TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/5 I415 2237909-1

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Veröffentlicht am 05.03.2021
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Entscheidungsdatum

05.03.2021

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
StGB §127
StGB §129
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I415 2237909-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. UNGARN, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 25.11.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text



Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Mit Strafantrag vom 02.03.2020 legte die StA XXXX dem Beschwerdeführer zur Last, er habe am Flughafen XXXX im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter mit A.K. Verfügungsberechtigten der Unternehmen XXXX bzw. XXXX bzw. XXXX gewerbsmäßig fremde bewegliche Sachen in 5.000 € übersteigendem Wert mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er Telefone und andere elektronische Geräte in die Tourenbox des A.K. gelegt und dieser die Sendungen ohne sie einzuscannen vom Gelände des Unternehmens XXXX verbracht habe.

2.       Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 13.05.2020 teilte das BFA dem Beschwerdeführer mit, dass im Falle einer Verurteilung die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn beabsichtigt sei und gewährte ihm eine 14-tägige Frist zur Erstattung einer Stellungnahme. Das Parteiengehör wurde dem Beschwerdeführer am 14.05.2020 zugestellt, wobei der Beschwerdeführer nicht reagierte.

3.       Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 29.09.2020 wurde das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer gemäß §§ 198, 199, 203 Abs. 3 StPO unter Bestimmung einer zweijährigen Probezeit vorläufig eingestellt.

4.       Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 25.11.2020 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 18 Monaten befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.) und erteilte ihm einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung (Spruchpunkt II.).

5.       Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seiner damaligen Rechtsvertretung, der Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH vom 16.12.2020 fristgerecht Beschwerde und beantragte, den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben, in eventu die Dauer des verhängten Aufenthaltsverbotes zu reduzieren, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuweisen sowie eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

6.       Beschwerde samt Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 20.11.2020 vorgelegt.

7.       Mit 31.12.2020 legte die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH die ihr vom Beschwerdeführer erteilte Vertretungsvollmacht zurück.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

Der 29-jährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Ungarns, ging in Österreich als Berufspendler zwischen 22.06.2015 und 23.12.2020 mit kurzen Unterbrechungen bei verschiedenen Arbeitgebern einer Erwerbstätigkeit als Paketzusteller nach. Er hat seinen Hauptwohnsitz in XXXX (Ungarn). Von 04.09.2015 bis 23.01.2017, von 23.01.2017 bis 26.04.2017 und von 03.08.2020 bis 15.10.2020 hatte er eine Nebenwohnsitz-Meldeadresse im Bundesgebiet. Er hat nie die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung beantragt.

Mit Strafantrag vom 02.03.2020 erhob die StA XXXX Anklage gegen den Beschwerdeführer wegen des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5, 130 Abs. 1 erster Fall StGB. Der Beschwerdeführer wurde beschuldigt, er habe in mehreren Tathandlungen zwischen 20.08.2019 und 02.12.2019 am Flughafen XXXX im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter mit A.K. Verfügungsberechtigten der Unternehmen XXXX bzw. XXXX bzw. XXXX gewerbsmäßig fremde bewegliche Sachen in 5.000 € übersteigendem Wert mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er Telefone und andere elektronische Geräte in die Tourenbox des A.K. gelegt und dieser die Sendungen ohne sie einzuscannen vom Gelände des Unternehmens XXXX verbracht habe.

Mit Beschluss vom 29.09.2020, Zl. XXXX , stellte das Landesgericht XXXX das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer gemäß §§ 198, 199, 203 Abs. 3 StPO unter Bestimmung einer zweijährigen Probezeit vorläufig ein, und zwar mit folgender Begründung:

„In der Hauptverhandlung am 27.8.2020 verantwortete sich der unbescholtene, in geordneten Verhältnissen lebende Angeklagte reumütig geständig. Der informierte Vertreter des Opfers teilte mit, dass der Schaden bereits beglichen ist.

Im Falle einer Verurteilung wäre die Schuld des Angeklagten im Verhältnis zur „typischen“ Begehungsweise des ihm angelasteten Delikts nicht als „schwer“ zu beurteilen. Das Ermittlungsverfahren und die Hauptverhandlung vor dem Landesgericht haben ihm den Ernst des Vorwurfs deutlich vor Augen geführt. Im Hinblick darauf stehen einer Diversion auch keine generalpräventiven Erwägungen entgegen.“

Es sind keine weiteren Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer eingeleitet worden und der Beschwerdeführer ist seither kriminalpolizeilich nicht in Erscheinung getreten.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1 Zum Verfahrensgang und zum Sachverhalt

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz. Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister, dem AJ-Web, dem Schengener Informationssystem und dem Strafregister wurden ergänzend eingeholt.

2.2 Zur Person und zum Aufenthalt des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund der Vorlage seines ungarischen Personalausweises Nr. XXXX gegenüber den österreichischen Behörden fest.

Die Zeiten der Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gehen aus einem aktuellen Auszug aus dem AJ-Web hervor, seine Nebenwohnsitzmeldung aus der eingeholten zmr-Auskunft. Der Beschwerdeführer hat im Beschwerdeschriftsatz nachvollziehbar dargelegt, dass er aus seinem 52 km von der österreichischen Grenze entfernten Wohnort XXXX zur Arbeit nach Österreich pendelte. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer einmal eine Anmeldebescheinigung ausgestellt wurde. Dies wird von ihm selbst auch nicht behauptet. Im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) ist dementsprechend weder die Erteilung einer Anmeldebescheinigung noch ein entsprechender Antrag gespeichert.

Die Feststellung zu der gegen den Beschwerdeführer erhobenen Anklage ergibt sich aus der vorliegenden Verständigung von der Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft XXXX vom 02.03.2020, Zl. XXXX (AS 37) und dem polizeilichen Abschlussbericht (AS 3-16), die Feststellungen zur Einstellung des Strafverfahrens aus dem Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 29.09.2020, Zl. XXXX (AS 55-56).

Es sind keine Umstände bekannt geworden, die auf das Vorliegen eines neuerlichen einschlägigen Verhaltens des Beschwerdeführers schließen ließen.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einem aktuellen Auszug aus dem österreichischen Strafregister.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

3.1      Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Wenn der EWR-Bürger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 3 FPG sogar unbefristet erlassen werden.

§ 67 Abs. 1 FPG 2005 idF FrÄG 2011 enthält somit zwei Stufen für die Gefährdungsprognose, nämlich einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens vorliegen muss, und andererseits (nach dem fünften Satz) die nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen mit mindestens zehnjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet bzw. im Fall von Minderjährigen (VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181; 15.09.2016, Ra 2016/21/0262).

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 27.04.2020, Ra 2019/21/0367).

Das erkennende Gericht die fremdenpolizeilichen Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den Erwägungen des Strafgerichts betreffend die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs zu treffen (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096). Es obliegt daher dem erkennenden Gericht festzustellen, ob eine Gefährdung im Sinne des FPG vorliegt oder nicht. Es geht bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

§ 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") enthält einen höheren Gefährdungsmaßstab als § 53 Abs 3 FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit"; siehe VwGH 07.05.2014, 2013/22/0233).

§ 67 FPG dient der Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl § 2 Abs 4 Z 18 FPG), und zwar insbesondere der Umsetzung von deren Art 27 und 28 (VwGH Fr 2016/21/0020), und ist in erster Linie in Fällen schwerer Kriminalität anzuwenden (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1).

Die Verhältnismäßigkeit eines Aufenthaltsverbots ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0362; 06.05.2020; Ra 2020/20/0093)

Gemäß Art. 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art. 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

3.2      Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Als Staatsangehöriger Ungarns ist der Beschwerdeführer EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG und fällt in den persönlichen Anwendungsbereich des § 67 FPG.

Im Falle des Beschwerdeführers, der in Österreich als Arbeitnehmer erwerbstätig war, jedoch seinen Hauptwohnsitz durchgehend in Ungarn hatte, ist die Voraussetzung eines durchgehenden rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet weder seit fünf, noch seit zehn Jahren erfüllt, sodass für ihn der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 Satz 1 und 2 FPG für Unionsbürger zur Anwendung kommt. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist demnach zulässig, wenn sein Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens war der Beschwerde stattzugeben, dies aus folgenden Gründen:

Die belangte Behörde hat grundsätzlich zutreffend § 67 FPG als Rechtsgrundlage für das Aufenthaltsverbot herangezogen. Auch ist dem Bundesamt dahingehend zuzustimmen, dass es für das Vorliegen einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht erforderlich ist, dass eine Anzeige oder gar Verurteilung des Fehlverhaltens vorliegt. Es ist vielmehr auf die Art und Schwere des Fehlverhaltens, welches von der Behörde festzustellen ist, abzustellen (vgl etwa VwGH vom 03.04.2009, 2008/22/0711). Auch ein festgestelltes Fehlverhalten eines Fremden, das (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat, kann zur Beurteilung der für ein Aufenthaltsverbot erforderlichen Gefährdungsprognose herangezogen werden (vgl. VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0349).

Das BFA hat jedoch verkannt, dass vorliegend nicht von einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr gesprochen werden kann. Maßgeblich ist gegenständlich nicht primär, dass der Beschwerdeführer das ihm zur Last gelegte Verhalten begangen hat, vielmehr ist im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten des Beschwerdeführers im Lichte dieses Verhaltens rechtlich zu würdigen. Es ist also im konkreten Einzelfall zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich der Beschwerdeführer hinkünftig rechtskonform verhalten wird.

Obwohl sich der Beschwerdeführer zu den Vorwürfen der Anklageschrift geständig zeigte und somit davon auszugehen ist, dass er zwischen 20.08.2019 und 02.12.2019 in wiederholten Tathandlungen im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem Mittäter das Vergehen des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls begangen hat, erfüllt sein Verhalten den anzuwendenden Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG entgegen der Auffassung der belangten Behörde (gerade noch) nicht. Der Beschwerdeführer ist in Österreich ansonsten bisher kriminalpolizeilich nicht in Erscheinung getreten und strafrechtlich unbescholten. Er zeigte sich gegenüber dem Strafgericht reumütig geständig, auch wurden ihm im Rahmen des gegen ihn geführten Strafverfahrens der Ernst des Vorwurfs und die möglichen Konsequenzen seines Handelns verdeutlicht. Den durch sein delinquentes Verhalten entstandenen Schaden hat er wiedergutgemacht. Seine Schuld wäre im Falle einer Verurteilung nicht als „schwer“ zu beurteilen gewesen, sodass das Strafgericht mit einer Diversion gemäß §§ 198, 199, 203 Abs. 3 StPO, und zwar der Festsetzung einer zweijährigen Probezeit, das Auslangen fand. Eine Betreuung des Beschwerdeführers durch einen Bewährungshelfer während dieses Zeitraumes wurde nicht als erforderlich erachtet. Er lebt in geordneten Verhältnissen und ging in Österreich über einen fünfjährigen Zeitraum als Berufspendler einer ordnungsgemäß gemeldeten legalen Erwerbstätigkeit nach. Seit seiner letzten Tat am 02.12.2019 hat er sich nichts mehr zu Schulden kommen lassen.

Die belangte Behörde hat diese für den Beschwerdeführer sprechenden Umstände bei ihrer Entscheidung vollkommen außer Acht gelassen.

Unter Anwendung des § 67 Abs. 1 und 2 FPG kann das erkennende Gericht dem vorliegenden Fall keine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Republik (dauerhaft) gefährdet, abgewinnen. Die vorzunehmende Zukunftsprognose fällt daher zu Gunsten des Beschwerdeführers aus.

Im Ergebnis und vor dem Hintergrund der zu Beginn zitierten VwGH-Judikatur zeigt sich die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes vorliegend somit nicht als verhältnismäßig.

Da sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes schon dem Grunde nach als unzulässig erweist, war auf die Relation des Privat- und Familienlebens zu den öffentlichen Interessen nicht einzugehen. Wegen der untrennbaren Verbindung des § 70 Absatz 3 FPG mit dem Bestand eines Aufenthaltsverbotes war der Bescheid auch dahingehend aufzuheben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Sollte der Beschwerdeführer in Zukunft erneut strafbare Handlungen begehen, wird die belangte Behörde in Ansehung der obgenannten Ausführungen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn neuerlich zu prüfen haben.

4. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, kann eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Angemessenheit Aufenthalt im Bundesgebiet Aufenthaltsverbot Aufenthaltsverbot aufgehoben Behebung der Entscheidung Diebstahl Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung EU-Bürger EWR-Bürger Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose Gewerbsmäßigkeit Haft Haftstrafe Interessenabwägung Kassation öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen schwere Straftat Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Unbescholtenheit Unionsbürger Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I415.2237909.1.00

Im RIS seit

30.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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