TE Bvwg Beschluss 2020/7/18 L504 2207666-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.07.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

18.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §6
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
GRC Art19 Abs2
GRC Art47
StPO §78
VwGVG §32

Spruch

L504 2207666-3/3Z

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über den Antrag des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit staatenlos alias Palästinensische Autonomiegebiete (Gaza) alias Belgien, auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung aufgrund des am 15.07.2020 eingebrachten Antrages auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom13.03.2019, L504 2207666-2/5E, rechtskräftig abgeschlossenen Beschwerdeverfahrens den

BESCHLUSS

gefasst:

A)

Dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung wird nicht stattgegeben.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.



Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Antragsteller stellte – nachdem er unter Verwendung eines gestohlenen belgischen Personalausweises in das Bundesgebiet einreiste – am 07.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.12.2018, Zl. 1125591201-161091675, wurde der Antrag des Antragstellers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z. 2 iVm § 6 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Palästinensische Gebiete (Gaza) gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Antragsteller gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Antragstellers in die Palästinensischen Gebiete (Gaza) gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 FPG 2005 wurde außerdem wider den Antragsteller ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.) sowie einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z. 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.) und schließlich gemäß § 55 Abs. 1a FPG 2005 ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VIII.).

3. Der Antragsteller erhob dagegen – vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx als gewillkürte Vertretung – Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, welches die Beschwerde mit Erkenntnis vom 13.03.2019, L504 2207666-2/5E, als unbegründet abwies.

4. In weiterer Folge erhob der – nunmehr durch eine auf Asyl- und Fremdenrecht spezialisierte Rechtsanwältin vertretene – Antragsteller zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 11.06.2019, E 1526/2019-7, ablehnte und die Beschwerde über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5. Die vom Antragsteller am 04.09.2019 erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.05.2020, Ra 2019/20/0468-10, zurückgewiesen.

6. Der Antragsteller verblieb in der Folge im Bundesgebiet, sein Aufenthalt ist in Anbetracht der im Instanzenzug ergangenen rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vom 13.03.2019 nicht rechtmäßig.

Der Antragsteller lebt derzeit in einer Unterkunft für Asylwerber in XXXX . Das Land XXXX gewährt ihm – ungeachtet der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung und des rechtskräftigen Einreiseverbotes – weiterhin Leistungen der Grundversorgung.

7. Mit Schriftsatz vom 15.07.2020 beantragte der nunmehr unvertretene Antragsteller die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom13.03.2019, L504 2207666-2/5E, rechtskräftig abgeschlossenen Beschwerdeverfahrens gemäß § 32 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 VwGVG. Der Antragsteller bringt begründend dazu im Wesentlichen vor, die anlässlich der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angefertigten Niederschriften vom 16.08.2017 sowie vom 04.09.2018 würden den tatsächlichen Verlauf der Einvernahme nicht wiedergeben, sondern nie bzw. nicht in dieser Form gestellte Fragen und Vorhalte der Behörde enthalten, wodurch der Eindruck erweckt werde, dass der Antragsteller oberflächliche Angaben bzw. unvollständige Antworten getätigt habe. Die Protokollietung von nicht bzw. nicht in dieser Form gestellten Fragen erfülle zumindest objektiv den Tatbestand des § 311 StGB und allenfalls sogar bei entsprechendem Schädigungsvorsatz den Tatbestand nach §§ 15 und 302 Abs. 1 StGB, sodass der Wiederaufnahmegrund des § 32 Abs. 1 Z. 1 VwGVG verwirklicht sei.

Unter einem beantragt der Antragsteller die Erlassung einer einstweiligen Anordnung, wonach gemäß § 78 Abs. 3 StPO sowie Art. 19 Abs. 2 und 47 GRC bis zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag die Durchsetzung der Aufenthaltsbeendigung untersagt werde. Zur Begründung wird zunächst das Vorbringen zum Wiederaufnahmeantrag widerholt und schließlich vorgebracht, dass bei Wahrunterstellung des Vorbringens dem Antragsteller die Ermordung bzw. die Folter drohen würde, da er seinen Onkel bei geheimdienstlichen Aktivitäten gegen die Hamas unterstützt habe und er deshalb von Hinrichtung bedroht sei. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sei geboten, da dem Antragsteller nach erfolgloser Ausschöpfung aller Rechtsmittel die Abschiebung drohen würde und „erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Erkenntnisses vom 13.03.2019“ bestünden.

8. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat am heutigen Tag zum Antrag des Antragstellers auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung mitgeteilt, dass das bereits eingeleitete Verfahren zur Durchsetzung und Effektuierung der Rückkehrentscheidung aufgrund der Gewährung der aufschiebenden Wirkung durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts unterbrochen und derzeit noch nicht wieder aufgenommen worden sei. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt würden daher weder Maßnahmen zur Durchsetzung und Effektuierung der Rückkehrentscheidung wider den Antragsteller betrieben, noch könne abgeschätzt werden, wann eine allfällige Abschiebung des Antragstellers erfolgen könne.

Es kann somit nicht festgestellt werden, dass bzw. zu welchem Zeitpunkt der Antragsteller in die Palästinensischen Gebiete (Gaza) abgeschoben werden soll. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Abschiebung des Antragstellers in die Palästinensischen Gebiete (Gaza) unmittelbar bevorsteht. Bislang konnten seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl überhaupt keine zwangsweisen Rückführungen in die Palästinensischen Gebiete (Gaza) durchgeführt werden.

II. Beweiswürdigung:

1. Der vorstehend angeführte Verfahrensgang einschließlich des Tenors der im Verfahren ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen ergibt sich unzweifelhaft aus dem Inhalt des dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verfahrensakts der belangten Behörde sowie den Akten des Bundesverwaltungsgerichts.

2. Dass Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl derzeit weder Maßnahmen zur Durchsetzung und Effektuierung der Rückkehrentscheidung wider den Antragsteller betriebt, noch dessen Abschiebung im Raum steht, ergibt sich ebenso unzweifelhaft aus der am 17.07.2020 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Regionaldirektion XXXX , Außenstelle XXXX ) telefonisch eingeholten Stellungnahme. Dass eine Abschiebung unmittelbar bevorsteht, ist somit nicht feststellbar. Dass in die palästinensischen Gebiete bislang überhaupt keine zwangsweisen Rückführungen erfolgten, ergibt sich aus der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Information des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2020.

3. Die Feststellungen betreffend die vom Antragsteller in Anspruch genommenen Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber ergeben sich schließlich zweifelsfrei aus dem Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich

III. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Einem Antrag auf Wiederaufnahme eines mit Erkenntnis rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht kommt keine aufschiebende Wirkung zu, es kann einem solchen Antrag die aufschiebende Wirkung auch nicht zuerkannt werden (VwGH 29.04.1983, Zl. 81/17/0008).

2. Der EuGH hält in seiner im Anwendungsbereich des Unionsrechtes relevanten Rechtsprechung (aufbauend auf Art. 160 seiner Verfahrensordnung) fest, dass Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, sowie den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung dem ersten Anschein nach rechtfertigenden Sach- und Rechtsgründe anführen müssen (vgl. dazu und zum Folgenden EuGH 20.11.2017, C-441/17, Europäische Kommission gegen Republik Polen, Rz 28 ff mwH).

Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter darf diesen nur dann gewähren, wenn die Notwendigkeit der Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht (fumus boni iuris) und ferner dargetan ist, dass sie dringlich in dem Sinne ist, dass sie zur Verhinderung eines schweren und nicht wieder gut zu machenden Schadens für die Interessen des Antragstellers bereits vor der Entscheidung der Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten muss. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vor.

Diese Voraussetzungen bestehen kumulativ, sodass der Antrag auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht erfolgreich sein kann, wenn eine von ihnen fehlt (vgl. VwGH 05.09.2018, Ra 2018/03/0056).

3. Im Rahmen der Gesamtprüfung, die im Verfahren der einstweiligen Anordnung vorzunehmen ist, verfügt der zuständige Richter über ein weites Ermessen, und er kann im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls die Art und Weise, in der die verschiedenen Voraussetzungen für die Gewährung der genannten einstweiligen Anordnungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge dieser Prüfung frei bestimmen, da keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorschreibt (vgl. dazu VwGH 29.10.2014, Ro 2014/04/0069, mwN).

4. Wesentliche Voraussetzung ist somit ua das Feststehen der Dringlichkeit im Sinne der Verhinderung des Eintritts eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens beim Antragsteller. Eine solche Dringlichkeit legt der gegenständliche Antrag nicht dar, zumal darin lediglich geltend gemacht wird, dass der Antragsteller aufgrund des Vorliegens eine rechtskräftigen Rückkehrentscheidung in seinen Herkunftsstaat abgeschoben werden könnte. Dass diese Abschiebung unmittelbar bevorsteht, wird demgegenüber nicht einmal behauptet und es ergaben auch die Erhebungen des Bundesverwaltungsgerichts beim zuständigen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl keinen Hinweis darauf. Vielmehr kam hervor, dass das Verfahren zur Durchsetzung und Effektuierung der Rückkehrentscheidung bis zuletzt unterbrochen war und derzeit keine Abschiebung des Antragstellers in die Palästinensischen Gebiete (Gaza) im Raum steht bzw. durch Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung überhaupt fraglich ist.

5. Schon ausgehend davon ist nicht ersichtlich, dass für den Zeitraum bis zur Entscheidung über den Antrag auf Wiederaufnahme vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren wäre, da eine Abschiebung des Beschwerdeführers Antragstellers in die Palästinensischen Gebiete (Gaza) innerhalb der Entscheidungsfrist höchst unwahrscheinlich ist.

Aus § 78 Abs. 3 StPO ist kein Recht des Antragstellers abzuleiten, dass ihm im Wiederaufnahmeverfahren einstweilige Rechtsschutz zu gewähren wäre.

Dem Antrag ist daher nicht stattzugeben. Es steht dem Antragsteller frei, bei geänderter Sachlage neuerlich einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung zu stellen.

6. Ferner sind folgende Erwägungen maßgeblich:

Soweit die Ausführungen des Antragsstellers dahingehend zu verstehen sind, dass die fehlende Möglichkeit eines vorläufigen Rechtsschutzes während des Wiederaufnahmeverfahrens dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz widerspricht, führen diese Überlegungen nicht zum Erfolg.

Art. 46 RL 2013/32/EU, der das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf regelt, lautet auszugsweise:

„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Antragsteller das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht haben gegen […]

c) eine Entscheidung zur Aberkennung des internationalen Schutzes nach Artikel 45. […]

(3) Zur Einhaltung des Absatzes 1 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der wirksame Rechtsbehelf eine umfassende Ex-nunc-Prüfung vorsieht, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt und bei der gegebenenfalls das Bedürfnis nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie 2011/95/EU zumindest in Rechtsbehelfsverfahren vor einem erstinstanzlichen Gericht beurteilt wird. […]

(5) Unbeschadet des Absatzes 6 gestatten die Mitgliedstaaten den Antragstellern den Verbleib im Hoheitsgebiet bis zum Ablauf der Frist für die Ausübung des Rechts der Antragsteller auf einen wirksamen Rechtsbehelf und, wenn ein solches Recht fristgemäß ausgeübt wurde, bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf. […]“

Der EuGH hat dazu in seinem Urteil vom 26.09.2018, C-180/17, ausgeführt:

„23 Somit verpflichten die Bestimmungen der Richtlinien 2013/32 und 2008/115 die Mitgliedstaaten zwar, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen abschlägige Entscheidungen über einen Antrag auf internationalen Schutz und gegen Rückkehrentscheidungen vorzusehen; keine dieser Bestimmungen sieht jedoch vor, dass die Mitgliedstaaten internationalen Schutz beantragenden Personen, deren Klage gegen die Ablehnung ihres Antrags und die Rückkehrentscheidung abgewiesen wurde, ein Rechtsmittel gewähren müssen, und erst recht nicht, dass ein solches Rechtsmittel kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung haben muss.

24 Solche Anforderungen lassen sich auch nicht aus der Systematik und dem Zweck dieser Richtlinien ableiten. Deren Hauptziel ist nämlich, wie aus dem zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32 hervorgeht, die Weiterentwicklung der Normen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung internationalen Schutzes im Hinblick auf die Einführung eines gemeinsamen Asylverfahrens in der Union und, wie sich aus den Erwägungsgründen 2 und 4 der Richtlinie 2008/115 ergibt, die Einführung einer wirksamen Rückkehr- und Rückübernahmepolitik unter vollständiger Achtung der Grundrechte und der Würde der Betroffenen (vgl. zur Richtlinie 2008/115 Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C?181/16, EU:C:2018:465, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung). Den Erwägungsgründen dieser Richtlinien lässt sich dagegen nicht entnehmen, dass diese die Mitgliedstaaten zur Schaffung eines zweiten Rechtszugs verpflichten sollen.

25 Ferner bezieht sich, was die Richtlinie 2013/32 betrifft, die Vorgabe, dass der Rechtsbehelf wirksam sein muss, nach Art. 46 Abs. 3 dieser Richtlinie ausdrücklich auf „Rechtsbehelfsverfahren vor einem erstinstanzlichen Gericht“. Soweit danach eine umfassende Ex?nunc-Prüfung erforderlich ist, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt, betrifft diese Vorgabe ausschließlich den Ablauf des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens. Sie kann daher nicht mit Blick auf das Ziel dieser Richtlinie dahin ausgelegt werden, dass die Mitgliedstaaten zur Schaffung eines zweiten Rechtszugs verpflichtet wären oder dass dieser in bestimmter Weise auszugestalten wäre.

26 Somit hindert das Unionsrecht, wie das Wort „zumindest“ in Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 in Bezug auf Entscheidungen, mit denen ein Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wird, bestätigt, die Mitgliedstaaten zwar nicht daran, für Rechtsbehelfe gegen abschlägige Entscheidungen über einen Antrag auf internationalen Schutz und gegen Rückkehrentscheidungen einen zweiten Rechtszug vorzusehen. Die Richtlinien 2013/32 und 2008/115 enthalten jedoch keine Vorschriften über die Schaffung und Ausgestaltung eines solchen Rechtszugs. Insbesondere lassen, wie der Generalanwalt in Nr. 41 seiner Schlussanträge ausführt, weder der Wortlaut noch die Systematik oder der Zweck dieser Richtlinien den Schluss zu, dass, wenn ein Mitgliedstaat einen zweiten Rechtszug gegen derartige Entscheidungen vorsieht, das damit geschaffene Rechtsmittelverfahren dem vom Antragsteller eingelegten Rechtsmittel zwingend kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung verleihen muss.

27 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2008/115 ebenso wie die Richtlinie 2013/32, wie sich aus dem 24. Erwägungsgrund der Ersteren und dem 60. Erwägungsgrund der Letzteren ergibt, unter Beachtung der insbesondere in der Charta anerkannten Grundrechte und Grundsätze auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C?181/16, EU:C:2018:465, Rn. 51).

28 Wenn ein Staat entscheidet, eine Person, die internationalen Schutz beantragt, in ein Land abzuschieben, bei dem ernsthafte Gründe befürchten lassen, dass tatsächlich die Gefahr einer Art. 18 der Charta in Verbindung mit Art. 33 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der durch das entsprechende Protokoll geänderten Fassung oder Art. 19 Abs. 2 der Charta widersprechenden Behandlung dieser Person besteht, verlangt das in Art. 47 der Charta vorgesehene Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der Antragsteller über einen Rechtsbehelf mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung gegen den Vollzug der Maßnahme verfügt, die seine Abschiebung ermöglicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C?181/16, EU:C:2018:465, Rn. 54).

29 Der Gerichtshof hat ferner präzisiert, dass bei einer Rückkehrentscheidung und einer etwaigen Abschiebungsentscheidung der mit dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und dem Grundsatz der Nichtzurückweisung verbundene Schutz dadurch zu gewährleisten ist, dass der Person, die internationalen Schutz beantragt hat, das Recht zuzuerkennen ist, vor mindestens einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat. Außerdem haben die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass der Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz seine volle Wirksamkeit entfaltet, indem sie während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung aussetzen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C?181/16, EU:C:2018:465, Rn. 56, 58 und 61 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Beschluss vom 5. Juli 2018, C u. a., C?269/18 PPU, EU:C:2018:544, Rn. 50).

30 Allerdings schreibt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs Art. 47 der Charta im Licht der in ihrem Art. 18 und Art. 19 Abs. 2 enthaltenen Garantien ebenso wenig wie Art. 46 der Richtlinie 2013/32 und Art. 13 der Richtlinie 2008/115 vor, dass es zwei Rechtszüge geben muss. Denn allein entscheidend ist, dass es einen Rechtsbehelf vor einem Gericht gibt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Juli 2011, Samba Diouf, C?69/10, EU:C:2011:524, Rn. 69, und vom 19. Juni 2018, Gnandi, C?181/16, EU:C:2018:465, Rn. 57).

31 In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, dass mit Art. 52 Abs. 3 der Charta, soweit diese Rechte enthält, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die notwendige Kohärenz zwischen den in der Charta verankerten Rechten und den entsprechenden, durch die EMRK garantierten Rechten geschaffen werden soll, ohne dass dadurch die Eigenständigkeit des Unionsrechts und des Gerichtshofs der Europäischen Union berührt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Februar 2016, N., C?601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 47, und vom 14. September 2017, K., C?18/16, EU:C:2017:680, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung). Nach den Erläuterungen zu Art. 47 der Charta stützt sich dessen Abs. 1 auf Art. 13 EMRK. Der Gerichtshof muss daher darauf achten, dass seine Auslegung von Art. 47 Abs. 1 der Charta ein Schutzniveau gewährleistet, das das in Art. 13 EMRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte garantierte Schutzniveau nicht verletzt (vgl. entsprechend Urteile vom 15. Februar 2016, N., C?601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 77, und vom 20. März 2018, Menci, C?524/15, EU:C:2018:197, Rn. 62).

32 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verlangt Art. 13 EMRK aber selbst dann, wenn geltend gemacht wird, dass die Abschiebung den Betroffenen einer echten Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung aussetzt, von den Hohen Vertragsparteien weder, zwei Rechtszüge zu schaffen, noch gegebenenfalls das Rechtsmittel mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung auszustatten (vgl. in diesem Sinne EGMR, 5. Juli 2016, A. M./Niederlande, CE:ECHR:2016:0705JUD002909409, Rn. 70).

33 Daraus folgt, dass sich der Schutz, den Art. 46 der Richtlinie 2013/32 und Art. 13 der Richtlinie 2008/115 in Verbindung mit Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta einer internationalen Schutz beantragenden Person gegen eine Entscheidung gewährt, mit der ihr Antrag abgelehnt und ihr eine Rückkehrverpflichtung auferlegt wird, auf einen einzigen gerichtlichen Rechtsbehelf beschränkt.

34 Die Schaffung eines zweiten Rechtszugs gegen abschlägige Entscheidungen über einen Antrag auf internationalen Schutz und gegen Rückkehrentscheidungen sowie die Entscheidung, ihn gegebenenfalls mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung auszustatten, sind – entgegen dem in Rn. 17 des vorliegenden Urteils angeführten Vorbringen der belgischen Regierung – Verfahrensmodalitäten zur Umsetzung des in Art. 46 der Richtlinie 2013/32 und Art. 13 der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen solche Entscheidungen. Solche Verfahrensmodalitäten unterliegen nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten zwar ihrer jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnung, müssen aber, wie der Gerichtshof hervorgehoben hat, die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität wahren (vgl. entsprechend Urteil vom 17. Juli 2014, Sánchez Morcillo und Abril García, C?169/14, EU:C:2014:2099, Rn. 31, 36 und 50 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Beschluss vom 16. Juli 2015, Sánchez Morcillo und Abril García, C?539/14, EU:C:2015:508, Rn. 33).

35 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs dürfen die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die die dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte schützen sollen, nicht weniger günstig sein als die für entsprechende innerstaatliche Klagen (Grundsatz der Äquivalenz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juni 2014, Kone u. a., C?557/12, EU:C:2014:1317, Rn. 25, und vom 6. Oktober 2015, Târ?ia, C?69/14, EU:C:2015:662, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36 Bei der Prüfung der Frage, ob die Anforderungen in Bezug auf die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität erfüllt sind, sind die Stellung der betroffenen Vorschriften im gesamten Verfahren, dessen Ablauf und die Besonderheiten dieser Vorschriften vor den verschiedenen nationalen Stellen zu berücksichtigen (Urteile vom 1. Dezember 1998, Levez, C?326/96, EU:C:1998:577, Rn. 44, und vom 27. Juni 2013, Agrokonsulting-04, C?93/12, EU:C:2013:432, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt der Äquivalenzgrundsatz die Gleichbehandlung auf einen Verstoß gegen das nationale Recht gestützter Rechtsbehelfe und entsprechender, auf einen Verstoß gegen das Unionsrecht gestützter Rechtsbehelfe, nicht aber die Gleichwertigkeit nationaler Verfahrensvorschriften, die für Streitsachen unterschiedlicher Natur gelten (Urteil vom 6. Oktober 2015, Târ?ia, C?69/14, EU:C:2015:662, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[…]

43 Was den Effektivitätsgrundsatz betrifft, so verlangt dieser hier nicht mehr als die Wahrung der Grundrechte der Charta, insbesondere des Rechts auf einen wirksamen Rechtsschutz. Da sich aus Rn. 30 des vorliegenden Urteils ergibt, dass Art. 47 im Licht der Garantien in Art. 18 und Art. 19 Abs. 2 der Charta nur verlangt, dass eine internationalen Schutz beantragende Person, deren Antrag abgelehnt wurde und gegen die eine Rückkehrentscheidung ergangen ist, ihre Rechte vor einem Gericht wirksam geltend machen kann, lässt der bloße Umstand, dass ein im nationalen Recht vorgesehener zusätzlicher Rechtszug nicht kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat, nicht den Schluss zu, dass der Effektivitätsgrundsatz verletzt wurde.

44 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 46 der Richtlinie 2013/32 und Art. 13 der Richtlinie 2008/115 im Licht von Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die zwar ein Rechtsmittel gegen ein erstinstanzliches Urteil, das eine Entscheidung bestätigt, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt wird, vorsieht, diesen Rechtsbehelf jedoch nicht mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung ausstattet, obwohl der Betroffene die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung geltend macht.“

Es ist daher im Sinne dieser Ausführungen zu prüfen, ob der Äquivalenz- oder der Effektivitätsgrundsatz im vorliegenden Fall verletzt wird.

Dass der Äquivalenzgrundsatz verletzt wird, wurde vom Antragsteller nicht behauptet. Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern dieser verletzt werden könnte, zumal die hier kritisierten Regelungen für alle Verfahren gleichermaßen gelten. Wie sich außerdem aus Rz 43 des zitierten Urteils ergibt, erfordert der Effektivitätsgrundsatz nicht mehr als die Wahrung der Grundrechte der Charta, insbesondere des Rechts auf einen wirksamen Rechtsschutz. Da Art. 47 im Licht der Garantien in Art. 18 und Art. 19 Abs. 2 der Charta nur verlangt, dass eine internationalen Schutz beantragende Person, deren Antrag abgelehnt wurde und gegen die eine Rückkehrentscheidung ergangen ist, ihre Rechte vor einem Gericht wirksam geltend machen kann, lässt der bloße Umstand, dass eine im nationalen Recht vorgesehene Möglichkeit eines Wiederaufnahmeantrages nicht kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat bzw. keine Rechtsgrundlage für einen dahingehenden Antrag besteht, nicht den Schluss zu, dass der Effektivitätsgrundsatz verletzt wurde, zumal die Entscheidung in der Hauptsache bereits ergangen ist und der Antragsteller dort ohnehin in allen Instanzen in der Genuss der aufschiebenden Wirkung kam.

Mit anderen Worten hat der Antragsteller – wie er selbst zugesteht – bereits die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur effektiven Überprüfung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in Anspruch genommen und es war ihm demgemäß auch der Zugang zu einer effektiven zweigliedrigen Verwaltungsgerichtsbarkeit (und damit einem wirksamen Rechtsbehelf) vollständig gegeben.

Auch vor dem Hintergrund dieser Ausführungen ist die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz für den Antragsteller nicht geboten, da ein Fall der Sicherstellung der Wirksamkeit von Unionsrecht in Anbetracht der bereits in der Hauptsache ergangenen Entscheidung nicht geboten ist. Es wurde auch nicht dargelegt, dass die anzuwendenden nationalen Rechtsvorschriften – insbesondere § 32 VwGVG – nicht dem Unionsrecht entsprechen würden.

7. Von einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden, zumal die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, da nur Rechtsfragen strittig sind.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, im Einzelnen zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz ab ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Der Entscheidung liegt vielmehr eine einzelfallbezogene Abwägung zugrunde.

Schlagworte

Abschiebung Dringlichkeit effektiver Rechtsschutz einstweilige Anordnung EuGH Unionsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L504.2207666.3.00

Im RIS seit

15.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten