TE Vwgh Erkenntnis 1997/3/11 95/07/0202

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Veröffentlicht am 11.03.1997
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Index

L66504 Flurverfassung Zusammenlegung landw Grundstücke
Flurbereinigung Oberösterreich;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
22/02 Zivilprozessordnung;
80/06 Bodenreform;

Norm

ABGB §339;
FlVfGG §34 Abs4;
FlVfLG OÖ 1979 §102 Abs2;
ZPO §454 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Bumberger, Dr. Pallitsch und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Suda, über die Beschwerde

1) des BR und 2) der CR, beide in L und beide vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Landesagrarsenates beim Amt der Oberösterreichischen Landesregierung vom 30. August 1995, Zl. Bod - 4367/35-1995, betreffend Besitzstörung (Mitbeteiligte Parteien: 1) JG und

2) EG, beide in L und beide vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in H), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte des Beschwerdefalles wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die hg. Erkenntnisse vom heutigen Tage, 95/07/0199, 0200 und 0201, sowie 95/07/0198, verwiesen.

Wie dem Darstellungsteil des Erkenntnisses vom heutigen Tage, 95/07/0198, entnommen werden kann, hatten die Landwirte JG und EG, die mitbeteiligten Parteien des vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (MP), in einem Annex zu einem Schreiben der Gemeinde L vom 9. September 1994 an die Agrarbezirksbehörde Linz (AB) darüber Klage geführt, daß der Erstbeschwerdeführer und sein Sohn am 26. August 1994 die seinerzeit von der AB abgesteckte Grenze zwischen dem Grundstück Nr. 1573 KG L der Beschwerdeführer und ihrem Grundstück Nr. 1566/1 KG L dadurch mißachtet hätten, daß sie einen Teil ihres Grundstückes Nr. 1566/1 umgeackert hätten. Der Erstbeschwerdeführer und sein Sohn hätten den MP des vorliegenden Verfahrens gegenüber dadurch "Grundbesitzstörung begangen".

In einer bei der AB am 3. Oktober 1994 eingelangten, als "Besitzstörungsklage" überschriebenen Eingabe vom 29. September 1994 führten die Beschwerdeführer ihrerseits darüber Klage, daß die MP einerseits am 24. September 1994 widerrechtlich eine auf ihrem Grundstück Nr. 1564 KG L befindliche Holunderstaude ausgegraben und entfernt und andererseits in der zweiten Septemberhälfte 1994 auf dem Grundstück Nr. 1573 KG L der Beschwerdeführer in der südwestlichen Ecke den von den Beschwerdeführern angesetzten Raps widerrechtlich entfernt hätten, was die Beschwerdeführer am 26. September 1994 festgestellt hätten. Die Grundstücke Nr. 1564 und 1573 je KG L seien in das Zusammenlegungsverfahren Abwinden einbezogen, weshalb die AB gemäß § 102 Abs. 2 lit. a O.ö. Flurverfassungs-Landesgesetz 1979 (O.ö. FlG. 1979) zur Entscheidung über die Besitzstörung berufen sei. Es werde deshalb die Erlassung eines "Endbeschlusses" näher formulierten Inhaltes, umfassend ein Feststellungsbegehren über Entfernung von Holunderstaude und Raps, ein Unterlassungs- und ein Kostenersatzbegehren, beantragt.

Der von der AB beigezogene Amtssachverständige teilte in einer Stellungnahme vom 10. Oktober 1994 mit, daß die Umfangsgrenzen der von den Beschwerdeführern genannten Grundstücke Nr. 1564 und 1573 nicht digitalisiert, sondern vermarkt und vermessen worden und somit Punkt für Punkt in der Natur auszeigbar und rekonstruierbar seien.

Die MP bestritten in einer am 17. Oktober 1994 bei der AB eingelangten Stellungnahme die erhobenen Vorwürfe.

Wie dem Inhalt der zum Beschwerdeverfahren 95/07/0198 vorgelegten Verwaltungsakten entnommen werden kann, fand die erste Verhandlung der AB über auch den Besitzstörungsantrag der Beschwerdeführer am 29. November 1994 statt. In dieser Verhandlung zogen die Beschwerdeführer ihr Begehren im Umfang der Entfernung der Holunderstaude zurück. Der beigezogene Amtssachverständige erklärte nach Durchführung eines Ortsaugenscheines, daß zur Klärung des Grenzverlaufes zwischen den Grundstücken der Streitteile im strittigen Bereich eine Identifikation zwischen Plan und Natur in Form einer Rekonstruktion des maßgebenden Grundstückseckpunktes vorzunehmen sei, welche Maßnahme für später angekündigt wurde.

Wie den zu den Beschwerdefällen 95/07/0199, 0200 und 0201 vorgelegten Verwaltungsakten entnommen werden kann - in den zum vorliegenden Beschwerdefall vorgelegten Verwaltungsakten fehlt die entsprechende Seite der Verhandlungsniederschrift -, erfolgte die in der Verhandlung vom 29. November 1994 angekündigte Rekonstruktion der Grenze der Grundstücke Nr. 1573 und 1566/1 KG L in der Verhandlung der AB vom 16. Jänner 1995 in einer Weise, welche die MP dazu veranlaßte, ihren "Besitzstörungsantrag vom 9. September 1994 ausdrücklich und unwiderruflich" zurückzuziehen.

Mit ihrem Bescheid vom 4. Mai 1995 wies die AB den Antrag der Beschwerdeführer vom 29. September 1994 "auf Unterlassung von Besitzstörungshandlungen", gestützt auf § 339 ABGB, § 454 ZPO in Verbindung mit § 102 O.ö. FLG 1979, mit der Begründung ab, daß es an dem für eine Besitzstörung erforderlichen Element der Wiederholungsgefahr fehle. In der Begründung ihres Bescheides traf die AB die Sachverhaltsfeststellung, daß die Beschwerdeführer aufgrund des in Rechtskraft erwachsenen Bescheides der AB vom 22. April 1992 über Besitzstandsausweis und Bewertungsplan im Zusammenlegungsverfahren Abwinden Eigentümer des Grundstückes Nr. 1573 KG L seien und daß die MP in der zweiten Septemberhälfte 1994 auf diesem Grundstück in der südwestlichen Ecke den von den Beschwerdeführern angesäten Raps entfernt hätten. Es hätten die MP aufgrund der Rekonstruktion des Grenzverlaufes beim Ortsaugenschein vom 16. Jänner 1995 jedoch ihren Besitzstörungsantrag ausdrücklich und unwiderruflich zurückgezogen, die festgestellte Grenze anerkannt und auch eingesehen, daß sie im Zuge der Bearbeitung ihres Grundstückes Nr. 1566/1 KG L dessen Grenze zum Grundstück Nr. 1573 der Beschwerdeführer überschritten hätten. Durch die Zurückziehung ihres Besitzstörungsantrages hätten die MP unmißverständlich dargetan, daß sie die beim Ortsaugenschein vom 16. Jänner 1995 festgestellte Grenze einhalten würden, sodaß die Gefahr einer Wiederholung der Besitzstörung bezüglich des Grundstückes der Beschwerdeführer Nr. 1573 KG L nicht gegeben sei.

In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung traten die Beschwerdeführer der Annahme eines Fehlens der Wiederholungsgefahr mit dem Hinweis auf das zunächst bestreitende Vorbringen der MP noch in der Verhandlung vom 29. November 1994 sowie mit den weiteren Vorbringen entgegen, daß das von der AB unterstellte Fehlen einer Wiederholungsgefahr auch durch nachfolgende Besitzstörungshandlungen der MP widerlegt werde. Am 15. März 1995 oder einige Tage später hätten die MP nämlich auf eine von einem ersessenen Fahrtrecht der Beschwerdeführer betroffenen Fläche eine Holunderstaude gepflanzt und auf eine Länge von etwa 30 m auf dem Grundstück Nr. 1573 KG L der Beschwerdeführer Plastikplanen gelagert. Einer Aufforderung der Beschwerdeführer, die Holunderstaude und die Plastikplanen binnen gesetzter Frist zu entfernen, seien die MP nachgekommen, woraus das Vorliegen von Wiederholungsgefahr erwiesen sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführer mit der Begründung ab, daß eine Besitzstörung u.a. voraussetze, daß sich der Störer des Eingriffs in fremden Besitz bewußt sei. Die MP hätten glaubhaft vorgebracht, daß ihnen dieses Bewußtsein zum fraglichen Zeitpunkt gefehlt hätte, weil ihnen erst durch die Grenzrekonstruktion, welche die AB am 16. Jänner 1995 durchgeführt habe, der rechtsgültige Grenzverlauf zwischen ihrem Grundstück Nr. 1566/1 und dem Grundstück Nr. 1573 der Beschwerdeführer im Detail bekannt geworden sei. Das Vorbringen der Beschwerdeführer über die Begehung neuerlicher Besitzstörungshandlungen durch die MP im März 1995 sei bei der Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde widerlegt worden. Bei der angeblich gepflanzten Holunderstaude handle es sich um einen dürren Ast, den unbekannte Personen (vermutlich Kinder) in den Boden gesteckt hätten; es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, daß die MP Plastikplanen auf dem Grundstück der Beschwerdeführer gelagert hätten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides auf dem Grunde der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder jener infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit der Erklärung begehren, sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Ausübung und Schutz ihres Besitzes sowie auf Stattgabe ihres Besitzstörungsantrages bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen als verletzt anzusehen.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift ebenso wie die MP die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführer bekämpfen mit ihren Ausführungen die von ihnen unterstellte behördliche Annahme des Fehlens einer Wiederholungsgefahr als Grund für die Abweisung ihres Besitzstörungsantrages. Diese Beschwerdeausführungen gehen ins Leere, weil das Fehlen von Wiederholungsgefahr zwar den von der AB herangezogenen Grund für die Abweisung des Besitzstörungsantrages gebildet hatte, nicht jedoch von der belangten Behörde zum Grund der Abweisung der Berufung der Beschwerdeführer genommen worden war. Die belangte Behörde hat den Besitzstörungsantrag der Beschwerdeführer im Instanzenzug vielmehr mit der Begründung fehlenden Eingriffsbewußtseins der MP abgewiesen und auf ein solches Fehlen eines Bewußtseins des Eingriffes in fremde Besitzrechte aus dem Umstand geschlossen, daß den MP der rechtsgültige Grenzverlauf zum Grundstück der Beschwerdeführer erst durch die Grenzrekonstruktion im Zuge des Verfahrens vor der AB am 16. Jänner 1995 im Detail bekannt geworden sei. Dieser Umstand erlaubte aber die von der belangten Behörde gezogenen rechtliche Beurteilung nicht.

Der in der zivilgerichtlichen Judikatur entwickelte Begriff des "Eingriffsbewußtseins" ist nichts anderes als ein Aspekt der in § 339 ABGB genannten "Eigenmacht" des Eingriffs in fremden Besitz, gegen den das Gesetz den possessorischen Rechtsschutz gewährt. Dementsprechend wurde in der zivilgerichtlichen Judikatur das Fehlen des Bewußtseins eines Eingriffes des Störers in fremden Besitz in Fällen zum Grund für die Verneinung einer Besitzstörung genommen, in denen sich der Störer etwa durch einen behördlichen Auftrag zum Eingriff ermächtigt glaubte oder aus besonderen Gründen zur Annahme berechtigt erscheinen konnte, daß der Besitzer dem Eingriff in seinen Besitz zustimmen würde, oder in Fällen voller persönlicher Handlungsunfähigkeit des Störers (vgl. die in MGA 234 E 65ff zu § 339 ABGB angeführten Nachweise). Nicht jedoch setzt der Erfolg eines Besitzstörungsbegehrens eine Absicht des Eingriffes etwa derart voraus, daß gegen den irrtümlichen oder ungewollten Eingriff die gesetzlich eingeräumte Abwehrmöglichkeit ausgeschlossen wäre und der Störer die Einwendung, im guten Glauben gehandelt zu haben, mit Erfolg vortragen könnte (vgl. die in MGA 234 E 69ff, insbesondere 72a zu § 339 ABGB wiedergegebene zivilgerichtliche Judikatur).

Zu der von der AB verneinten Wiederholungsgefahr sei bemerkt, daß Wiederholungsgefahr so lange anzunehmen ist, als nicht besondere Umstände sie als vollständig beseitigt erscheinen lassen (vgl. im übrigen hiezu auch die in MGA 614 E 195 zu § 226 ZPO angeführten Nachweise zu dem für die Prüfung von Wiederholungsgefahr gebotenen Maßstab).

Soweit die MP in ihren Gegenschriften die behördliche Feststellung ihres Eingriffes in den Besitz der Beschwerdeführer als unzutreffend bezeichnen, wird sich die belangte Behörde bei Erlassung des Ersatzbescheides mit einem solchen Vorbringen, sollten die MP es im fortzusetzenden Verwaltungsverfahren aufrecht erhalten, in der sachlich gebotenen Weise auseinanderzusetzen haben.

Der angefochtene Bescheid war aus den dargelegten Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995070202.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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