechnet).
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher
€ 2.750,00“
Das Straferkenntnis wurde dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 14.09.2020 zugestellt. In der rechtzeitig eingebrachten Beschwerdeschrift vom 06.10.2020 wurde Folgendes ausgeführt:
„Das Straferkenntnis, Zahl: *** der Landespolizeidirektion Tirol, vom
10.09.2020 wurde am 14.09.2020 zugestellt.
Innerhalb offener Frist wird nachstehende
BESCHWERDE
erhoben.
Das Straferkenntnis wird zur Gänze angefochten.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer eine Verwaltungsstrafe in der Höhe von € 2500 vorgeschrieben. Die Entscheidung ist rechtswidrig. Unrichtig sind die Feststellungen und die rechtliche Beurteilung in mehrfacher Hinsicht.
1)
Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, er wäre nach Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht rechtzeitig aus dem Bundesgebiet ausgereist, und hätte sich am 20.07.2020 um 15:40 in X, Adresse 2 unerlaubt im Bundesgebiet aufgehalten.
2)
Unrichtig sind die Feststellungen deshalb, weil der Beschwerdeführer nicht aus dem Bundesgebiet ausreisen kann, da eine Ausreise ohne sein Verschulden faktisch unmöglich ist. Der Beschwerdeführer ist nicht freiwillig rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig, sondern weil es ihm bisher rechtlich und praktisch aus organisatorischen Gründen nicht möglich war, aus dem Bundesgebiet auszureisen.
Es liegt bisher, trotz Bemühen der zuständigen Behörden und der Kooperation des Beschwerdeführers kein gültiges Heimreisezertifikat vor, und ohne Reisepass ist die Rückkehr unmöglich.
Infolge der Covid-19 Epidemie gibt es seit März keine auch nur theoretische Möglichkeit, von Österreich nach Nigeria zu reisen, und daher kann dem Beschwerdeführer dies in keiner Weise zum Vorwurf gemacht werden.
Daher kann ihm kein Verschulden bezüglich der Übertretung der entsprechenden Bestimmung vorgeworfen werden, nicht einmal Fahrlässigkeit, zumal die erforderliche Mitwirkung des Beschwerdeführers im fremdenpolizeilichen Verfahren gegeben war.
3)
Zur Höhe der Strafe ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines Aufenthaltsstatus vom Arbeitsmarkt weitgehend ausgeschlossen ist. Die Bestrafung aufgrund einer Verwaltungsübertretung würde in seinem Fall mit Sicherheit eine Freiheitsstrafe bedeuten, was insbesondere da er immer bereitwillig im fremdenpolizeilichen Verfahren mitgewirkt hat, eine unverhältnismäßige Strafe darstellen würde.
Darüberhinaus müsste gem. §20 VStG die außerordentliche Strafmilderung angewendet werden, da die Milderungsgründe etwaige Erschwerungsgründe erheblich überwiegen.
Es wird daher
beantragt.
a) den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben,
b) allenfalls das Verfahren an die erste Instanz zurückzuverweisen,
c) allenfalls die Strafe schuldangemessen herabzusetzen,
AA“
Das Straferkenntnis und die Beschwerdeschrift wurden dem BFA Regionaldirektion Tirol zur Stellungnahme übermittelt. Das BFA Regionaldirektion Tirol hat per E-Mail am 12.01.2021 eine Stellungnahme zur Ausreisewilligkeit, den Rückkehrmöglichkeiten und dem Verschulden abgegeben. Zur Sachverhaltsfeststellung wurde weiters in den vorgelegten Verwaltungsstrafakt der belangten Behörde Einsicht genommen. Eine für 15.03.2021 anberaumte Beschwerdeverhandlung musste wegen Fehlens des erforderlichen Dolmetschers auf 24.06.2021 vertagt werden. In der Beschwerdeverhandlung gab der Beschwerdeführer unter Beiziehung der Dolmetscherin für die englische Sprache befragt zu den Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnissen an, dass er keine Sorgepflichten habe. Er habe ein monatliches Einkommen aus dem Verkauf der Zeitung „20er“ in Höhe von ca Euro 120,00 im Monat. Er erhalte Unterstützungszahlungen von der Heimleitung in X in der Höhe von ca Euro 250,00 monatlich, ansonsten habe er kein Erwerbseinkommen, keinen Krankenversicherungsschutz, kein Vermögen und keine Schulden. Er müsse auch keine monatliche Miete bezahlen.
Zum Sachverhalt befragt gab der Beschwerdeführer Folgendes an:
„Ich weiß, dass mein Asylverfahren 2017 negativ abgeschlossen wurde. Ich weiß, dass ich eigentlich ausreisen müsste. Das Problem, das mich zur Flucht gezwungen hat, ist zu groß. Ich werde in Benin und in Nigeria gesucht. Ich wurde bereits heuer zweimal vom BFA zur nigerianischen Botschaft gesandt. Ich zeige einen Ladungsbescheid des BFA vom 12.05.2021, Zahl ***, vor. Ich habe den Termin am 19.05.2021 um 09.00 Uhr in Z wahrgenommen. Ich habe mitgeteilt, dass mir die Botschaft mitgeteilt hat, dass ich kein Nigerianer sei. Ich habe deshalb auch von der nigerianischen Botschaft keinen Reisepass oder Heimreisezertifikat bekommen. Ich war bei der nigerianischen Botschaft im Jahr 2018 einmal und im heurigen Jahr bereits zweimal. Ich bin der Meinung, dass mir deshalb die Ausreise nicht möglich war. Ich konnte daher einer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen. Es ist so, dass ich zwar unrechtmäßig hier in Österreich nach dem Abschluss der Verfahren bin, aber es ist mir rechtlich und praktisch nicht möglich, aus Österreich nach Afrika auszureisen und zwar auf legalem Wege.
Die vorgezeigten Unterlagen werden in Kopie zur Verhandlungsschrift genommen. Ich beantrage die Einholung einer Stellungnahme des BFA. Ich bin auch der Meinung, dass ich einerseits nicht ausreisen konnte und andererseits ist die verhängte Strafe viel zu hoch, da ich über kein Einkommen verfüge. Ich müsste dann wahrscheinlich die Ersatzfreiheitsstrafe in Anspruch nehmen.“
Die Dolmetscherin ist mit dem Beschwerdeführer den vorgelegten Verwaltungsstrafakt der belangten Behörde durchgegangen. Auf ein wortwörtliches Verlesen wurde verzichtet. Dem Antrag auf Einholung einer weiteren Stellungnahme des BFA zur Möglichkeit der Ausreise aus Österreich wurde stattgegeben. Weitere Beweisanträge wurden nicht gestellt. Der Beschwerdeführer beantragte, dass das die Stellungnahme des BFA in einer fortgesetzten Beschwerdeverhandlung erörtert werden möge. Die Reinschrift des Verhandlungsprotokolls wurde auf Antrag des Beschwerdeführers an seinen Rechtsvertreter (BB) per E-Mail übermittelt.
Aufgrund des Ergebnisses der Beschwerdeverhandlung erging an das BFA Regionaldirektion Tirol per E-Mail vom 30.06.2021 folgende Anfrage:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
in der Anlage werden Ihnen das gegen den Beschwerdeführer ergangene Straferkenntnis der LPD Tirol, die Beschwerdeschrift, das Beschwerdeverhandlungsprotokoll vom 24.06.2021 und ein Ladungsbescheid der do. Behörde vom 12.5.2021 übermittelt.
Im Beschwerdeverfahren wird geltend gemacht, dass der Beschwerdeführer im fremdenpolizeilichen Verfahren stets mitgewirkt und bereits mehrmals bei der nigerianischen Botschaft vorgesprochen habe (insgesamt 3x). Da er laut eigenen Ausführungen kein Nigerianer sei, sondern aus dem Benin stamme, habe er auch von der nigerianischen Botschaft keinen Reisepass bzw. kein Heimreisezertifikat bekommen. Der Beschwerdeführer habe daher seiner Ausreisverpflichtung faktisch nicht nachkommen können.
Es wird in diesem Zusammenhang um Beantwortung folgender Fragen ersucht:
1.) Stimmt es, dass dem Beschwerdeführer trotz persönlicher Vorsprachen bisher noch kein nigerianischer Reisepass bzw. kein nigerianisches Heimreisezertifikat von der nigerianischen Botschaft ausgestellt wurde? Warum wurden diese Dokumente gegebenenfalls nicht ausgestellt?
2.) Für den Fall, dass Heimreisezertifikate ausgestellt wurden: Welche Gültigkeit hatten diese Heimreisezertifikate und warum konnten diese Heimreisezertifikate für eine freiwillige oder zwangsweise Ausreise nach Nigeria nicht verwendet werden?
3.) Lag gegebenenfalls ein vorwerfbares und schuldhaftes Verhalten des Beschwerdeführers vor (welches?), dass dazu führte, dass die etwaig ausgestellten Heimreisezertifikate nicht verwendet werden konnten und die Befristungen abliefen? Um Übermittlung der etwaig vorhandenen Heimreisezertifikate in eingescannter Form wird ersucht.
4.) Lagen im gegenständlichen Verfahren tatsächlich von vom Beschwerdeführer zu vertretende Gründe (welche?) vor, wegen derer er seiner Pflicht zur Ausreise aus dem Bundesgebiet nicht unverzüglich nachgekommen ist bzw nicht nachkommen konnten, nachdem eine gegen ihn erlassene Rückkehrentscheidung rechtskräftig und durchsetzbar geworden ist?
In Erwartung Ihrer Antwort/Stellungnahme verbleibt
mit freundlichen Grüßen
Mag. Dr. Rudolf Rieser
Richter“
Mit Antwortmail vom 19.08.2021 wurden die gestellten Fragen wie folgt schriftlich beantwortet:
„Sehr geehrter Herr Mag. Dr. Rieser!
Zu den, betreffend
IFA: ***
AA
geb. am xx.xx.xxxx
StA: Nigeria,
von Ihnen gestellten Fragen ergehen folgende Antworten:
1. Nein, der Fremde hat die Termine am 19.05.2021, 11.02.2021 und 03.08.2018 wahrgenommen. Für AA ist am 31.07.2019, ein HRZ gültig vom 31.07.2019 bis 30.10.2019, mit der Nummer ***, von der nigerianischen Botschaft ausgestellt worden. Die Abschiebung in diesem Zeitraum war nicht möglich, weil AA zu dieser Zeit nur teilweise einen Wohnsitz hatte, aber nicht greifbar war. Er war in der Zeit vom 12.08.2015 bis 30.09.2019 im Flüchtlingsheim X, Adresse 3, gemeldet. Nach dieser Zeit war er als „unstet“ bis 21.04.2020 verzeichnet. AA war in der Zeit vom 03.10.2019 bis 21.07.2020 zur Festnahme ausgeschrieben. Ein Aufgriff erfolgte aber nicht.
Beim 2. Vorführtermin am 21.02.2021 gab der Konsul sich über die Ausstellung des HRZ verwundert und stellte die Ausstellung eines HRZ nur in Aussicht, wenn eine Ablehnung von Benin vorliege. Eine neuerliche Ausstellung eines HRZ für Nigeria lehnte er ab.
Das eingeleitete HRZ-Verfahren mit Benin erbrachte bislang kein Ergebnis und ist mit 20.10.2020 eingestellt worden. Zwischenzeitlich ist ein neuerliches HRZ-Verfahren mit Benin gestartet worden. Ein Ergebnis ist noch ausständig.
2. Siehe Antwort zu 1.
3. Am 20.07.2020 ist AA festgenommen worden. Eine Abschiebung war aber nicht möglich, weil die Neuausstellung eines HRZ nicht erfolgte.
4. AA hat in seinem Verfahren mehrfach angegeben, dass er aus Nigeria stamme. Nach den vorliegenden Aufzeichnungen ist der Fremde am 09.04.2014 von der Schweiz aus nach Lagos/Nigeria abgeschoben worden. Er hatte am 05.04.2019 einen Asylantrag in der Schweiz gestellt.
AA hat auch angegeben, dass er aus Benin stamme. Einen Nachweis dafür konnte er nicht erbringen.
Die Abschiebung war bislang unmöglich, weil er in der Zeit, als ein HRZ vorlag, nicht greifbar war und trotz bestehendem Festnahmeauftrag „untergetaucht“ war.
Eine Neuausstellung eines HRZ für Nigeria lehnte der Botschafter von Nigeria bis zur „Nichtausstellung“ eines HRZ für Benin ab.
Mit freundlichen Grüßen
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl
Regionaldirektion Tirol
Team ** – Vollzug“
Das in der Fragebeantwortung angeführte Heimreisezertifikat der nigerianischen Botschaft in Z mit einer Gültigkeit vom 31.07.2019 bis 30.10.2019 war eingescannt dem E-Mail angeschlossen.
Aufgrund des durchgeführten Verfahrens ergibt sich folgender verfahrenswesentlicher Sachverhalt:
Es ist aufgrund des durchgeführten Verfahrens unstrittig, dass sich der Beschwerdeführer zum im angefochtenen Straferkenntnis angeführten Tatzeitpunkt am 20.07.2020 um 15.40 Uhr in **** X unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und seiner Ausreisepflicht nicht nachgekommen ist. Dies wurde grundsätzlich auch nicht bestritten. Es wurde jedoch in der Beschwerde ausgeführt, dass dies nicht freiwillig war und dass es dem Beschwerdeführer rechtlich und praktisch aus organisatorischen Gründen nicht möglich gewesen sei, aus dem Bundesgebiet auszureisen.
Neben dem Vorliegen des objektiven Tatbestandes ist es auch erforderlich, dass der subjektive Tatbestand also auch ein vorwerfbares Verschulden vorliegt. Vorweg ist festzuhalten, dass es sich bei einer Verwaltungsübertretung nach § 120 Abs 1b FPG grundsätzlich um ein Dauerdelikt handelt. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis ist der Tatzeitraum vom 20.07.2020 15.40 Uhr bis zur Zustellung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses am 14.09.2020 abgedeckt. Es war daher zu prüfen, ob beim Beschwerdeführ in diesem Tatzeitraum vom 20.07.2020 bis 14.09.2020 nicht nur der objektive Tatbestand der angelasteten Verwaltungsübertretung nach § 120 Abs 1b FPG, sondern auch ein für eine Bestrafung notwendiges Verschulden, wobei hierfür nach § 5 Abs 1 VStG zur Strafbarkeit bereits fahrlässiges Verhalten genügt, vorlag. Der Beschwerdeführer, der sich nachweislich unrechtmäßig im angegebenen Tatzeitraum im Bundesgebiet aufhielt und seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen ist, konnte im angegebenen und für das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren relevanten Tatzeitraum nicht freiwillig und rechtmäßig aus Österreich ausreisen und daher auch seiner Ausreiseverpflichtung nicht legal nachkommen. Das von der nigerianischen Botschaft im Jahre 2019 ausgestellte Heimreisezertifikat war aufgrund der Befristung nur vom 31.07.2019 bis 30.10.2019 gültig. Im für die Ausreise möglichen Zeitraum vom 31.07.2019 bis 30.10.2019 ist der Beschwerdeführer seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und hat sich einer Außerlandesbringung entzogen, in dem er in diesem Zeitraum nicht aufgegriffen werden konnte und bis 21.04.2020 jedenfalls unsteten Aufenthalts war. Im Zeitraum nach Ablauf des im Jahre 2019 ausgestellten Heimreisezertifikat kam es zu keiner neuerlichen Ausstellung eines Heimreisezertifikates durch die Vertretungsbehörden von Nigeria oder Benin. Wie vom BFA bestätigt, wurde trotz der vom Beschwerdeführer wahrgenommenen Termine noch kein Reisedokument (Heimreisezertifikat) nach Ablauf des seinerzeitig bis 30.10.2019 gültigen Heimreisezertifikates ausgestellt. Auch nach der am 20.07.2020 erfolgten Festnahme des Beschwerdeführers war eine Abschiebung und somit auch eine Ausreise nicht möglich, weil die Neuausstellung eines Heimreisezertifikates nicht erfolgte. Zurzeit wird die neuerliche Ausstellung eines Heimreisezertifikates für Nigeria von der nigerianischen Botschaft bis zur „Nichtausstellung“ eines Heimreisezertifikates durch den Staat Benin abgelehnt.
Aufgrund des durchgeführten Verfahrens war es dem Beschwerdeführer im angelasteten Tatzeitraum vom 20.07.2020 (Datum der Festnahme) bis zur Zustellung des angefochtenen Straferkenntnisses am 14.09.2020 und in weiterer Folge bis dato legal nicht möglich, aufgrund des Fehlens eines Reisedokumentes bzw eines Heimreisezertifikates des Staates Nigeria oder des Staates Benin den unrechtmäßigen Aufenthalt in Österreich zu beenden und seiner Ausreiseverpflichtung aus Österreich in einen anderen Staat nachzukommen. Eine unrechtmäßige Ausreise aus Österreich in einen angrenzenden Nachbarstaat kann zur Verhinderung oder Beendigung einer Verwaltungsübertretung nach dem FPG vom Beschwerdeführer weder verlangt noch erwartet werden. Im gegenständlichen Falle liegt für den zu beurteilenden Tatzeitraum der objektive Tatbestand einer Verwaltungsübertretung nach § 120 Abs 1b FPG vor, jedoch konnte ein für die Bestrafung erforderliches Verschulden des Beschwerdeführers im durchgeführten Beschwerdeverfahren nicht mit der für eine Bestrafung erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden. Es war daher aufgrund des durchgeführten Beschwerdeverfahrens davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die ihm angelastete Verwaltungsübertretung im verfahrensrelevanten Tatzeitraum hinsichtlich des Fehlen der subjektiven Tatseite (Nichtvorliegens eines vorwerfbaren Verschuldens) nicht begangen hat.
Aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes und der aufgezeigten rechtlichen Erwägungen war daher der Beschwerde stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren, das sich auf den Zeitraum vom 20.07.2020, 15.14 Uhr, bis 14.09.2020 bezieht, spruchgemäß einzustellen.
II. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.
Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Mag. Dr. Rieser
(Richter)
Schlagworte
VerschuldenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2020.30.2214.13Zuletzt aktualisiert am
12.10.2021