TE Vwgh Erkenntnis 1997/3/19 93/11/0107

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Veröffentlicht am 19.03.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;

Norm

ARG 1984 §25 Abs1;
ARG 1984 §25 Abs2;
AVG §37;
AZG §26 Abs1;
AZG §26 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des M in S, vertreten durch Dr. D, Rechtsanwalt in V, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom 15. April 1993, Zl. KUVS-664/3/1993, betreffend Übertretung des Arbeitszeitgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Feldkirchen vom 15. Februar 1993 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe, wie aufgrund der am 4. September 1992 beim zuständigen Arbeitsinspektorat eingelangten Unterlagen festgestellt worden sei, keine Aufzeichnungen über die von einem namentlich genannten Arbeitnehmer des Beschwerdeführers geleisteten Arbeitsstunden geführt und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § "26 Abs. a" Arbeitszeitgesetz, BGBl 1969/461 idF vor der Novelle BGBl. 1994/446 (AZG), begangen.

Mit dem angefochtenen (Berufungs-)Bescheid wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, als Arbeitgeber die vom Arbeitsinspektorat angeforderten Arbeitsaufzeichnungen betreffend den in Rede stehenden Arbeitnehmer bis 31. Juli 1992 nicht vorgelegt und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 26 Abs. 2 AZG begangen zu haben.

In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 24 VStG iVm § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid (unter Bedachtnahme auf das im Verwaltungsstrafverfahren geltende Verbot der reformatio in peius und die Verjährungsbestimmungen der §§ 31 und 32 VStG) nach jeder Richtung abzuändern. "Sache" ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde bildet. Wechselt die Berufungsbehörde die von der Erstbehörde als erwiesen angenommene Tat aus, so nimmt sie eine ihr nicht zustehende Befugnis in Anspruch und belastet ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit (siehe die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens,

5. Auflage, unter E Nr. 55 bis 59 zu § 51 VStG zitierte hg. Rechtsprechung).

Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde mit Recht vor, sie habe ihm im Berufungsverfahren eine andere als die von der Erstbehörde angenommene Tat zur Last gelegt. Die belangte Behörde hat nämlich einen Verstoß gegen § 26 Abs. 2 AZG durch die Nichtvorlage von Arbeitszeitaufzeichnungen bis 31. Juli 1992, die erstinstanzliche Behörde hingegen einen Verstoß gegen § 26 Abs. 1 AZG durch Nichtführen von Aufzeichnungen über geleistete Arbeitsstunden angenommen. Dies bedeutet eine unzulässige Auswechslung der von der Erstbehörde als erwiesen angenommenen Tat im Sinne des § 44a Z. 1 VStG durch die belangte Behörde. In diesem Zusammenhang wird auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (24. Juli 1991, 91/19/0146; 29. Juli 1993, 91/19/0176) hingewiesen, wonach es sich bei der Übertretung nach § 26 Abs. 1 einerseits und nach § 26 Abs. 2 zweiter Halbsatz AZG andererseits um unterschiedliche Delikte handelt.

An der Tatsache des Vorliegens einer unzulässigen Auswechslung der Tat vermag das Vorbringen in der Gegenschrift nichts zu ändern, daß Grundlage des angefochtenen Bescheides das in der mündlichen Berufungsverhandlung geschöpfte Beweisergebnis sei. Der damit angesprochene Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens (§ 51i VStG) entbindet die belangte Behörde als Berufungsbehörde nicht von der Verpflichtung, ihre auf die "Sache" im besagten Sinn beschränkte Entscheidungsbefugnis zu beachten.

Im Hinblick auf das weitere Vorbringen in der Gegenschrift, der vom anzeigenden Arbeitsinspektorat gezogene (und von der Erstbehörde übernommene) Schluß, daß der Beschwerdeführer entsprechende Arbeitsaufzeichnungen nicht geführt habe, sei zwar naheliegend, im vorliegenden Fall aber nicht mit der für das Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Gewißheit zu beweisen, ist für das fortzusetzende Verfahren festzuhalten:

Die belangte Behörde hat - vom Beschwerdeführer unbekämpft - festgestellt, bei den von ihm vorgelegten Unterlagen handle es sich um Lohnabrechnungen für die Monate Mai und Juni 1992, aus denen die Summe der geleisteten Arbeitsstunden und Überstunden sowie Angaben über die Entlohnung des Arbeitnehmers des Beschwerdeführers ersichtlich seien. Sie hat dazu ausgeführt, diese Unterlagen seien für die Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes und des Arbeitsruhegesetzes nicht geeignet, weil sie keine Information über die tatsächliche Arbeitszeit und über allfällige Ruhepausen enthielten. Diese Beurteilung steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Mindestinhalt von Aufzeichnungen über geleistete Arbeitstunden nach § 26 Abs. 1 AZG (24.7.1991, 91/19/0146; 9.3.1995, 93/18/0114; u.a.). Angesichts des Berufungsvorbringens des Beschwerdeführers, er habe "Arbeitsaufzeichnungen geführt und diese in Kopie dem Arbeitsinspektorat übersandt", und des Fehlens jeglichen Hinweises darauf, daß vom Beschwerdeführer auch noch andere Arbeitsaufzeichnungen als die vorgelegten geführt worden wären, besteht kein vernünftiger Grund, an der Richtigkeit der Annahme zu zweifeln, der Beschwerdeführer habe keine dem Gesetz entsprechenden "Arbeitsaufzeichnungen" geführt.

Aus dem oben genannten Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl 1994/416.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtliche Beurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1993110107.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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