TE Vfgh Erkenntnis 2021/6/7 E3850/2020

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Veröffentlicht am 07.06.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

EMRK Art8
AsylG 2005 §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten betreffend eine Staatsangehörige der Russischen Föderation; keine Auseinandersetzung mit der krankheits- und altersbedingten Situation der Beschwerdeführerin vor dem Hintergrund von Länderfeststellungen sowie der COVID-19-Situation im Heimatstaat

Spruch

 Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, stellte zunächst nach der Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 29. Juli 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher wegen der Zuständigkeit Polens mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. November 2013 als unzulässig zurückgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin nach Polen ausgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Polen für zulässig erklärt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 4. Dezember 2013 als unbegründet abgewiesen.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 9. April 2018 wurde ein von der Beschwerdeführerin am 5. März 2015 erneut gestellter Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten und der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist, und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 9. Oktober 2020 als unbegründet ab. Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführerin in den Herkunftsstaat – auszugsweise – fest:

"Die Beschwerdeführerin befindet sich in Österreich wegen zweier Krebserkrankungen in medizinischer Behandlung. Einerseits leidet die Beschwerdeführerin unter ein Mammakarzinom und andererseits unter ein Nierenzellkarzinom, die derzeit medikamentös behandelt werden. Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführerin an einer akuten oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankung [leidet], welche ein Hindernis für eine Rückführung in die Russische Föderation darstellen würde."

4. Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin – auszugsweise – wie folgt aus:

"Die Beschwerdeführerin wird derzeit medikamentös wegen ihrer Krebserkrankungen behandelt. Medikamente zur Behandlung von Tumoren werden – den Länderberichten zufolge – in der Russischen Föderation kostenlos zur Verfügung gestellt und ist eine Weiterbehandlung im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin daher möglich. Sie beherrscht die russische Sprache und verfügt über Verwandte in Tschetschenien, die sie zumindest anfänglich von dort aus finanziell unterstützen könnten.

[…]

Was die Ausbreitung des Corona Virus in der Russischen Föderation betrifft, ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin an keinen dahingehend schwerwiegenden Krankheiten leidet. Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beschwerdeführerin persönlich bei einer Rückkehr eine Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf erleiden würde. Die absoluten Zahlen in der Russischen Föderation erweisen sich mit 379.051 Erkrankten als so hoch, wie in kaum einem anderen Land. Dennoch erweisen sich die Todesfälle, mit insgesamt 4.142 Toten als, verglichen mit anderen Ländern, verhältnismäßig gering. Sieht man die absolute Zahl der Erkrankten jedoch im Verhältnis zur Einwohnerzahl, zeigt sich die Zahl der Erkrankungen pro 100.000 Einwohner noch davon entfernt, ein für eine Schutzgewährung signifikantes Risiko aufzuzeigen, in der Russischen Föderation an einer Lungenkrankheit Covid-19 mit schweren Verlauf zu erkranken."

5. Schließlich führte das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf die Möglichkeit einer Rückkehr der Beschwerdeführerin aus:

"Bei der Beschwerdeführerin wurde ein Mammakarzinom und ein Nierenzellkarzinom festgestellt. Zurzeit hat die Beschwerdeführerin keine Chemotherapie. In Bezug auf die gesundheitlichen Probleme der Beschwerdeführerin ist im Hinblick auf die 'hohe Schwelle' […] ausdrücklich festzuhalten, dass die im vorliegenden Fall konstatierte gesundheitliche Situation für die Beschwerdeführerin keinen derart außergewöhnlichen Umstand darstellt, dass eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art3 EMRK anzunehmen wäre und ist auch von keiner lebensbedrohlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes für den Fall ihrer Rückkehr auszugehen […].

Die Beschwerdeführerin befindet sich in Österreich in medizinischer Behandlung wegen zweier Krebserkrankungen. Aus den hg. Länderfeststellungen ergibt sich, dass das russische bzw tschetschenische Gesundheitssystem grundsätzlich funktionsfähig und medizinische (Grund-)Versorgung flächendeckend verfügbar ist. Für Krebserkrankungen bestehen in der gesamten Russischen Föderation bzw in der Teilrepublik Tschetschenien Behandlungsmöglichkeiten. Arzneimittel werden kostenlos zur Verfügung gestellt.

Der Beschwerdeführerin werden sohin die weitergehende Wahrnehmung der Therapien hinsichtlich ihrer Krebserkrankungen sowie allenfalls künftig notwendig werdende Behandlungen in ihrer Heimat möglich und zugänglich sein. Der Beschwerdeführerin wird daher eine entsprechende medizinische Betreuung in der Russischen Föderation bzw Tschetschenien zugänglich sein. Auch wenn die medizinische Versorgung mitteleuropäischen/österreichischen Standards vielfach nicht entsprechen mag und die Kosten weitergehender Therapien von den Patienten selbst zu tragen sind, vermag somit keine unmenschliche Behandlung im Falle der Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat erkannt werden."

6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Es sei aus dem Akt und den Unterlagen eindeutig ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin an einer schweren Krebserkrankung leide und einer ständigen medizinischen Betreuung und Behandlung bedürfe. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht ausreichend damit auseinandergesetzt, was eine Unterbrechung der Krebsbehandlung für sie bedeute, insbesondere wenn die Krebsbehandlung in Folge einer verpflichtenden Ausreise unterbrochen werde. Dass eine solche Unterbrechung lebensbedrohlich sei und somit zur Folge habe, dass die Beschwerdeführerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf Grund der Unterbrechung der Behandlung sterben werde, sei als Verstoß gegen Art2 EMRK anzusehen. Diesbezüglich fehle auch eine entsprechende Begründung im Erkenntnis. Der Verweis, dass der Beschwerdeführerin für künftig notwendige Behandlungen eine Möglichkeit in der Russischen Föderation zur Verfügung stehe, verkenne, dass eine Unterbrechung der Therapie durch eine Rückreise in die Russische Föderation, sowie das Eingewöhnen in das neue Leben nach vielen Jahren Abwesenheit großen psychischen und physischen Stress bedeute, der die Krebserkrankung beschleunige. Auch eine Abwägung, dass der Beschwerdeführerin nur für eine bestimmte Zeit ein Bleiberecht zugestanden werde, sei nicht erfolgt. Es sei aus den genannten Gründen jedenfalls ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen gewesen.

7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II. Erwägungen

A. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise richtet, ist sie begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt eingangs zum entscheidungsrelevanten Sachverhalt fest, dass sich die Beschwerdeführerin wegen zweier Krebserkrankungen in medizinischer Behandlung befinde und einerseits unter einem Mammakarzinom und andererseits unter einem Nierenzellkarzinom leide. Hinsichtlich der Frage einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Heimatstaat führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass betreffend die Ausbreitung von COVID-19 in der Russischen Föderation festzuhalten sei, dass die Beschwerdeführerin an keinen dahingehend schwerwiegenden Krankheiten leide und auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen würden, dass die Beschwerdeführerin persönlich bei einer Rückkehr eine Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf erleiden würde. Zwar seien die absoluten Fallzahlen in der Russischen Föderation so hoch wie in kaum einem anderen Land, die Todesfälle würden sich jedoch verglichen mit anderen Ländern als verhältnismäßig gering erweisen.

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht zieht weder Länderfeststellungen noch sonstige nachvollziehbare Quellen zur medizinischen Versorgung von Patienten, die an COVID-19 erkrankt sind, bzw zur Verbreitung der Krankheit in der Russischen Föderation heran. Die vom Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung herangezogenen Fall- bzw Todeszahlen und daraus gezogenen Schlussfolgerungen genügen daher den Anforderungen an eine nachvollziehbare und schlüssige, auf aktuelle (Länder-)Feststellungen gestützte Begründung nicht (vgl VfGH 28.11.2019, E991/2019 mwN; 24.11.2020, E2929/2020 ua; 25.2.2021, E3319/2020; vgl die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen und vor dem Hintergrund des konkreten Vorbringens eine Auseinandersetzung mit diesen zu erfolgen hat, etwa VfSlg 19.466/2011, 19.642/2012; VfGH 11.6.2012, U2344/11; 21.9.2012, U1032/12; 26.6.2013, U2557/2012; 11.12.2013, U1159/2012 ua; 5.3.2014, U36/2013; 11.3.2015, E1542/2014): Da die zugrunde gelegten Fall- und Todeszahlen keine Quellen- und Datumsangaben enthalten, ist es dem Verfassungsgerichtshof nicht möglich, die Aktualität und Nachvollziehbarkeit dieser Informationen zur Situation im Herkunftsstaat zu überprüfen, auf die sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung stützt (vgl VfGH 24.11.2020, E2929/2020 ua). Eine nachprüfende Kontrolle des angefochtenen Erkenntnisses betreffend die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an die Beschwerdeführerin in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation ist dem Verfassungsgerichtshof somit verwehrt (vgl zB VfGH 23.9.2019, E512/2019 ua; 26.6.2019, E1846/2019 ua; 24.11.2020, E2929/2020 ua).

2.3. Hinzukommt, dass das Bundesverwaltungsgericht – trotz der (alters- und krankheitsbedingten) Situation der Beschwerdeführerin, die eine Zugehörigkeit zu einer COVID-19-Risikogruppe (vgl COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, BGBl II 203/2020) indizieren könnte – begründungslos festhält, dass die Beschwerdeführerin an "keinen dahingehend schwerwiegenden Krankheiten leidet". Trotz des Alters der Beschwerdeführerin und der durch das Bundesverwaltungsgericht festgestellten mehrfachen Krebserkrankungen legt das Bundesverwaltungsgericht nicht dar, wie es zur Schlussfolgerung gelangt, dass "keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor[liegen], dass die Beschwerdeführerin persönlich bei einer Rückkehr eine Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf erleiden würde" (vgl VfGH 9.3.2021, E3791/2020).

2.4. Da es das Bundesverwaltungsgericht sowohl hinsichtlich der "Ausbreitung des Corona Virus in der Russischen Föderation" unterlassen hat, sich vor dem Hintergrund von entsprechenden nachvollziehbaren (Länder-)Feststellungen mit der konkreten krankheits- und altersbedingten Situation der Beschwerdeführerin auseinanderzusetzen, als auch eine konkrete Abwägung der schweren Erkrankungen der Beschwerdeführerin in Hinblick auf eine etwaige Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe und der damit einhergehenden erhöhten Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufes im Falle einer Infektion mit COVID-19 vorzunehmen, hat es Willkür geübt (vgl VfGH 24.11.2020, E3285/2020 mwN). Dies trifft ungeachtet dessen zu, dass die Vollzugsbehörde ohnehin verpflichtet ist, bei einer allfälligen Durchführung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme Art3 EMRK auch gerade im Hinblick auf die COVID-19-Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin zu beachten.

3. Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Zulässigerklärung der Rückkehrentscheidung bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Russische Föderation unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise bezieht, ist es somit mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.

B. Im Übrigen – also soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Soweit durch die angefochtene Entscheidung der Beschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt wurde, wären die gerügten Rechts-verletzungen im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung in jeder Hinsicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht, nicht anzustellen.

3. Demgemäß wurde beschlossen, in diesem Umfang von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der ebenfalls verzeichneten Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführerin Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht / Vulnerabilität, COVID (Corona), Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E3850.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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