TE Vwgh Beschluss 2020/12/17 Ra 2020/18/0279

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Veröffentlicht am 17.12.2020
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Index

19/05 Menschenrechte
24/01 Strafgesetzbuch
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §52
FrPolG 2005 §53
MRK Art8
StGB §43 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A A, vertreten durch Mag. Martin Sauseng, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 2020, W147 2199819-1/24E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. Juni 2006 wurde ihm gemäß § 10 iVm § 11 Asylgesetz 1997 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

2        Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14. März 2016, 6 Hv 119/15x, wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs. 2 StGB und des Verbrechens der kriminellen Organisation gemäß § 278a StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren verurteilt. Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Graz wurde die Haftstrafe auf vier Jahre, fünf Monate und fünfzehn Tage herabgesetzt.

3        In der Folge leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein Aberkennungsverfahren gegen den Revisionswerber ein.

4        Mit Bescheid des BFA vom 4. Juni 2018 wurde dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten aberkannt, festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme, ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt sowie kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werde, und eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen. Zudem stellte das BFA fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation zulässig sei, und erließ ein unbefristetes Einreiseverbot gegen ihn.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer Verhandlung - die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers mit der Maßgabe ab, dass das Einreiseverbot auf die Dauer von zehn Jahre herabgesetzt werde. Weiters sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Begründend erwog das BVwG zur Aberkennung von Asyl - soweit für das gegenständliche Revisionsverfahren von Belang, der Revisionswerber sei wegen der Verbrechen der terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs. 2 StGB sowie der kriminellen Organisation gemäß § 278a StGB rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass der Revisionswerber sich an den terroristischen Vereinigungen Jabhat al Nusra und Islamischer Staat im Irak und in Syrien durch näher beschriebene Handlungen beteiligt habe. Diese Verbrechen würden sich aus mehreren genannten Gründen sowohl objektiv als auch subjektiv als besonders schwerwiegend erweisen, sodass die begangenen Verbrechen als besonders schwere Verbrechen im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) zu qualifizieren seien. Im Rahmen der Gefährdungsprognose sei auszuführen, dass von der anhaltenden Gemeingefährlichkeit des Revisionswerbers auszugehen sei. Diese ergebe sich zum einen aus der Schwere der seiner Verurteilung zu Grunde liegenden Taten, aber auch aus der teilweise fehlenden Selbstverantwortung. Der Revisionswerber sei unter Setzung einer Probezeit bedingt aus der Haft entlassen worden, und diese Entscheidung habe sich im Wesentlichen auf ein näher genanntes Gutachten einer Psychologin gegründet, die dargelegt habe, dass ein geringes Risiko für zukünftige Strafen und eine günstige Zukunftsprognose bestünden. Dem Revisionswerber sei auch zu Gute zu halten, dass er seit der Haftentlassung nicht weiter delinquent geworden sei und sich an die Weisungen des Strafgerichts gehalten habe. Allerdings mangle es weiterhin an der nötigen Einsicht und der nötigen Verantwortungsübernahme. So habe der Revisionswerber etwa vor dem BFA - ohne Schuldeingeständnis - angegeben, er habe nichts getan und man mache aus ihm ein Monster, während er vor dem BVwG angegeben habe, er habe einen Fehler gemacht und sei nur in der Türkei gewesen, um eine Feier zu besuchen. Im Strafverfahren habe er sich gänzlich anders verantwortet und ein umfängliches Geständnis abgelegt. Daraus schließe das BVwG, dass der Revisionswerber seine Aussagen der jeweiligen Lage anpasse. In einer Gesamtschau könne nur von einer negativen Zukunftsprognose ausgegangen werden. Es würden auch die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung gegenüber den Interessen des Revisionswerbers am Weiterbestehen des Schutzes überwiegen.

7        Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten lägen nicht vor. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung erwog das BVwG, dass der Revisionswerber eine daueraufenthaltsberechtigte Lebenspartnerin, mit der er nach islamischen Ritus verheiratet sei, und ein gemeinsames Kind im Inland habe, weshalb von einem bestehenden Familienleben auszugehen sei. Allerdings sei dieses Familienleben bereits durch die Strafhaft unterbrochen gewesen, bei der der Kontakt über Besuche, Telefonate und Briefe aufrechterhalten habe werden können. Darüberhinaus stehe es den weiteren, asylberechtigten Angehörigen des Revisionswerbers, ebenfalls Angehörige der Russischen Föderation, frei, ihn in Drittländern zu besuchen. Sowohl die familiären als auch privaten Interessen des Revisionswerbers seien durch die schwere Straffälligkeit relativiert. Mit der Fortsetzung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet ginge eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit einher. Aus diesem Grund überwögen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den privaten und familiären Interessen des Revisionswerbers. Die Abschiebung in die Russische Föderation sei zulässig. Hinsichtlich des Einreiseverbotes legte das BVwG unter näheren Ausführungen zur Gefährlichkeit sowie zum Privat- und Familienleben des Revisionswerbers dar, dass im vorliegenden Fall eine Herabsetzung auf die Dauer von zehn Jahren gerechtfertigt sei.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das BVwG hätte die - sowohl in Hinblick auf die Aberkennung des Status des Asylberechtigten wegen eines besonders schweren Verbrechens gemäß § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, als auch bezüglich der aufenthaltsbeendenden Maßnahme durchgeführte - Gefährdungsprognose mangelhaft beurteilt.

9        Der Verwaltungsgerichtshof leitete ein Vorverfahren ein, eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

10       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

12       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13       Im vorliegenden Fall wendet sich die Revision gegen die, vom BVwG seiner Entscheidung zu Grunde gelegte, Gefährdungsprognose.

14       Soweit die Revision dazu behauptet, das BVwG hätte aufgrund der seit der mündlichen Verhandlung verstrichenen Zeit eine neuerliche mündliche Verhandlung durchführen müssen, führt sie einen Verfahrensmangel ins Treffen. Die Zulässigkeit der Revision setzt neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann bei einem Verfahrensmangel aber nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang konkret dargetan wird (vgl. VwGH 12.6.2019, Ra 2019/01/0210, mwN). Eine solche Relevanz zeigt die vorliegende Revision nicht auf.

15       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass die bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist. Das hat sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose bzw. für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots Geltung. Gleiches gilt für die im Zusammenhang mit einer Beurteilung nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 vorzunehmende Gefährdungsprognose (vgl. VwGH 6.12.2019, Ra 2019/18/0437, mwN).

16       Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters bereits dargelegt, dass die Gefährdungsprognose grundsätzlich unabhängig von den - die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden - Erwägungen des Strafgerichtes erfolgt (vgl. etwa VwGH 15.4.2020, Ra 2020/19/0003, mwN).

17       Das BVwG stützte seine Einschätzung zur Gemeingefährlichkeit des Revisionswerbers - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Erhalt eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber - zusammengefasst zum einen auf die besondere Schwere der von diesem verwirklichten Straftaten und zum anderen auf den Umstand, dass es dem Revisionswerber an einer konsistenten Verantwortungsübernahme für die von ihm verwirklichte Tat mangle. Entgegen dem Vorbringen in der Revision hat das BVwG in seiner Prognose auch das Wohlverhalten des Revisionswerbers seit seiner bedingten Entlassung aus der Strafhaft berücksichtigt. Weiters gelingt es der Revision vor diesem Hintergrund nicht, aufzuzeigen, dass die vorgenommene Gefährdungsprognose aufgrund des Umstandes, dass der Revisionswerber nunmehr einer Vollzeitbeschäftigung nachgehe und seine Lebensgefährtin ein weiteres gemeinsames Kind erwarte, fehlerhaft wäre oder es aus diesem Grund einer weiteren Verhandlung bedurft hätte.

18       Vor diesem Hintergrund vermag die Revision nicht darzutun, dass die im Einzelfall erstellte Gefährdungsprognose des BVwG nicht auf verfahrensrechtlich einwandfreier Grundlage erfolgt wäre oder sonst an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leide.

19       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 17. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180279.L01

Im RIS seit

08.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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