Entscheidungsdatum
08.01.2021Index
90/01 StraßenverkehrsordnungNorm
StVO 1960 §9 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Dr.in Keplinger über die Beschwerde des AA, wohnhaft in Adresse 1, **** Z, vertreten durch Rechtsanwalt BB, Adresse 2, **** Z, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Tirol vom 22.10.2020, Zl ***, betreffend eine Übertretung nach der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) und dem Führerscheingesetz (FSG), nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung,
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird dahingehend Folge gegeben, als Spruchpunkt 1. des beschwerdegegenständlichen Bescheides aufgehoben wird und diesbezüglich das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG 1991) eingestellt wird.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
3. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
Mit dem beschwerdegegenständlichen Bescheid legte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zur Last, er habe am 07.10.2020, um 22.08 Uhr in **** Z, Adresse 3, mit dem PKW mit dem behördlichen Kennzeichen *-**** die auf der Fahrbahn angebrachte Sperrlinie überfahren und dadurch gegen § 9 Abs 1 StVO verstoßen (Spruchpunkt 1.) und am 07.10.2020 um 22.10 Uhr in **** Z, Adresse 3, als Lenker des PKW mit dem behördlichen Kennzeichen *-***** den Führerschein nicht mitgeführt und dadurch gegen § 37 Abs 1 iVm § 14 Abs 1 Z 1 FSG verstoßen (Spruchpunkt 2.). Von der Verhängung einer Strafe wurde abgesehen und gemäß § 45 Abs 1 letzter Satz VStG eine Ermahnung erteilt.
Mit der rechtzeitig erhobenen Beschwerde vom 05.11.2020 beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Einstellung des Verfahrens. Begründend wurde ausgeführt, dass der Unfallbericht der PI Y, welcher dem Verfahren zugrunde gelegt wurde, nicht schlüssig sei. Der Unfallhergang werde nicht vollständig bzw richtig dargestellt. Aufgrund des Wendemanövers des Unfallgegners sei der Beschwerdeführer gezwungen gewesen kurz auszulenken. Ein Verschulden könne ihm nicht angelastet werden. Zudem befinde sich im Bereich Adresse 3 keine Sperrlinie, weshalb diesbezüglich auch kein Verstoß vorliegen könne.
Beweis wurde aufgenommen durch die Einsichtnahme in den verwaltungsbehördlichen Akt, die Durchführung eines Lokalaugenscheins, bei welchem Lichtbilder vom Tatort angefertigt wurden (OZ 3), die Einsichtnahme in ein Schreiben der CC vom 13.11.2020 (Beilage A zu OZ 5), die Einsichtnahme in einen Auszug aus Tiris-Maps (Beilage B zu OZ 5), die Einsichtnahme in 4 Lichtbilder (Beilage C-F zu OZ 5), der Einvernahme des Zeugen Insp. DD, des Zeugen RevInsp EE, des Zeugen FF und des Beschwerdeführers in der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 16.12.2020 (OZ 5).
II. Sachverhalt:
Am 07.10.2020 lenkte der Beschwerdeführer das Fahrzeug der Marke Smart mit dem behördlichen Kennzeichen *-***** auf der Adresse 3 in **** Z in Fahrtrichtung Osten entlang. Auf Höhe der Hausnummer ** befinden sich rechts neben der Fahrbahn Anwohnerparkplätze. Im Bereich dieser Anwohnerparkplätze fuhr das vom Zeugen FF gelenkte Fahrzeug der Marke Opel Astra mit dem behördlichen Kennzeichen *-***** in Schrittgeschwindigkeit mit gesetztem rechten Blinker entlang. Der Zeuge wollte auf einem der Anwohnerparkplätze sein Auto abstellen. Zumal kein Parkplatz frei war, setzte der Zeuge FF zu einem Wendemanöver an, um auf die andere Fahrbahnseite zu gelangen. Zu diesem Zeitpunkt lenkte der zuvor hinter ihm fahrende Beschwerdeführer nach links aus, um dem Fahrzeug des Zeugen FF auszuweichen. In weiterer Folge kollidierten die Fahrzeuge miteinander. Es kann nicht festgestellt werden, ob der Zeuge FF zum Zeitpunkt des Wendemanövers und somit auch zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes der beiden Fahrzeuge noch den rechten Blinker gesetzt hatte.
Nach dem Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge traf eine Streife der PI Z Y am Unfallort ein. Von den Beamten Zeugen Insp DD und Zeuge EE wurde der Unfall aufgenommen und Lichtbilder angefertigt. In Unfallendstellung ragte das Fahrzeug des Zeugen FF über beide Fahrbahnen. Der Smart des Beschwerdeführers, welcher mit der rechten Vorderseite des Fahrzeugs schräg im Bereich der Fahrertür auf das Fahrzeug des Zeugen FF prallte, befand sich in Unfallendstellung genau in der Mitte der beiden Fahrbahnen.
Anhand der von den Polizeibeamten angefertigten Lichtbildern kann nicht festgestellt werden, ob im Bereich des Zusammenstoßes der beiden Fahrzeuge eine nicht unterbrochene Sperrlinie auf der Fahrbahn angebracht ist. Sowohl aus dem Tiris-Maps Auszug als auch aus den von der Richterin im Zuge des Lokalaugenscheins angefertigten Lichtbildern ergibt sich, dass im Bereich der Hausnummer ** in der Adresse 3 zum Teil eine durchgehende Sperrlinie und zum Teil eine durchbrochene Sperrlinie (im Bereich der Hauseinfahrt) auf der Fahrbahn angebracht ist.
Es kann nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer im Bereich der nicht durchbrochenen Sperrlinie oder im Bereich der durchbrochenen Sperrlinie bei der Hauseinfahrt auf die andere Fahrbahnseite ausgewichen ist.
Der Beschwerdeführer führte bei der Fahrt zum Tatzeitpunkt keinen Führerschein mit sich.
III. Beweiswürdigung:
Sowohl der Beschwerdeführer als auch der Zeuge FF haben im Rahmen ihrer Einvernahme in der öffentlichen mündlichen Verhandlung den Unfallhergang glaubwürdig und nachvollziehbar geschildert. Der Zeuge FF hat nicht bestritten, dass er zu einem Wendemanöver angesetzt hat. Ob er dabei nach wie vor den rechten Blinker gesetzt hatte, hat er nicht mehr sagen können. Er ist aber davon ausgegangen, dass er wie immer den Blinker richtig gesetzt hatte. Aufgrund der diesbezüglichen widersprüchlichen Aussagen des Beschwerdeführers und des Zeugen konnte hiezu keine Feststellung getroffen werden.
Die Feststellung betreffend die örtlichen Gegebenheiten und die im Bereich der Adresse 3Hausnummer ** bei der Hauseinfahrt durchbrochene Sperrlinie ergeben sich aus den vorgelegten Lichtbildern und dem Auszug aus Tiris-Maps. Auch die als Zeugen einvernommenen Polizeibeamten gaben nach Vorhalt der Lichtbilder an, dass in diesem Bereich die Sperrlinie teilweise durchbrochen ist. Der Zeuge DD konnte zunächst nicht ausschließen, dass im Bereich der Unfallendstellung der Fahrzeuge die Sperrlinie durchbrochen war. Er führt dann weiter aus, dass er sich nach einer genaueren Durchsicht der Lichtbilder, aus welchen hervorgehe, dass vor der Haus Nr **, welche er als Tatort angegeben hat, die Sperrlinie durchgehend sei, sicher sei, dass die Sperrlinie im Bereich der Unfallendlage nicht durchbrochen gewesen sei.
Grundsätzlich ist es dem geschulten Auge eines Polizeibeamten zuzutrauen, eine Anzeige korrekt aufzunehmen und eine Verwaltungsübertretung korrekt festzustellen. Aus den vom Tatort angefertigten Lichtbildern des Beschwerdeführers und der Richterin sowie auch aus dem Auszug aus Tiris-Maps ergibt sich aber eindeutig, dass in einem Bereich der Hausnummer **, welche als Tatort angegeben wurde, die Sperrlinie nicht durchgehend verläuft, sondern teilweise durchbrochen ist. Auch der Aussage des Zeugen EE, welcher den Unfallbericht verfasst hat und die Lichtbilder angefertigt hat, ist grundsätzlich Glauben zu schenken. Der Zeuge hat auch angegeben, dass er mit einer Taschenlampe unter die Fahrzeuge geleuchtet hat, um zu sehen, ob dort eine Sperrlinie ist.
Der Zusammenstoß selbst und das vom Zeugen FF durchgeführte Wendemanöver sowie das Ausweichmanöver des Beschwerdeführers wurde von den Polizeibeamten aber nicht persönlich wahrgenommen, da diese erst zu einem späteren Zeitpunkt zum Unfall dazu gestoßen sind und daher die Fahrzeuge erst in Unfallendlage in Augenschein nehmen konnten. Aufgrund dessen und auch aufgrund der eindeutigen Lichtbilder vom Tatort, welchen zu entnehmen ist, dass im Bereich bei der Einfahrt der Hausnummer ** die Sperrlinie durchbrochen ist, kann nicht festgestellt werden, wo genau der Beschwerdeführer auf die andere Fahrbahn ausgewichen ist und ob in diesem Bereich die Sperrlinie durchgehend oder durchbrochen war. Dies haben die Beamten nämlich nicht wahrnehmen können. Aus den Lichtbildern und den Angaben der Beamten zur Unfallendlage kann ein Überfahren der Sperrlinie nicht festgestellt werden.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer keinen Führerschein mit sich führte, ergeben sich aus den glaubwürdigen Angaben der als Zeugen einvernommenen Polizeibeamten sowie den eigenen Angaben des Beschwerdeführers, welcher diesen Vorwurf nicht bestritt.
IV. Rechtslage:
Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960), BGBl Nr 159/1960, idF BGBl I Nr 24/2020, lauten auszugsweise wie folgt:
§ 9
Verhalten bei Bodenmarkierungen
(1) Sperrlinien (§ 55 Abs. 2) dürfen nicht überfahren, Sperrflächen (§ 55 Abs. 4) nicht befahren werden. Befinden sich eine Sperrlinie und eine Leitlinie nebeneinander, so hat der Lenker eines Fahrzeuges die Sperrlinie dann zu beachten, wenn sie dem von ihm benützten Fahrstreifen näher liegt.
(…)
Die wesentlichen Bestimmungen des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl I Nr 120/1997, idF BGBl I Nr 24/2020, lauten auszugsweise wie folgt:
§ 14
Pflichten des Kraftfahrzeuglenkers
(1) Jeder Lenker eines Kraftfahrzeuges hat unbeschadet der Bestimmungen des § 102 Abs. 5 KFG 1967 auf Fahrten mitzuführen
1. den für das von ihm gelenkte Kraftfahrzeug vorgeschriebenen Führerschein, Heeresführerschein oder Heeresmopedausweis,
2. bis zum Erhalt des Führerscheines (§ 13 Abs. 4) den vorläufigen Führerschein und einen amtlichen Lichtbildausweis,
(Anm.: Z 3 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 61/2011)
4. beim Lenken eines Feuerwehrfahrzeuges der Klassen C(C1), D(D1), CE(C1E) oder DE(D1E) mit einer Lenkberechtigung für die Klassen B oder BE (§ 1 Abs. 3 zweiter und dritter Satz) den Führerschein und den Feuerwehrführerschein,
5. beim Lenken eines Feuerwehrfahrzeuges oder Rettungs- und Krankentransportfahrzeuges einer gesetzlich anerkannten Rettungsorganisation mit einer höchstzulässigen Gesamtmasse bis 5 500 kg den Führerschein und die Bestätigung gemäß § 1 Abs. 3 Z 3.
und auf Verlangen die entsprechenden Dokumente den gemäß § 35 Abs. 2 zuständigen Organen zur Überprüfung auszuhändigen.
(1a) Der Lenker muss beim Lenken Auflagen, unter denen ihm die Lenkberechtigung erteilt wurde, erfüllen.
(2) Ausgenommen von den Bestimmungen des Abs. 1 sind Lenker von Zugmaschinen, Motorkarren und selbstfahrenden Arbeitsmaschinen auf Fahrten im Umkreis von nicht mehr als 10 km vom dauernden Standort des Fahrzeuges.
(3) Im Falle des Abhandenkommens der in Abs. 1 genannten Dokumente hat der Besitzer des abhandengekommenen Dokumentes bei der Behörde oder der nächsten Dienststelle des öffentlichen Sicherheitsdienstes unverzüglich Anzeige zu erstatten. Die Bestätigung über diese Anzeige berechtigt zum Lenken von Kraftfahrzeugen bis zur Ausstellung des neuen Dokumentes, jedoch nicht länger als vier Wochen, gerechnet vom Tage des Abhandenkommens. Wird einem Lenker der Führerschein im Ausland wegen einer der in § 7 Abs. 3 genannten bestimmten Tatsachen abgenommen, so gilt diese Abnahme nicht als Abhandenkommen.
(4) Wenn ein Führerschein ungültig geworden ist, hat dessen Besitzer ohne unnötigen Aufschub den Führerschein bei der Behörde abzuliefern und gegebenenfalls die Ausstellung eines neuen Führerscheines zu beantragen (§ 15). Ein Führerschein ist ungültig, wenn die behördlichen Eintragungen, Unterschriften oder Stempel unkenntlich geworden sind, das Lichtbild fehlt oder den Besitzer nicht mehr einwandfrei erkennen läßt, oder Beschädigungen oder Merkmale seine Vollständigkeit, Einheit oder Echtheit in Frage stellen.
(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 31/2008)
(Anm.: Abs. 6 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 134/1999)
(7) Eine Person, die im Besitz mehrerer in einem EWR-Staat ausgestellter Führerscheine ist, hat alle bis auf den zuletzt ausgestellten Führerschein bei der Behörde unverzüglich abzuliefern. Die abgelieferten Führerscheine sind der jeweiligen Ausstellungsbehörde zurückzustellen.
(8) Ein Kraftfahrzeug darf nur in Betrieb genommen oder gelenkt werden, wenn beim Lenker der Alkoholgehalt des Blutes weniger als 0,5 g/l (0,5 Promille) oder der Alkoholgehalt der Atemluft weniger als 0,25 mg/l beträgt. Bestimmungen, die für den betreffenden Lenker geringere Alkoholgrenzwerte festsetzen, bleiben unberührt.
§ 37
Strafausmaß
(1) Wer diesem Bundesgesetz, den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen, Bescheiden oder sonstigen Anordnungen zuwiderhandelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist, sofern in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist, mit einer Geldstrafe von 36 Euro bis zu 2 180 Euro, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit einer Ersatzfreiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen. Zuwiderhandlungen gegen Bestimmungen nach diesem Bundesgesetz, die einen bestimmten Alkoholgrenzwert zum Lenken oder Inbetriebnehmen von Kraftfahrzeugen festlegen, sind unbeschadet des Abs. 3 Z 3 jedoch nur dann zu bestrafen, wenn keine Übertretung der StVO 1960 oder des § 37a vorliegt. Dies gilt auch für Zuwiderhandlungen, die auf dem Wege von einer österreichischen Grenzabfertigungsstelle, die auf ausländischem Gebiet liegt, zur Staatsgrenze begangen werden. Auch der Versuch einer solchen Zuwiderhandlung ist strafbar.
(…)
Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG 1991), BGBl Nr 52/1991, idF BGBl I Nr 58/2018, lauten auszugsweise wie folgt:
§ 45
(1) Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn
1. die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet;
2. der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen;
3. Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen;
4. die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind;
5. die Strafverfolgung nicht möglich ist;
6. die Strafverfolgung einen Aufwand verursachen würde, der gemessen an der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat unverhältnismäßig wäre.
Anstatt die Einstellung zu verfügen, kann die Behörde dem Beschuldigten im Fall der Z 4 unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten.
(2) Wird die Einstellung verfügt, so genügt ein Aktenvermerk mit Begründung, es sei denn, daß einer Partei gegen die Einstellung Beschwerde beim Verwaltungsgericht zusteht oder die Erlassung eines Bescheides aus anderen Gründen notwendig ist. Die Einstellung ist, soweit sie nicht bescheidmäßig erfolgt, dem Beschuldigten mitzuteilen, wenn er nach dem Inhalt der Akten von dem gegen ihn gerichteten Verdacht wusste.
V. Erwägungen:
Zu Spruchpunkt 1.:
Gemäß § 9 Abs 1 StVO 1960 dürfen Sperrlinien (§ 55 Abs 2) nicht überfahren werden. Das Verbot des Überfahrens von Sperrlinien ist einschränkend auszulegen und eine Ausnahme für den Fall anzunehmen, dass ein Vorbeifahren an einem Hindernis nur unter Überfahren der Sperrlinie möglich ist. Dieses Vorbeifahren darf nur unter Anwendung ganz besonderer Vorsicht und Aufmerksamkeit erfolgen (OGH 19.11.1968, 2 Ob393/61).
Das durchgeführte Ermittlungsverfahren hat gezeigt, dass nicht mit einer für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden kann, dass der Beschwerdeführer mit dem von ihm gelenkten Fahrzeug die Sperrlinie überfahren hat, da nicht festgestellt werden konnte, ob in dem Bereich, in welchem die Linie vom Beschwerdeführer überfahren wurde, diese nicht durchbrochen war. Es fehlt sohin bereits an einem objektiven Tatbestandsmerkmal der vorgeworfenen Verwaltungsübertretung.
Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist eine Regel für jene Fälle, in denen hinweg des Beweisverfahrens und anschließender freier Würdigung der Beweise in dem entscheidenden Organ nicht mit Sicherheit die Überzeugung von der Richtigkeit des Tatvorwurfes erzeugt werden konnte. Nur wenn nach Durchführung aller Beweise – wie es im gegenständlichen Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht erfolgt – trotz eingehender Beweiswürdigung damit Zweifel an der Täterschaft des Beschuldigten verbleiben, nach dem genannten Grundsatz ein Freispruch zu erfolgen (VwGH 14.11.2018, Ra 2018/17/0165).
Die dem Beschwerdeführer unter Spruchpunkt 1. zur Last gelegte Tat lässt sich daher nicht erweisen und Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides war sohin gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG 1991 aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren diesbezüglich einzustellen.
Zu Spruchpunkt 2.:
Gemäß § 14 Abs 1 Z 1 FSG hat jeder Lenker eines Kraftfahrzeuges unbeschadet der Bestimmung des § 102 Abs 5 KFG 1967 auf Fahrten den für das von ihm gelenkte Kraftfahrzeug vorgeschriebenen Führerschein mitzuführen und auf Verlangen die entsprechenden Dokumente den gemäß § 35 Abs 2 zuständigen Organen zur Überprüfung auszuhändigen.
Das durchgeführte Ermittlungsverfahren hat ergeben, dass der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt keinen Führerschein mitgeführt hat. Er hat sohin gegen die Bestimmung in § 14 Abs 1 Z 1 FSG iVm § 37 Abs 1 FSG verstoßen, indem er die objektive Tatseite der Verwaltungsübertretung begangen hat.
Zum Verschulden ist auszuführen, dass es sich bei der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verwaltungsübertretung um ein sogenanntes „Ungehorsamsdelikt“ iSd § 5 Abs 1 VStG 1991 handelt, zu dessen Tatbestand weder der Eintritt eines Schadens noch einer Gefahr gehört. Der Gesetzgeber unterstellt in solchen Fällen ein Verschulden in Form von Fahrlässigkeit. Dem Beschwerdeführer ist es nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass ihn nicht einmal Fahrlässigkeit treffen sollte. Der Beschwerdeführer gestand die Übertretung selbst ein und gab an, den Führerschein vergessen zu haben. Es ist sohin im gegenständlichen Fall von einer fahrlässigen Tatbegehung auszugehen.
Die dem Beschwerdeführer unter Spruchpunkt 2. angelastete Verwaltungsübertretung steht wohl in subjektiver als auch in objektiver Sicht als erwiesen fest. Gemäß § 45 Abs 1 letzter Satz VStG wurde mit dem angefochtenen Bescheid von der Verhängung einer Strafe abgesehen und eine Ermahnung erteilt.
Gemäß § 45 Abs 1 Z 4 letzter Satz VStG 1991 kann von der Verhängung einer Strafe abgesehen und eine Ermahnung ausgesprochen werden, wenn dies geboten erscheint, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten, sofern die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsguts und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind. Diese Umstände haben kumulativ vorzuliegen (VwGH 20.06.2016, Zl Ra 2016/02/0065). Im gegenständlichen Fall liegen aus Sicht der Landesverwaltungsgerichts Tirol beide Voraussetzungen für die Erteilung einer Ermahnung vor. Es spricht sohin nichts gegen die Anwendung des § 45 Abs 1 letzter Satz VStG 1991 durch die belangte Behörde. Die Beschwerde war sohin betreffend Spruchpunkt 2. als unbegründet abzuweisen.
Insgesamt war daher spruchgemäß zu entscheiden.
VI. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Wenn allerdings in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Geldstrafe von bis zu Euro 750,00 und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu Euro 400,00 verhängt wurde, ist eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichthof wegen Verletzung in Rechten nicht zulässig.
Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.
Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Dr.in Keplinger
(Richterin)
Schlagworte
Nichtmitführen des Führerscheins;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2020.47.2451.6Zuletzt aktualisiert am
03.02.2021