TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/16 W250 2245221-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.08.2021
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Entscheidungsdatum

16.08.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z3
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133
FPG §76 Abs2 Z1
FPG §76 Abs2 Z2
VwG-AufwErsV §1 Z1
VwGVG §35 Abs1
VwGVG §35 Abs2

Spruch


W250 2245221-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.08.2021, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG stattgegeben und der Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.08.2021, Zl. XXXX , sowie die Anhaltung in Schubhaft seit 06.08.2021 für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

III. Gemäß § 35 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV hat der Bund dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von € 767,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV. Der Antrag der Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste unrechtmäßig nach Österreich ein und stellte am 02.10.2015 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) vom 11.04.2018 – nachdem der BF straffällig geworden war – vollinhaltlich abgewiesen wurde. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt, gegen ihn wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist. Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde wurde aberkannt und festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht. Unter einem wurde ausgesprochen, dass der BF das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 16.07.2017 verloren hat und gegen ihn ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Dieser Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 09.05.2018 wurde gegen den BF das gelindere Mittel der täglichen Meldeverpflichtung bei einer bestimmten Polizeiinspektion angeordnet. Seiner Meldeverpflichtung kam der BF ab 11.05.2018 nicht mehr nach und tauchte unter.

3. Nachdem der BF neuerlich in einer Justizanstalt angehalten wurde, reiste er nach Italien aus und stellte dort am 27.11.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

4. Seit 20.03.2019 wurde der BF wiederum in gerichtlicher Strafhaft angehalten.

5. Am 17.02.2020 stellte der BF aus der Strafhaft einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, der mit Bescheid des Bundesamtes vom 10.04.2020 vollinhaltlich gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG zurückgewiesen wurde. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.07.2020 abgewiesen.

6. Am 04.07.2021 stellte der BF aus dem Stande der Strafhaft einen dritten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 26.07.2021 wurde der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 Asylgesetz – AsylG in Anwendung des § 12a Abs. 2 AsylG aufgehoben. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.08.2021 wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes als rechtmäßig festgestellt.

7. Mit Schreiben vom 06.07.2021 gewährte das Bundesamt dem BF Parteiengehör im Verfahren zur Erlassung eines Schubhaftbescheides zur Sicherung seiner Abschiebung. Der BF gab durch seinen damaligen Rechtsvertreter eine Stellungnahme ab und führte aus, dass er keine in Österreich lebenden Angehörigen habe, jedoch über Freunde verfüge, von denen er einen namentlich unter Angabe von Adresse und Telefonnummer nannte. Bei diesem Freund beabsichtige der BF nach seiner Haftentlassung zu wohnen. Über ein Einkommen verfüge der BF nicht, sein Konto weise ein Guthaben von EUR 800,-- auf. Der BF sei gesund. Nach Afghanistan könne er auf Grund der instabilen politischen Lage nicht zurückkehren und er fürchte um seine körperliche Integrität. Er habe nicht die Absicht, freiwillig nach Afghanistan auszureisen.

8. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 04.08.2021 wurde gemäß § 76 Abs. 1 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG Schubhaft über den BF zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet, wobei die Rechtsfolgen dieses Bescheides nach der Entlassung des BF aus der Strafhaft eintreten.

Begründend führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass auf Grund der Kriterien des § 76 Abs. 3 Z. 1, 3, 4, 5, 7 und 9 FPG Fluchtgefahr vorliege. Der BF habe sich nach seiner Haftentlassung am 19.04.2018 nicht mehr behördlich gemeldet und sei untergetaucht. Nachdem er am 08.05.2018 festgenommen worden sei, sei über ihn ein gelinderes Mittel angeordnet worden, dem er aber seit 11.05.2018 nicht mehr nachgekommen sei. Im Zuge einer Ausführung aus der Strafhaft sei er am 02.11.2018 geflüchtet. Dadurch habe der BF die Verfahren zu seiner Rückkehr und Abschiebung behindert. Es liege gegen ihn eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor. Der BF habe am 08.07.2021 einen Asyl-Folgeantrag gestellt, wobei in diesem Zeitpunkt eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorgelegen sei und der faktische Abschiebeschutz aufgehoben und diesbezüglich die Rechtmäßigkeit durch das Bundesverwaltungsgericht festgestellt worden sei. Der BF sei einem angeordneten gelinderen Mittel nicht nachgekommen und sei in Österreich nicht integriert, da er weder Familienangehörige im Bundesgebiet noch einen Wohnsitz im Bundesgebiet habe und noch nie einer Beschäftigung nachgegangen sei.

Für den BF sei bereits ein Heimreisezeritifkat ausgestellt worden und es sei nicht ausgeschlossen, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan auch unter Berücksichtigung der Beschränkungen auf Grund der COVID-19 Pandemie und der aktuellen Sicherheitslage möglich sei.

Auf Grund des bisherigen Verhaltens sowie den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF liege eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vor, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre.

Da der BF über keinen Wohnsitz verfüge und bereits ein gelinderes Mittel nicht befolgt habe, könne mit der Anordnung eines gelinderen Mittels nicht das Auslangen gefunden werden.

Dieser Bescheid wurde dem BF am 06.08.2021 zugestellt, wobei er die Unterschrift zur Bestätigung der Übernahme verweigerte.

9. Am 06.08.2021 wurde der BF aus der Strafhaft entlassen und wird seither in Schubhaft angehalten.

10. Am 10.08.2021 erhob der BF durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 04.08.2021 und die Anhaltung des BF in Schubhaft. Begründend brachte der BF im Wesentlichen vor, dass derzeit eine Abschiebung nach Afghanistan nicht möglich sei. Außerdem verfüge der BF über einen Freund, bei dem er wohnen könne und einer Meldeverpflichtung nachkommen werde. Der BF zitierte in seiner Beschwerde mehrere Medienberichte, in denen die sich rasch ändernde Sicherheitslage in Afghanistan dokumentiert wird.

Der BF beantragte die Anhaltung in Schubhaft ab ihrem Beginn als rechtswidrig zu erkennen, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vorliegen und dem BF Aufwandersatz im gesetzlichen Umfang zuzusprechen.

11. Das Bundesamt legte am 11.08.2021 den Verwaltungsakt vor, gab dazu eine Stellungnahme ab, in der im Wesentlichen der bisherige Verfahrensverlauf geschildert wurde und beantragte die Beschwerde als unbegründet abzuweisen und den BF zum Kostenersatz zu verpflichten. Auf Ersuchen des Bundesverwaltungsgerichtes teilte das Bundesamt am 12.08.2021 ergänzend mit, dass die für 03.08.2021 gemeinsam mit Deutschland geplante Charterabschiebung nicht durchgeführt werden habe können, da von Afghanistan keine Landeerlaubnis erteilt worden sei, da Afghanistan derzeit bei Charteroperationen keine bilateralen Kooperationen akzeptiere. Was die Rückführung im September 2021 nach Afghanistan betreffe, so erfolge seitens der Behörde eine laufende Beobachtung der aktuellen Situation sowie eine Anpassung der Planungen an etwaige Entwicklungen. Von Seiten Österreichs sei derzeit kein „Abschiebestopp“ nach Afghanistan geplant. Aktuell liege auch eine Zusage der Afghanischen Behörden für einen nationalen Charter vor, weshalb aus heutiger Sicht diese Charteroperation durchgeführt werden könne.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Zum Verfahrensgang

Der unter I.1. bis I.11. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

Insbesondere festgestellt wird, dass der BF am 04.07.2021 einen zweiten Folgeantrag auf internationalen Schutz stellte. Diesbezüglich wurde der faktische Abschiebeschutz mit Bescheid des Bundesamtes vom 26.07.2021 aufgehoben. Das Bundesverwaltungsgericht stellte mit Beschluss vom 02.08.2021 fest, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes rechtmäßig ist.

Der BF ist ein volljähriger Staatsangehöriger Afghanistans, die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht. Er ist weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

2. Zur Möglichkeit der tatsächlichen Abschiebung des BF

1. Eine für 03.08.2021 in Kooperation mit Deutschland geplante Charterabschiebung nach Afghanistan konnte nicht durchgeführt werden, da von Afghanistan keine Landeerlaubnis erteilt wurde.

2. Die afghanische Botschafterin in Österreich hielt am 06.08.2021 in einem Interview mit dem ORF fest, dass in Afghanistan „Krieg herrscht. Das Leben der Abgeschobenen steht auf dem Spiel.“ Die afghanische Regierung schaffe es nicht, Unterkünfte und Essen für die 100.000 aktuell Vertriebenen zur Verfügung zu stellen, umso weniger sei es möglich, abgeschobene Rückkehrer zu versorgen.

Botschafterin Manizha Bakhtari ersuchte die EU daher im Interview mit Ö1, den dreimonatigen Abschiebestopp, den die Regierung in Kabul im Juli erbeten hat, nicht nur umzusetzen, sondern auf vorerst unbestimmte Zeit zu verlängern. Sobald sich die Sicherheitslage verbessere, sollten die Rückführungen wiederaufgenommen werden. Bakhtari zufolge ist die Sicherheitslage dramatisch: Seit April habe es mehr als 5.500 Attacken und Anschläge durch die Taliban gegeben. Mehr als 4.000 Soldaten und 2.000 Zivilistinnen und Zivilisten, darunter auch Kinder, seien ums Leben gekommen.

3. Die Taliban haben am 12.08.2021 die Stadt Herat und am 14.08.2021 Mazar-e Sharif eingenommen. Am 15.08.2021 besetzten die Taliban die Hauptstadt Kabul.

4. Eine tatsächliche Abschiebung des BF innerhalb der zulässigen Schubhafthöchstdauer erscheint derzeit nicht realistisch.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des Bundesamtes, in den vorliegenden Akt des Bundesverwaltungsgerichtes, in den Akt des Bundesverwaltungsgerichtes die amtswegige Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes mit Bescheid des Bundesamtes vom 26.07.2021 betreffend, in das Zentrale Fremdenregister, in das Strafregister, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Zentrale Melderegister und in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres sowie in die in den Feststellungen zitierten Quellen zur Sicherheitslage in Afghanistan.

1. Zum Verfahrensgang

Die Feststellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus dem Verfahrensakt des Bundesamtes, dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes sowie dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes die amtswegige Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes mit Bescheid des Bundesamtes vom 26.07.2021 betreffend. Diesen Feststellungen wurde im Verfahren nicht entgegengetreten.

Dass der BF ein volljähriger Staatsangehöriger Afghanistans ist, ergibt sich aus dem für ihn ausgestellten Heimreisezertifikat. Anhaltspunkte dafür, dass er die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Da die bisher vom BF gestellten Anträge auf internationalen Schutz in Österreich ab- bzw. zurückgewiesen wurden und über seinen zuletzt gestellten Asylantrag noch nicht entschieden wurde, konnte die Feststellung getroffen werden, dass es sich beim BF weder um einen Asylberechtigten noch um einen subsidiär Schutzberechtigten handelt.

2. Zur Möglichkeit der tatsächlichen Abschiebung des BF

Bereits in seiner Beschwerde hat der BF zahlreiche Medienberichte die Sicherheitslage in Afghanistan betreffend vorgelegt und auf jene Berichte und Quellen verwiesen, die das Bundesverwaltungsgericht der in der Beschwerde zitierten Entscheidung zu Grunde gelegt hat. Dem Bundesamt wurde im Verfahren die Möglichkeit gegeben, zu diesen Berichten eine Stellungnahme abzugeben und darzulegen, inwiefern trotz der sich laufend verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan mit einer Abschiebung des BF im September 2021 gerechnet werden könne. Das Bundesamt ging in seiner Stellungnahme vom 12.08.2021 inhaltlich nicht auf die vorgelegten Berichte ein, sondern führte aus, dass die Lage laufend beobachtet und die Planung der Abschiebung daran angepasst werde. Von der tatsächlichen Durchführbarkeit der Abschiebung gehe das Bundesamt aus, da derzeit eine Landeerlaubnis vorliege.

Bereits aus den in der Beschwerde zitierten Quellen ergibt sich, dass seit dem Beginn des Abzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan die Taliban binnen kurzer Zeit einen Großteil Afghanistans unter ihre Kontrolle gebracht haben.

Aus den Ausführungen der afghanischen Botschafterin in Österreich, die bereits in der Beschwerde zitiert wurden, geht hervor, dass die afghanische Regierung nicht in der Lage ist, nach Afghanistan abgeschobene Personen zu versorgen, weshalb um einen Stopp der Abschiebungen gebeten wurde.

Da bereits am 03.08.2021 eine Charterabschiebung nach Afghanistan scheiterte, da keine Landeerlaubnis erteilt wurde, ist es für das erkennende Gericht bereits aus den in der Beschwerde vorgelegten Berichten zur Lage in Afghanistan nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund Afghanistan nunmehr tatsächlich eine Landeerlaubnis erteilen wird, da zum einen eine Versorgung der abgeschobenen Personen durch die Regierung nicht möglich ist und sich zum anderen die Sicherheitslage laufend verschlechtert.

Dass die Taliban mittlerweile die Städte Herat, Mazar-e Sharif und Kabul eingenommen haben, steht auf Grund der diesbezüglichen Medienberichte fest. Beispielhaft wird dazu auf die Berichterstattung des ORF verwiesen:

„Taliban bringen Herat unter ihre Kontrolle

Die drittgrößte Stadt Afghanistans ist an die militant-islamistischen Taliban gefallen. Die wichtigsten Regierungseinrichtungen von Herat im Westen des Landes seien in den Händen der Islamisten, bestätigten drei lokale Behördenvertreter der dpa am Donnerstag. Erst am Donnerstagfrüh (Ortszeit) war die strategische Stadt Ghazni im Südosten gefallen. Auch die zweitgrößte Stadt Kandahar ist schwer umkämpft.

Dem Fall der historischen Stadt Herat mit ihren geschätzt 600.000 Einwohnerinnen und Einwohnern waren wochenlange Angriffe auf die Stadt vorausgegangen. Die Taliban konnten zunächst von den Sicherheitskräften und Milizen des dort heimischen Politikers und ehemaligen Kriegsfürsten Ismail Khan in Schach gehalten und teils auch wieder zurückgedrängt werden.

Provinzräte berichteten seit Donnerstagnachmittag (Ortszeit) von zunehmenden Gefechten in Herat. Die Taliban seien aus dem Osten in die Stadt vorgedrungen und bis zu 200 Meter an den Gouverneurssitz gelangt. Die Milizen von Khan seien im Westen der Stadt damit beschäftigt gewesen, einen Angriff der Islamisten abzuwehren. Auch vom Norden seien diese vorgerückt, sagte ein weiterer Provinzrat.“

Quelle: www.orf.at, 12. August 2021, 19.37 Uhr (Update: 12. August 2021, 22.12 Uhr)

„Mazar-e Sharif erobert, Kabul umzingelt

Die Taliban setzen ihre Offensive in Afghanistan ungehindert fort. Am Samstagabend nahmen die radikalen Islamisten offenbar kampflos Mazar-e Sharif ein, ehemals Standort der deutschen Bundeswehr. Auch die Lage in der Hauptstadt Kabul wird immer prekärer, die Taliban sind mittlerweile nahe an die Stadt gerückt.

Der örtliche Provinzrat und Bewohner von Mazar-e Sharif berichteten, dass die Stadt eingenommen wurde. Soldaten der Regierung seien in Richtung der Grenze zu Usbekistan geflohen. In einem Feldlager am Rande der Stadt hatte die deutsche Bundeswehr bis zu ihrem Abzug im Juni ihr Hauptquartier für den Afghanistan-Einsatz. Laut Zeugenberichten wurde die Flagge der Taliban auf der Blauen Moschee gehisst. Gefangene seien aus dem Zentralgefängnis der Stadt freigelassen worden.

Die Stadt galt als eine der letzten Hochburgen des Regierungslagers. Kabul ist nun angesichts des raschen Vorrückens der Taliban de facto die letzte Bastion der Regierungstruppen. Doch die Lage wird immer prekärer. International wird befürchtet, dass auch die Hauptstadt bald an die Islamisten fallen könnte. Immer mehr Länder trieben den Abzug ihres Personals rasch voran. Deutschland kündigte etwa an, Staatsbürger mit Hilfe der Bundeswehr aus dem Land holen zu wollen.“

Quelle: www.orf.at, 14. August 2021, 20.45 Uhr (Update: 14. August 2021, 23.56 Uhr)

„Die Folgen des Taliban-Siegeszugs

Neun Tage nach der Eroberung der ersten Provinzhauptstadt sind die radikalislamischen Taliban bis in die afghanische Hauptstadt Kabul vorgerückt. In der Bevölkerung ist die Angst vor Vergeltungsaktionen der Dschihadisten groß. Auch international herrscht Besorgnis über die Folgen des Taliban-Siegeszugs.

In „30 bis 90 Tagen“ werde Kabul an die Taliban fallen, lautete die Einschätzung der US-Geheimdienste noch vergangene Woche. Die Annahme hielt nicht einmal fünf Tage: Am Sonntag drangen die Islamisten in die Hauptstadt Afghanistans ein und besetzten den Präsidentenpalast. Präsident Ashraf Ghani hat das Land fluchtartig verlassen. Nach Angaben des früheren afghanischen Staatschefs Hamid Karzai wurde ein „Koordinierungsrat“ gebildet, der eine friedliche Machtübergabe an die Dschihadisten gewährleisten soll.

In den vergangenen Tagen nahmen die Taliban zahlreiche wichtige Städte ein, viele davon kampflos, etwa die Handelsstadt Jalalabad. Auch die große Schlacht um Kabul blieb aus. Die afghanischen Sicherheitskräfte – die zwei Jahrzehnte lang mit Milliarden aus dem Westen aufgebaut wurden – leisteten kaum Widerstand. Auch die sich in der Stadt befindlichen 5.000 Angehörigen der US-Streitkräfte griffen nicht ein. Ihre Mission war es einzig und allein, den Abzug des diplomatischen Personals zu sichern.“

Quelle: www.orf.at, 15. August 2021, 23.24 Uhr

Da die Taliban nunmehr insbesondere die Städte Herat und Mazar-e Sharif sowie die Hauptstadt Kabul eingenommen haben, ist mit einer tatsächlichen Abschiebung des BF innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer nicht zu rechnen.

Insgesamt ergeben sich im Verfahren daher keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Abschiebung des BF innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer faktisch möglich sein wird.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gesetzliche Grundlagen

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c.es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ überschriebene § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes lautet:

㤠22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

3.2. Zu Spruchteil A. – Spruchpunkt I. – Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft

3.2.1. Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft, er ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Ziff. 1 FPG. Er ist weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Verhängung der Schubhaft über den BF grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – möglich ist. Voraussetzung für die Verhängung der Schubhaft sind das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes hinsichtlich der Durchführung bestimmter Verfahren oder der Abschiebung, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft. Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kommt darüber hinaus nur dann in Betracht, wenn die Abschiebung auch tatsächlich im Raum steht.

3.2.2. Im vorliegenden Fall wurde Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie der Abschiebung angeordnet.

§ 76 Abs. 2 FPG wurde mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2018 mit Wirksamkeit vom 1. September 2018 geändert. Diese Änderung diente insbesondere dem Ziel, den Haftgrund des Art. 8 Abs. 3 lit. e der Aufnahme-RL ("Ein Antragsteller darf (...) in Haft genommen werden, wenn dies aus Gründen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung erforderlich ist") im innerstaatlichen Recht zu implementieren. Außerdem sollten die Schubhaftgründe dem jeweiligen unionsrechtlichen Sekundärrecht (Z 1 des § 76 Abs. 2 FPG der Aufnahme-RL, Z 2 dieser Bestimmung der Rückführungs-RL und deren Z 3 schließlich der "Dublin-Verordnung") zugeordnet werden.

Die Schubhaft zum Zweck der Sicherung eines Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen sonstige, nicht in einem Asylverfahren befindliche Fremde, oder zur Sicherung der Abschiebung soll ohne inhaltliche Änderung in einer eigenen Ziffer (Z 2) behandelt werden. Anders als die Schubhaft nach Z 1 unterliegt diese den Vorgaben der Art. 15 ff Rückführungs-RL und umfasst auch ehemalige Asylwerber, sowie Asylwerber, die bereits während des laufenden Beschwerdeverfahrens weder faktischen Abschiebeschutz genießen noch zum Aufenthalt berechtigt sind (VwGH vom 16.05.2019, Ra 2018/21/0177, Rn 16).

Bei Schubhaftbeschwerden ist die Entscheidung in der Sache selbst im Fortsetzungsausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG 2014 zu erblicken, wobei Änderungen der Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen sind (vgl. VfGH 12.3.2015, G 151/2014 ua, VfSlg. 19970/2015). In Gestalt dieses Fortsetzungsausspruches schafft das Verwaltungsgericht - wenn er "positiv" auszufallen hat - einen neuen Schubhafttitel (vgl. VwGH 5.10.2017, Ra 2017/21/0161, 0162). Von daher besteht auch kein Erfordernis, den vorangegangenen Schubhaftbescheid zu "sanieren". In Bezug auf die Überprüfung des Schubhaftbescheides ist das Verwaltungsgericht daher, zumal dem Gesetz keine Verpflichtung zu einer zweiten "Entscheidung in der Sache" zu entnehmen ist, auf eine reine Kontrolltätigkeit beschränkt, was letztlich darin seinen Ausdruck findet, dass durch § 22a Abs. 1a BFA-VG 2014 für Schubhaftbeschwerden das für Maßnahmenbeschwerden geltende Verfahrensrecht für anwendbar erklärt wird. Im Maßnahmenbeschwerdeverfahren stellt sich die Frage einer Sanierung des zu beurteilenden Aktes nämlich regelmäßig nicht (vgl. auch § 28 Abs. 6 VwGVG 2014; VwGH vom 05.10.2017, Ro 2017/21/0007).

Im vorliegenden Fall war hinsichtlich der Asylantragstellung des BF zum Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides am 04.08.2021 der faktische Abschiebeschutz durch Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.08.2021 bereits rechtskräftig aufgehoben. Zum Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlichen Schubhaftbescheides war der BF zwar nach innerstaatlichem Recht als Asylwerber zu qualifizieren. Ein Aufenthaltsrecht im Sinne der Aufnahme-RL kam ihm jedoch mit Rechtskraft der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht mehr zu, sondern war auf den BF zum Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides und der Anhaltung in Schubhaft die Rückführungs-RL in Form seiner innerstaatlichen Umsetzung in § 76 Abs. 2 Z 2PFG anzuwenden.

Damit fiel der BF zum Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides aber nicht mehr in den Anwendungsbereich der Aufnahme-Richtlinie und war die gegenständliche Schubhaft daher auch nicht unter die Norm der innerstaatlichen Umsetzung im § 76 Abs. 2 Z 1 FPG zu subsumieren, weshalb festzustellen ist, dass der angefochtene Schubhaftbescheid rechtswidrig ist.

3.2.3. War der Schubhaftbescheid rechtswidrig, so muss das auch für die auf den Schubhaftbescheid gestützte Anhaltung gelten (VwGH vom 11.06.2013, 2012/21/0114). Die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft seit 06.08.2021 ist daher rechtswidrig.

3.3. Zu Spruchteil A. – Spruchpunkt II. – Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft

3.3.1. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Der BF befindet sich zum Zeitpunkt der Entscheidung in Schubhaft, es ist daher eine Entscheidung über die Fortsetzung der Schubhaft zu treffen.

3.2.2. Dem BF kommt kein Aufenthaltsrecht in Österreich zu, der ihm auf Grund seines Folgeantrages auf internationalen Schutz zukommende Abschiebeschutz wurde rechtskräftig aufgehoben. Es ist daher zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Anhaltung des BF in Schubhaft zum Zwecke der Abschiebung gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG vorliegen.

3.2.3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich in Frage kommt. Es sind daher Feststellungen zur möglichen Realisierbarkeit der Abschiebung innerhalb der (jeweils) zulässigen Schubhafthöchstdauer zu treffen (vgl. z.B. VwGH vom 12.01.2021, Ra 2020/21/0378).

3.2.4. Wie sich aus den Feststellungen zur derzeitigen Lage in Afghanistan ergibt, ist eine Möglichkeit zur tatsächlichen Abschiebung des BF nicht absehbar, weshalb gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG festzustellen war, dass die Voraussetzungen für seine weitere Anhaltung in Schubhaft schon aus diesem Grund nicht vorliegen.

3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.

3.4. Zu Spruchteil A. – Spruchpunkte III. und IV. – Kostenersatz

3.4.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

3.4.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Im gegenständlichen Verfahren wurde sowohl gegen den im Spruch genannten Schubhaftbescheid als auch gegen die Anhaltung in Schubhaft Beschwerde erhoben. Der BF beantragte die bisherige Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig zu erklären und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft nicht vorliegen. Das Bundesamt beantrage die Abweisung der Beschwerde. Sowohl der BF als auch das Bundesamt haben einen Antrag auf Kostenersatz im Sinne des § 35 VwGVG gestellt. Da der Beschwerde stattgegeben und sowohl der angefochtene Bescheid als auch die Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig erklärt werden und festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des BF in Schubhaft nicht vorliegen, ist der BF die obsiegende Partei. Ihm gebührt daher gemäß § 35 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG iVm § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV Kostenersatz in der Höhe von EUR 767,60. Darin enthalten ist auch der Kostenersatz im Umfang der Eingabengebühr, da diese entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ebenfalls zu ersetzen ist (vgl. VwGH vom 28.05.2020, Ra 2019/21/0336).

Dem Bundesamt gebührt als unterlegener Partei kein Kostenersatz.

3.5. Zu Spruchteil B. - Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebungshindernis Dauer Einreiseverbot faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung rechtmäßig Folgeantrag Fortsetzung der Schubhaft Kostenersatz Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherheitslage Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W250.2245221.1.00

Im RIS seit

20.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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