TE Bvwg Beschluss 2021/8/20 W254 2245565-1

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Veröffentlicht am 20.08.2021
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Entscheidungsdatum

20.08.2021

Norm

AVG §58 Abs2
AVG §60
B-VG Art133 Abs4
PrivSchG §2
SchPflG 1985 §11
StGG Art17
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W254 2245565-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA über die Beschwerde von XXXX , als gesetzliche Vertreterin des mj. Schülers XXXX , gegen den Bescheid der Bildungsdirektion für Tirol vom 22.07.2021, Zl. 800.10/0185-allg/2021 den Beschluss:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Bildungsdirektion für Tirol zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Mit einem von der belangten Behörde aufgelegten Formular zeigte die Beschwerdeführerin am 24.06.2021 die Teilnahme ihres am XXXX geborenen Sohns, XXXX (Kind) am häuslichen Unterricht an. Angemerkt wurde im Formular, dass das Kind in einer privaten Lerngemeinschaft unterrichtet werde.

2. Mit dem bekämpften Bescheid untersagte die belangte Behörde den angezeigten häuslichen Unterricht für das Schuljahr 2021/2022 und verfügte, dass das Kind seine Schulpflicht an einer öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule zu erfüllen habe. In Spruchpunkt 3. des Bescheides wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde ausgeschlossen.

Begründend wird zusammengefasst ausgeführt, dass aus der Anzeige nicht hervorgehe, dass der Schüler im häuslichen Unterricht unterrichtet werde, da in der Anzeige angeführt werde, dass der Unterricht in einer Lerngemeinschaft stattfinden solle. Die belangte Behörde habe Grund zur Annahme, dass es sich um eine Privatschule handle, für die keine Errichtungsanzeige eingelangt sei. Gemäß Privatschulgesetz seien Schulen Einrichtungen, in denen für eine Mehrzahl von Schülern gemeinsam mit der Vermittlung von allgemeinbildenden oder berufsbildenden Kenntnissen und Fertigkeiten ein erzieherisches Ziel angestrebt werde.

Aus diesem Grund sei mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Unterricht nicht mit jenem an einer öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule gleichwertig sei. In der Rechtsmittelbelehrung wurde unter anderem ausgeführt, dass eine Beschwerde gegen den Bescheid innerhalb von vier Wochen möglich sei.

In der Rechtsmittelbelehrung wurde unter anderem ausgeführt, dass eine Beschwerde gegen den Bescheid innerhalb von vier Wochen möglich sei.

3.       Am 29.07.2021 wurde erneut eine Anzeige des häuslichen Unterrichts übermittelt, in welcher angeführt wurde, dass das Kind zu Hause im familiären Umfeld nach den Vorgaben der Lehrpläne unterrichtet werde.

4. Mit Schreiben vom 30.07.2021 erhob die Beschwerdeführerin die verfahrensgegenständliche Beschwerde. Begründend führte sie aus, dass der Bescheid auf Annahmen und Wahrscheinlichkeiten gründe. Die Angabe einer Lerngemeinschaft bedeute nichts anderes, als dass es eine lose Verbindung von Eltern sei, deren Kinder sich im häuslichen Unterricht befänden. Die Begriffe des Privatschulunterrichts und des häuslichen Unterrichts müssten abgegrenzt werden. Für die Definition des häuslichen Unterrichts spiele es keine Rolle, ob der Unterricht durch Lehrpersonal oder durch eigene bzw. fremde Eltern erteilt werde. Das entscheidende Abgrenzungskriterium zum Privatschulunterricht läge darin, dass der häusliche Unterricht in keiner Unterrichtsanstalt erfolge. Der häusliche Unterricht fände aber nicht in einer privaten Unterrichtsanstalt statt. Die private Lerngemeinschaft komme in keiner Weise einer Privatschule gleich.

4. Einlangend mit 19.08.2021 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin zeigte am 24.06.2021 die Teilnahme des Kindes am häuslichen Unterricht im Schuljahr 2021/2022 an. In dem von der belangten Behörde aufgelegten Formular wurde zur Planung der Unterrichts Folgendes angeführt: „Bestellung regulärer Schulbücher, mein Sohn […] in einer privaten Lerngemeinschaft unterrichtet. Mit pädagogischer Unterstützung zeitlich und örtlich strukturiert. Werden die regulären Schulbücher“

Im behördlichen Verfahren wurden notwendige Ermittlungen des Sachverhalts nicht einmal ansatzweise geführt. Ein abschließender, für die Beurteilung der verfahrensgegenständlichen Rechtslage relevanter Sachverhalt konnte nicht festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem von der belangten Behörde vorgelegten rudimentären Verwaltungsakt.

Die Feststellungen zum rechtserheblichen Sachverhalt konnten aufgrund der Aktenlage nicht erfolgen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Den Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten kommt im Verfahren nach dem Schulpflichtgesetz Parteistellung zu (siehe Jonak/Kövesi Das Österreichische Schulrecht14, Anm. 2 zu § 6 SchPflG, S. 491).

3.2. Zu A)

3.2.1. Art. 17 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (StGG), RGBl. Nr. 142/1867, garantiert die Freiheit des häuslichen Unterrichts auf jedem theoretischen Wissensgebiet ohne jede Beschränkung (vgl. VfGH Slg. Nr. 4579 und 4990). Es ist dem Gesetzgeber verwehrt, die Erteilung häuslichen Unterrichts irgendwelchen Beschränkungen zu unterwerfen. Die Regelungen des Schulpflichtgesetzes beziehen sich daher ausschließlich auf die Frage, ob ein Kind durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht bereits seine Schulpflicht erfüllt, oder ob es dazu des Besuches einer allgemeinen Pflichtschule bedarf (vgl. VwGH 29.01.2009, 2008/10/0332 m.w.N.).

Nach § 11 Abs. 2 SchPflG kann die allgemeine Schulpflicht durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule – ausgenommen den Polytechnischen Lehrgang – mindestens gleichwertig ist.

Gemäß Abs. 3 leg. cit. haben die Eltern oder sonstige Erziehungsberechtigte die Teilnahme ihres Kindes am häuslichen Unterricht der Bildungsdirektion jeweils vor Beginn des Schuljahres anzuzeigen. Die Bildungsdirektion kann die Teilnahme an einem solchen Unterricht untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die im Abs. 1 oder 2 geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes nicht gegeben ist oder wenn gemäß Abs. 2a eine öffentliche Schule oder eine mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung zu besuchen ist.

Gemäß § 2 Abs. 1 und Abs. 2 Privatschulgesetz sind Schulen Einrichtungen, in denen eine Mehrzahl von Schülern gemeinsam nach einem festen Lehrplan unterrichtet wird, wenn im Zusammenhang mit der Vermittlung von allgemeinbildenden oder berufsbildenden Kenntnissen und Fertigkeiten ein erzieherisches Ziel angestrebt wird. Ein erzieherisches Ziel ist gegeben, wenn außer den mit der Erwerbung von Kenntnissen und Fertigkeiten an sich verbundenen Erziehungszielen die Festigung der charakterlichen Anlagen der Schüler in sittlicher Hinsicht bezweckt wird.

Gemäß § 13 Abs. 8 AVG kann der verfahrensleitende Antrag in jeder Lage des Verfahrens bis zu einer allfälligen Schließung des Ermittlungsverfahrens geändert werden.

3.3.2. Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen mangelhaft:

In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer „Delegierung“ der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, S. 127 und S. 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, S. 65 und S. 73 f.).

Bescheide, in denen die Behörde nicht in eindeutiger Weise aufzeigt, von welcher konkreten Sachverhaltsannahme sie ausgegangen ist und worauf sich die getroffenen Tatsachenfeststellungen in Einzelnen stützen, sind mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 60, insb. Rz 35ff mwN).

Die belangte Behörde hat keine entscheidungsrelevanten Feststellungen getroffen und somit willkürlich die Teilnahme des Kindes am häuslichen Unterricht im Schuljahr 2021/2022 untersagt. Das Begründungselement, wonach kein häuslicher Unterricht, sondern der Unterricht an einer nicht angezeigten Privatschule stattfinden soll, lässt sich aus dem Akteninhalt nicht nachvollziehen, die belangte Behörde geht dabei ohne nähere Beweisaufnahme von bloßen Annahmen aus.

Der Bescheid entspricht dabei auch nicht den sich aus § 58 Abs. 2 AVG und § 60 AVG ergebenden Erfordernissen, in der Begründung in eindeutiger, einer nachprüfenden Kontrolle zugänglichen Weise aufzuzeigen, von welchen konkreten Sachverhaltsannahmen die Behörde bei ihrem Bescheid ausgegangen ist und worauf sich die getroffene Tatsachenfeststellung im Einzelnen stützt (vgl. VwGH vom 02.04.1998, 96/10/0093).

3.3.3. Da somit die erforderlichen entscheidungswesentlichen Feststellungen nicht getroffen wurden, ist der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben. Es kann auch nicht gesagt werden, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Der Bescheid war daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Bildungsdirektion für Tirol zurückzuverweisen.

3.3.4. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde ein ordentliches Ermittlungsverfahren durchzuführen haben und iSd § 11 Abs. 3 SchPflG festzustellen haben, ob mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, ob der häusliche Unterricht in der geplanten Form, die gesetzlich geforderte Gleichwertigkeit aufweist. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, das die Gleichwertigkeit des häuslichen Unterrichtes im Vergleich zu dem in einer öffentlichen Schule nicht gegeben ist, wenn gewichtigere Gründe gegen die Gleichwertigkeit sprechen als für die Gleichwertigkeit. Ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der häusliche Unterricht dem an einer im § 5 Schulpflichtgesetz 1962 genannten Schule nicht gleichwertig ist, dann steht es im freien Ermessen der belangten Behörde, die Teilnahme am häuslichen Unterricht zu untersagen (siehe VwGH vom 25.02.1971, 2062/70).

3.3.5. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG Abstand genommen werden, da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war.

3.3.6. Mit der gegenständlichen Aufhebung des angefochtenen Bescheides erübrigt sich ein gesonderter Abspruch über die aufschiebende Wirkung.

3.4. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen - unter Punkt 3.2. dargestellten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Gleichwertigkeit häuslicher Unterricht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W254.2245565.1.00

Im RIS seit

24.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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